Bundesverfassungsgericht

Urteil vom - Az: 1 BvR 719/19, 1 BvR 720/19

Streikmaßnahmen auf Firmengelände sind zu dulden

Der Arbeitgeber wird nicht durch Streikmaßnahmen auf dem betriebseigenen Parkplatz in seinen Grundrechten auf Eigentum und unternehmerische Handlungsfreiheit verletzt, wenn für die streikende Gewerkschaft keine anderen Mobilisierungsmöglichkeiten vorhanden sind, um auf arbeitswillige Arbeitnehmer einzuwirken. Der Arbeitgeber hat dementsprechend eine kurzzeitige, situative Beeinträchtigung seines Besitzes zu dulden.
(Redaktioneller Orientierungssatz)

Tenor

Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

1. Die Beschwerdeführerinnen wenden sich als nicht tarifgebundene Arbeitgeberinnen dagegen, dass die Gerichte für Arbeitssachen die Streikmaßnahmen einer Gewerkschaft auf ihrem jeweiligen Betriebsgelände für rechtmäßig erachteten.

2. Seit 2014/2015 kommt es bei beiden Beschwerdeführerinnen zu Streiks, initiiert durch die Gewerkschaft v. Ihr Ziel ist es jeweils, Anerkennungstarifverträge für die einschlägigen Tarifverträge des Einzel- und Versandhandels abzuschließen. Dabei organisierte sie als Mittel des Arbeitskampfes auch einen Streik. Vertreterinnen und Vertreter der Gewerkschaft versammelten sich mit den streikenden Beschäftigten - im Verfahren 1 BvR 719/19 wurde von 65 Streikenden und einem Gewerkschaftsvertreter ausgegangen - auf dem jeweiligen Betriebsparkplatz direkt vor dem Haupteingang des Betriebs. Die arbeitswilligen Beschäftigten mussten durch diese Ansammlung der Streikenden hindurchlaufen. Eine klar erkennbar freigehaltene Streikgasse gab es nicht.

Die Betriebsparkplätze gehören jeweils aufgrund eines sogenannten "Lease Agreement" zum 174.000 qm beziehungsweise 185.000 qm großen Betriebsgelände der jeweiligen Beschwerdeführerin im außerhalb von Ortschaften gelegenen Gewerbegebiet. Der Parkplatz hat eine erhebliche Größe, im Verfahren 1 BvR 720/19 werden 28.000 qm genannt; er befindet sich unmittelbar vor dem Haupteingang, der von allen Beschäftigten passiert werden muss, um ihren Arbeitsplatz aufsuchen beziehungsweise verlassen zu können, von denen die meisten mit einem Fahrzeug kommen. Der Parkplatz kann jeweils nur über die angrenzende öffentliche Straße angefahren werden; an den Einfahrten befinden sich Schilder, die ihn als Privatgrundstück kennzeichnen.

3. Die Beschwerdeführerinnen sind gegen diese Streikmaßnahmen gerichtlich vorgegangen. Sie beriefen sich auf ihr Hausrecht aus §§ 858, 862 BGB und auf den Schutz aus § 1004, § 823 Abs. 1 BGB.

Nach divergierenden Entscheidungen der ersten und zweiten Instanz entschied das Bundesarbeitsgericht, die Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen ergebe, dass die Beschwerdeführerinnen die Streikmaßnahmen hinzunehmen hätten. Es handele sich nicht um eine Besitzstörung durch verbotene Eigenmacht im Sinne des § 858 Abs. 1 BGB, denn die richterrechtlichen Regeln zum Arbeitskampfrecht seien als gesetzliche Gestattung zu werten. Zudem seien die kollidierenden Grundrechtspositionen nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz in Ausgleich zu bringen. Zugunsten der Beschwerdeführerinnen seien Rechte aus Eigentum nach Art. 14 GG und unternehmerischer Freiheit aus Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG zu berücksichtigen, zugunsten der Gewerkschaft die Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG. Eine negative Koalitionsfreiheit der Beschwerdeführerinnen sei nicht betroffen.

Es gebe zwar ein berechtigtes Interesse der Beschwerdeführerinnen, die Arbeitskampfgegnerin im laufenden Arbeitskampf nicht durch Überlassung ihres Besitzes zu unterstützen. Jedoch sei es der Gewerkschaft aufgrund der besonderen Lage des Betriebsgeländes und der örtlichen Verhältnisse hier nicht möglich, ihr von Art. 9 Abs. 3 GG umfasstes Recht auf Kommunikation mit Arbeitswilligen, um diese zur Streikteilnahme zu überreden, an einem anderen Ort als auf dem Parkplatz der Beschwerdeführerinnen geltend zu machen.

4. Die Beschwerdeführerinnen rügen, dass diese Entscheidung insbesondere ihre Grundrechte aus der Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG), der unternehmerischen Freiheit (Art. 12 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG) und der negativen Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) verletze.

II.

Soweit die Verfassungsbeschwerden zulässig sind, sind sie nicht begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerinnen nicht in ihren Grundrechten aus Art. 14 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG. Die Verfassungsbeschwerden wenden sich letztlich gegen das Ergebnis der fachgerichtlichen Abwägung. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass das Bundesarbeitsgericht spezifisches Verfassungsrecht verkannt hätte, wenn es die Grundrechtspositionen der Beteiligten unter Berücksichtigung der in Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionsfreiheit zum Ausgleich bringt.

1. Die angegriffenen Entscheidungen betreffen einen Rechtsstreit zwischen der Arbeitgeberseite und der Gewerkschaft, mithin sich als private gegenüberstehende Parteien, über die Reichweite der zivilrechtlichen Befugnisse aus Eigentum und Besitz gegenüber Dritten. Die Grundrechte können in solchen Streitigkeiten im Wege mittelbarer Drittwirkung Wirksamkeit entfalten. Sie verpflichten Private zwar grundsätzlich nicht unmittelbar untereinander selbst. Doch strahlen sie auf privatrechtliche Rechtsbeziehungen aus und sind von den Fachgerichten bei der Auslegung des Fachrechts zur Geltung zu bringen. Sie lassen sich als wertsetzende "Richtlinien" verstehen, um im Ausgangspunkt gleichberechtigte Freiheit auch im Fall kollidierender Grundrechtspositionen nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfGE 148, 267 <280 Rn. 32> m.w.N.). Danach ist es nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts, den Zivilgerichten oder auch den Arbeitsgerichten vorzugeben, wie sie im Ergebnis zu entscheiden haben (vgl. BVerfGE 129, 78 <102>). Das Bundesverfassungsgericht hat nur zu korrigieren, wenn die Auslegung der Gerichte Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der betroffenen Grundrechte beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind, insbesondere, weil darunter die Abwägung der beiderseitigen Rechtspositionen leidet (vgl. BVerfGE 134, 204 <234 Rn. 103>; 148, 267 <281 Rn. 34> m.w N.).

Das Bundesarbeitsgericht hat die Reichweite der Bindung Privater an verfassungsrechtliche Maßgaben insofern nicht verkannt. Soweit die Beschwerdeführerinnen auf die Entscheidung des Ersten Senats zum Stadionverbot Bezug nehmen (BVerfGE 148, 267) und rügen, das Bundesarbeitsgericht habe übersehen, dass Private Freiheitseinschränkungen nur dulden müssten, wenn sie über ein Monopol oder in anderer Weise über eine strukturelle Überlegenheit verfügten, überzeugt das nicht. Zum einen konnte das Bundesarbeitsgericht davon ausgehen, dass hier vorrangig die Rechtspositionen aus Art. 14 GG einerseits und Art. 9 Abs. 3 GG andererseits in Ausgleich zu bringen sind, wohingegen die genannte Entscheidung zur Gleichbehandlung in bestimmten Vertragssituationen ergangen ist. Zum anderen kann arbeitsrechtlich jedenfalls davon ausgegangen werden, dass sich ein Arbeitgeber gegenüber einer tariffähigen Gewerkschaft in einer Position der strukturellen Überlegenheit befindet. Das bedingt die Entscheidungsgewalt über Produktionsort, Personalbedarf und Produktivität ihrer Standorte und damit über Arbeitsplätze und die Erzielung des Lebensunterhalts, und gilt insbesondere in einer Situation, in der wie hier erstmals versucht wird, Arbeitnehmerinteressen tarifvertraglich zu sichern.

2. Die hier angegriffenen Entscheidungen stützen sich auf zivilrechtliche Regelungen zur Reichweite des privatrechtlichen Hausrechts der Arbeitgeberseite im Fall eines Streiks.

Dabei ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Bundesarbeitsgericht possessorische Ansprüche der Beschwerdeführerinnen gegen die Gewerkschaft mit dem Argument verneint, die richterrechtlichen Regelungen zum Streikrecht seien als "gesetzliche" Gestattung im Sinne des § 858 Abs. 1 BGB zu verstehen und dessen Wertungen auch auf die deliktischen Ansprüche zu übertragen. Hier hat das Bundesarbeitsgericht der Entscheidung über das Hausrecht der Beschwerdeführerinnen auf ihrem jeweiligen Betriebsparkplatz die Wertungen zugrunde gelegt, die sich aus Art. 14 Abs. 1 GG ergeben. Unter den Schutz der Eigentumsgarantie im Bereich des Privatrechts fallen grundsätzlich alle vermögenswerten Rechte, die von der Rechtsordnung in der Weise zugeordnet sind, dass die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidung zum privaten Nutzen ausgeübt werden dürfen (vgl. nur BVerfGE 89, 1 <6>; stRspr). Dazu gehört hier auch die grundsätzliche Entscheidungsfreiheit über den Zutritt zum Betriebsparkplatz.

Das Bundesarbeitsgericht hat darüber hinaus nicht verkannt, dass hier von Art. 12 Abs. 1 GG mit geschützte unternehmerische Handlungsfreiheit betroffen ist. Auch dieses umfasst die Entscheidungsfreiheit über die Nutzung des Betriebsgeländes.

3. Das Bundesarbeitsgericht hat in der Abwägung zudem Art. 9 Abs. 3 GG Rechnung getragen. Das Grundrecht schützt die individuelle Freiheit, Vereinigungen zur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu bilden und diesen Zweck gemeinsam zu verfolgen. Geschützt ist damit auch das Recht der Vereinigungen selbst, durch spezifisch koalitionsmäßige Betätigung die in Art. 9 Abs. 3 GG genannten Zwecke zu verfolgen, wobei die Wahl der Mittel, die die Koalitionen zur Erreichung dieses Zwecks für geeignet halten, grundsätzlich ihnen selbst überlassen ist (vgl. BVerfGE 92, 365 <393 f.>; 100, 271 <282>; 116, 202 <219>; 146, 71 <114>; stRspr). Dabei ist der Schutz der Koalitionsfreiheit nicht etwa von vornherein beschränkt, sondern erstreckt auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen. Art. 9 Abs. 3 GG umfasst also nicht nur die Gründung von Koalitionen und die Mitgliederwerbung (vgl. BVerfGE 93, 352 <358>), sondern insbesondere mit der Tarifautonomie den Abschluss von Tarifverträgen und Arbeitskampfmaßnahmen, jedenfalls soweit sie erforderlich sind, um eine funktionierende Tarifautonomie sicherzustellen, einschließlich des Streiks (vgl. BVerfGE 84, 212 <224 f.>; 88, 103 <114>; 92, 365 <393 f.>; 146, 71 <115 Rn. 131>). Dem entspricht es, wenn die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung davon ausgeht, dass eine eigenständige Lösungsfindung der Koalitionsparteien unabhängig von staatlicher Einflussnahme nur möglich ist, wenn beide Parteien in der Lage sind, Druck auf die jeweils andere Partei auszuüben. Auf Seiten der Gewerkschaften bedarf es des Streiks, um ihre strukturelle Verhandlungsschwäche auszugleichen. Ohne diese oder gleich effektive Eskalationsstufen zur Herstellung von Kompromissfähigkeit wären Kollektivverhandlungen nur "kollektives Betteln" (grundlegend BAG, Urteil vom 12. September 1984 - 1 AZR 342/83 -, juris, Rn. 96). Ein fairer und ausgewogener Ausgleich gegensätzlicher Arbeitsvertragsinteressen im Wege kollektiver Verhandlungen beruht insoweit auf annähernd gleicher Verhandlungsstärke und Durchsetzungskraft (vgl. BVerfGE 84, 212 <229>; 146, 71 <127 f. Rn. 164>). Das hat das Gericht hier beachtet.

4. Das Bundesarbeitsgericht hat das Spannungsverhältnis zwischen Eigentumsbefugnissen und Koalitionsfreiheit bei der Beurteilung eines auf das Hausrecht gestützten Unterlassungsanspruchs gegen Arbeitskampfmaßnahmen sodann nachvollziehbar aufgelöst. Dies zu tun, ist in erster Linie Sache der Gerichte. Sie haben hierbei einen weiten Spielraum. Die Grenze liegt bei Auslegungsfehlern, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts beruhen. Entscheidend ist allein, dass den grundrechtlichen Wertungen im Ergebnis hinreichend Rechnung getragen wird (vgl. BVerfGE 148, 267 <284 f. Rn. 44> m.w.N.; stRspr). Das ist hier der Fall.

a) Das Bundesarbeitsgericht stellt zentral darauf ab, dass es nicht darauf ankäme, "ob die beklagte Gewerkschaft ihre Rechte möglichst effektiv ausüben, sondern ob sie diese überhaupt wahrnehmen" könne. Dabei gehöre die persönliche Ansprache der Arbeitswilligen vor Antritt der Arbeit zum Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG. Eine Streikmobilisierung direkt vor Arbeitsantritt der (noch) arbeitswilligen Arbeitnehmer sei notwendig und erforderlich, um dem Streikrecht überhaupt zur Durchsetzung zu verhelfen. Hier könne die streikende Gewerkschaft nur auf dem Firmenparkplatz direkt vor dem Haupteingang mit den zum Streik aufgerufenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern kommunizieren und im Rahmen von Gesprächen auf zur Arbeit erscheinende Beschäftigte einwirken. "Das von Art. 9 Abs. 3 GG umfasste Recht, mit Arbeitswilligen zu kommunizieren und sie zu einer Streikteilnahme überreden zu dürfen, wäre bei der erstrebten Nutzungsuntersagung in Anbetracht der besonderen Lage des Betriebsgeländes faktisch aufgehoben." Daher müssten die Beschwerdeführerinnen diese Einschränkung ihrer Rechte hinnehmen.

b) Die dagegen gerichteten verfassungsrechtlichen Einwände überzeugen nicht.

aa) Das Bundesarbeitsgericht verkennt nicht, dass nicht jedwede Handlung der Gewerkschaften an jedem Ort vom Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG umfasst ist. Hier sind die besonderen örtlichen Gegebenheiten entscheidend. Sie eröffnen keine realistische Möglichkeit, Arbeitswillige im Zuge des Arbeitskampfes zu erreichen, ohne den Betriebsparkplatz zu nutzen. Das Bundesarbeitsgericht hat dementsprechend geprüft, ob andere Möglichkeiten bestanden, wie die Nutzung der öffentlichen Straßen oder der stillgelegten Bushaltestelle, die streikfördernde Kommunikation im Betrieb vor einem Streik, die Ansprache über Kurznachrichten auf Mobiltelefonen oder die (nachgelagerte) Berichterstattung über den Streik (an einem anderen Ort) in den Medien. Wenn das Gericht unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zu der Überzeugung gelangt, dass die konkret auf eine Arbeitskampfmaßnahme bezogene kommunikative Ansprache Arbeitswilliger hier nur auf dem Parkplatz möglich sei, ist das verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere bleibt der vom Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG umfasste Streik der zentrale Bezugspunkt als eigentliches Mittel, Druck aufzubauen, und nicht dessen Vor- oder Nachbereitung. Bei örtlichen Gegebenheiten, in denen kein öffentliches Gelände zur Verfügung steht, um das gewerkschaftliche Betätigungsrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG auszuüben, hat dieses entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen nicht gänzlich zurückzustehen. Die Maßgabe praktischer Konkordanz erfordert gerade, dass kein Recht ein anderes vollständig verdrängen darf. Umgekehrt folgt daher hier aus der Möglichkeit, den Parkplatz zu nutzen, auch nicht, dass das Hausrecht nicht mehr als Mittel zur Verfügung stünde, Arbeitskampfmaßnahmen abzuwehren (wie in den Flashmob-Fällen, BAG, Urteil vom 22. September 2009 - 1 AZR 972/08 -; dazu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 26. März 2014 - 1 BvR 3185/09 -).

bb) Um die gegenläufigen grundrechtlich geschützten Belange zum Ausgleich zu bringen, ist hier auch zu berücksichtigen, dass allein die Arbeitgeberinnen die örtlichen Gegebenheiten ihrer Betriebsstätte auswählen und gestalten. Könnten sie mit ihrer Entscheidung für die räumliche Position einer Betriebsstätte Arbeitskampfmaßnahmen und die Werbung für die Teilnahme an diesen oder auch nur die Werbung für den Gewerkschaftsbeitritt tatsächlich verhindern, bestünde die Gefahr, dass über die Planung von der betrieblichen Fläche Gewerkschaftsrechte gezielt ausgehöhlt werden. Insoweit ist es sogar grundrechtlich geboten, gegenläufigen Rechten auch auf dem Betriebsgelände zur Geltung zu verhelfen, wenn diese sonst tatsächlich bedeutungslos würden.

Damit werden die Grundrechte der Gewerkschaft wiederum nicht einseitig privilegiert. Insbesondere muss das Eigentumsrecht der Beschwerdeführerinnen nicht vollständig zurücktreten (so auch Kreuz, AP GG Art. 9 Arbeitskampf, Nr. 188; Rudkowski, RdA 2019, S. 308 <309>; Schwarze, JA 2019, S. 462 <464>; ferner Fuhlrott, GWR 2019, S. 129). Das Bundesarbeitsgericht hat vielmehr darauf abgestellt, dass die Aktivitäten der Gewerkschaft zur Rechtfertigung der Einschränkung der Nutzungsmöglichkeiten durch die Beschwerdeführerinnen in einem engen zeitlichen Zusammenhang zur kommunikativen Ansprache der arbeitswilligen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stehen müssten. Streitgegenständlich war zudem ein Streik zum Zeitpunkt des Schichtwechsels. Es erschließt sich nicht, warum die Bewertung des Geschehens auf dem Betriebsparkplatz an maximal drei Streiktagen über einen Zeitraum von dreieinhalb beziehungsweise sechs Monaten, das jeweils in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem Eintreffen der arbeitswilligen Beschäftigten zu Schichtbeginn stand, Art. 14 Abs. 1 GG verkannt haben sollte.

cc) Der Einwand, dass Unternehmen so gezwungen würden, selbst den Arbeitskampf der Gewerkschaft zu fördern, indem sie Betriebsmittel zur Verfügung stellten, greift nicht durch. Die Entscheidung der Arbeitgeberinnen selbst über den Standort und dessen verkehrliche Anbindung beließ hier allein die Möglichkeit, den Firmenparkplatz in Anspruch zu nehmen, um arbeitswillige Beschäftigte ansprechen zu können. Zum Ausgleich aller grundrechtlichen Belange ist es dann nachvollziehbar, dies als hinzunehmenden Teil der streikbedingten Betriebsstörung zu werten.

dd) Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen hat das Bundesarbeitsgericht in den angegriffenen Entscheidungen den Gewerkschaften kein möglichst effektives Streikmittel an die Hand gegeben. Entscheidend ist vielmehr, ob das Streikrecht überhaupt ausgeübt werden kann. Auch hier kommt es darauf an, dass der Parkplatz hier räumlich das "Nadelöhr" zur Betriebsstätte ist. Insofern hat das Bundesarbeitsgericht realistisch berücksichtigt, dass auch die dortige persönliche Ansprache der Arbeitswilligen vor Arbeitsantritt vom Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG umfasst ist.

ee) Die Ansicht, dass die Gewerkschaft allein wegen ihrer "sozialen Mächtigkeit" keiner Unterstützung durch die Gerichte bedürfe, um ihr Streikrecht ausüben zu können, geht fehl. Zwar ist es mit dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit vereinbar, nur solche Koalitionen an der Tarifautonomie teilnehmen zu lassen, die in der Lage sind, den von der staatlichen Rechtsordnung freigelassenen Raum des Arbeitslebens durch Tarifverträge sinnvoll zu gestalten, um so die Gemeinschaft sozial zu befrieden. Die einfachrechtliche Voraussetzung dafür ist die "soziale Mächtigkeit", in Auslegung des Tarifvertragsgesetzes im Lichte des Art. 9 Abs. 3 GG. Sie ergibt sich aus objektiven Kriterien wie der Zahl der Mitglieder einer Gewerkschaft und ihrer Stellung in den Betrieben, der sachlichen und personellen Ausstattung sowie dem Abschluss von Tarifverträgen in der Vergangenheit; gefordert ist ein Mindestmaß an Verhandlungsgewicht und also eine gewisse Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler (vgl. BVerfGE 146, 71 <127 f. Rn. 164> m.w.N.; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 13. September 2019 - 1 BvR 1/16 -, Rn. 9).

Doch genügt es in der konkreten Auseinandersetzung nicht, wenn die Gewerkschaft grundsätzlich durchsetzungsfähig und damit tariffähig ist. Hier weisen die Beschwerdeführerinnen selbst darauf hin, dass es der Gewerkschaft trotz jahrelanger Versuche nicht gelungen sei, sie zu einem Tarifvertrag zu bewegen. Die "Mächtigkeit" der Gewerkschaft ist insofern nur eine Voraussetzung dafür, dass ein Verhandlungsgleichgewicht überhaupt entstehen kann. Dazu kommt die Möglichkeit, notfalls in den Arbeitskampf einzutreten. Fehlt es daran, ist die Arbeitgeberseite aufgrund ihrer Dispositionsbefugnis über Standort, Betriebsmittel und Arbeitsplätze der Gewerkschaft von vornherein überlegen. Daher ist verfassungsrechtlich nichts dagegen einzuwenden, wenn das Bundesarbeitsgericht neben der Tariffähigkeit weitere Aspekte berücksichtigt.

ff) Es ist verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden, wenn das Bundesarbeitsgericht der Gewerkschaft keine Streikgasse aufgegeben hat. Der Platzbedarf von 65 Personen kann im Verhältnis zur großen Parkplatzfläche keine derartige Beeinträchtigung erzeugen, dass die Beschwerdeführerinnen ihrer Grundrechte, insbesondere aus Art. 14 Abs. 1 GG, vollständig beraubt wären. Vielmehr konnten Arbeitswillige auf dem Parkplatzgelände weiter ihr Fahrzeug abstellen und an ihren Arbeitsplatz gelangen. Sollten sie durch die Ansammlung der Streikenden hindurchgehen müssen, entzieht das den Beschwerdeführerinnen nicht die von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Nutzung ihres Parkplatzes.

Desgleichen hat das Bundesarbeitsgericht auch die Exzessgefahr nicht unberücksichtigt gelassen. Es ging nur davon aus, dass "die bloße, solchen Aktionen innewohnende Exzessgefahr" keine andere Abwägung der grundrechtlichen Positionen erzwinge. Das ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Anhaltspunkte für einen Exzess lagen nach Auffassung des Gerichts nicht vor.

5. Das Bundesarbeitsgericht stellt zu Recht nicht auf die negative Koalitionsfreiheit der Beschwerdeführerinnen aus Art. 9 Abs. 3 GG ab. Diese umfasst das Recht, sich nicht zu Koalitionen zusammenzuschließen, bestehenden Koalitionen fernzubleiben sowie aus diesen auszutreten (vgl. BVerfGE 50, 290 <354>; 146, 71 <114 Rn. 130>). Ihre praktische Bedeutung liegt vor allem im Schutz der Außenseiter vor einem unmittelbaren wie auch vor einem mittelbaren Koalitionszwang, sofern dieser mit Mitteln eines sozialinadäquaten Drucks ausgeübt wird (vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. 227 <Febr. 2020>). Demgegenüber genügt es nicht, wenn von einer Regelung oder Maßnahme ein bloßer Anreiz zum Beitritt zu einer Koalition ausgeht (vgl. BVerfGE 116, 202 <218 f.>; zur Differenzierungsklausel BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 14. November 2018 - 1 BvR 1278/16 -, Rn. 4 f.).

Hier zielten die gewerkschaftlichen Aktionen nicht darauf, die Unternehmen zu einem Verbandseintritt zu bewegen. Vielmehr sollte ein Haustarifvertrag erkämpft werden, der keine Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband erfordert (grds. § 2 Abs. 1 TVG). Zudem ist nicht erkennbar, wodurch ein sozialinadäquater mittelbarer oder unmittelbarer Druck zum Beitritt einer Koalition ausgeübt worden sein sollte. Die Beschwerdeführerinnen selbst erklären, dass sie trotz Streiks von v. seit dem Jahr 2013 weiterhin nicht tarifvertragsgebunden seien.

Von jeglichen Betätigungen der Koalitionen gänzlich verschont zu bleiben, ist dagegen nicht Bestandteil der negativen Koalitionsfreiheit. Die Aufgabe, widerstreitende Interessen und kollidierende Grundrechtspositionen angemessen auszugleichen, ist in einer freiheitlich verfassten Gesellschaft praktisch nur im Wege kollektiver Interessenvertretung und durch einen kollektiven Vertragsmechanismus zufriedenstellend zu lösen, wobei Tarifautonomie und auch Arbeitskampffreiheit für die Koalitionen unverzichtbare Voraussetzungen wirksamer Betätigung und Existenzgrundlage sind. Das verfassungsrechtliche Schutzkonzept der Tarifautonomie funktioniert nur, wenn die Rechtsordnung die dafür erforderlichen Instrumente zur Verfügung stellt. Wenn das Bundesarbeitsgericht davon ausgeht, dass dazu auch die Ansprache von Beschäftigten im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Arbeitskampf gehört, die hier aus tatsächlichen Gründen nur auf dem Betriebsparkplatz zu realisieren war, ist das verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.



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