Europäischer Gerichtshof

Urteil vom - Az: C-762/18, C-37/19

Urlaubsanspruch bleibt bei rechtswidriger Entlassung erhalten

(1.) Ein unrechtmäßig entlassener Arbeitnehmer hat für den Zeitraum zwischen der Entlassung und der Wiederaufnahme seiner früheren Beschäftigung Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub.

(2.) Durch die rechtswidrige Entlassung wird dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Erbringung seiner Arbeitsleistung verwehrt. Dieser Umstand ist, ebenso wie das Eintreten einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, grundsätzlich nicht vorhersehbar und vom Willen des Arbeitnehmers unabhängig. Insoweit hat der Arbeitgeber, der einen Arbeitnehmer nicht in die Lage versetzt, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auszuüben, die sich hieraus ergebenden Folgen zu tragen.

(3.) Sollte das Arbeitsverhältnis nach der Wiedereinstellung erneut beendet werden, besteht ein Anspruch auf eine entsprechende Vergütung des nicht genommenen Jahresurlaubs.

(4.) Ist der Arbeitnehmer während dieses Zeitraums einer neuen Beschäftigung nachgegangen, kann er diese Ansprüche nur gegenüber dem neuen Arbeitgeber geltend machen.
(Redaktionelle Orientierungssätze)

Urteil

Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9) und von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

Diese Ersuchen ergehen im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten zum einen zwischen QH und dem Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria (Oberstes Kassationsgericht der Republik Bulgarien, im Folgenden: Kassationsgericht) über die Anwendung einer vermeintlich mit dem Unionsrecht unvereinbaren Rechtsprechung durch dieses Gericht, die zur Folge hatte, dass QH eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub für den Zeitraum zwischen dem Tag ihrer rechtswidrigen Entlassung und dem Tag der Wiederaufnahme ihrer Beschäftigung versagt wurde (Rechtssache C‑762/18), und zum anderen zwischen CV und der Iccrea Banca Spa über einen ähnlichen Sachverhalt (Rechtssache C‑37/19).

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Der fünfte Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/88 lautet:

„Alle Arbeitnehmer sollten angemessene Ruhezeiten erhalten. Der Begriff ‚Ruhezeit‘ muss in Zeiteinheiten ausgedrückt werden, d. h. in Tagen, Stunden und/oder Teilen davon. Arbeitnehmern in der Gemeinschaft müssen Mindestruhezeiten – je Tag, Woche und Jahr – sowie angemessene Ruhepausen zugestanden werden. In diesem Zusammenhang muss auch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit festgelegt werden.“

Art. 7 („Jahresurlaub“) dieser Richtlinie lautet wie folgt:

„(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.

(2) Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.“

Bulgarisches Recht

Arbeitsgesetzbuch

Nach Art. 155 Abs. 1 des Kodeks na truda (Arbeitsgesetzbuch) hat „[j]eder Arbeiter und Angestellte … Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub“.

In Art. 224 Abs. 1 dieses Gesetzbuchs heißt es:

„Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat der Arbeiter oder Angestellte Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub …“

Art. 225 des genannten Gesetzbuchs sieht vor:

„1. Im Fall einer rechtswidrigen Entlassung hat der Arbeiter oder Angestellte Anspruch darauf, dass ihm der Arbeitgeber eine Entschädigung in Höhe seines Bruttoarbeitsentgelts für den Zeitraum bezahlt, in dem er aufgrund dieser Entlassung arbeitslos war, jedoch höchstens für sechs Monate.

2. Wenn der Arbeiter oder Angestellte während des Zeitraums im Sinne des vorstehenden Absatzes eine schlechter bezahlte Stelle hatte, hat er Anspruch auf Zahlung der Lohn- bzw. Gehaltsdifferenz. Dieser Anspruch wird ebenfalls einem Arbeiter oder Angestellten gewährt, der rechtswidrig auf eine schlechter bezahlte andere Stelle versetzt wird.

…“

Art. 354 Abs. 1 des Gesetzbuchs lautet folgendermaßen:

„Als zurückgelegte Arbeitszeit wird auch der Zeitraum anerkannt, in dem in folgenden Fällen kein Arbeitsverhältnis bestand:

1. wenn der Arbeiter oder Angestellte aufgrund einer Entlassung arbeitslos war, die von den zuständigen Behörden für rechtswidrig erklärt wird, und zwar ab dem Tag der Entlassung bis zum Tag der Wiederaufnahme seiner Beschäftigung;

…“

Zivilprozessordnung

Art. 290 des Grazhdanski protsesualen kodeks (Zivilprozessordnung) lautet:

„1. Die Kassationsbeschwerde wird von einem dreiköpfigen Spruchkörper [des Kassationsgerichts] in öffentlicher Sitzung geprüft.

2. [Das Kassationsgericht] prüft die Rechtmäßigkeit des Berufungsurteils nur hinsichtlich der vorgebrachten Kassationsgründe.“

Art. 291 der Zivilprozessordnung sieht vor:

„Wenn das Berufungsurteil in einem Kontext widersprüchlicher Rechtsprechung ergangen ist,

1. gibt [das Kassationsgericht] in einer begründeten Entscheidung diejenige Rechtsprechung an, die es für richtig hält; in diesem Fall entscheidet es in der Rechtssache auf der Grundlage dieser Rechtsprechung;

2. wenn es der Ansicht ist, dass die Rechtsprechung in den Entscheidungen verfehlt ist, gibt es den Grund dafür in einer begründeten Entscheidung an; in diesem Fall entscheidet es unter Auslegung des Gesetzes auf der Grundlage der konkreten Sachverhaltsumstände;

3. wenn es der Ansicht ist, dass die widersprüchliche Rechtsprechung auf den Rechtsstreit nicht anwendbar ist, gibt es den Grund dafür in einer begründeten Entscheidung an; in diesem Fall entscheidet es unter Auslegung des Gesetzes auf der Grundlage der konkreten Sachverhaltsumstände.“

Italienisches Recht

Art. 36 Abs. 3 der Costituzione della Repubblica Italiana (Verfassung der Italienischen Republik) sieht vor:

„Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf wöchentliche Ruhezeit sowie auf bezahlten Jahresurlaub und darf nicht darauf verzichten.“

Art. 10 des Decreto legislativo n. 66, Attuazione delle direttive 93/104/CE e 2000/34/CE concernenti taluni aspetti dell’organizzazione dell’orario di lavoro (Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 66 zur Umsetzung der Richtlinien 93/104/EG und 2000/34/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung) vom 8. April 2003 (GURI Nr. 87 vom 14. April 2003, Supplemento Ordinario n. 61) in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C‑37/19 anwendbaren Fassung lautet wie folgt:

„… [D]er Arbeitnehmer hat Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub im Umfang von mindestens vier Wochen. Unbeschadet der Bestimmungen der Tarifverträge oder der Sonderregeln für die Kategorien im Sinne von Art. 2 Abs. 2 muss der Arbeitnehmer mindestens zwei Wochen dieses Zeitraums – falls er dies beantragt, aufeinander folgend – im Laufe des Jahres nehmen, in dem dieser Anspruch entstanden ist, und die zwei übrigen Wochen innerhalb von 18 Monaten nach Ablauf des Jahres, in dem dieser Anspruch entstanden ist.

Dieser Mindestzeitraum von vier Wochen darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen Urlaub ersetzt werden …“

Art. 52 („Urlaub“) des Contratto collettivo nazionale di lavoro per le Banche di Credito Cooperativo, Casse Rurali ed Artigiane (Nationaler Tarifvertrag für Genossenschaftsbanken sowie Landwirtschafts- und Handwerkskassen) vom 7. Dezember 2000 sieht in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C‑37/19 anwendbaren Fassung vor:

„…

Auf das Recht auf Urlaub kann nicht verzichtet werden. Der Urlaub ist im Laufe des Kalenderjahres zu nehmen, auf das er sich bezieht.

Im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat ein Arbeitnehmer, der den Urlaub, auf den er im laufenden Kalenderjahr für jeden vollständig gearbeiteten Monat ab dem 1. Januar im Umfang eines Zwölftels des Jahresurlaubs Anspruch erworben hat, ganz oder teilweise nicht genommen hat, Anspruch auf eine Vergütung, die dem Entgelt für die verfallenen Urlaubstage entspricht.

Im Fall der Abwesenheit vom Dienst wird der zustehende Urlaub um so viele Zwölftel gekürzt, wie die Zahl der ganzen Monate der Abwesenheit beträgt.

…“

Art. 53 („Sonderurlaubstage für aufgehobene Feiertage“) dieses Tarifvertrags sieht vor:

„Angesichts der Rechtsvorschriften im Bereich Feiertage werden Urlaubs- und/oder Sonderurlaubstage gewährt, die im Laufe des Kalenderjahres, auch in Verbindung mit Urlaubszeiträumen, zu nehmen sind.

Die oben vorgesehenen Sonderurlaubstage, die indessen im Laufe des Kalenderjahres nicht genommen worden sind,… sind auf der Grundlage des letzten in dem betreffenden Jahr bezogenen Arbeitsentgelts auszuzahlen.“

Aus dem Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C‑37/19 geht im Wesentlichen hervor, dass Art. 18 („Schutz des Arbeitnehmers im Fall rechtswidriger Entlassung“) der Legge n. 300/1970 (Gesetz Nr. 300/1970) vom 20. Mai 1970 (GURI Nr. 131 vom 27. Mai 1970) in der im Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung vorsah, dass das Gericht in einem solchen Fall in dem Urteil, mit dem es die als diskriminierend angesehene Entlassung für nichtig erklärt, dem Arbeitgeber unabhängig davon, welcher Grund formal geltend gemacht wurde und wie viele Arbeitnehmer er beschäftigt, die Wiedereingliederung des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz aufgibt. Das Gericht verurteilt den Arbeitgeber auch dazu, dem Arbeitnehmer den durch die für nichtig oder unwirksam erklärte Entlassung verursachten Schaden mittels einer Entschädigung zu ersetzen.

 

Ausgangsrechtsstreitigkeiten, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

Rechtssache C‑762/18

QH, die in einer Schule beschäftigt war, wurde mit Entscheidung vom 29. April 2004 entlassen. Mit rechtskräftigem Urteil des Rayonen sad Plovdiv (Kreisgericht Plovdiv, Bulgarien) wurde diese Entlassung für rechtswidrig erklärt, und QH nahm ihre Beschäftigung am 10. November 2008 wieder auf.

Mit Entscheidung vom 13. November 2008 wurde QH erneut entlassen. Diese Entlassung wurde nicht angefochten.

Am 1. Juli 2009 erhob QH beim Rayonen sad Plovdiv (Kreisgericht Plovdiv) Klage gegen die Schule, die sie beschäftigt hatte, und beantragte u. a. die Zahlung einer finanziellen Vergütung in Höhe von 7 125 bulgarischen Leva (BGN) (ca. 3 641 Euro) für 285 Tage nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub, d. h. 57 Tage pro Jahr für die Zeit vom 30. April 2004 bis zum 13. November 2008, sowie die Zahlung eines Betrags von 1 100 BGN (ca. 562 Euro) für den Zahlungsverzug hinsichtlich dieser Vergütung für den Zeitraum vom 13. November 2008 bis zum 1. Juli 2009.

Diese Klage wurde mit Urteil vom 15. April 2010, das in zweiter Instanz durch ein Urteil des Okrazhen sad Plovdiv (Bezirksgericht Plovdiv, Bulgarien) vom 10. Februar 2011 bestätigt wurde, abgewiesen.

QH legte beim Kassationsgericht gegen das letztere Urteil Kassationsbeschwerde ein. Mit Beschluss vom 25. Oktober 2011 ließ das Kassationsgericht diese Beschwerde nicht zu und bestätigte inhaltlich das erstinstanzliche Urteil des Rayonen sad Plovdiv (Kreisgericht Plovdiv) vom 15. April 2010 in der Form, wie es in zweiter Instanz bestätigt worden war.

Insbesondere stand es nach Ansicht des Kassationsgerichts im Einklang mit seiner bindenden Rechtsprechung, dass die Vorgerichte die Klage von QH, die im Wesentlichen darauf abgezielt habe, dass ein rechtswidrig entlassener Arbeitnehmer eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub für die Zeit vom Tag der Entlassung bis zum Tag der durch ein rechtskräftiges Urteil angeordneten Wiederaufnahme seiner Beschäftigung geltend machen könne, abgewiesen hätten.

Nach dieser Rechtsprechung hat ein rechtswidrig entlassener Arbeitnehmer in der Zeit von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bis zur Nichtigerklärung der Entlassung durch ein rechtskräftiges Urteil und der Wiederaufnahme seiner früheren Beschäftigung keine tatsächliche Arbeitsleistung im Rahmen des Arbeitsverhältnisses erbracht, so dass für diese Zeit kein Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub entsteht und der Arbeitgeber im Fall einer erneuten Entlassung dem Arbeitnehmer für diesen Zeitraum keine finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub im Sinne von Art. 224 Abs. 1 des Arbeitsgesetzbuchs schuldet.

QH befasste das vorlegende Gericht, den Rayonen sad Haskovo (Kreisgericht Haskovo, Bulgarien), mit einer Schadensersatzklage gegen das Kassationsgericht, die auf den Ersatz des Schadens gerichtet ist, der ihr dadurch entstanden sei, dass das Kassationsgericht in seinem Beschluss vom 25. Oktober 2011 gegen Unionsrecht verstoßen habe. Zur Stützung dieser Klage bringt QH u. a. vor, dass das Kassationsgericht Art. 7 der Richtlinie 2003/88 hätte anwenden müssen und ihren Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub für den Zeitraum, in dem sie den Urlaub aufgrund ihrer rechtswidrigen Entlassung nicht habe nehmen können, hätte bejahen müssen. QH fügt hinzu, dass das Kassationsgericht, falls es Zweifel an der Anwendbarkeit dieser Vorschrift gehabt haben sollte, als letztinstanzliches Gericht dem Gerichtshof der Europäischen Union ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV über die Auslegung dieser unionsrechtlichen Bestimmung hätte vorlegen müssen. Daher ist nach Ansicht von QH die Nichteinhaltung der Verpflichtung des Kassationsgerichts zur Vorlage eines Vorabentscheidungsersuchens als schuldhafte Handlung des Kassationsgerichts anzusehen, die ihr einen Schaden in Höhe der geforderten Beträge verursacht habe.

Unter diesen Umständen hat der Rayonen sad Haskovo (Kreisgericht Haskovo) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung und/oder Rechtsprechung entgegensteht, wonach ein Arbeitnehmer, wenn er rechtswidrig entlassen wurde und danach die Wiederaufnahme seiner Beschäftigung gerichtlich angeordnet wurde, keinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub für die Zeit vom Tag der Entlassung bis zum Tag der Wiederaufnahme der Beschäftigung hat?

2. Falls die erste Frage bejaht wird: Ist Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung und/oder Rechtsprechung entgegensteht, wonach dieser Arbeitnehmer bei erneuter Beendigung des Arbeitsverhältnisses keinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub für die Zeit vom Tag der vorherigen Entlassung bis zum Tag der Wiederaufnahme der Beschäftigung hat?

Rechtssache C‑37/19

CV, die Mitarbeiterin von Iccrea Banca war, wurde mit Schreiben vom 11. Juli 2002 im Rahmen eines Massenentlassungsverfahrens entlassen. Mit Beschluss vom 4. September 2003 ordnete das Tribunale di Roma (Bezirksgericht Rom, Italien) jedoch ihre Wiederbeschäftigung ab dem 6. Oktober 2003 an.

Mit Schreiben vom 13. Oktober und vom 15. November 2003 beendete Iccrea Banca den Arbeitsvertrag von CV erneut mit sofortiger Wirkung. Die beiden Entlassungen wurden indessen durch in Rechtskraft erwachsene Gerichtsentscheidungen für rechtswidrig erklärt, und CV nahm ihre Beschäftigung am 26. September 2008 wieder auf.

Am 17. September 2010 wurde der Arbeitsvertrag von CV erneut beendet.

Zwischenzeitlich hatte CV beim Tribunale di Roma (Bezirksgericht Rom) zwei Mahnbescheide erwirkt, wobei Iccrea Banca mit dem ersten die Zahlung von 3 521 Euro zuzüglich Nebenkosten als geschuldeter Betrag für 30,5 Urlaubstage und fünf Sonderurlaubstage für aufgehobene Feiertage, auf die sie für das Jahr 2003 Anspruch erworben und die sie nicht genommen habe, und mit dem zweiten die Zahlung von 2 596,16 Euro zuzüglich Nebenkosten als geschuldeter Betrag für 27 Urlaubstage und fünf Sonderurlaubstage für aufgehobene Feiertage, auf die sie für das Jahr 2004 Anspruch erworben und die sie nicht genommen habe, aufgegeben wurde.

Nachdem Iccrea Banca dagegen Widerspruch erhoben hatte, hob das Tribunale di Roma (Bezirksgericht Rom) den ersten Mahnbescheid auf und verurteilte Iccrea Banca zur Zahlung von 3 784,82 Euro brutto aus demselben Rechtsgrund, aber beschränkt auf den vor der zweiten Entlassung liegenden Zeitraum. Im Übrigen hob das Tribunale di Roma (Bezirksgericht Rom) seinen zweiten Mahnbescheid betreffend die für das Jahr 2004 geltend gemachten Ansprüche auf.

CV legte gegen diese Urteile Berufung ein. Die Corte d’appello di Roma (Berufungsgericht Rom, Italien) wies diese Berufungen unter Verweis auf Präzedenzfälle der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien) mit der Begründung zurück, dass CV während des Zeitraums, auf den sich ihr Antrag beziehe, keine tatsächliche Arbeitsleistung erbracht habe und der Anspruch auf eine Ersatzleistung für Urlaubs- und Sonderurlaubstage nur zuerkannt werden könne, wenn die berufliche Tätigkeit während des maßgeblichen Zeitraums ausgeübt worden sei.

CV legte bei dem vorlegenden Gericht, der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof) gegen diese Urteile der Corte d’appello di Roma (Berufungsgericht Rom) Kassationsbeschwerde ein.

Das vorlegende Gericht stellt klar, dass sich der verfahrensgegenständliche Antrag auf die Feststellung des Anspruchs von CV auf eine Ersatzleistung für nicht genommene Urlaubs- und Sonderurlaubstage für den Zeitraum vom 15. November 2003 bis zum 31. Dezember 2004 beschränke. Insbesondere stellt sich nach Ansicht dieses Gerichts in Bezug auf diesen Zeitraum die Frage, ob der rechtswidrig entlassene Arbeitnehmer, der sodann seine Beschäftigung wieder aufgenommen hat, auf der Grundlage von Art. 31 der Charta und Art. 7 der Richtlinie 2003/88 Anspruch auf eine Ersatzleistung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub für den Zeitraum zwischen seiner Entlassung und der Wiederaufnahme seiner Beschäftigung hat.

Insoweit ist das vorlegende Gericht zunächst der Ansicht, dass im Licht der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 7 der Richtlinie 2003/88 nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Ausübung der beruflichen Tätigkeit während des maßgeblichen Zeitraums keine unabdingbare Voraussetzung für den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub darstelle, und jedenfalls der Einfluss äußerer Faktoren, die dem Arbeitnehmer nicht zugerechnet werden könnten, im Hinblick auf die Zuerkennung einer Ersatzleistung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub relevant sein könnte.

Sodann weist das vorlegende Gericht auf bestimmte relevante Aspekte der italienischen Rechtsprechung im Bereich Entlassung, Wiederaufnahme der Beschäftigung und Anspruch auf eine Vergütung für nicht genommene Urlaubstage im Fall der Wiederaufnahme der Beschäftigung hin.

Insbesondere legt das vorlegende Gericht zum einen dar, dass nach ständiger italienischer Rechtsprechung der Arbeitnehmer, sobald die Rechtswidrigkeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtlich festgestellt worden sei, grundsätzlich Anspruch auf Wiederaufnahme seiner Beschäftigung habe. Die Gerichtsentscheidung, mit der die Wiederaufnahme der Beschäftigung des Arbeitnehmers angeordnet werde, bewirke die Wiederherstellung des Arbeitsverhältnisses, das somit in jeglicher rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht auf der bloßen Grundlage der Entscheidung des Gerichts als wiederhergestellt gelte, ohne dass es erforderlich wäre, dass der Arbeitgeber eine erneute Einstellung vornehme. Zum anderen bewirkten die gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der Entlassung und die damit einhergehende Anordnung der Wiederaufnahme der Beschäftigung nach Art. 18 des Gesetzes Nr. 300/1970 die rechtliche Wiederherstellung des Arbeitsverhältnisses, das daher so anzusehen sei, als wäre es nie beendet worden.

Schließlich nimmt das vorlegende Gericht Bezug auf seine Rechtsprechung, nach der im Fall einer für rechtswidrig erklärten Entlassung die Arbeitsentgelte, die dem Arbeitnehmer für den Zeitraum zwischen dem Tag der Mitteilung der Entlassung und dem Tag der Ausübung des Rechts, für eine Entschädigung anstelle der Wiederaufnahme der Beschäftigung zu optieren, zugesprochen würden, weder die Ersatzleistung für nicht genommene Urlaubstage noch jene für Sonderurlaubstage zur monatlichen Reduzierung der Arbeitszeit umfassten. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts ist diese Lösung im Hinblick auf die Doppelnatur dieser Ersatzleistungen, mit denen gleichzeitig ein Schaden ersetzt und eine Vergütung gezahlt werden solle, gerechtfertigt, weshalb sie nur in Fällen geschuldet würden, in denen der Arbeitnehmer, der tatsächlich arbeite, seine Tätigkeit während des gesamten Jahres ausgeübt habe, ohne den Urlaub zu nehmen. Der entlassene Arbeitnehmer befinde sich nicht in derselben Situation, da er sich in dem Zeitraum zwischen der Beendigung seines Arbeitsvertrags und der Ausübung seines Rechts, für die Entschädigung zu optieren, in einer – wenn auch „erzwungenen“ – Ruhezeit befinde.

Unter diesen Umständen hat die Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 und Art. 31 Abs. 2 der Charta, gegebenenfalls gesondert betrachtet, dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften oder einer nationalen Praxis entgegenstehen, wonach nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Anspruch auf Zahlung einer finanziellen Vergütung für erworbenen, aber nicht genommenen Urlaub (und für ein Rechtsinstitut wie die sogenannten „Festività soppresse“ [„aufgehobene Feiertage“], das nach Art und Funktion mit dem Jahresurlaub vergleichbar ist) in einem Kontext nicht besteht, in dem der Arbeitnehmer den Urlaub vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen einer dem Arbeitgeber zuzurechnenden rechtswidrigen Handlung (eine von einem nationalen Gericht durch eine rechtskräftige Entscheidung, mit der die rückwirkende Wiederherstellung des Arbeitsverhältnisses angeordnet wird, als rechtswidrig festgestellte Entlassung) für die Zeit zwischen dieser rechtswidrigen Handlung des Arbeitgebers und der späteren Wiederaufnahme der Beschäftigung nicht in Anspruch nehmen konnte?

Mit Beschluss des Präsidenten der Ersten Kammer vom 2. März 2020 sind die Rechtssachen C‑762/18 und C‑37/19 zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

 

Zu den Vorlagefragen

Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs in der Rechtssache C‑762/18

Als Erstes macht die bulgarische Regierung geltend, dass der Gerichtshof für die im Rahmen der Rechtssache C‑762/18 vorgelegten Fragen nicht zuständig sei, da die Schadensersatzklage von QH unmittelbar mit ihrer ersten Entlassung zusammenhänge und diese Entlassung am 29. April 2004 erfolgt sei, also vor dem Beitritt der Republik Bulgarien zur Europäischen Union, d. h. vor dem 1. Januar 2007.

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Klage von QH, wie sich aus den Rn. 21 bis 23 des vorliegenden Urteils ergibt, auf den Ersatz der Schäden gerichtet ist, die dadurch entstanden sein sollen, dass das Kassationsgericht gegen Art. 7 der Richtlinie 2003/88 verstoßen habe, indem es in Bezug auf die Rechtswirkungen der Nichtigerklärung dieser ersten Entlassung und der Wiederaufnahme der Beschäftigung der Betroffenen eine nationale Rechtsprechung angewandt habe, die mit dieser unionsrechtlichen Bestimmung unvereinbar sei. Das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑762/18 fragt sich daher, ob eine solche nationale Rechtsprechung mit dieser Bestimmung vereinbar ist, so dass die von ihm vorgelegten Fragen mit den rechtlichen Konsequenzen zusammenhängen, die sich aus der Nichtigerklärung der ersten Entlassung von QH sowie aus der Wiederaufnahme ihrer Beschäftigung ergeben.

Wie aus Art. 2 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Bulgarischen Republik und Rumäniens und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (ABl. 2005, L 157, S. 203) hervorgeht, sind die ursprünglichen Verträge und die vor dem Beitritt erlassenen Rechtsakte der Organe – u. a. die Richtlinie 2003/88 – für die Republik Bulgarien vom Zeitpunkt ihres Beitritts an verbindlich, so dass sie für zukünftige Auswirkungen vor dem Beitritt entstandener Sachverhalte gelten (vgl. entsprechend Urteil vom 14. Februar 2019, Milivojević, C‑630/17, EU:C:2019:123, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Die erste Entlassung von QH erfolgte zwar vor dem Beitritt der Republik Bulgarien zur Union, aber ihre Nichtigerklärung und die Wiederaufnahme der Beschäftigung von QH, deren Rechtsfolgen Gegenstand der Ausgangsrechtssache sind, fanden beide nach diesem Zeitpunkt statt. Daher ist Art. 7 der Richtlinie 2003/88 in zeitlicher Hinsicht auf die Wirkungen dieser Nichtigerklärung und dieser Wiederaufnahme der Beschäftigung anwendbar, soweit solche Wirkungen nach dem 1. Januar 2007 eingetreten sind.

Als Zweites tragen in der Rechtssache C‑762/18 sowohl das Kassationsgericht als auch die bulgarische Regierung vor, dass QH während des Zeitraums zwischen dem Tag ihrer ersten Entlassung und dem Tag der Wiederaufnahme ihrer Beschäftigung nicht die Eigenschaft eines „Arbeitnehmers“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 gehabt habe und daher nicht in deren Anwendungsbereich bzw. im Allgemeinen in den des Unionsrechts gefallen sei, so dass der Gerichtshof für die Beantwortung der in dieser Rechtssache vorgelegten Fragen nicht zuständig sei.

Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die Richtlinie 2003/88 nur für Arbeitnehmer gilt und dass als „Arbeitnehmer“ eine Person anzusehen ist, die während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. November 2018, Sindicatul Familia Constanţa u. a., C‑147/17, EU:C:2018:926, Rn. 40 und 41).

Im vorliegenden Fall betreffen die im Rahmen der Rechtssache C‑762/18 vorgelegten Fragen den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub im Kontext einer rechtswidrigen Entlassung eines Arbeitnehmers und der Wiederaufnahme seiner Beschäftigung nach nationalem Recht aufgrund einer Gerichtsentscheidung.

Der Vorlageentscheidung ist indessen zu entnehmen, dass nach bulgarischem Recht die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Entlassung bedeutet, dass der Zeitraum zwischen dem Tag der Entlassung und dem Tag der Wiederaufnahme der Beschäftigung der betroffenen Person rückwirkend als Teil der zurückgelegten Arbeitszeit dieser Person gegenüber ihrem Arbeitgeber anzusehen ist.

Daher ist die Richtlinie 2003/88 in sachlicher Hinsicht auf den Ausgangsrechtsstreit in dieser Rechtssache anwendbar.

Demnach ist der Gerichtshof aufgerufen, unionsrechtliche Bestimmungen, die auf diesen Ausgangsrechtsstreit anwendbar sind, auszulegen, weshalb er für die Beantwortung der in der Rechtssache C‑762/18 vorgelegten Fragen zuständig ist.

Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens in der Rechtssache C‑37/19

Iccrea Banca und die italienische Regierung zweifeln an der Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens in der Rechtssache C‑37/19, da es der Vorlageentscheidung in dieser Rechtssache an Genauigkeit und Klarheit in Bezug auf den Sachverhalt sowie auf die nationalen Rechtsvorschriften oder die nationale Praxis, die eventuell im Widerspruch zum Unionsrecht stünden, fehle.

Insoweit ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht rechtlich hinreichend die unionsrechtlichen Bestimmungen anführt, deren Auslegung erforderlich ist, sowie die nationale Rechtsprechung, die mit diesen Bestimmungen unvereinbar sein könnte. Im Übrigen lassen sich anhand der im Vorabentscheidungsersuchen enthaltenen Angaben die Frage des vorlegenden Gerichts sowie der Kontext, in dem diese vorgelegt wird, nachvollziehen.

Daraus folgt, dass das Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C‑37/19 zulässig ist.

Zur ersten Vorlagefrage in der Rechtssache C‑762/18

Mit seiner ersten Frage in der Rechtssache C‑762/18 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, wonach ein Arbeitnehmer, der rechtswidrig entlassen wurde und sodann nach nationalem Recht infolge der Nichtigerklärung seiner Entlassung durch eine Gerichtsentscheidung seine Beschäftigung wieder aufgenommen hat, deshalb keinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub für den Zeitraum zwischen dem Tag der Entlassung und dem Tag der Wiederaufnahme seiner Beschäftigung hat, weil er während dieses Zeitraums keine tatsächliche Arbeitsleistung für den Arbeitgeber erbracht hat.

Insoweit ist erstens darauf hinzuweisen, dass jeder Arbeitnehmer, wie sich unmittelbar aus dem Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 ergibt, Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen hat. Dieser Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ist als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen, dessen Umsetzung durch die zuständigen nationalen Stellen nur in den Grenzen erfolgen kann, die in der Richtlinie 2003/88 selbst ausdrücklich vorgesehen sind (Urteil vom 29. November 2017, King, C‑214/16, EU:C:2017:914, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Im Übrigen ist zu beachten, dass dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub als Grundsatz des Sozialrechts der Union nicht nur besondere Bedeutung zukommt, sondern dass er auch in Art. 31 Abs. 2 der Charta, die nach Art. 6 Abs. 1 EUV den gleichen rechtlichen Rang wie die Verträge hat, ausdrücklich verankert ist (Urteil vom 21. Juni 2012, ANGED, C‑78/11, EU:C:2012:372, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Zudem hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht restriktiv ausgelegt werden darf (Urteil vom 30. Juni 2016, Sobczyszyn, C‑178/15, EU:C:2016:502, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Schließlich ergibt sich aus dem Wortlaut der Richtlinie 2003/88 und aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass es zwar Sache der Mitgliedstaaten ist, die Voraussetzungen für die Ausübung und die Umsetzung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub festzulegen, sie dabei aber nicht bereits die Entstehung dieses sich unmittelbar aus der Richtlinie ergebenden Anspruchs von irgendeiner Voraussetzung abhängig machen dürfen (Urteil vom 29. November 2017, King, C‑214/16, EU:C:2017:914, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs mit dem in Art. 7 der Richtlinie 2003/88 verankerten Anspruch auf Jahresurlaub ein doppelter Zweck verfolgt wird, der darin besteht, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zum einen von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und zum anderen über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen (Urteil vom 20. Juli 2016, Maschek, C‑341/15, EU:C:2016:576, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Dieser Zweck, durch den sich der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von anderen Arten des Urlaubs mit anderen Zwecken unterscheidet, beruht auf der Prämisse, dass der Arbeitnehmer im Laufe des Bezugszeitraums tatsächlich gearbeitet hat. Das Ziel, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zu erholen, setzt nämlich voraus, dass der Arbeitnehmer eine Tätigkeit ausgeübt hat, die es zu dem in der Richtlinie 2003/88 vorgesehenen Schutz seiner Sicherheit und seiner Gesundheit rechtfertigt, dass er über einen Zeitraum der Erholung, der Entspannung und der Freizeit verfügt. Daher sind die Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub grundsätzlich anhand der auf der Grundlage des Arbeitsvertrags tatsächlich geleisteten Arbeitszeiträume zu berechnen (Urteil vom 4. Oktober 2018, Dicu, C‑12/17, EU:C:2018:799, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Gleichwohl kann ein Mitgliedstaat in bestimmten besonderen Fällen, in denen ein Arbeitnehmer nicht in der Lage ist, seine Aufgaben zu erfüllen, den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht von der Voraussetzung abhängig machen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Januar 2012, Dominguez, C‑282/10, EU:C:2012:33, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Dies ist insbesondere bei Arbeitnehmern der Fall, die wegen einer Krankschreibung während des Bezugszeitraums der Arbeit fernbleiben. Wie sich nämlich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, werden diese Arbeitnehmer hinsichtlich des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub solchen gleichgestellt, die in diesem Zeitraum tatsächlich gearbeitet haben (Urteil vom 4. Oktober 2018, Dicu, C‑12/17, EU:C:2018:799, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Somit darf nach Art. 7 der Richtlinie 2003/88 das Recht eines jeden während des Bezugszeitraums krankgeschriebenen Arbeitnehmers auf bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nicht beeinträchtigt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Januar 2012, Dominguez, C‑282/10, EU:C:2012:33, Rn. 30).

In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen ist, dass er einzelstaatlichen Bestimmungen oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub mit Ablauf des Bezugszeitraums und/oder eines im nationalen Recht festgelegten Übertragungszeitraums erlischt, wenn sich der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums oder eines Teils davon im Krankheitsurlaub befand und es ihm deshalb tatsächlich nicht möglich war, diesen Anspruch wahrzunehmen (Urteil vom 30. Juni 2016, Sobczyszyn, C‑178/15, EU:C:2016:502, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Nach der angeführten Rechtsprechung ist es daher ausgeschlossen, dass sich der unionsrechtlich gewährleistete Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Mindestjahresurlaub verringert, wenn er seiner Arbeitspflicht wegen einer Erkrankung im Bezugszeitraum nicht nachkommen konnte (Urteil vom 19. September 2013, Überprüfung Kommission/Strack, C‑579/12 RX‑II, EU:C:2013:570, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Somit erlaubt die Richtlinie 2003/88 es den Mitgliedstaaten weder, die Entstehung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub auszuschließen, noch vorzusehen, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub eines an der Ausübung dieses Anspruchs gehinderten Arbeitnehmers nach Ablauf des Bezugszeitraums und/oder eines im nationalen Recht festgelegten Übertragungszeitraums erlischt (Urteil vom 29. November 2017, King, C‑214/16, EU:C:2017:914, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Es ist daher zu prüfen, ob die aus der Rechtsprechung zum Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub eines Arbeitnehmers, der wegen einer Erkrankung seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub während des Bezugszeitraums und/oder des im nationalen Recht festgelegten Übertragungszeitraums nicht wahrnehmen konnte, hervorgegangenen Grundsätze entsprechend auf eine Situation übertragen werden können, wie sie in den Ausgangsverfahren der vorliegenden Rechtssachen in Rede steht, in der ein rechtswidrig entlassener Arbeitnehmer, der sodann nach nationalem Recht infolge der Nichtigerklärung seiner Entlassung durch eine Gerichtsentscheidung seine Beschäftigung wieder aufgenommen hat, während des Zeitraums zwischen dem Tag der rechtswidrigen Entlassung und dem Tag der Wiederaufnahme seiner Beschäftigung keine tatsächliche Arbeitsleistung für seinen Arbeitgeber erbracht hat.

Insoweit ist zu beachten, dass sich der Gerichtshof auf den Umstand gestützt hat, dass das Eintreten einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich nicht vorhersehbar und vom Willen des Arbeitnehmers unabhängig ist, um in Bezug auf Arbeitnehmer, die wegen einer Krankschreibung der Arbeit fernbleiben, von dem Grundsatz abzuweichen, nach dem sich die Ansprüche auf Jahresurlaub nach den tatsächlichen Arbeitszeiträumen zu richten haben (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 4. Oktober 2018, Dicu, C‑12/17, EU:C:2018:799, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Ebenso wie das Eintreten einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ist aber auch der Umstand, dass dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zu arbeiten aufgrund einer anschließend als rechtswidrig eingestuften Entlassung verwehrt wurde, grundsätzlich nicht vorhersehbar und vom Willen dieses Arbeitnehmers unabhängig.

Wie der Generalanwalt in Nr. 48 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, beruht der Umstand, dass der betroffene Arbeitnehmer während des Zeitraums zwischen dem Tag seiner rechtswidrigen Entlassung und dem Tag der Wiederaufnahme seiner Beschäftigung nach nationalem Recht infolge der Nichtigerklärung dieser Entlassung durch eine Gerichtsentscheidung keine tatsächliche Arbeitsleistung für seinen Arbeitgeber erbracht hat, nämlich auf den Handlungen des Arbeitgebers, die zu der rechtswidrigen Entlassung geführt haben, ohne die der Arbeitnehmer in der Lage gewesen wäre, während des genannten Zeitraums zu arbeiten und seinen Anspruch auf Jahresurlaub wahrzunehmen.

Daher ist in einer Situation, wie sie in den Ausgangsverfahren der vorliegenden Rechtssachen in Rede steht, der Zeitraum zwischen dem Tag der rechtswidrigen Entlassung und dem Tag der Wiederaufnahme der Beschäftigung des Arbeitnehmers nach nationalem Recht infolge der Nichtigerklärung dieser Entlassung durch eine Gerichtsentscheidung für die Zwecke der Feststellung der Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub einem tatsächlichen Arbeitszeitraum gleichzustellen.

Somit kann die Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub eines Arbeitnehmers, der wegen einer Erkrankung seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub während des Bezugszeitraums und/oder des im nationalen Recht festgelegten Übertragungszeitraums nicht wahrnehmen konnte, entsprechend auf eine Situation wie die, die in den Ausgangsverfahren jeder der beiden vorliegenden Rechtssachen in Rede steht, übertragen werden, in der ein rechtswidrig entlassener Arbeitnehmer, der sodann nach nationalem Recht infolge der Nichtigerklärung seiner Entlassung durch eine Gerichtsentscheidung seine Beschäftigung wieder aufgenommen hat, während des Zeitraums zwischen dem Tag dieser rechtswidrigen Entlassung und jenem der Wiederaufnahme seiner Beschäftigung keine tatsächliche Arbeitsleistung für seinen Arbeitgeber erbracht hat.

Drittens hat der Gerichtshof unter den besonderen Umständen, dass ein Arbeitnehmer während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähig ist, mit Blick nicht nur auf den Schutz des Arbeitnehmers, der mit der Richtlinie 2003/88 bezweckt wird, sondern auch auf den des Arbeitgebers, der sich der Gefahr der Ansammlung von zu langen Abwesenheitszeiten des Arbeitnehmers und den Schwierigkeiten, die sich daraus für die Arbeitsorganisation ergeben können, ausgesetzt sieht, entschieden, dass Art. 7 dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten nicht entgegensteht, die die Möglichkeit für einen während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähigen Arbeitnehmer, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln, dadurch einschränken, dass sie einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten vorsehen, nach dessen Ablauf der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlischt (Urteil vom 29. November 2017, King, C‑214/16, EU:C:2017:914, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Wie der Generalanwalt in Nr. 49 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, können jedoch Umstände wie jene, die in den Ausgangsverfahren der vorliegenden Rechtssachen in Rede stehen, keine Ausnahme von dem in Art. 7 der Richtlinie 2003/88 aufgestellten Grundsatz rechtfertigen, wonach ein Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nach Ablauf des Bezugszeitraums und/oder eines im nationalen Recht festgelegten Übertragungszeitraums nicht erlöschen kann, wenn der Arbeitnehmer nicht in der Lage war, seinen Urlaub zu nehmen.

Denn zum einen darf nach der in Rn. 55 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht restriktiv ausgelegt werden.

Abweichungen von der mit der Richtlinie 2003/88 vorgesehenen Unionsregelung über die Arbeitszeitgestaltung müssen daher so ausgelegt werden, dass ihr Anwendungsbereich auf das zur Wahrung der Interessen, deren Schutz sie ermöglichen, unbedingt Erforderliche begrenzt wird (Urteil vom 29. November 2017, King, C‑214/16, EU:C:2017:914, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Unter Umständen wie den in den Ausgangsverfahren der vorliegenden Rechtssachen in Rede stehenden erscheint aber ein Schutz der Interessen des Arbeitgebers nicht unbedingt erforderlich und wäre daher a priori nicht geeignet, ein Abweichen vom Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub zu rechtfertigen.

Zum anderen liegt es, wie in Rn. 68 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, auch unter solchen Umständen an den Handlungen des Arbeitgebers selbst, der den betreffenden Arbeitnehmer rechtswidrig entlassen hat, dass dieser während des Zeitraums zwischen dem Tag dieser Entlassung und jenem der Wiederaufnahme seiner Beschäftigung weder in der Lage war, zu arbeiten, noch in der Folge in der Lage war, seinen Anspruch auf Jahresurlaub wahrzunehmen.

Es obliegt jedoch dem Arbeitgeber, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, den Anspruch auf Jahresurlaub wahrzunehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. November 2018, Kreuziger, C‑619/16, EU:C:2018:872, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung). Insoweit hat – anders als im Fall des Ansammelns von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub durch einen Arbeitnehmer, der aus Krankheitsgründen daran gehindert war, diesen Urlaub zu nehmen – der Arbeitgeber, der einen Arbeitnehmer nicht in die Lage versetzt, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auszuüben, die sich hieraus ergebenden Folgen zu tragen (Urteil vom 29. November 2017, King, C‑214/16, EU:C:2017:914, Rn. 63).

Daher ist ein rechtswidrig entlassener Arbeitnehmer, der sodann nach nationalem Recht infolge der Nichtigerklärung seiner Entlassung durch eine Gerichtsentscheidung seine Beschäftigung wieder aufgenommen hat, berechtigt, alle Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub, die er während des Zeitraums zwischen dem Tag der rechtswidrigen Entlassung und dem Tag der aufgrund dieser Nichtigerklärung erfolgten Wiederaufnahme seiner Beschäftigung erworben hat, geltend zu machen.

Schließlich ist, wie der Generalanwalt in Nr. 59 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, klarzustellen, dass der betreffende Arbeitnehmer, falls er in dem Zeitraum zwischen dem Tag seiner rechtswidrigen Entlassung und dem Tag der Wiederaufnahme seiner Beschäftigung in dem ursprünglichen Arbeitsverhältnis einer anderen Beschäftigung nachgegangen ist, beim ursprünglichen Arbeitgeber die Ansprüche auf Jahresurlaub, die dem Zeitraum entsprechen, in dem er einer anderen Beschäftigung nachgegangen ist, nicht geltend machen kann.

Unter solchen Umständen hat der betreffende Arbeitnehmer nämlich seine Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub, die dem letzteren Zeitraum entsprechen, bei seinem neuen Arbeitgeber geltend zu machen.

Nach alledem ist auf die erste Frage in der Rechtssache C‑762/18 zu antworten, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, wonach ein Arbeitnehmer, der rechtswidrig entlassen wurde und sodann nach nationalem Recht infolge der Nichtigerklärung seiner Entlassung durch eine Gerichtsentscheidung seine Beschäftigung wieder aufgenommen hat, deshalb keinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub für den Zeitraum zwischen dem Tag der Entlassung und dem Tag der Wiederaufnahme seiner Beschäftigung hat, weil er während dieses Zeitraums keine tatsächliche Arbeitsleistung für den Arbeitgeber erbracht hat.

Zur zweiten Frage in der Rechtssache C‑762/18 und zur einzigen Frage in der Rechtssache C‑37/19

Mit der zweiten Frage in der Rechtssache C‑762/18 und der einzigen Frage in der Rechtssache C‑37/19, die zusammen zu prüfen sind, möchten die vorlegenden Gerichte wissen, ob Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, wonach der betreffende Arbeitnehmer bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses, nachdem er rechtswidrig entlassen worden war und sodann nach nationalem Recht infolge der Nichtigerklärung seiner Entlassung durch eine Gerichtsentscheidung seine Beschäftigung wieder aufgenommen hatte, keinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für während des Zeitraums vom Tag der rechtswidrigen Entlassung bis zum Tag der Wiederaufnahme seiner Beschäftigung nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub hat.

Es ist darauf hinzuweisen, dass der Anspruch auf Jahresurlaub nur einen der beiden Aspekte des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub als wesentlicher Grundsatz des Sozialrechts der Union darstellt, der in Art. 7 der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 1993, L 307, S. 18) und in Art. 7 der Richtlinie 2003/88 zum Ausdruck kommt und inzwischen in Art. 31 Abs. 2 der Charta ausdrücklich als Grundrecht verankert ist. Dieses Grundrecht umfasst somit auch einen Anspruch auf Bezahlung und – als eng mit diesem Anspruch auf „bezahlten“ Jahresurlaub verbundenen Anspruch – den Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Jahresurlaub (Urteil vom 6. November 2018, Bauer und Willmeroth, C‑569/16 und C‑570/16, EU:C:2018:871, Rn. 58).

Der Gerichtshof hat betont, dass Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 für das Entstehen des Anspruchs auf eine finanzielle Vergütung keine andere Voraussetzung aufstellt als die, dass zum einen das Arbeitsverhältnis beendet ist und dass zum anderen der Arbeitnehmer nicht den gesamten Jahresurlaub genommen hat, auf den er bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch hatte (Urteil vom 6. November 2018, Kreuziger, C‑619/16, EU:C:2018:872, Rn. 31).

Insoweit geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass diese Bestimmung dahin auszulegen ist, dass sie einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen dem Arbeitnehmer am Ende des Arbeitsverhältnisses keine finanzielle Vergütung für den nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub gezahlt wird, wenn es ihm nicht möglich war, den gesamten bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, der ihm vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses zustand, weil er sich z. B. während des gesamten Bezugs- und/oder Übertragungszeitraums oder eines Teils davon im Krankheitsurlaub befand (Urteil vom 6. November 2018, Kreuziger, C‑619/16, EU:C:2018:872, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Wie sich aber aus Rn. 78 des vorliegenden Urteils ergibt, kann ein rechtswidrig entlassener Arbeitnehmer, der sodann nach nationalem Recht infolge der Nichtigerklärung seiner Entlassung durch eine Gerichtsentscheidung seine Beschäftigung wieder aufgenommen hat, alle Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub, die er während des Zeitraums zwischen dem Tag der rechtswidrigen Entlassung und dem Tag der infolge dieser Nichtigerklärung erfolgten Wiederaufnahme seiner Beschäftigung erworben hat, geltend machen.

Daher kann der Arbeitnehmer, wenn er wie jene, um die es in den beiden vorliegenden Rechtssachen geht, nach der Wiederaufnahme seiner Beschäftigung infolge der Nichtigerklärung seiner rechtswidrigen Entlassung erneut entlassen wird, auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 bei dieser neuerlichen Entlassung eine Vergütung für nicht genommenen Jahresurlaub einschließlich des Urlaubs, der dem Zeitraum zwischen dem Tag der rechtswidrigen Entlassung und dem Tag der Wiederaufnahme seiner Beschäftigung entspricht, verlangen.

Wie sich aus Rn. 79 des vorliegenden Urteils ergibt, kann der betreffende Arbeitnehmer jedoch, wenn er während dieses Zeitraums einer anderen Beschäftigung nachgegangen ist, von seinem ursprünglichen Arbeitgeber nicht eine Vergütung verlangen, die dem Zeitraum entspricht, in dem er einer anderen Beschäftigung nachgegangen ist.

Nach alledem ist auf die zweite Frage in der Rechtssache C‑762/18 und auf die einzige Frage in der Rechtssache C‑37/19 zu antworten, dass Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, wonach der betreffende Arbeitnehmer bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses, nachdem er rechtswidrig entlassen worden war und sodann nach nationalem Recht infolge der Nichtigerklärung seiner Entlassung durch eine Gerichtsentscheidung seine Beschäftigung wieder aufgenommen hatte, keinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für während des Zeitraums vom Tag der rechtswidrigen Entlassung bis zum Tag der Wiederaufnahme seiner Beschäftigung nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub hat.

 

Kosten

Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei den vorlegenden Gerichten anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieser Gerichte. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

1. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, wonach ein Arbeitnehmer, der rechtswidrig entlassen wurde und sodann nach nationalem Recht infolge der Nichtigerklärung seiner Entlassung durch eine Gerichtsentscheidung seine Beschäftigung wieder aufgenommen hat, deshalb keinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub für den Zeitraum zwischen dem Tag der Entlassung und dem Tag der Wiederaufnahme seiner Beschäftigung hat, weil er während dieses Zeitraums keine tatsächliche Arbeitsleistung für den Arbeitgeber erbracht hat.

2. Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, wonach der betreffende Arbeitnehmer bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses, nachdem er rechtswidrig entlassen worden war und sodann nach nationalem Recht infolge der Nichtigerklärung seiner Entlassung durch eine Gerichtsentscheidung seine Beschäftigung wieder aufgenommen hatte, keinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für während des Zeitraums vom Tag der rechtswidrigen Entlassung bis zum Tag der Wiederaufnahme seiner Beschäftigung nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub hat.



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