Arbeitsgericht Mainz

Urteil vom - Az: 4 Ga 10/20

Corona-Pandemie: 62-jähriger Lehrer muss unterrichten

(1.) Ein 62-jähriger Lehrkraft kann trotz seines fortgeschrittenen Alters verpflichtet werden, auch während der Corona-Pandemie Präsenzunterricht an einer Berufsschule mit Förderunterricht zu erteilen.

(2.) Die Schulen verfügen über einen Ermessensspielraum, wie sie den Gefahren der Corona-Pandemie gegenübertreten. Dementsprechend liegt es nicht im Aufgabenbereich der Gerichte, im Vorfeld darüber zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen der Präsenzunterricht erteilt werden kann.

(3.) Der Einzel-Förderunterricht in einem 25 Quadratmeter großen Raum ermöglicht das Einhalten der Abstandsregeln.

(4.) Es besteht ein Interesse daran, Förderunterricht für benachteiligte Schüler als Präsenzunterricht stattfinden zu lassen, da diese gerade nicht aus Akademikerfamilien stammen, in der sie einen regelmäßigen Zugang zum Internet haben oder eine elterliche Unterstützung erhalten.
(Redaktionelle Orientierungssätze)

Tenor:

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Wert des Verfahrens wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

 

Gründe:

I.

Der Antragsteller, geboren 1957, ist seit 01.06.2016 als pädagogische Fachkraft in der staatlich anerkannten Berufsschule des Antragsgegners beschäftigt.

Mit Schreiben der ihn vertretenden Gewerkschaft vom 13.05.2020 wehrte er sich gegen die Aufforderung des Beklagten zur Wiederaufnahme seines Unterrichts mit der Begründung, dass er gemäß § 7 Abs. 3 der 6. Corona-Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz als Lehrkraft, die einer Risikogruppe (Alter) angehört, nicht an seinem Arbeitsplatz erscheinen müsse.

Der Antragsgegner antwortete hierauf mit Schreiben vom 27.05.2020 und führte dabei aus, dass der Antragsteller jeweils nur Einzelunterricht in einem Raum von ca. 25 qm erteilen müsse.

Der Antragsteller ist der Auffassung, dass das Interesse des Antragsgegners an einem Einsatz im Präsenzunterricht während der Corona-Pandemie nicht ersichtlich sei, er jedoch als Angehöriger einer Risikogruppe sich unzumutbarerweise einer Ansteckungsgefahr aussetzen würde.

Er beantragt,

der Antragsgegner wird verurteilt, den Antragsteller während der Gültigkeit der 8. Corona-Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz vom 25.05.2020 und etwaiger dieser Verordnung nachfolgender Verordnungen wegen der Corona-Pandemie von seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtung zur Erteilung von Präsenzunterricht zu entbinden.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war zurückzuweisen, da weder ein Verfügungsanspruch noch ein Verfügungsgrund besteht.

Der Antragsteller führt selbst in der Antragsschrift aus, dass nach der geänderten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 14.09.2017, 5 AS 7/17) keine auch nur vorläufige Verpflichtung zur Befolgung einer unbilligen Weisung besteht. Er strebe jedoch eine schnellstmögliche Klärung des Sachverhalts an, um der Gefahr zu begegnen, eventuell unberechtigt die Arbeitsleistung verweigert zu haben.

Dies rechtfertigt den Erlass einer einstweiligen Verfügung jedoch nicht, da es nicht Aufgabe der Gerichte ist, durch Vorabentscheidungen Parteien vor drohenden Konsequenzen möglichen Fehlverhaltens zu bewahren.

Ebensowenig kann ein Arbeitgeber, der eine Kündigung aussprechen will, verlangen, dass gerichtlicherseits vorab über das Bestehen hinreichender Kündigungsgründe entschieden wird, um ihn vor ansonsten drohenden Annahmeverzugslohnansprüchen zu bewahren.

Unabhängig davon ist der Antrag auch offensichtlich unbegründet. Denn der Kläger begehrt letztlich zeitlich nahezu unbegrenzt die Entbindung von seiner Pflicht zur Erteilung von Präsenzunterricht in jedweder Form, unabhängig von dem dadurch resultierenden Risiko für ihn.

Da sich die Epidemieologen uneins sind, ob mit der Entwicklung eines einsatzfähigen Impfstoffes gegen das sog. Corona-Virus noch vor Ende des kommenden Jahres gerechnet werden kann, und es nach derzeitigen Regierungserklärungen keine Impfpflicht geben soll, ist abzusehen, dass die Landesregierung noch über das nächste Jahr hinaus immer wieder geänderte Verordnungen erlassen wird. Sie wird dabei den sich ergebenden aktuellen medizinischen Erkenntnissen jeweils Rechnung tragen und die derzeit geltenden Beschränkungen weiter lockern oder ggf. auch wieder verschärfen.

Dem trägt der Globalantrag des Antragstellers nicht Rechnung - dem Wortlaut nach begehrt er die Entbindung von Präsenzunterricht solange nur irgendeine Corona-Bekämpfungsverordnung existiert, selbst wenn diese keine Beschränkungen für die Schulen mehr enthielte.

Angesichts der schrittweisen Wiederaufnahme des Unterrichtsbetriebes in den staatlichen Schulen ist nach derzeitigem Stand davon auszugehen, dass ein Präsenzunterricht - mit welchen Einschränkungen auch immer - bald wieder die Regel sein wird.

Nur am Rande sei vermerkt, dass in Dänemark und Norwegen der Schulbetrieb bereits wieder weitgehend normal stattfindet, weil - wie das norwegische Folkehelseinstituttet erklärte - die Erfahrungen in Schweden und Singapur, wo der Schulbetrieb nicht eingestellt worden war, gezeigt hätten, dass von Schülern keine nennenswerte Infektionsgefahr ausgehe.

Wie immer der Präsenzbetrieb in den staatlichen Schulen in den kommenden Monaten gestaltet sein mag, ist doch abzusehen, dass Lehrer an staatlichen Schulen ihn - mit welchen Einschränkungen auch immer - künftig erteilen werden müssen.

Dabei werden staatlich wie private Schulträger auf die gesundheitlichen Einschränkungen der jeweiligen Lehrkräfte einzugehen haben, doch bleibt ihnen dabei ein weiter Ermessensspielraum, den auch der Antragsteller zu respektieren hat, und der nicht per Einstweiliger Verfügung dergestalt eingeschränkt werden könnte, dass die Gerichte vorab zu definieren hätten, unter welchen Voraussetzungen Präsenzunterricht erteilt werden kann.

Ganz abgesehen davon, dass der Antrag des Antragstellers als Globalantrag, der überhaupt nicht nach dem Inhalt der jeweils geltenden Verordnung differenziert, unbegründet ist, ist derzeit auch nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller die Erteilung des seitens des Antragsgegners zugewiesenen Einzelunterrichts in einem Raum von ca. 25 qm nicht zuzumuten wäre. Selbst bei vollkommen quadratischer Form dieses Raumes lässt sich dort ein Abstand von vier Metern einhalten.

Nicht nachzuvollziehen ist die Auffassung des Antragstellers, ein Interesse des Antragsgegners an seinem Einsatz im Präsenzunterricht während der Corona-Pandemie sei nicht ersichtlich. Der Antragsteller erteilt, wie aus dem Vorprozess 4 Ca 772/19 gerichtsbekannt ist, Förderunterricht für Schüler mit besonderen Bedürfnissen. Es sind also typischerweise nicht Schüler aus Akademikerhaushalten mit mehrfachem Internetzugang in einem Einfamilienhaus gehobener Wohnlage, welche mit Unterstützung ihrer Eltern den Präsenzunterrichtsausfall durch Online-Angebote mühelos kompensieren könnten, sondern „benachteiligte“ Jugendliche, die im besonderen Maße auf den Förderunterricht angewiesen sind, um nicht „komplett abgehängt“ zu werden.



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