Arbeitsgericht Mainz

Urteil vom - Az: 4 Ca 154/19

Kündigungsschutzprozess: Verweis auf beigefügte Betriebsratsanhörung genügt nicht

(1.) Rügt ein Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess die nicht ordnungsgemäß erfolgte Betriebsratsanhörung, so obliegt es dem Arbeitgeber, im Rahmen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast zu belegen, dass entsprechende Anhörung vorgenommen wurde.

(2.) Gelingt es dem Arbeitgeber nicht, seiner Darlegungslast nachzukommen, so gilt die Betriebsratsanhörung als nicht ordnungsgemäß erfolgt und führt ohne weiteres zur Unwirksamkeit der Kündigung.
(Redaktionelle Orientierungssätze)

Der Kläger war bei der Beklagten als Produktionsmitarbeiter beschäftigt. Da der Kläger aufgrund von orthopädischen Problemen häufig arbeitsunfähig erkrankt war, kündigte die Beklagte daraufhin das Arbeitsverhältnis. Im Kündigungsschutzprozess trug der Kläger eine fehlerhafte Betriebsanhörung vor. Weiterhin führte der Kläger aus, dass seine orthopädische Erkrankung ausgeheilt sei und künftig keine Arbeitsunfähigkeit mehr zu erwarten sei.
Der im Schriftsatz enthaltene Verweis, der Betriebsrat sei an diesem Datum angehört und über die vorstehenden Punkte hingewiesen worden, sei als Vortrag unsubstantiiert und zudem als unzureichend zu werten, sodass aus prozessualen Gründen anzunehmen sei, dass keine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung erfolgte – so das ArbG. Weiterhin seien die Voraussetzungen für eine wirksame krankheitsbedingte Kündigung nicht gegeben. Häufige Kurzzeiterkrankungen können grundsätzlich eine krankheitsbedingte Kündigung rechtfertigen, da diese ein Indiz für eine negative Zukunftsprognose sei. Hierdurch sei nicht nur eine Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen des Arbeitgebers zu erwarten, sondern werde auch die wirtschaftliche Zumutbarkeit des Arbeitgebers – etwa durch Lohnfortzahlungskosten - erschöpft. Um diese Indizwirkung zu entkräften, habe der Arbeitnehmer die Gründe bisheriger Fehlzeiten sowie gegebenenfalls Tatsachen, die für eine positive Gesundheitsprognose sprechen, im Einzelnen darzulegen. Dies habe der Kläger durch Vorlage entsprechender Atteste sowie einer positiven ärztlichen Stellungnahme widerlegen können. Da die Beklagte hierzu keine ausreichenden Einwendungen erbringen konnte, sei der Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Prozesses weiter als Produktionsmitarbeiter zu beschäftigen.
(Redaktionelle Zusammenfassung)

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 24.01.2019 nicht beendet wurde.

2. Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Kündigungsschutzprozesses zu unveränderten Bedingungen als Produktionsmitarbeiter weiter zu beschäftigen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Der Streitwert wird auf € 10.844,00 festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer kranheitsbedingten Kündigung. 

Der Kläger war – nach vorangegangenen Einsätzen als Zeitarbeitnehmer über einen Zeitraum von insgesamt sechs Jahren – bei der Beklagten seit 01.07.2014 als Produktionsmitarbeiter beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis war zunächst bis 30.06.2016 befristet und wurde danach als unbefristetes Arbeitsverhältnis weitergeführt.

Danach erkrankte er im Jahre 2016 als insgesamt an 1 Arbeitstagen, 2017 an 35 Arbeitstagen, 2018 an 55 Arbeitstagen sowie im Januar 2019 an 4 Arbeitstagen.

Die Erkrankungszeiträume umfassten nur in zwei Fällen mehr als 9 Arbeitstage.

Den Arbeitsunfähigszeiten liegen ausweislich einer Übersicht der Krankenkasse des Klägers überwiegend orthopädische Probleme zugrunde.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 24.01.2019 zum 28.02.2019.

Hiergegen richtet sich die am 05.02.2019 bei Gericht eingegangene Klage, zu deren Begründung der Kläger neben der Rüge einer ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung im Wesentlichen vorbringt, dass bezüglich der Hauptursachen bisheriger Fehlzeiten keine Wiederholungsgefahr gegeben sei. Er habe nämlich, nachdem er etwa 2010 mit dem Rauchen aufgehört habe, rund 35 kg an Gewicht zugenommen, worauf seine orthopädischen Probleme, namentlich ein Fersensporn bzw. Probleme mit der Achillesferse links ein „Tennisarm" sowie -Probleme im Lumbal- und Thorakalbereich, zurückzuführen seien. Mittlerweile habe er dieses Gewicht wieder deutlich reduzieren können, wobei sich insbesondere die Beschwerden mit dem linken Fuß und der Wirbelsäule gelegt hätten.

Der Kläger beantragt:

  1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 24.01.2019 nicht beendet wird.

  2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht.

  3. Im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. und/oder zu 2. wird die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Produktionsmitarbeiter weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagt trägt vor, allein die Beschwerden mit der Achillessehne sowie dem Ruckenbereich führten zu mehr als 30 Tagen Arbeitsunfähigkeit in den Jahren 2016, 2017 und 2018, die Zukunftsprognose sei weiterhin als schlecht anzusehen. 

Die vom Kläger vorgelegten Atteste ließen keinen anderen Schluss zu, da sie lediglich die subjektive Beschwerdefreiheit des Klägers bestätigten.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbingens wird auf die zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist, von dem allgemeinen Feststellungsantrag – für den das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche besondere Feststellungsinteresse fehlt – abgesehen, zulässig, innerhalb der Frist des § 4 KSchG bei Gericht eingegangen und auch begründet, was sich aus zwei Gründen ergibt:

  1. In formaler Hinsicht ergibt sich dies bereits aus § 102 Abs. BetrVG. Danach ist eine ohne (hinreichende) Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam. Im Kündigungsschutzprozess reicht es, wenn der Kläger die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats mit Nichtwissen bestreitet,' was der Kläger in der Klageschrift, Seite 2 unten, getan hat.

    Es ist dann Sache des Arbeitgebers die Betriebsratsanhörung im Einzelnen darzulegen. Der Beklagten wurden deshalb im Gütetermin sogar ausdrücklich aufgegeben, ,,im Einzelnen darzulegen die Anhörung des Betriebsrats nach Inhalt, beteiligten Personen und Daten".

    Die Beklagte hat diesbezüglich in ihrem Schriftsatz vom 17.04.2019, Seite 5 oben, lediglich zwei Sätze ausgeführt:

    „Der Betriebsrat wurde am 16.01.2019 angehört. Dabei wurde er auf die vorstehenden Punkte hingewiesen“.

    Dies ist evidentermaßen kein substantiierter Vortrag bezüglich einer Anhörung des Betriebsrats, weshalb es auch keines weiteren, substantiierteren Bestreitens durch den Kläger bedurfte.
    In prozessualer Hinsicht folgt daraus, dass die implizierte Behauptung des Klägers, der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß angehört worden, gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gilt und der Klage bereits aus diesem Grunde stattzugeben war.

  2. Unabhängig davon sind vorliegend auch nicht die Voraussetzungen für eine wirksame krankheitsbedingte Kündigung gegeben.

    Aus der Übersicht der Krankenkasse des Klägers ergeben sich vor allem Fehlzeiten mit den Diagnosen Tendinitis der Achillessehne (M 76.6) und Kalkaneussporn (M 77.3), wobei die Entzündung der Achillessehne letztmals im Februar 2018 diagnostiziert wurde.

    Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass die Fehlzeiten des Klägers in den Jahren 2016 bis 2018 auf den ersten Blick geeignet sind, eine krankheitsbedingte Kündigung zu rechtfertigen, denn nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts begründen häufige Kurzzeiterkrankungen in der Vergangenheit eine negative Zukunftsprognose, und da die Beklagte in den letzten drei Jahren jeweils mehr als sechs Wochen Lohnfortzahlung zu leisten hatte, wäre auch das hier nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Zumutbare überschritten. Die Kündigung erfolgte somit keineswegs voreilig oder gar leichtfertig.

    Die Indizwirkung, die sich aus den Fehlzeiten in der Vergangenheit ergibt, kann jedoch – wie jedes Indiz – widerlegt werden. So können Fehlzeiten Unfälle zugrunde liegen, hinsichtlich derer keiner Wiederholungsgefahr gegeben ist, weshalb sich aus ihnen keine negative Zukunftsprognose begründen lässt; dasselbe gilt für Krankheiten, die inzwischen ausgeheilt sind.
    Im Prozess obliegt es deshalb dem Arbeitnehmer, die Gründe bisheriger Fehlzeiten sowie gegebenenfalls Tatsachen, die für eine positive Gesundheitsprognose sprechen, im Einzelnen darzulegen, um die Indizwirkung zu entkräften. Nur dann ist der Arbeitgeber wiederum zu substantiierterem Vortrag verpflichtet bzw. letztlich für die Negativprognose als Kündigungsgrund beweisbelastet (§ 1 Abs. 4 KSchG).

    Aus der Übersicht der Krankenkasse des Klägers ergeben sich vor allem Fehlzeiten mit den Diagnosen Tendinitis der Achillessehne (M 76.6) und Kalkaneussporn (M 77.3), wobei die Entzündung der Achillessehne letztmals im Februar 2018 diagnostiziert wurde.

    Der Kläger hat diesbezüglich nicht nur Atteste vorgelegt, in denen bescheinigt wurde, dass – worauf die Beklagte zunächst zurecht hinwies – lediglich eine subjektive Beschwerdefreiheit attestiert wurde, sondern zuletzt den Arztbericht vom 03.07.2019, mit welchem ein Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie nach Bewertung entsprechender Röntgenbilder feststellte, dass zwar ein Fersensporn erkennbar sei, dieser jedoch kein Erkrankungsbild sondern Folge einer früheren Erkrankung/Überbelastung der an diesem Punkt ansetzenden Sehnen – hier die Achillessehne – sei. Weder über die Röntgenbilder noch bei den körperlichen Untersuchungen des Klägers habe sich erhebbare pathologische Befunde im Bereich der LWS oder linken Ferse feststellen lassen. Insgesamt sei deshalb keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für ein über der Altersnorm erhöhtes Risiko für zukünftig erneut auftretende Beschwerden, welche zu einer Arbeitsunfähigkeit führen könnten, gegeben.

    Diese ärztliche Stellungnahme passt zu der Tatsache, dass die letzte Krankschreibung wegen einer Entzündung der Achillessehne im Februar 2018 erfolgte. Mangels substantiierter beklagtenseitiger Einwendungen gegen die letzte ärztliche Stellungnahme bestand auch keine Veranlassung zur Einholung eines weiteren, gerichtlichen Sachverständigengutachtens.

    Rechnet man die Erkrankungen wegen einer Entzündung der Achillessehne aus den bisherigen Fehlzeiten heraus, ergibt sich jedoch, dass der Kläger allenfalls im Jahre 2018 noch über sechs Wochen hinausgehend wegen anderer Krankheiten arbeitsunfähig geschrieben war. Die Erkrankungen lediglich eines Jahres reichen jedoch nicht, um eine hinreichende Grundlage für eine entsprechende lndizwirkung für die Zukunft zu bilden.

    Nach alldem ist derzeit nicht anzunehmen, dass der Kläger auch künftig über mehr als sechs Wochen im Jahr arbeitsunfähig erkranken wird.

  3. Die Kündigung ist deshalb nach § 1 KSchG unwirksam.
    Nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts war die Beklagte auch zur Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Prozesses zu verurteilen.
    Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus 1 ZPO, 61 Abs. 1 ArbGG.
    § 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil kann von dem Kläger und der Beklagten 

Berufung

eingelegt werden.

Wird das Urteil nicht in dem Umfang angefochten, in dem die Parteien unterlegen sind, ist die Berufung nur zulässig,

a) wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist oder

b) wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 601 ,00 EUR übersteigt oder

c) in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses.



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