Arbeitsgericht Mainz

Urteil vom - Az: 4 Ca 1240/17

Vertraulichkeit privater WhatsApp-Gruppen steht Wirksamkeit jeder Kündigung entgegen

Äußerungen in einer privaten WhatsApp-Gruppe können aufgrund der Vertraulichkeit des Chats eine Kündigung nicht rechtfertigen. Denn durch den geschlossenen Teilnehmerkreis des Chats darf jeder der Teilnehmer davon ausgehen, dass Äußerungen nur von den jeweils anderen Teilnehmern gelesen werden. Die Äußerungen unterfallen dem Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG).
(Redaktioneller Orientierungssatz)

Der Kläger war bei der beklagten Stadt als Mitarbeiter des gemeindlichen Kontroll- und Vollzugdienstes beschäftigt und im Rahmen seiner beruflichen Aufgaben unter anderem an Abschiebungen beteiligt. Mit Arbeitskollegen hatte er eine WhatsApp-Gruppe, in welcher private als auch dienstliche Belange zwischen den einzelnen Gruppenmitgliedern geteilt wurden. Eines der Gruppenmitglieder legte dem Arbeitgeber ein Chat-Protokoll vor, aus dem eindeutig hervorgeht, dass der Kläger von seinem privaten Mobiltelefon aus Bilder versendete, welche einen eindeutig rechtsextremistischen Bezug aufweisen. Infolgedessen kündigte die beklagte Stadt dem Mitarbeiter fristlos. Hiergegen erhob er Kündigungsschutzklage.
Zwar ist das ArbG Mainz der Ansicht, die klägerische Teilnahme an dem streitgegenständlichen Chat stelle einen wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB dar und sei somit an sich geeignet, sogar die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen. Jedoch stehe der Wirksamkeit einer jeden Kündigung die Vertraulichkeit des Chats entgegen.
(Redaktionelle Zusammenfassung)

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder fristlos noch ordentlich beendet wurde bzw. wird.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Rechtsstreits zu den bisherigen Arbeits- und Vertragsbedingungen als Mitarbeiter des städtischen Kontroll- und Vollzugsdienstes weiter zu beschäftigen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine vollständig ausgefüllte Arbeitsbescheinigung nach § 312 SGB III herauszugeben.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

6. Der Streitwert wird auf € 10.100,00 festgesetzt.

 

Tatbestand

Der Kläger war bei der beklagten Stadt als Mitarbeiter des gemeindlichen Kontroll- und Vollzugdienstes beschäftigt und im Rahmen seiner beruflichen Aufgaben unter anderem an Abschiebungen beteiligt. Organisatorisch gehörte er einer Gruppe an, die aus vier Männern und zwei Frauen bestand, welche ab Januar 2017 auf ihren privaten Smartphones unter dem Gruppennamen "die Souveränen" per WhatsApp Nachrichten austauschten. Teil der Kommunikation waren auch aus dem Internet heruntergeladene Bilder.

Mit Schreiben vom 08.08.2017 hörte die beklagte Stadt ihren Personalrat zur beabsichtigten fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger an und führte dabei unter anderem folgendes aus:

Aufgrund der seit längerem anhaltenden Problemen und Unstimmigkeiten innerhalb der Abteilung 3.08 - Kontroll- und Vollzugsdienst wurden in Absprachen mit dem Personalrat, dem Bereich 1 und dem Oberbürgermeister der Stadt W. Einzelgespräche von … mit jedem Mitarbeiter und jeder Mitarbeiterin der Abteilung 3.08 - Kontroll- und Vollzugsdienst geführt. Im Rahmen dieser geführten Gespräche sind am 31.07.2017 Informationen bekannt geworden, welche den Vorwurf der Verwendung und Verbreitung rechtsextremistischen Gedankengutes in Form von rechtsextremistischen Bildern zum Nachteil ausländischer Mitbürger und Mitbürgerinnen rechtfertigt.

Es liegt ein Chat-Protokoll des Instant-Messenger-Dienstes WhatsApp vor, aus dem eindeutig hervorgeht, dass [der Kläger] von seinem privaten Mobiltelefon aus Bilder versendet hat, welche einen eindeutigen rechtsextremistischen Bezug aufweisen. Im Rahmen dieses Gruppen-Chats werden jedoch sowohl private als auch dienstliche Belange zwischen den einzelnen Gruppenmitgliedern geteilt …

[Der Kläger] vertritt in seiner Funktion als Mitarbeiter des gemeindlichen Kontroll- und Vollzugsdienstes die Stadtverwaltung nach außen. Sowohl in seiner Funktion selbst, als auch durch sein Auftreten in Uniform, repräsentiert [er] grundlegende Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Verbreitung von Gedankengut, welches gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet ist, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker, steht diametral den Werten des demokratischen Verfassungsstaates, den er in seiner beruflichen Funktion vertritt, gegenüber. Im Rahmen seiner beruflichen Aufgaben ist [er] unter anderem an Abschiebungen beteiligt und begleite in diesem Zusammenhang Asylbewerber und Asylbewerberinnen. Die Ausübung dieser dienstlichen Pflicht ist unvereinbar mit einer ausländerfeindlichen Gesinnung …

Der Personalrat äußerte Bedenken, die er unter anderem folgendermaßen begründete:

Unserer Ansicht nach wurde der Chat-Verlauf von einem anderen Gruppenmitglied übergeben. In diesem Zusammenhang sehen wir es als höchst fragwürdig an, die zur Verfügung gestellten Informationen eines Kollegen oder einer Kollegin zur weiteren Vorgehensweise zu verwenden.

Aus unserer Sicht ist es fraglich, ob Daten von Privathandys durch den Arbeitgeber eingesehen werden dürfen. Insbesondere, wenn die Daten von einem Dritten zur Verfügung gestellt wurden, zudem wenn diese Daten dann arbeitsrechtlich bzw. strafrechtlich verwendet werden. Für die weitere Vorgehensweise sind der Datenschutz, die Privatsphäre und die freie Meinungsäußerung in höchstem Maße in Frage gestellt.

Zur Begründung seiner am 22.08.2017 bei Gericht eingegangenen Klage gegen die mit Schreiben vom 14.08.2017 ausgesprochene fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung bringt der Kläger im Wesentlichen vor, dass die Daten rechtswidrig erlangt seien. Dateien und/oder Bildmaterial habe er nie aus dem Internet auf sein Handy gezogen und dann weitergeleitet, sondern wenn überhaupt, ohne nachzudenken und ohne jegliche politische oder fremdenfeindliche oder rechtsextremistische Absicht, sondern dummerweise fahrlässig in einer Art "Handlungsreflex" weiter geleitet. Der gruppeninterne Versand habe quasi gedankenlos bzw. aus Jux stattgefunden. Die weitergeleiteten Dateien spiegelten daher weder die politische Grundeinstellung noch die Meinung des Klägers zur augenblicklichen Situation in der Welt.

Der Kläger beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die mit Schreiben der Beklagten vom 14.08.2017 ausgesprochene Kündigung weder fristlos aufgelöst wurde, noch durch die hilfsweise ordentlich ausgesprochene Kündigung zum 31.03.2018 oder einem anderen Zeitpunkt aufgelöst wird,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 14.08.2017 hinaus fortbesteht,

3. für den Fall, dass das Gericht nach den vorstehenden Anträgen gemäß Ziffer 1 und 2 erkennt, die Beklagte weiter zu verurteilen, den Kläger bis zur rechtskräftigen Beendigung des Rechtsstreites zu den bisherigen Arbeits- und Vertragsbedingungen als Mitarbeiter des städtischen Kontroll- und Vollzugsdienstes weiter zu beschäftigen,

4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger die Arbeitsbescheinigung gemäß § 312 SGB III, vollständig ausgefüllt, heraus zu geben.

Die beklagte Stadt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie sieht kein Verwertungsverbot bezüglich der Dateien, da diese ihr - unstreitig - von einem der Mitglieder des Chats zur Verfügung gestellt wurden. Der Chat sei auch nicht rein privat gewesen, da auch dienstliche Belangte kommuniziert wurden. Die klägerseits versandten Nachrichten seien Ausdruck der fremdenfeindlichen und menschenverachtenden Gesinnung des Klägers und stünden in krassem Gegensatz zu den Grundprinzipien unserer Verfassung. Durch ihre Verbreitung habe der Kläger in hohem Maße gegen die tarifliche Pflicht verstoßen, sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes zu bekennen. Es sei unverantwortlich, den Kläger in dem ihm übertragenen Aufgabenkreis weiter zu beschäftigen, da er in dieser Funktion tagtäglich in Kontakt zu ausländischen Mitbürgern stand. Auf Grund der zutage getretenen Gesinnung müsse ihm die persönliche Eignung abgesprochen werden, die ihm übertragenen Aufgaben Gewissenhaft und gesetzesmäßig zu erfüllen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst ihren Anlagen verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige und auch innerhalb der Frist der §§ 4, 13 KSchG erhobene Kündigungsschutzklage ist begründet, da die beklagte Stadt weder zur fristlosen noch ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt war.

Dabei kann zu Gunsten der beklagten Stadt davon ausgegangen werden, dass die klägerische Teilnahme an dem streitgegenständlichen Chat einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB darstellt und somit an sich geeignet ist, sogar die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen. Der Wirksamkeit einer jeden Kündigung steht nach Auffassung der Kammer jedoch die Vertraulichkeit des Chats entgegen.

Das Bundesarbeitsgericht hatte am 10.12.2009 (2 AZR 534/08) über den Fall einer Kündigung wegen ehrverletzender Äußerungen zu entscheiden, dem ein Gespräch zu Grunde lag, in welchem eine von drei Organisationsleiterinnen eines Versicherungsunternehmens sich ihren beiden Kolleginnen gegenüber über den unmittelbar vorgesetzten Bezirksdirektor äußerte. Später teilten die beiden anderen Organisationsleiterinnen dem Bezirksdirektor den Inhalt dieser Äußerungen mit, woraufhin eine fristlose Kündigung erfolgte.

Das Bundesarbeitsgericht bekräftigte dabei zwar, dass das bewusste Verbreiten wahrheitswidriger Behauptungen über die Geschäftsentwicklung ebenso wie grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, einen wichtigen arbeitsvertraglichen Verstoß darstellen. Weiter führte das Bundesarbeitsgericht sodann jedoch wörtlich aus:

Bei der rechtlichen Würdigung sind allerdings die Umstände zu berücksichtigen, unter denen diffamierende oder ehrverletzende Äußerungen über Vorgesetzte und/oder Kollegen gefallen sind. Geschah dies in vertraulichen Gesprächen unter Arbeitskollegen, dann mögen sie eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht ohne weiteres zu rechtfertigen … Der Arbeitnehmer darf anlässlich solcher Gespräche regelmäßig darauf vertrauen, seine Äußerungen würden nicht nach außen getragen. Er muss nicht damit rechnen, durch sie werde der Betriebsfrieden gestört und das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber belastet. Vertrauliche Äußerungen unterfallen dem Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Artikel 2 Abs. 1 i. V. m. Artikel 1 Abs. 1 Satz 1 GG). Die vertrauliche Kommunikation in der Privatsphäre ist Ausdruck der Persönlichkeit und grundrechtlich gewährleistet. Äußerungen, die gegenüber Außenstehenden oder der Öffentlichkeit wegen ihres ehrverletzenden Verhalten nicht schutzwürdig wären, genießen in Vertraulichkeitsbeziehungen als Ausdruck der Persönlichkeit und Bedingung ihrer Entfaltung verfassungsrechtlichen Schutz … Hebt der Gesprächspartner später gegen den Willen des sich negativ äußernden Arbeitnehmers die Vertraulichkeit auf, geht dies arbeitsrechtlich nicht zu dessen Lasten (Rd.-Ziff. 18).

Die Kammer ist der Auffassung, dass diese Grundsätze auf die vorliegende WhatsApp-Kommunikation zu übertragen sind. Denn durch den geschlossenen Teilnehmerkreis des Chats durfte jeder der Teilnehmer davon ausgehen, dass Äußerungen nur von den fünf anderen gelesen werden. Dass die Äußerung gegenüber fünf und nicht nur - wie in dem dem BAG-Urteil zugrundeliegenden Fall - gegenüber zwei Personen vorgenommen wurden, vermag qualitativ keinen Unterschied zu machen.

Die Chat-Kommunikation war ferner auch privat. Denn sie erfolgte ausschließlich auf den privaten Smartphones der Teilnehmer. Die Privatheit und damit Vertraulichkeit dieser Kommunikation wird auch nicht dadurch aufgehoben, dass vereinzelt dienstliche Belange wie etwa Krankmeldungen oder Diensteinteilungen erörtert wurden. Schließlich kommt es nicht auf den Chatverlauf im Ganzen, sondern auf die jeweilige Äußerung an, denn sonst könnten sich beispielsweise Arbeitnehmer in einem Betrieb nie auf die Vertraulichkeit einer Äußerung berufen, weil der Arbeitgeber einwenden könnte, allein durch die Anwesenheit im Betrieb sei das Gespräch kein rein privates.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes kann auch von einem Erfahrungssatz ausgegangen werden, dass angreifbare Bemerkungen über Vorgesetzte, sofern sie im Kollegenkreis erfolgen, in der sicheren Erwartung geäußert werden, sie würden nicht über den Kreis der Gesprächsteilnehmer hinausdringen. Nichts anderes kann vorliegend für Äußerungen bzw. das Versenden von Bilddateien gelten, die erkennbar nicht den Erwartungen entsprechen, die der Dienstherr an seine Mitarbeiter stellt.

Nach alledem hält die Kammer den vorliegenden Chat für genauso schutzwürdig wie das Sechsaugengespräch in dem vom BAG entschiedenen Fall, was zur Folge hat, dass die spätere Offenbarung des Inhaltes gegenüber dem Arbeitgeber durch ein Gruppenmitglied, was offensichtlich gegen den Willen der anderen erfolgte, "arbeitsrechtlich nicht zu deren Lasten" gehen kann.

Darf die Teilnahme am Chat, egal welchen Beitrag der Kläger hieran hatte, arbeitsrechtlich nicht zu seinen Lasten gehen, bedeutet dies, dass die beklagte Stadt nicht nur keine verhaltensbedingte Kündigung aussprechen durfte, sondern auch die in diesem Chat vorgenommenen Äußerungen bzw. Bilddateiversendungen nicht als Grundlage für eine personenbedingte Kündigung wegen fehlender Verfassungstreue heranziehen darf.

Deshalb kann auch dahingestellt bleiben, ob hinsichtlich einer personenbedingten Kündigung überhaupt eine ausreichende Personalratsanhörung erfolgt ist.

War nach alledem die Unwirksamkeit der Kündigungen festzustellen, konnte der Kläger auch die Verurteilung der Beklagten zu seiner Weiterbeschäftigung verlangen (BAG [GS] 27.02.1985, AP BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 14).

Der Anspruch auf Erteilung einer Arbeitsbescheinigung ist unstreitig.

Abzuweisen war die Klage nur bezüglich des allgemeinen Feststellungsantrages zu 2), da das hierfür nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse nicht ersichtlich ist.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 92 Abs. 2 ZPO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 61 Abs. 1 ArbGG.  



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