Arbeitsgericht Kaiserslautern

Urteil vom - Az: 7 Ca 563/12

Sozialauswahl im Betriebsratsbezirk - "Schlecker"-Kündigung unwirksam

Die im Wege einer betriebsbedingten Kündigung durchgeführte Sozialauswahl (§1 III KSchG) ist grob fehlerhaft im Sinne des §125 I Nr.2 InsO, wenn die Bestimmung des auswahlrelevanten Personenkreises grob fehlerhaft ist. Zum auswahlrelevanten Personenkreis gehören alle vergleichbaren Arbeitnehmer des Betriebes.
Wird bei der Sozialauswahl auf den "Betriebsratsbezirk" abgestellt, obwohl zum Betrieb alle Arbeitnehmer aus allen Filialen innerhalb der BRD gehören, so liegt darin eine grob fehlerhafte Bestimmung des auswahlrelevanten Personenkreises.
(Redaktionelle Orientierungssätze)

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen der Klägerin und dem Insolvenzschuldner geschlossene Arbeitsverhältnis nicht durch die mit Schreiben des Beklagten vom 28.03.2012 ausgesprochene Kündigung beendet worden ist bzw. beendet wird.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

3. Der Streitwert wird auf 2.910,00 EUR festgesetzt.

4. Die Berufung wird, soweit sie nicht bereits kraft Gesetzes statthaft ist, nicht gesondert zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung vom 28.03.2012.

Die am 01.03.1961 geborene Klägerin ist bei dem Insolvenzschuldner Anton Schlecker, Inhaber der Firma Anton Schlecker e.K. seit dem 06.07.1998 beschäftigt und erzielte zuletzt eine durchschnittliche Bruttomonatsvergütung in Höhe von 970,00 EUR.

Der Beklagte ist seit dem 28.03.2012 (vgl. Amtsgerichts Ulm - Insolvenzgericht - Beschluss vom 28.03.2012 - 1 IN 24/12) Insolvenzverwalter über das Vermögen des Anton Schlecker, Inhaber der Firma Anton Schlecker e.K. Die Firma des Insolvenzschuldners hat ihren Sitz in Ehingen. Mit seiner Firma betrieb der Insolvenzschuldner deutschlandweit in zahlreichen Filialen Drogeriemärkte. Der Insolvenzschuldner traf in der Vergangenheit die wesentlichen Entscheidungen in personellen und sozialen Angelegenheiten zentral von Ehingen aus.

Auf der Grundlage des unter dem 07.04.1995 zwischen ihm - dem Insolvenzschuldner  - und der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG geschlossenen Tarifvertrags wurden die einzelnen Filialen, die für sich genommen keinen eigenständigen Betrieb darstellen, verschiedenen Regionen zugeordnet und wurde in den Regionen ein Betriebsrat gewählt.

Mit Schreiben vom 21.03.2012 hörte der Beklagte den Gesamtbetriebsrat zur Kündigung an. Zum 23.03.2012 schloss der Beklagte einen Teil der Filialen der Firma des Insolvenzschuldners, nämlich ca. 2.200 Filialen.

Unter dem 28.03.2012 schloss der Beklagte mit dem bei der Firma des Insolvenzschuldners und der Schlecker XL GmbH bestehenden Gesamtbetriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste im Sinne des § 125 InsO. In der Namensliste ist unter anderem auch die Klägerin genannt.

Noch mit Schreiben vom 28.03.2012 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 30.06.2012.

Mit ihrer am 13.04.2012 eingegangenen Klage wehrt sich die Klägerin gegen die mit Schreiben vom 28.03.2012 ausgesprochene Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses mit dem Insolvenzschuldner.

Die Klägerin ist - soweit hier von Interesse - der Auffassung, die von dem Beklagten vorgenommene soziale Auswahl sei grob fehlerhaft.

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass das zwischen ihr und dem Insolvenzschuldner geschlossene Arbeitsverhältnis nicht durch die mit Schreiben des Beklagten vom 28.03.2012 ausgesprochene Kündigung beendet worden ist bzw. beendet wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt - soweit hier von Interesse - vor:

Die durchgeführte soziale Auswahl sei nicht grob fehlerhaft. Diese sei unter Berücksichtigung der Dauer der Betriebszugehörigkeit, des Lebensalters und der Unterhaltspflichten zwischen sämtlichen mit der Klägerin vergleichbaren Mitarbeitern in dem gesamten „Betriebsratsbezirk“, zu dem die Filiale, in der die Klägerin beschäftigt war, gehört habe, vorgenommen worden. Zur näheren Darstellung des Sach-und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie auf die zu den Sitzungsniederschriften getroffenen Feststellungen Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

A. Die Klage ist zulässig und begründet. Die gegenüber der Klägerin mit Schreiben vom 28.03.2012 ausgesprochene Kündigung ist jedenfalls nach § 1 Abs. 3 KSchG i.V.m. § 125 InsO sozial ungerechtfertigt, somit unwirksam und vermag daher das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Insolvenzschuldner nicht zu beenden. Denn die von dem Beklagten getroffene soziale Auswahl ist grob fehlerhaft.

Nach § 1 Abs. 1 KSchG ist die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist. Nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG ist die Kündigung, ist dem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG gekündigt worden, trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat.

Nach § 125 Abs. 1 Nr. 2 InsO kann, ist eine Betriebsänderung nach § 111 BetrVG geplant und kommt zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat ein Interessenausgleich zustande, in dem die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, namentlich bezeichnet sind, die soziale Auswahl der Arbeitnehmer nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten und auch insoweit nur auf grobe Fehlerhaftigkeit nachgeprüft werden; sie ist nicht als grob fehlerhaft anzusehen, wenn eine ausgewogene Personalstruktur erhalten oder geschaffen wird.

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG, Urteil vom 28.10.2004 - 8 AZR 391/03 - NZA 2005, 285 ff.; BAG, Urteil vom 03.06.2004 - 2 AZR 577/03 - NZA 2005, 175 ff.) ist die soziale Auswahl betriebsbezogen vorzunehmen. Zu dem auswahlrelevanten Personenkreis zählen daher grundsätzlich alle vergleichbaren Arbeitnehmer des Betriebes, ohne Rücksicht auf die Größe des Betriebes sowie ohne Rücksicht auf die räumliche Entfernung der Arbeitsplätze (vgl. BAG, Urteil vom 28.10.2004 - 8 AZR 391/03 - NZA 2005, 285 ff.). Maßgeblicher Betriebsbegriff ist dabei der des § 23 KSchG (vgl. BAG, Urteil vom 28.10.2004 - 8 AZR 391/03 - NZA 2005, 285 ff.; BAG, Urteil vom 03.06.2004 - 2 AZR 577/03 - NZA 2005, 175 ff.) und nicht der des Betriebsverfassungsgesetzes. Auch im Geltungsbereich des § 125 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist die soziale Auswahl nicht nur auf die sozialen Indikatoren und deren Gewichtung selbst, sondern insbesondere auch auf die Bildung der auswahlrelevanten Gruppen (vgl. BAG, Urteil vom 28.08.2003 - 2 AZR 368/02 - NZA 2004, 432 ff.) bzw. des auswahlrelevanten Personenkreises hin zu überprüfen. Allein die fehlende Betriebsbezogenheit der sozialen Auswahl führt dabei aber nicht zur groben Fehlerhaftigkeit derselben im Sinne des § 125 Abs. 1 Nr. 2 InsO (vgl. BAG, Urteil vom 03.04.2008 - 2 AZR 879/06 - NZA 2008, 1060 ff.). Vielmehr ist die soziale Auswahl nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG, Urteil vom 03.04.2008 - 2 AZR 879/06 - NZA 2008, 1060 ff.) wegen nicht richtiger Bestimmung des auswahlrelevanten Personenkreises nur dann grob fehlerhaft, wenn die Fehlerhaftigkeit der Bestimmung des auswahlrelevanten Personenkreises selbst grob ist, also ein evidenter, ins Auge springender Fehler vorliegt.

2. Nach diesen Grundsätzen erweist sich die von dem Beklagten getroffene soziale Auswahl als grob fehlerhaft. Der Beklagte hat die soziale Auswahl nicht im gesamten Betrieb im Sinne des § 23 KSchG durchgeführt. Vielmehr hat der Beklagte die soziale Auswahl nur in dem „Betriebsratsbezirk“, zu dem die Filiale, in der die Klägerin beschäftigt war, gehört hat, vorgenommen. Zum Betrieb im Sinne des § 23 KSchG gehören aber, wovon der Beklagte im Übrigen im Zusammenhang mit der Bestimmung des Schwellenwertes nach § 111 BetrVG und im Rahmen seiner Schilderungen zum gemeinsamen Betrieb mit der Schlecker XL GmbH selbst ausgeht, jedenfalls sämtliche Filialen der Firma des Insolvenzschuldners in der Bundesrepublik Deutschland, unter Umständen sogar auch die Filialen der Schlecker XL GmbH. Denn die wesentlichen Entscheidungen in personellen und sozialen Angelegenheiten wurden in der Vergangenheit nicht in den einzelnen Filialen oder „Betriebsratsbezirken“ getroffen. Vielmehr hat sie der Insolvenzschuldner zentral von Ehingen aus getroffen. Der Beklagte hat damit schon den auswahlrelevanten Personenkreis nicht zutreffend bestimmt.

Andere Gründe, die den Beklagten und den Gesamtbetriebsrat zu einer Begrenzung der Sozialauswahl auf die einzelnen „Betriebsratsbezirke“ erwogen haben könnten und die diese Begrenzung rechtfertigen würden, sind weder ersichtlich noch substantiiert vorgetragen. Insbesondere die Entfernungen zwischen den einzelnen Filialen und die damit verbundenen Fahrtwege für die betroffenen Arbeitnehmerinnen bieten keinen solchen rechtfertigenden Grund. Schließlich sind die Entfernungen bzw. Fahrtwege zwischen zwei Filialen verschiedener „Betriebsratsbezirke“ mitunter deutlich kürzer als zwischen zwei Filialen innerhalb eines „Betriebsratsbezirkes“.

Die fehlerhafte Bestimmung des auswahlrelevanten Personenkreises springt auch jedermann „ins Auge“, ist damit ihrerseits grob fehlerhaft und macht folglich auch die soziale Auswahl grob fehlerhaft. Schließlich steht im vorliegenden Fall - anders als in dem vom Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 03.04.2008 - 2 AZR 879/06 - NZA 2008, 1060 ff.) zu beurteilenden Fall - die Betriebsqualität der einzelnen Filiale bzw. der zu einem „Betriebsratsbezirk“ gehörenden Filialen nicht im Streit. Diese wird auch von dem Beklagten nicht behauptet. Es ist vielmehr für jedermann offensichtlich, dass zum Betrieb im Sinne des § 23 KSchG jedenfalls sämtliche Filialen der Firma des Insolvenzschuldners in der Bundesrepublik Deutschland, unter Umständen sogar auch die Filialen der Schlecker XL GmbH gehören.

3. Die soziale Auswahl erweist sich im vorliegenden Fall auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend (vgl. BAG, Urteil vom 09.11.2006 - 2 AZR 812/05 - NZA 2007, 549 ff.). Dies ist jedenfalls, da nicht die Sozialdaten aller Arbeitnehmer der Firma des Insolvenzschuldners und gegebenenfalls der Schlecker XL GmbH in der Bundesrepublik Deutschland vorliegen, weder ersichtlich noch wird dies vom Beklagten eingewandt, geschweige denn dargelegt. Nach alledem ist die Kündigung vom 28.03.2012 bereits nach § 1 Abs. 3 KSchG i.V.m. § 125 InsO sozial ungerechtfertigt, somit unwirksam und vermag daher das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Insolvenzschuldner nicht zu beenden. Vor diesem Hintergrund erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit den weiteren von der Klägerin vorgebrachten Unwirksamkeitsgründen.

B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 91 Abs. 1 ZPO.

C. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 61 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 3 ZPO, § 42 Abs. 3 GKG.

D. Die Berufung war nicht gesondert zuzulassen, da Gründe nach § 64 Abs. 3 ArbGG nicht vorlagen.



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