Arbeitsgericht Kaiserslautern

Urteil vom - Az: 7 CA 358/08, 7 Ca 358/08

Zur Auslegung eines Tarifvertrages

Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages erfolgt nach der für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zur ermitteln ist der Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in die tarifliche Norm ihren Niederschlag gefunden haben.
(Redaktionelle Orientierungssätze)

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 791,91 EUR brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gem. § 247 BGB seit dem 29.02.2008 zu zahlen.

II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.

III. Der Streitwert wird auf 791,00 EUR festgesetzt.

IV. Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Im vorliegenden Verfahren begehrt die Klägerin Differenzzahlungen zwischen dem ihr gezahlten Gehalt nach der Gehaltsgruppe G II für die Monate August 2007 bis Februar 2008 und der Gehaltsgruppe G III. Die 58 jährige Klägerin ist seit Februar 1992 im Baumarkt der Beklagten in A-Stadt als Kassiererin beschäftigt. Sie wird dabei ausschließlich als Kassiererin an den zwei Kassenzonen der Beklagten eingesetzt. Die Kassen befinden sich in verschiedenen Bereichen des Baumarktes an verschiedenen Ausgängen, die eine Kasse im Gartenbereich, die andere im Baumarktbereich. Kunden können an beiden Kassen alle im Markt der Beklagten angebotenen Produkte kaufen. Im Markt der Beklagten in A-Stadt werden die üblichen Produkte eines Baumarktes angeboten, die in verschiedenen Warenbereiche aufgeteilt sind. So gibt es z. B. einen Warenbereich Gartenprodukte, einen Warenbereich Elektroprodukte, einen Warenbereich Baustoffe usw. In den einzelnen Warenbereichen beschäftigt die Beklagte entsprechend geschultes oder ausgebildetes Fachpersonal als Fachverkäufer und Fachberater. Den einzelnen Warenbereichen stehen Teilbereichs- bzw. Warenbereichsleiter als Vorgesetzte vor. Die Klägerin ist bei der Beklagten in Teilzeit beschäftigt zu 60% der üblichen Arbeitszeit. Sie erhielt von der Beklagten in den Monaten August 2007 bis Februar 2008 monatlich eine Bruttovergütung in Höhe von 1.222.99 Euro und eine Zulage in Höhe von 30,68 Euro brutto. Die Vergütung, die sich nach der Gehaltsgruppe III für die Klägerin errechnen würde, beträgt monatlich 1.366,80 Euro. Die Klägerin hat mit Schreiben der Gewerkschaft Verdi vom 18.02.2008 Lohndifferenzen zwischen der Gehaltsgruppe III und der Gehaltsgruppe II für den Zeitraum August 2007 bis Februar 2008 rückwirkend geltend gemacht. Die Klägerin ist der Ansicht, sie sei zutreffender Maßen in die Gehaltsgruppe III einzugruppieren, da sie als Kassiererin mit höheren Anforderungen zu betrachten sei. Ihr stünde daher für die geltend gemachten Monate eine Nachzahlung von monatlich 113,12 Euro zu.

Die Klägerin beantragt:
die Beklagte zu verurteilen, an sie 791,91 Euro brutto zu zahlen, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 29.02.2008.

Die Beklagte beantragt:
die Klage abzuweisen.

Die Beklaget trägt vor:
die Klägerin sei zutreffend in die Gehaltsgruppe G II eingruppiert. Sie sei nicht als Kassiererin mit höheren Anforderungen im Sinne der Gehaltsgruppe III anzusehen, da sie nicht an einer Sammelkasse eingesetzt werde. Bei der Beklagten gäbe es auch nicht mehrere Abteilungen, wie in der Gehaltsgruppe III ausgeführt, sondern lediglich unterschiedliche Warenbereiche. Bezüglich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die eingereichten Schriftsätze und das Sitzungsprotokoll vom 29.05.2008 verwiesen.

 

Entscheidungsgründe 

Die zulässige Klage ist begründet.

I. Der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten im Einzelhandel Rheinland-Pfalz (im Folgenden MTV Einzelhandel) enthält hinsichtlich der Eingruppierung u. a. folgende Bestimmung: 

§ 9 Eingruppierung, Entgeltberechnungen, Entgeltzahlung

1. ...

2. Die Eingruppierung erfolgt entsprechend der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit.

3. Werden dauernd mehrere Tätigkeiten zugleich ausgeübt, die unter verschiedene Tarifgruppen fallen, so erfolgt die Eingruppierung entsprechend der zeitlich überwiegendenTätigkeit in die höhere höchst mögliche Tarifgruppe. ...

Der einschlägige Gehaltstarifvertrag enthält soweit vorliegend von Interesse folgende Bestimmung:

§ 3 ...

Gehaltsgruppe II Angestellte mit einfacher kaufmännischer und/oder technischer Tätigkeit, z. B. Verkauf, Blumenbinden im Verkauf, einfache Kassiertätigkeiten (z. B. Ladenkassierer/in) ...

Gehaltsgruppe III Angestellte mit einer Tätigkeit, die erweitere Fachkenntnisse und größere Verantwortung erfordern, z. B. Filialverwalter/in im Lebensmittel-, Tabakwaren- und Zeitschriftenhandel mit bis zu drei unterstellten Arbeitnehmerinnen, der erste Verkäufer/in; Lagererste/r, Kassierer/in mit höheren Anforderungen (Fußnote 2), Kassierer/in in Verbrauchermärkten, ...

In der Protokollnotiz der Gehaltsgruppe III ist unter Ziffer 2 ausgeführt:

„Die für Kassierer/innen geforderte höhere Anforderungen werden in der Regel von Kassierer/innen erfüllt, die überwiegend in Kassenzonen von Lebensmittelsupermärkten (ab 400 m² Verkaufsfläche) sowie an Sammelkassen beschäftigt sind. Kassen, die für mehrere Abteilungen zuständig sind und an denen Kassierer/innen ausschließlich beschäftigt werden, sind Sammelkassen gleichzustellen.“

Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages erfolgt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln (vgl. z. B. BAG 28.09.2005 10 AZR 34/05). Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zur ermitteln ist der Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in die tarifliche Norm ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben danach noch Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte. praktische Tarifübungen und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt. Bauen Tarifgruppen bezüglich der Tätigkeitsmerkmale aufeinander auf, ist zunächst zu prüfen, ob der Arbeitnehmer die Anforderungen der allgemeinen und danach die jeweils weiteren qualifizierenden Merkmale der höheren Vergütungsgruppen erfüllt. Soweit die Parteien die Tätigkeit als unstreitig ansehen, genügt eine pauschale Überprüfung. Enthält eine Vergütungsgruppe Regelbeispiele, gelten die Tätigkeitsmerkmale regelmäßig dann als erfüllt, wenn der Arbeitnehmer eine diesem Beispiel entsprechende Tätigkeit ausübt (BAG 17.03.2005 8 ABR 8/04).

II. Unter Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ergibt sich vorliegend, dass die Klägerin zutreffend in die Gehaltsgruppe G III, fünftes Tätigkeitsjahr des Gehaltstarifvertrags für die Angestellten im Einzelhandel Rheinland-Pfalz einzugruppieren ist.

Sie erfüllt nämlich das Regelbeispiel „Kassiererin mit höheren Anforderungen“ in Verbindung mit der Protokollnotiz „Kassiererin an Kassen, die für mehrere Abteilungen zuständig sind und dort ausschließlich beschäftigt werden.“

Unstreitig wird die Klägerin ausschließlich an den Kassen in einer der beiden Kassenzonen des Marktes der Beklagten in A-Stadt eingesetzt.

Zwischen den Parteien ist weiter unstreitig, dass die Kunden alle im Markt der Beklagten angebotenen Produkte wahlweise an den Kassen beider Kassenzonen bezahlen können.

Entgegen der Ansicht der Beklagten handelt es sich daher bei beiden Kassenzonen um solche, die für mehrere Abteilungen im Sinne der Protokollnotiz zur der Gehaltsgruppe G III zuständig sind. Der Begriff der Abteilung ist im Tarifvertrag nicht selbstständig geregelt. Es ist daher auf den allgemeinen Sprachgebrauch zurück zu greifen. Danach handelt es sich bei einer Abteilung um einen Zweig eines Betriebes mit einem bestimmten Aufgabengebiet bzw. ein relativ selbstständiger Teil einer größeren Organisationseinheit (vgl. BAG 17.03.2005 8 ABR 8/04). Unter einer Abteilung in einem Baumarkt ist daher ein Bereich zu verstehen, in dem Produkte einer bestimmten Warengruppe angeboten werden. Dieser Bereich ist regelmäßig sichtbar abgegrenzt von anderen Bereichen, z. B. durch Hinweisschilder oder bestimmte Stellung von Regalen. In den einzelnen Bereichen erfolgt die Betreuung der Kunden regelmäßig durch Personal, welches bezüglich der jeweils angebotenen Warenart über besondere Kenntnisse verfügt, um die Kundschaft beraten zu können. Genauso ist der Markt der Beklagten nach den eigenen Ausführungen im Schriftsatz vom 13.05.2008 und den Ausführungen im Kammertermin organisiert. Die Beklagte hat ihren Markt nach bestimmten Warenbereichen untergliedert. Den einzelnen Warenbereichen stehen Teilbereichs- oder Warenbereichsleiter vor, die mit besonders geschulten oder ausgebildetem Fachpersonal bezüglich der angebotenen Produkten in den einzelnen Abteilungen die Kundschaft betreuen. Dass diese einzelnen Untergliederungen bei der Beklagten als Warenbereiche und nicht als Abteilungen bezeichnet werden, ist unerheblich, da es sich hier lediglich um eine andere Terminologie handelt. Es ist zudem gerichtsbekannt, da alle drei entscheidenden Richtern schon Kunden im Markt der Beklagten in A-Stadt waren, dass auch eine räumliche Abgrenzung der einzelnen Abteilungen im Markt der Beklagten für die Kundschaft ersichtlich ist. Die Beklagte hat daher ihren Betrieb in A-Stadt in einzelne Abteilungen im Sinne der Gehaltsgruppe III des Tarifvertrages untergliedert. 

Da die Klägerin damit eine Tätigkeit ausübt, wie sie in einem Regelbeispiel der Gehaltsgruppe III bzw. in der Protokollnotiz ausdrücklich aufgeführt worden ist, ist sie auch nach der Gehaltsgruppe III zu vergüten. Die Lohndifferenz für die Monate August 2007 bis Februar 2008 bezüglich der der Klägerin gewährten Vergütung und der ihr nach der Gehaltsgruppe III zustehenden Vergütung beträgt monatlich 113,13 Euro brutto. Für die geltend gemachten sieben Monate seit August 2007 ergibt sich daher ein Betrag von 791,91 Euro.

Die Klägerin hat auch durch das Geltendmachungsschreiben vom Februar 2008 die tarifliche Ausschlussfrist nach § 16 Manteltarifvertrag Einzelhandel gewahrt.

III. Nach alledem war zu entscheiden wie geschehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, der Streitwert ist gemäß §§ 61 ArbGG in Verbindung mit 3 ff. ZPO festgesetzt worden.

Die Entscheidung über die Berufung folgt aus § 64 ArbGG. Der Rechtssache kommt gemäß § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG grundsätzliche Bedeutung zu, da die Frage der zutreffenden Eingruppierung einer Kassiererin in einem Baumarkt der Beklagten nicht nur die Klägerin persönlich betrifft, sondern auch eine Vielzahl anderer bei der Beklagten beschäftigten Kassiererinnen.



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