Arbeitsgericht Koblenz

Urteil vom - Az: 8 Ca 117/00

Rechtsmissbräuchliche Steuerklassenwahl

Rechtsmissbräuchlich handelt, wer durch die Änderung von steuerlichen Merkmalen (Steuerklasse) die Höhe der ihm zufließenden Nettovergütung allein deshalb beeinflusst, um als anschließend Altersteilzeitbeschäftigter Anspruch auf einen höheren Aufstockungsbetrag zu erlangen.
(Redaktioneller Orientierungssatz)

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.

III. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.251,20 DM

 

Tatbestand 

Die Klägerin ist bei dem Beklagten als Angestellte beschäftigt. Seit dem 01.08.1999 besteht zwischen den Parteien ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis. Seither wird das Arbeitsentgelt der Klägerin vom Beklagten auf der Grundlage des Altersteilzeitgesetzes aufgestockt bis zur Höhe des so genannten Mindestnettobetrages (70 vom Hundert des um die gesetzlichen Abzüge verminderten bisherigen Arbeitsentgelts). Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien zur Anwendung kommt allerdings auch der Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeitarbeit (TV ATZ). Die Parteien streiten nun hinsichtlich der Monate August 1999 bis Januar 2000 über die Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung eines höheren Aufstockungsbetrages auf die Bezüge der Klägerin nach Maßgabe des TV ATZ (83 vom Hundert des Nettobetrages des der Klägerin bei regelmäßiger Arbeitszeit zustehenden Vollzeitarbeitsentgelts). Der Beklagte verweigert der Klägerin die Zahlung eines weiteren Aufstockungsbetrages mit der Begründung, die Klägerin habe sich 1999 bei der Wahl ihrer Lohnsteuerklasse rechtsmissbräuchlich verhalten, weil sie mit dieser Wahl Einfluss habe nehmen wollen auf den ihr zu zahlenden Aufstockungsbetrag. Die Klägerin war zunächst auch für das Jahr 1999 in die Lohnsteuerklasse V, ihr Ehemann in die Steuerklasse III eingereiht. Ab Februar 1999 allerdings belief sich das zu versteuernde Gehalt der im August 1998 höhergruppierten Klägerin, die zudem im Januar 1999 eine höhere Dienstaltersstufe erreichte, auf 4.145,83 DM brutto, das ihres Ehemannes dagegen nur noch auf 3.955,92 DM brutto. Da die Klägerin im Übrigen seit 1998 mit einem PC-Programm die jeweilige Steuerbelastung für sich und ihren Ehemann hinsichtlich aller in Betracht kommender Steuerklassenkombinationen berechnen konnte, verlangte die Klägerin im Januar 1999 ihre Lohnsteuerkarte vom Beklagten zurück, wählte für sich für die Zeit ab 01.03.1999 die Lohnsteuerkarte III/1 und ihr Ehemann entschied sich für die Lohnsteuerklasse V. Damit verbunden war für die Eheleute nach den von der Klägerin selbst erstellten Berechnungen eine Lohnsteuerbelastung (einschließlich Solidaritätszuschlag) in Höhe von insgesamt 1.553,31 DM monatlich, wo hingegen die bis dahin von den Eheleuten gewählte Steuerklassenkombination (V für die Klägerin und III/1 für ihren Ehemann) eine Belastung in Höhe von 1.703,52 DM monatlich mit sich gebracht hätte. Die Wahl der Steuerklassen IV/1 und IV wiederum wäre mit Steuerbelastungen über 1.538,06 DM oder 1.538,08 DM monatlich verbunden gewesen; auf das Ergebnis der eigenen Berechnungen der Klägerin im Schriftsatz vom 10.04.2000 (Bl. 22 d.A.) wird Bezug genommen. 

Am 15.03.1999 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Änderung des bisherigen Arbeitsverhältnisses in ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis. Seit Beginn der schließlich vertraglich zum 01.08.1999 vereinbarten Altersteilzeitbeschäftigung der Klägerin wurden ihr vom Beklagten zu ihren Bezügen von 1.722,73 DM netto in der Lohnsteuerklasse III Aufstockungsbeträge in Höhe von 442,20 DM monatlich gewährt, diese beiden Beträge zusammen als so genannter Mindestnettobetrag nach dem Altersteilzeitgesetz. Die Zahlung weiterer Aufstockungsbeträge lehnte der Beklagte ab; auf den Inhalt eines Schreibens des Beklagten vom 21.12.1999 an die Klägerin wird insoweit Bezug genommen (Kopien Bl. 5 und 6 d.A.). Die Klägerin ist der Auffassung, sie habe für die Monate August 1999 bis Januar 2000 Anspruch auf Zahlung weiterer sechs Aufstockungsbeträge in Höhe von jeweils 375,20 DM, weil der Beklagte 83 % des ihr bei einer Vollzeitbeschäftigung zustehenden Nettoarbeitseinkommens (in der Lohnsteuerklasse III/1) schulde. Schon Anfang 1999 habe sie sich für die Änderung ihrer Lohnsteuerklasse entschieden, erst daran anschließend Mitte Januar aber von der Möglichkeit einer Altersteilzeitbeschäftigung erfahren. Zudem habe sie zum Zeitpunkt der Steuerklassenwahl von einer weiteren Höhergruppierung und deshalb einem erneut erhöhten Bruttoeinkommen ausgehen können. Schließlich müsse bei der Wahl der Steuerklassenkombination auch berücksichtigt werden, dass nur sie Anspruch auf Urlaubsgeld für 1999 gehabt habe, dieses Urlaubsgeld bei ihrer Berechnung der Steuerbelastung zunächst aber keine Berücksichtigung gefunden habe. 

Die Klägerin hat deshalb beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 2.251,20 DM zu zahlen. 

Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen, und ist zur Begründung der Auffassung, das rechtsmissbräuchliche Verhalten der Klägerin bei der Wahl ihrer Steuerklasse ab März 1999 rechtfertige die Verweigerung von

Aufstockungszahlungen nach dem TV ATZ. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. 

 

Entscheidungsgründe 

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Die Kammer teilt zunächst die erkennbar auch von beiden Parteien vertretene Rechtsmeinung, wonach die vom Bundesarbeitsgericht entwickelte Rechtsprechung zur rechtsmissbräuchlichen Wahl einer Steuerklassenkombination in Bezug auf den vom Arbeitgeber zu zahlenden Zuschuss zum Mutterschaftsgeld den rechtlichen Maßstab für die Begründetheit auch der hiesigen Klage formuliert. Die Anwendung dieser inzwischen wiederholten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seit seinem Urteil vom 22.10.1986 (NZA 1987, 703; vergleiche weiter BAG, Urteil vom 18.09.1991 - 5 AZR 581/90, NZA 1992, 411) ergibt freilich, dass der Klägerin der von ihr begehrte Aufstockungsbetrag nicht zusteht. Rechtsmissbräuchlich handelt, wer durch die Änderung von steuerlichen Merkmalen (Steuerklasse) die Höhe der ihm zufließenden Nettovergütung allein deshalb beeinflusst, um als anschließend Altersteilzeitbeschäftigter Anspruch auf einen höheren Aufstockungsbetrag zu erlangen. Rechtsmissbräuchlich ist die Wahl einer Steuerklasse regelmäßig dann, wenn sie ohne sachlichen Grund nur deshalb erfolgt, um im Hinblick auf die Aufstockungspflicht des Arbeitgebers einen höheren Nettoverdienst zu erzielen, als er sich bei sonst vernünftiger Wahl der Steuerklasse ergeben würde. In der Regel werden sich Ehegatten für die Steuerklassenkombination entscheiden, bei der die Summe der laufenden Lohnsteuerabzüge am geringsten ist. Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch liegen vor, wenn die Steuerklassenkombination offensichtlich nicht dem Verhältnis der monatlichen Arbeitslöhne beider Ehegatten entspricht. Neu eingetragene  Steuerklassen entsprechen dem Verhältnis der Arbeitslöhne beider Ehegatten, wenn sie den geringsten gemeinsamen Lohnsteuerabzug zur Folge haben (BAG, NZA 1992, 411, 412). Vor diesem rechtlichen Hintergrund begründet schon das eigene Vorbringen der Klägerin die Überzeugung der Kammer vom rechtsmissbräuchlichen Verhalten der Klägerin. Es mag deshalb auch dahinstehen, ob die Klägerin sich erst nach ihrem Entschluss, künftig Altersteilzeitarbeit zu leisten, für eine Änderung der Steuerklassenkombination entschieden und damit einen unter Umständen ursächlichen Zusammenhang zwischen Altersteilzeit und Steuerklassenwahl hergestellt hat. Vielmehr belegt der eigene Vortrag der Klägerin mit ihrem Schriftsatz vom 10.04.2000 eine dem Verhältnis der monatlichen Einkommen der Klägerin und ihres Ehemannes in der Zeit von Januar bis März 1999 nicht entsprechende Steuerklassenwahl. Trägt die Klägerin selbst vor, die steuerliche Belastung im Einzelfall und genau berechnet zu haben, muss sie sich auch entgegenhalten lassen, mit der Steuerklasse III/1 für sich und V für ihren Ehemann die gegenüber den Steuerklassen IV/1 und IV ganz offensichtlich keineswegs mit dem geringsten Abzug verbundene Wahl getroffen zu haben. Nicht ausschlaggebend bleibt in diesem Zusammenhang zunächst die gegenüber den Steuerklassen IV insgesamt nur um 15,23 DM monatlich höhere Belastung: Es mag offen bleiben, ob es sich dabei um einen relativ hohen oder einen relativ geringen Betrag handelt, da die Klägerin selbst absolute Beträge errechnet hat. Soweit die Klägerin inzwischen vorträgt, es müsse ihr Urlaubsgeldanspruch für 1999 berücksichtigt werden, hat sich die Klägerin von diesem Gesichtspunkt bei der Steuerklassenwahl ersichtlich nicht leiten lassen, da sie bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht in der Lage war, die jeweilige Steuerlast auf ihren Urlaubsgeldanspruch zu beziffern. Die Klägerin muss sich in diesem Zusammenhang weiter entgegenhalten lassen, dass ihre Steuerklassenwahl gleichwohl nur dann zum geringsten Steuerabzug geführt hätte, wenn ihr Urlaubsgeld in der Steuerklasse III mit 182,76 DM (12 × 15,23 DM) geringer belastet worden wäre als in der Steuerklasse IV, wofür nichts spricht. Trägt die Klägerin schließlich zur von ihr erwarteten erneuten Höhergruppierung vor, fehlt es einerseits an hinreichend substantiiertem Vortrag der Klägerin dazu, weshalb denn und wann diese Höhergruppierung überhaupt eintreten sollte, zum anderen aber belegt die von der Klägerin angestellte Berechnung ein weiteres Mal, dass diese Erwartung der Wahl der Steuerklassenkombination nicht zugrunde lag, sondern ganz folgerichtig das tatsächliche Einkommen der Klägerin und ihres Ehemannes in der Zeit ab Februar 1999. Nach allem war die von der Klägerin getroffene Steuerklassenwahl tatsächlich rechtsmissbräuchlich im Sinne der eingangs erwähnten Rechtsprechung. Die Klage war deshalb abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes resultiert aus den §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ZPO.



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