Arbeitsgericht Koblenz

Urteil vom - Az: 10 Ca 2058/08

Zur Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit im Rahmen der Insolvenzanfechtung von Arbeitslöhnen

Die Bestimmung des § 130 II Insolvenzordnung setzt voraus, dass der begünstigte Gläubiger die tatsächlichen Umstände positiv kennt, aus denen eine Zahlungsunfähigkeit objektiv folgt. Der Gläubiger muss also wissen, dass der Schuldner von seinen als fällig eingeforderten Geldschulden einen nicht unwesentlichen Teil (regelmäßig 10%) derzeit nicht erfüllen kann und auch keine konkrete Aussicht hat, hierfür ausreichende und verwendbare Geldmittel in den nächsten drei Wochen zu erlangen.
(Redaktionelle Orientierungssätze)

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

III. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.555,63 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Beklagten zur Rückzahlung von Löhnen, nachdem der Kläger der Auffassung ist, die dem Beklagten gewährten Zahlungen unterlägen der so genannten Insolvenzanfechtung. Der Kläger ist mit Beschluss des Amtsgerichts Mayen vom 30. 5. 2008 (Amtsgericht Mayen 7 IN 54/08; Kopie des Beschlusses zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens Bl. 4 d. A.) bestellt zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der ... in Andernach (im Weiteren: Schuldnerin). Der zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens führende Eigenantrag der Schuldnerin datiert vom 29. 4. 2008. Der Beklagte war als Abteilungsleiter „Druck“ im Druckereiunternehmen der Schuldnerin beschäftigt. In der Zeit vom 11. 2. 2008 bis einschließlich 11. 3. 2008 zahlte die Schuldnerin in Raten mit einer Höhe zwischen 300,00 EUR und zuletzt 1.439,38 EUR insgesamt 4.439,38 EUR auf restliche Lohnansprüche des Beklagten aus den Monaten Oktober 2007 bis Januar 2008. Hinzu kamen weitere Zahlungen der Schuldnerin an den Beklagten über 756,74 EUR und 2.359,51 EUR am 26. 2. 2008 und am 11. 3. 2008, nachdem zunächst der Beklagte am 8. 2. 2008 Zahlungsklage wegen offener Vergütungsansprüche aus dem vierten Quartal 2007 in Höhe von insgesamt 14.023,51 EUR abzüglich einer Abschlagszahlung von 1.900,00 EUR erhoben und die Schuldnerin sich im Rahmen eines Vergleichs verpflichtet hatte zur Zahlung dieser schließlich noch offenen Löhne in Höhe von insgesamt 3.116,26 EUR. Die von der Schuldnerin geleisteten Lohnzahlungen seit 11. 2. 2008 hat der Beklagte vollständig zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes benötigt und verbraucht. Vorsorglich hat der Beklagte sich deshalb wegen des vom Kläger nun verfolgten Anspruchs auf Rückzahlung der Löhne berufen auf den Einwand der Entreicherung.  

Schon seit 2001 zahlte die Schuldnerin Löhne der mehr als 70 bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer nur verzögert und mit fortlaufenden Rückständen aus. Seit dem Frühjahr 2007 erhielten die Arbeitnehmer der Schuldnerin ihre Vergütungen nur noch mit einer Verspätung von drei Monaten und in unregelmäßigen Abschlagszahlungen. Auch der Beklagte kannte diese Lohnzahlungspraxis der Schuldnerin, hat aus ihr aber nicht die Befürchtung abgeleitet, die Schuldnerin sei etwa zahlungsunfähig.

Der Kläger hat zur Begründung der Klage vorgetragen,
bereits Monate vor dem 29. 4. 2008 sei die Schuldnerin zahlungsunfähig gewesen. Diese Zahlungsunfähigkeit sei dem Beklagten seit Februar 2008 auch zumindest den Umständen nach bekannt gewesen, weil er immerhin wusste, dass die Löhne und Gehälter der bei der Schuldnerin beschäftigten Arbeitnehmer nur mit einer Verzögerung von drei Monaten und alsdann auch nur in kleinen Raten gezahlt werden konnten. Hinsichtlich der Zahlungen vom 26. 2. und 11. 3. 2008 über insgesamt 3.116,26 EUR ist der Kläger im Übrigen der Auffassung, sie unterlägen der Insolvenzanfechtung wegen inkongruenter Deckung im Sinne von § 131 Insolvenzordnung. Den vom Beklagten erhobenen Einwand der Entreicherung hält er aus rechtlichen Gründen für unbeachtlich.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 7.555,63 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30. 5. 2008 zu zahlen. Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Zahlungsklage ist nicht begründet, weil das eigene unter Beweis gestellte Vorbringen des Klägers eine Insolvenzanfechtung nicht rechtfertigt. An der von ihm mit Schriftsatz vom 12. 9. 2008 noch beiläufig erhobenen Behauptung, die Schuldnerin habe die Zahlungen vom 26. 2. und 11. 3. 2008 über insgesamt 3.116,26 EUR zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem vom Beklagten erwirkten Titel erbracht, hat der Kläger im Weiteren ersichtlich nicht mehr festgehalten. Anhaltspunkte für eine inkongruente Deckung im Sinne von § 131 Insolvenzordnung liegen schon deshalb nicht vor. Dies gilt auch, nachdem die Schuldnerin und der Beklagte mit Vergleich im vom Beklagten angestrengten Rechtsstreit wegen der von ihm verfolgten Zahlungsansprüche aus der Zeit seit Oktober 2007 die nachträgliche Entlohnung des Beklagten vereinbart haben: Die Schuldnerin hat dem Vergleich entsprochen und ein Schuldner, der über fällige Schulden vollstreckbare Urkunden aufnehmen lässt, handelt noch kongruent, dasselbe gilt für den Gläubiger, der über seine Forderung einen Vollstreckungstitel erwirkt. Dagegen hat der Gläubiger eines Zahlungsanspruchs nicht dessen Durchsetzung mit staatlichen Zwangsmitteln während der Krise des Schuldners im Sinne von § 131 Insolvenzordnung  gegenüber den anderen Insolvenzgläubigern zu beanspruchen, eine solche Deckung im Wege der Zwangsvollstreckung ist vielmehr unterschiedslos für alle Gläubiger inkongruent (MüKolnsO/ Kirchhof, 2. Auflage, § 131 Rnr. 26 mit weiteren Nachweisen). Demnach hat allerdings der Beklagte keine inkongruente Deckung im Sinne von § 131 Insolvenzordnung erhalten.

Soweit die Schuldnerin bei Vornahme der angefochtenen Rechtshandlungen vom 11. 2. Bis einschließlich 11. 3. 2008 zahlungsunfähig gewesen sein sollte, fehlt es an Gesichtspunkten, anlässlich derer anzunehmen wäre, dass der Beklagte die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin kannte (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 Insolvenzordnung) oder Umstände kannte, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin schließen ließen (§ 130 Abs. 2 Insolvenzordnung). Es fehlt deshalb auch hinsichtlich § 130 Insolvenzordnung an der Anfechtbarkeit der Lohnzahlungen.

I. Aus Gründen des Verkehrsschutzes wird der Gläubiger grundsätzlich der Anfechtung nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 Insolvenzordnung erst ausgesetzt, wenn er die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners erkennt. Kenntnis bedeutet für sicher gehaltenes Wissen. Der Gläubiger kennt die  Zahlungsunfähigkeit, wenn er selbst die Liquidität oder das Zahlungsverhalten des Schuldners wenigstens laienhaft so wertet. Die Kenntnis allein der einzelnen Tatsachen, die eine Zahlungsunfähigkeit begründen, genügt für sich nicht. Nach § 130 Abs. 2 Insolvenzordnung steht der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit selbst die Kenntnis solcher Umstände gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen. Die Bestimmung setzt also in diesem Zusammenhang voraus, dass der begünstigte Gläubiger die tatsächlichen Umstände - gleichgültig aus welchen Quellen -  positiv kennt, aus denen die Zahlungsunfähigkeit objektiv folgt. Der Gläubiger - hier der Beklagte - muss also wissen, dass der Schuldner von seinen als fällig eingeforderten Geldschulden einen nicht unwesentlichen Teil (regelmäßig 10%) derzeit nicht erfüllen kann und auch keine konkrete Aussicht hat, hierfür ausreichende und verwendbare Geldmittel in den nächsten drei Wochen zu erlangen. Einen solchen Überblick haben vor allem selbstständige Berater des Schuldners, welche dessen Buchhaltung führen oder mit - letztlich erfolglosen - Sanierungsbemühungen oder der Vorbereitung eines Restschuldbefreiungsverfahrens für ihn beauftragt sind. Dagegen erhalten außenstehende Gläubiger nur selten einen solchen Überblick über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners. Schließlich hat der Insolvenzverwalter - hier der Kläger - auch zu beweisen, dass der Gläubiger bei Vornahme der angefochtenen Resthandlungen die Zahlungsunfähigkeit kannte; freilich genügt im Hinblick auf § 130 Abs. 2 Insolvenzordnung auch der Beweis, dass der Gläubiger diejenigen tatsächlichen Umstände kannte, aus denen sich - aus Rechtsgründen - die Zahlungsunfähigkeit ergibt (MüKolnsO/ Kirchhof a. a. O. § 130 Rnr. 34, 35 und 65 mit weiteren Nachweisen). 

II. Vor diesem rechtlichen Hintergrund fehlt es schon am Vortrag von Tatsachen dazu, dass dem Beklagten im Februar 2008 Umstände bekannt gewesen sein sollten, die zwingend auf eine Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin schließen ließen. Zu Recht weist der Beklagte daraufhin, dass er seine Löhne zwar regelmäßig verspätet, dann aber doch erhalten hat und er sich auf die entsprechende Lohnzahlungspraxis der Schuldnerin eingestellt hatte. Zahlungsschwierigkeiten oder Zahlungsstockungen kommen im Übrigen nicht der Zahlungsunfähigkeit gleich: Dass der Beklagte allerdings gewusst haben sollte von einer endgültigen Einstellung der Lohnzahlungen durch die Schuldnerin etwa ab Februar 2008, hat der Kläger nicht vortragen oder gar unter Beweis stellen können.

III. Die etwaige Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin seit spätestens Februar 2008 (oder schon früher) kann deshalb dahinstehen. Offen bleiben kann ferner, ob der Beklagte wirksam den Einwand der Entreicherung erhoben hat. Die Klage bleibt unbegründet. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO, die Festsetzung des Gegenstandswertes aus den §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ZPO.



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