Arbeitsgericht Ludwigshafen

Urteil vom - Az: 3 Ca 2096/00

Keine Kündigung wegen sexueller Belästigung

Bei sexueller Belästigung hat der Arbeitgeber die im Einzelfall angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen wie Abmahnung,Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen. Im vorliegenden Fall sei jedoch sowohl die ordentliche als auch die außerordentliche Kündigung unverhältnismäßig und damit unwirksam; es habe zunächst eine Abmahnung erteilt werden müssen.

I. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die mit Schreiben vom 18.07.2000 dem Kläger gegenüber am 19.07.2000 ausgesprochene außerordentliche Kündigung nicht beendet wurde.

II. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die mit Schreiben vom 18.07.2000 dem Kläger gegenüber am 19.07.2000 hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung nicht zum 31.03.2001 beendet wurde.

III. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen als Chemiefacharbeiter in der 4 mal 12-Stunden-Wechselschicht in der Dicarbon-Destillation bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen.

IV. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt.

V. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

VI. Der Streitwert wird auf DM 29.326,50 festgesetzt.

 

Tatbestand

Der am ..., geborene Kläger ist bei der Beklagten seit beschäftigt. Zuletzt war er als Chemiefacharbeiter in der ... vier ... mal ... zwölf- Stunden-Wechselschicht ... im Dicarbonsäure-Destillationsbetrieb eingesetzt. Seine Vergütung belief sich zuletzt nach Angaben der Beklagten auf DM ... brutto monatlich, nach eigenen Angaben auf durchschnittlich DM ... brutto.

Am Arbeitsplatz des Klägers sind zwei auszubildende Chemikantinnen, die ihre Ausbildung im August 1999 bei der Beklagten begonnen haben, während der betrieblichen Praxisphase in Normalschicht beschäftigt. Hierbei handelt es sich um die noch minderjährige Frau ... (16 Jahre alt) sowie um die 19-jährige Frau .... Aufgrund eines Vorfalls am 13.06.2000 informierten beide Auszubildende den Betriebsvertrauensmann ... über Verhaltensweisen des Klägers ihnen gegenüber. Nach Einschaltung der Meisterei sowie der Betriebsleitung veranlasste die zuständige Personalreferentin der Beklagten ... eine Sachaufklärung durch den Ermittlungsdienst ein. Nach Anhörung der beiden Auszubildenden am 21.06.2000 sowie des Klägers am 29.06.2000 und eines dritten Auszubildenden, Herrn ..., wurde ein erster Ermittlungsbericht am 30.06.2000 erstellt. Frau ... leitete am 03.07.2000 die Anhörung des Betriebsrates ein, welcher am 06.07.2000 Stellung zur beabsichtigen Kündigung nahm. Aufgrund neuer Tatsachenangaben in der Stellungnahme des Betriebsrates sowie weitergehender Erklärungen des Klägers wurden durch die Beklagte ergänzende Ermittlungen eingeleitet. Im Rahmen der Nachermittlungen wurden die beiden Auszubildenden ... und, die vom Kläger benannten Zeugen ..., ..., der Kläger persönlich sowie der vom Kläger belastete Mitarbeiter ... angehört. Nach Abschluss der Nachermittlungen ging der Nachermittlungsbericht am 11.07.2000 der zuständigen Personalreferentin zu. Der Betriebsrat wurde am 12.07.2000 erneut zur beabsichtigen Kündigung des Klägers angehört. Die Stellungnahme des Betriebsrates erfolgte am 17.07.2000. Mit Schreiben vom 18.07.2000, dem Kläger zugegangen am 19.07.2000, kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31.03.2001.

Der Kläger hat gegen diese Kündigung gerichtet am 31.07.2000 Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Ludwigshafen erhoben. Mit seiner Klagebegründung trägt der Kläger u.a. vor, er müsse die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates mit Nichtwissen bestreiten. Die ihm gegenüber ausgesprochene außerordentliche Kündigung sei bereits aus formellen Gründen unwirksam, denn die Beklagte habe die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist versäumt. Daneben sei die fristlose Kündigung unbegründet, die hilfsweise ausgesprochene fristgerechte Kündigung sozial ungerechtfertigt. Entgegen der Behauptung der Beklagten habe er die beiden Auszubildenden nicht sexuell belästigt. Zwar habe er die beiden Auszubildenden gelegentlich mit dem ausgestreckten Zeigefinger gepiekst. Auch habe er Frau ... hin und wieder mit der Hand über die Haare bzw. die Nase gefahren. Im Hinblick auf ein Herpesbläschen habe er Frau ... gefragt, ob sie einen falschen Kuss bekommen habe. Nicht er, sondern sein Kollege ... hätte daraufhin in den Raum gerufen, dass dies vom falschen Blasen komme. Die sonstigen, ihm gegenüber durch die beiden Auszubildenden erhobenen Beschuldigungen seien unzutreffend.

Die Beklagte begründet die dem Kläger gegenüber mit Schreiben vom 18.07.2000 ausgesprochene Kündigung wie folgt: Der Kläger hat ab März 2000 begonnen, die beiden weiblichen Auszubildenden ... und ... in sexueller Art und Weise zu belästigen. Beinahe jedes Mal, wenn der Kläger parallel zu den beiden Frauen Schichtdienst gehabt habe, habe er ihnen im Betrieb mit dem sogenannten Casanovapfiff hinterhergepfiffen. Des Weiteren habe der Kläger Frau ... und Frau ... in der Messwarte häufiger provozierend angesehen, hierbei die Augenbrauen hochgezogen und beiden zugezwinkert. Beide Auszubildenden hätten dieses Verhalten des Klägers als sehr unangenehm empfunden. Von den weiteren sexuellen Belästigungen sei insbesondere die noch minderjährige Frau ... betroffen gewesen. Der Kläger habe Frau ... des Öfteren angefasst. In mehreren Fällen, deren zeitliche Lage sich habe nicht mehr rekonstruieren lassen, habe er Frau ... über Nase und Haare gefahren. Daneben habe er häufiger versucht, Frau ... an der Seite zu kitzeln bzw. sie in die Seite zu pieksen, wenn sie auf einem Stuhl in der Messwarte gesessen habe. Obwohl sie mit dem Stuhl ausgewichen sei und so zu verstehen gegeben habe, dass sie die Berührung durch den Kläger nicht billige, habe er nicht von ihr abgelassen. Einmal habe der Kläger, als er Frau ... wieder in die Seite pieksen wollte, dabei deren Brust berührt. Frau ... sei über diesen Vorfall  sehr erschrocken gewesen und gehe davon aus, dass der Kläger die Berührung der Brust bemerkt habe. Gleichwohl habe er Frau ... nur angesehen und sei grinsend davon gelaufen. Beide Auszubildenden hätten dem Kläger zwar nie ausdrücklich gesagt, dass er seine Verhaltensweise ihnen gegenüber ändern solle. Beide seien jedoch davon ausgegangen, dass er aufgrund ihrer Reaktionen die Missbilligung seines Verhaltens hätte bemerken müssen. Frau ... sei durch die Annäherungsversuche des Klägers angewidert gewesen. Frau ... habe gegenüber dem Kläger geschwiegen, da sie regelrecht Angst vor ihm gehabt habe. Auch sei sie kein Mensch, der so etwas einem anderen direkt sagen könne. Hilfe habe sie daher erst in Anspruch genommen, nachdem sich die Situation für sie derart zugespitzt habe, dass sie es nicht mehr ausgehalten habe. Ende Mai Anfang Juni sei es zu einem weiteren Vorfall zwischen Frau ... und dem Kläger gekommen. Bei Betreten des betriebseigenen Labors habe Frau ... den Kläger bei Laborgeräten stehen sehen. Als sie ihm entgegengelaufen sei, habe er ihr mit einem Casanovapfiff entgegengepfiffen. Anschließend habe er eine Bewegung in ihre Laufrichtung gemacht und angedeutet, sich ihr in den Weg zu stellen. Mit einem Bogen habe Frau dem Kläger ausweichen können. In diesem Moment sei sie sehr erschrocken gewesen und habe Angst gehabt, dass der Kläger sie wieder anfasse. Am 13.06.2000 habe der Kläger beobachtet, wie Frau ... ein Herpesbläschen an ihrer Lippe eingecremt habe. Hierauf habe er zu der Auszubildenden gemeint, ob sie an der falschen Stelle geblasen habe. Über diese Frage sei Frau ... schockiert gewesen und habe dem Kläger in empörtem Ton geantwortet, dass ihn dies nichts angehen würde. Der Kläger habe im Rahmen der Ermittlungen zwar nur das Pieksen sowie das Streicheln über Haare und Nase eingeräumt. Aufgrund des Ergebnisses der Ermittlungen gehe sie jedoch davon aus, dass die Angaben der beiden Auszubildenden zutreffend seien. Die Einlassungen des Klägers müssten überwiegend als Schutzbehauptungen bewertet werden. Erst nach Anhörung des Betriebsrates habe der Kläger in seiner zweiten Anhörung geäußert, sein Kollege ... habe den Satz „das kommt vom falschen Blasen“ in den Raum gerufen. Zwar habe der Mitarbeiter ... mit seiner Aussage bestätigt, der Kläger habe Frau ... lediglich gefragt, ob sie einen falschen Kuss bekommen habe. Die Glaubwürdigkeit von Herrn ... müsse jedoch bezweifelt werden, da er im Rahmen der ersten Ermittlungen keine verwertbaren Hinweise zu den Belästigungen von Frau ... habe geben können. Darüber hinaus spreche es nicht für die Glaubwürdigkeit von Herrn ..., dass er ausschließlich die Äußerung des Klägers bezüglich des falschen Kusses gehört, aber nicht den angeblichen Ausruf von Herrn ... vernommen haben will. Erstmals mit der Klageschrift habe der Kläger bestritten, überhaupt pfeifen zu können. Verwunderlich sei, dass ihm dies während des gesamten Ermittlungsverfahrens nicht eingefallen sei. Sie habe sich zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung veranlasst gesehen, da der Kläger sein Verhalten gegenüber beiden Auszubildenden über einen Zeitraum von mehreren Monaten verfolgt habe. Aufgrund der Reaktionen der beiden Auszubildenden hätte der Kläger sehr frühzeitig bemerken müssen, dass beide Auszubildenden ein derartiges Verhalten missbilligten. Der Kläger habe gegenüber beiden Auszubildenden, eine Fürsorgefunktion gehabt. Er sei zwar nicht Vorgesetzter der Auszubildenden gewesen. U.a. sei es jedoch auch Aufgabe des Klägers gewesen, die Auszubildenden bei ihrer Tätigkeit bezüglich des Prozessleitsystems zu unterweisen. Insbesondere habe sie berücksichtigen müssen, dass Frau noch minderjährig sei und daher besonderen Schutzes bedürfe. Trotz der ablehnenden Verhaltensweisen der Auszubildenden habe sich der Kläger bei diesen zu keinem Zeitpunkt für sein Verhalten entschuldigt. Nach Mitteilung der Auszubildenden ... habe er das Berühren der Brust bemerken müssen. Obgleich die Auszubildende erkennbar erschrocken gewesen sei, habe der Kläger nur gegrinst. Auch nach Hinweis auf das Herpesbläschen sowie die Mitteilung, dass dies den Kläger nichts angehe, habe der Kläger keine Veranlassung gesehen, sich bei der Au  Obgleich für den Kläger sein Alter und seine bisherige Betriebszughörigkeit spreche, habe sie sich gleichwohl zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung entschieden. Der Kläger habe nämlich durch sein weiteres Verhalten gezeigt, dass er auch nicht davor zurückschrecke, seine Arbeitskollegen grundlos zu beschuldigen. Sie habe es nicht für erforderlich gehalten, vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung dem Kläger aufgrund des festgestellten Fehlverhaltens abzumahnen. Aufgrund des festgestellten Gesamtverhaltens des Klägers habe sie nicht von einem einmaligen Ausrutscher ausgehen können. Sie habe berücksichtigen müssen, dass Frauen bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz oftmals zurückhaltend reagierten, so dass sie bei weiteren Pflichtverletzungen seitens des Klägers im Falle der Weiterbeschäftigung hiervon nicht notwendigerweise erfahren würde. Auch die beiden betroffenen Auszubildenden hätten sich erst nach längerer Zeit geäußert. Zur Wahrung des Betriebsfriedens sowie zur Aufrechterhaltung der Arbeits- und Betriebsdisziplin sei sie daher berechtigt gewesen, deutlich zum Ausdruck zu bringen, dass sie nicht gewillt sei, sexuelle Belästigungen ihrer Mitarbeiter zu dulden und daher die zu deren Schutz vorgesehenen gesetzlichen Maßnahmen konsequent ergreife. Die dem Kläger gegenüber ausgesprochene Kündigung sei jedoch noch aufgrund eines weiteren nachgeschobenen Kündigungsgrundes begründet. Am 08.08.2000 habe der Betriebsleiter des Klägers, Herr ..., von einem Vorfall Kenntnis erlangt, der sich am 18.07.2000 ereignet habe. Nachdem Herr ... am 08.08.2000 durch den Ermittlungsdienst zu diesem Vorfall angehört worden sei, habe man den Betriebsrat am 10.08.2000 ergänzend zu der weiteren Kündigungsbegründung angehört. Der Betriebsrat habe mit Schreiben vom 14.08.2000 Stellung genommen. Der weitere Kündigungsgrund beruhe auf einen Vorfall vom 18.07.2000. Da die Kündigungserklärung dem Kläger erst am 19.07.2000 zugegangen sei, könne dieser Sachverhalt daher ergänzend zur Begründung der streitgegenständlichen Kündigung herangezogen werden. Der Kläger habe in einem Gespräch am 18.07.2000 seinem direkten Vorgesetzten, Herrn ..., gegenüber geäußert, dass daran schuld sei, wenn er entlassen werde. Hierzu habe der Kläger erklärt, dass nicht er, sondern sein Kollege, Herr ..., Frau ... gefragt habe, ob sie an der falschen Stelle geblasen habe. Dies hätten sowohl der Kollege ... als auch der stellvertretende Schichtführer ... in der Messwarte gehört. Der Kläger habe Herrn ... aufgefordert, auf die drei Personen persönlich einzuwirken, damit diese ihre beim Ermittlungsdienst gemachten Angaben in seinem Sinne abändern sollten. Er habe gemeint, Herr ... solle sagen, er habe zwar die Frage „hast du an der falschen Stelle geblasen“ gehört, diese sei jedoch nicht durch den Kläger gestellt worden. Auf die Frage, wer diese Frage geäußert habe,  solle Herr ... antworten, dass er dies nicht wisse. Wenn Herr ... dies derart äußern würde, sei er -der Kläger- aus dem Schneider. Die Ehefrau des Klägers habe Herrn in diesem Zusammenhang einen handschriftlichen Zettel mit dem Namen und der Telefonnummer der Prozessbevollmächtigten des Klägers übergeben. Herr habe diesen Zettel Herrn ... übergeben sollen mit der Mitteilung, er solle sich mit der zuständigen Anwältin in Verbindung setzen und seine Aussage abändern. Der Kläger habe Herrn ... mit Nachdruck gebeten, die Kollegen auf die Situation zu befragen, ob sie nicht doch etwas gehört hätten. Herr ... habe aufgrund des Gespräches mit dem Kläger den Eindruck gewonnen, dem Kläger sei sehr daran gelegen gewesen, dass seine Kollegen den Inhalt ihrer Aussagen zu seinen Gunsten abändern sollten. Dieses Gespräch sei auf Bitten des Klägers zustande gekommen. Der Kläger habe am 18.07.2000 um ein Gespräch mit Herrn gebeten. Herr habe das Ehepaar ... noch am selben Abend zu sich nach Hause eingeladen. Das Gespräch habe gegen 21.00 Uhr zu Hause bei dem Ehepaar ... in ... stattgefunden. Der 18.07.2000 sei einer der letzten Urlaubstage des Herrn ... gewesen. Auch bezüglich des nachgeschobenen Kündigungsgrundes habe der Kläger nicht vor Kündigungserklärung abgemahnt werden müssen. Der Kläger habe versucht, über seinen Vorgesetzten Arbeitskollegen zu einer Falschaussage zu verleiten. Der Kläger habe zum Zeitpunkt des Gespräches gewusst, dass ihm gegenüber eine Kündigung ausgesprochen werde. Er habe daher versucht, Arbeitskollegen im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Kündigungsschutzverfahren zu einer Falschaussage zu veranlassen. Diese Falschaussage habe zu Lasten der Arbeitgeberin, aber auch möglicherweise im Zusammenhang gegenüber dem Gericht erfolgen sollen. Ein derartiges Fehlverhalten könne keinesfalls geduldet werden. Vielmehr sei das Vertrauensverhältnis zum Kläger aufgrund dessen Verhaltens derart zerstört, dass das Arbeitsverhältnis zumutbar nicht mehr habe fortgesetzt werden können. Der Kläger trägt u.a. vor, die Beklagte habe bei Ausspruch ihrer Kündigung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unberücksichtigt gelassen. Richtige Reaktion der Beklagten auf das von dieser festgestellte Fehlverhalten sei der Ausspruch einer Abmahnung sowie gegebenenfalls eine finanzielle Sanktion gewesen. Für ihn sei nicht verständlich, aufgrund welcher Tatsachen die Beklagte den beiden Auszubildenden glaube, seine Sachverhaltsdarstellung aber bei ihrer Entscheidung unberücksichtigt lasse. Bei seiner ersten Anhörung durch den Ermittlungsdienst sei er noch davon ausgegangen, dass sein Kollege selbst zu seiner Äußerung stehe und diese dem Ermittlungsdienst gegenüber angebe. Unrichtig sei, dass er hinter den beiden Auszubildenden immer wieder mit einem Casanovapfiff hinterhergepfiffen habe. Wenn es solche Pfiffe gegeben habe, dann nicht durch ihn. Denn aufgrund einer Zahnprothese sei es ihm überhaupt nicht möglich, derart zu pfeifen. Er könne sich nicht daran erinnern, sich Frau ... im Labor einmal bewusst in den Weg gestellt zu haben. Wenn dies tatsächlich so empfunden worden sei, dann versehentlich und keineswegs mit der Absicht, Frau ... in irgendeiner Art und Weise zu belästigen bzw. zu erschrecken. Eine Erinnerung an einen derartigen Vorfall habe er jedoch nicht. Er könne sich nicht daran erinnern, Frau ... irgendwann einmal an der Brust berührt zu haben. Da er dies zu keinem Zeitpunkt festgestellt habe, habe er sich bei Frau ... diesbezüglich auch nicht entschuldigen können. Als Frau ... sich das Herpesbläschen eingecremt habe, habe er nur eine Äußerung getan, die im hiesigen Raum bezogen auf ein Herpesbläschen durchaus üblich sei. Der schwerwiegendere Ausspruch sei durch seinen Kollegen ... in den Raum gerufen worden. Hin und wieder habe er die Auszubildende in die Seite gepiekst. Auch räume er das Streichen über die Haare ein. Beide Verhaltensweisen seien von ihm aber ohne jegliche sexuelle Absicht erfolgt. Hintergrund sei vielmehr gewesen, dass sich die Auszubildenden in der Messwarte auf ihren Stühlen derart hingeflegelt hätten, dass ein Vorbeigehen nahezu unmöglich gewesen sei. Die Auszubildenden hätten mehr auf den Stühlen gelegen, als ordentlich gesessen. Da Worte nichts genutzt hätten, habe er schließlich zum Pieksen gegriffen. Zumindest danach hätten sich die Auszubildenden kurzfristig ordentlich hingesetzt, so dass ein Vorbeigehen für andere Mitarbeiter problemlos möglich gewesen sei. In diesem Zusammenhang sei auch das Streicheln über die Haare zu sehen. Er habe hierdurch die Einsicht der Auszubildenden loben wollen. Aufgrund des Verhaltens der Auszubildenden sei ihm nicht erkennbar gewesen, dass diese sein Verhalten missbilligt hätten. Wenn dies für ihn erkennbar gewesen wäre, hätte er sein Verhalten sofort geändert. Er sei bei der Beklagten 30 Jahre lang beschäftigt. Er sei in einem Alter, aufgrund dessen er nur äußerst schwer eine andere Beschäftigung finden könne. Darüber hinaus sei im hiesigen Raum eine Beschäftigung als Chemikant überwiegend nur bei der Beklagten möglich. Umschulungsmaßnahmen in seinem Alter erfolgten nahezu keine mehr. Erdnüsse daher davon ausgehen, nach Ablauf des Bezuges von Arbeitslosengeld ausschließlich auf Arbeitslosenhilfe angewiesen zu sein. Dies bis zu dem Zeitpunkt, ab welchem er in Rente gehen könne. Er habe zwar keine unterhaltspflichtigen Kinder mehr, unterstütze aber seine Familie aufgrund deren finanzieller Situation. Darüber hinaus habe er selbst noch einen Kredit abzutragen. All diese Nachteile habe die Beklagte bei ihrer Personalentscheidung unberücksichtigt gelassen. Die weitere Kündigungsbegründung habe die Beklagte nicht mehr nachschieben können, denn das Gespräch bei Herrn ... habe nach seinen Feststellungen am 08.08.2000 oder 09.08.2000 stattgefunden. Bei dem fraglichen Treffen habe er zu Herrn bei der Begrüßung gesagt, man habe ihn entlassen. Auf die Frage, ob er die Kündigung habe, habe er mit ja geantwortet. Herr ... habe in seinem Gespräch geäußert, dass heute sein letzter Urlaubstag sei und er am kommenden Sonntag seine erste Schicht habe. Das Gespräch zwischen ihm und Herrn ... habe daher erst nach Ausspruch der Kündigung stattgefunden. Vor diesem Gespräch habe er noch seinen Bruder besucht, der am nächsten Tag zur Kur gefahren sei. Aus diesem Grunde habe das Gespräch bei der Familie ... auch erst gegen 21.00 Uhr begonnen. Die von der Beklagten in diesem Zusammenhang dargestellten Fragen und Äußerungen habe nicht er, sondern seine Ehefrau gegenüber Herrn ... getan. Er habe sich überwiegend mit Frau unterhalten. Seine Ehefrau habe gegenüber Herrn ... behauptet, dass es gut wäre, wenn Herr ... seine Aussage hinsichtlich ihres Mannes widerrufen würde. In diesem Zusammenhang habe seine Ehefrau Herrn ... auch die Adresse seiner Prozessbevollmächtigten mit der Bitte übergeben, diese an Herrn ... weiterzuleiten. 

Der Kläger beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 18.07.2000, zugegangen am 19.07.2000, nicht aufgelöst worden ist.

 2. Festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 18.07.2000, zugegangen am 19.07.2000, nicht aufgelöst worden ist. 

3. Die Beklagte zu verurteilen, ihn zu den bisherigen Bedingungen als Chemiefacharbeiter in der 4 mal 12-Stunden-Wechselschicht in der Dicarbon-Destillation über den Ablauf der Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. 

4. Die Beklagte zu verurteilen, ihm ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt, hilfsweise für den Fall, dass die Feststellungsanträge Ziff. 1 und 2 abgewiesen werden, die Beklagte zu verteilen, ihm ein endgültiges Zeugnis, das sich auf Führung und Leistung erstreckt zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,
die Klageanträge abzuweisen.

Die Beklagte trägt u.a. des Weiteren vor, sie habe keinerlei Veranlassung, die Glaubwürdigkeit der angebotenen Zeuginnen ... und ... anzuzweifeln. Keine der beiden Auszubildenden hätten ein Motiv, den Kläger durch eine Falschaussage in Bedrängnis zu bringen. Dagegen müsse aufgrund des Verhaltens des Klägers bezweifelt werden, inwieweit dieser wahrheitsgemäß vortrage. Viele seiner Behauptungen seien als Schutzbehauptungen aufzufassen. An der Glaubwürdigkeit des Klägers zu zweifeln, bestehe für sie wesentlich größere Veranlassung. Aufgrund der anfänglichen Zurückhaltung der beiden Auszubildenden ... und ... sei es nicht mehr möglich, jeden einzelnen Vorfall zeitlich genau zu präzisieren. Der Kläger habe aber die von ihr dargestellten Verhaltensweisen gegenüber beiden Auszubildenden mehrfach gezeigt. Er habe Frau ... mehrfach über Nase und Haare gestrichen. Er sei auch gelegentlich mit den Auszubildenen ... und ... allein in der Messwarte gewesen. Frau ... und Frau ... seien durchaus in der Lage, zwischen provozierenden Blicken und durch das Tragen einer Brille verursachten Blicke zu unterscheiden. Wenn der Kläger behaupte, dass das Hochziehen der Augenbrauen und das Runzeln der Stirn mit dem Tragen einer Brille in Zusammenhang gestanden habe, sei dies erneut eine einfallsreiche Variante, um sich vom Vorwurf der sexuellen Belästigung rein zu waschen. Herr ... habe das Gespräch mit dem Kläger auf den 18.07.2000 datiert. Unrichtig sei, dass die Ehefrau des Klägers Herrn ... gebeten habe, auf die anderen Mitarbeiter Einfluss zu nehmen. Die Ehefrau des Klägers habe lediglich die Anschrift der Prozessbevollmächtigten des Klägers übergeben. Die relevanten Äußerungen in Bezug auf die Zeugenbeeinflussung habe hingegen der Kläger selbst getätigt. Zur Ergänzung des Sachvortrages beider Parteien sowie der Prozessgeschichte wird auf den Inhalt der gegenseitig gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie der Sitzungsniederschriften Bezug genommen (§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, §§ 495, 313 Abs. 2 ZPO).

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde durch die mit Schreiben vom 18.07.2000 dem Kläger gegenüber am 19.07.2000 ausgesprochene Kündigung weder außerordentlich noch ordentlich zum 31.03.2001 beendet. Die Beklagte ist daher verpflichtet, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen als Chemiefacharbeiter in der 4 mal 12-Stunden-Wechselschicht in der Dicarbon-Destillation bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen. Im Hinblick auf den laufenden Kündigungsschutzrechtsstreit ist die Beklagte des Weiteren verpflichtet, dem Kläger ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt. Dieses Ergebnis beruht auf nachfolgenden wesentlichen Erwägungen (§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, §§ 495, 313 Abs. 3 ZPO):

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes Anwendung, denn die diesbezüglichen Eingriffsvoraussetzungen (Beschäftigungsdauer und Betriebsgröße) liegen vor (§§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG). Der Kläger hat nach Zugang der Kündigungserklärung der Beklagten am 31.07.2000 Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht Ludwigshafen innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist gemäß § 4 Satz 1 KSchG erhoben. Das Arbeitsgericht Ludwigshafen war daher befugt, die dem Kläger gegenüber ausgesprochene außerordentliche Kündigung auf ihre Begründetheit hin zu überprüfen (§ 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG). Darüber hinaus konnte die dem Kläger gegenüber vorsorglich ausgesprochene ordentliche Kündigung auf ihre soziale Rechtfertigung hin überprüft werden. Zur Begründung ihrer Entscheidung weist die Kammer zunächst daraufhin, dass sie nach Durchführung der Kammerverhandlung unter Berücksichtigung des Sachvortrages der Beklagten zu der einstimmigen und vollen Überzeugung gelangt ist, dass die dem Kläger gegenüber mit Schreiben vom 18.07.2000 am 19.07.2000 ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses -sowohl als außerordentliche als auch als ordentliche Kündigung- unwirksam ist, da den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit missachtend.

Soweit der Kläger die Einhaltung der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist gemäß § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB gerügt hat, kann die Kammer der diesbezüglich vom Kläger vorgetragenen Rechtsauffassung nicht folgen. Ergeben sich im Zusammenhang mit dem Anhörungsverfahren gemäß § 102 BetrVG neue tatsächliche Anhaltspunkte, so darf und -nach Ansicht der Kammer- muss die Arbeitgeberin gegebenenfalls wieder in das Ermittlungsstadium eintreten und weitere Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhaltes durchführen. Dies hat zwar ohne zeitliche Verzögerung zu geschehen. Dass die Beklagte hiergegen jedoch verstoßen hat, kann von der Kammer abstellend auf die durch Ermittlungsberichte und Betriebsratsanhörung erkennbaren Zeitdaten nicht nachvollzogen werden. Ausweislich der zur Gerichtsakte gereichten Unterlagen bestehen auch bezüglich der Anhörung des Betriebsrates weder formelle noch inhaltliche Bedenken. Die dem Kläger gegenüber ausgesprochene Kündigung ist im Hinblick auf die Frage ihrer Rechtswirksamkeit daher vor allem gemäß § 626 BGB bzw. unter Berücksichtigung des § 1 Abs. 2 KSchG zu überprüfen.

Ein zur Begründung einer außerordentlichen Kündigung erforderlicher „wichtiger“ Grund ist gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zugemutet werden kann, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung fortzusetzen. Die „Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles“ und die „Abwägung der Interessen beider Vertragsteile“ stellen klar, dass es keine unbedingten (absoluten) Kündigungsgründe gibt (BAG 15.11.1984 - DB 1986, 50). So kann ein und derselbe Verstoß gegen die Pflichten aus dem Arbeitsvertrag wegen unterschiedlicher sozialer Daten bei dem einen Mitarbeiter die außerordentliche Kündigung begründen, bei dem anderen nicht. Anders herum: Wer jung, auf dem Arbeitsmarkt leicht vermittelbar und noch nicht lange beschäftigt ist, muss eher mit einer fristlosen Kündigung rechnen, als der langjährig beschäftigte ältere Familienvater. Wenn wir von einem „wichtigen Grund“ reden, sprechen wir daher nur stets davon, dass ein bestimmtes Verhalten „an sich geeignet ist“, eine außerordentliche Kündigung zu begründen -sogenannter objektiver Kündigungsgrund-. Die Interessenabwägung im Einzelfall entscheidet bei Vorlage der wichtigen Gründe in einem zweiten Schritt über die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung. Es muss festgelegt werden, ob der Wunsch des Kündigenden an einer möglichst schnellen Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Einzelfall höher zu bewerten ist als der seines Vertragspartners, zumindest für die Dauer der Kündigungsfrist beschäftigt zu bleiben. Diese Interessenabwägung konkretisiert sich auf arbeitsvertraglich relevante Umstände: die Dauer der Betriebs Zugehörigkeit ist stets zu beachten (BAG 13.12.1984 - NZA 1985, 288), nicht immer Unterhaltsverpflichtungen (BAG 02.03.1989 - DB 1989, 1679). Pflichtverstöße des Arbeitnehmers müssen dabei stets konkrete betriebliche oder wirtschaftliche Auswirkungen zeigen (BAG 17.03.1988 - DB 1989, 329). Bei der generellen Eignung eines Tatbestandes, die außerordentliche Kündigung zu begründen, geht es nicht darum, ob dem Arbeitgeber zuzumuten ist, den Mitarbeiter auf Dauer weiter zu beschäftigen. Es geht allein darum, ob es für ihn unzumutbar ist, den Gekündigten für die Dauer der Kündigungsfrist bzw. bis zum Ablauf einer vereinbarten Befristung des Arbeitsverhältnisses zu beschäftigen. Hieraus folgt zweierlei. Bei kurzen Kündigungsfristen wird die Weiterbeschäftigung eher zuzumuten sein als bei längeren. Wer außerordentlich kündigt, muss einen strengeren Maßstab anlegen als bei der ordentlichen Kündigung. Was eine fristlose Kündigung begründet, reicht zwar stets für die ordentliche Kündigung. Umgekehrt kann eine außerordentliche Kündigung nicht rechtfertigen, was als soziale Rechtfertigung der ordentlichen Kündigung gerade ausreicht. Die außerordentliche Kündigung ist nur wirksam, wenn sie die unausweichlich letzte Maßnahme für den Kündigenden darstellt. Alle anderen, nach den jeweiligen Umständen für ihn zumutbaren anderen Mittel wie Abmahnung, Versetzung, Änderungskündigung, ordentliche Kündigung müssen erschöpft oder dem Kündigenden nicht mehr zuzumuten sein. Eine außerordentliche Kündigung lässt sich nur auf Sachverhalte stützen, die sich konkret nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken (BAG 17.03.1988 -Der Betrieb 1989, 329-). Da die fristlose Kündigung für die Vergangenheit nichts mehr regeln kann, kommt es für ihre Begründung allein auf die Auswirkungen kündigungsbegründender Ereignisse in der Zukunft an. Selbst schwerwiegende Vorfälle sind unerheblich, wenn sie das Arbeitsverhältnis in Zukunft nicht mehr belasten. Die fristlose Kündigung dient nicht der Vergeltung. Sie dient dem Interesse des Kündigenden, möglichst schnell aus einer für ihn auf Dauer unzumutbaren Situation herauszukommen. So ist es auch Sache des Kündigenden, im Rahmen des für ihn Zumutbaren dafür zu sorgen, dass künftige Belastungen vermieden werden (vgl. zu Vorstehendem so auch Eisemann in Küttner, Personalbuch 2000, 7. Auflage, 245 Rn. 30 ff.). Die außerordentliche Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen setzt grundsätzlich voraus, dass der Gekündigte rechtswidrig und schuldhaft seine vertraglichen Pflichten verletzt hat. Im Einzelfall aber kann ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers die betriebliche Ordnung derart nachhaltig stören, dass der Arbeitgeber selbst dann außerordentlich kündigen darf, wenn dem Arbeitnehmer sein Verhalten nicht vorwerfbar ist (BAG 21.01.1999 - 2 AZR 665/98). Bei einer außerordentlichen Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen ist regelmäßig eine vergebliche Abmahnung erforderlich, soweit die Vertragsverletzung den Leistungsbereich betrifft (BAG 10.11.1988 - DB 1989, 1427). Bei Pflichtverletzungen im Vertrauensbereich ist eine Abmahnung zwar grundsätzlich entbehrlich (BAG 10.11.1988 - DB 1989, 1427). Eine Abmahnung im Vertrauensbereich wird allerdings dann für erforderlich gehalten, wenn es um ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers geht und eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann (BAG 04.06.1997 - NZA 1997, 1281) oder der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber nicht als erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Verhalten angesehen (BAG 09.01.1986 - DB 1986, 1339). Ein Arbeitgeber ist aufgrund seiner Fürsorgeverpflichtung gegenüber Arbeitnehmern und Auszubildenden verpflichtet, diese vor Belästigungen durch Dritte am Arbeitsplatz zu schützen. Zur Bekämpfung der wohl gravierendsten Belästigungsart -sexuellen Belästigung- ist am 01.09.1994 das Beschäftigtenschutzgesetz (BSchuG) in Kraft getreten. Gemäß § 2 Abs. 2 BSchuG wird der Begriff der sexuellen Belästigung wie folgt definiert: 

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist jedes vorsätzliche, sexuell bestimmte Verhalten, das die Würde von Beschäftigten am Arbeitsplatz verletzt. Im Rahmen einer beispielhaften Aufzählung werden sexuelle Handlungen und Verhaltensweisen, die nach straf gesetzlichen Vorschriften unter Strafe gestellt sind, sowie sonstige sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührung, Bemerkungen sexuellen Inhaltes sowie Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellung benannt, die von den Betroffenen abgelehnt werden. Diese bewusst beispielhaft gehaltene Aufzählung ist nicht abschließend. Gleichwohl müssen andere Fallgruppen wertungsmäßig vergleichbar sein, um die Normanforderung zu erfüllen. Wenden sich sexuell belästigte Arbeitnehmer an den Arbeitgeber, so muss dieser gemäß § 3 Abs. 2 BSchuG die Beschwerde prüfen. Stellt er dabei eine tatsächlich erfolgte Belästigung fest, so ist er verpflichtet, geeignete  Maßnahmen zur Unterbindung dieser Belästigung zu treffen. Die Prüfungspflicht des Arbeitgebers gilt in den allgemeinen rechtlichen Grenzen. Insbesondere ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Der Arbeitgeber muss aber alle ihm zur Verfügung stehenden Aufklärungsmittel ausschöpfen. Steht die Belästigung danach fest, stellt sich die Frage nach der angemessenen Sanktionierung. Diese ist im Einzelfall nach den Gesamtumständen, insbesondere der Schwere des Verstosses und der Wiederholungsgefahr zu beurteilen. Sie kann von einer einfachen Ermahnung, einer Abmahnung und Versetzung bis hin zur außerordentlichen Kündigung reichen (vgl. BAG 09.01.1986 - DB 1986, 943 sowie LAG Hamm 22.10.1996 - DB 1997, 482). § 4 Abs. 1 Ziff. 1 BSchuG formuliert dies u.a. wie folgt:

Bei sexueller Belästigung hat 

1. der Arbeitgeber die im Einzelfall angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen wie Abmahnung,Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen .... Trotz des zwischen beiden Parteien umstrittenen Sachverhaltes hat die Kammer davon abgesehen, eine Beweisaufnahme durch Vernehmung der von beiden Parteien angebotenen Zeugen/Zeuginnen durchzuführen. Veranlassung hierfür war, dass die Kammer aufgrund des von der Beklagten dargestellten Sachverhaltes einstimmig zu der vollen Überzeugung gelangt ist, dass die von der Beklagten im Hinblick auf den von dieser festgestellten Sachverhalt getroffene Personalentscheidung unverhältnismäßig ist. Die Kammer hat sich zu Beginn der Kammerverhandlung ein persönliches Bild vom Kläger und den beiden betroffenen Auszubildenden gemacht. Die Kammer verkennt nicht, dass es vor allem für die minderjährige äußerst unangenehm und belästigend gewesen sein muss, von dem über 50 jährigen Kläger körperlich berührt worden zu sein. Gerade diese körperlichen Berührungen sind nach Ansicht der Kammer wesentlich schwerwiegender als die von beiden Parteien stärker in den Vordergrund gestellte verbale, die Person der Auszubildenden missachtende Äußerung des Klägers. Gleichwohl muss nach voller Überzeugung der Kammer das von der Beklagten dem Kläger kündigungsbegründend vorgehaltene Fehlverhalten in die Abstufung sexueller Belästigungen eingeordnet werden. 

§ 2 Abs. 2 BSchuG definiert den Begriff der sexuellen Belästigung durch eine allgemeine Umschreibung und zwei erläuternde (nicht abschließende) Beispiele. Die allgemeine Umschreibung verweist auf vorsätzliches Verhalten, das sexuell bestimmt „ist“. Nach der systematischen Konzeption der Norm ist die Belästigung generell als sexuell bestimmtes Verhalten definiert, das beispielshaft in Satz 2 Nr. 1 in Form von strafrechtlich relevanten Handlungen/Verhaltensweisen angeführt ist. Folglich liegt eine sexuelle Belästigung vor, wenn sexuelle Handlungen und Verhaltensweisen, die nach den strafgesetzlichen Vorschriften unter Strafe gestellt sind, festgestellt werden können. Daneben sind sexuelle Belästigungen dann gegeben, wenn sonstige sexuelle Handlungen und Aufforderung zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen vorliegen, wenn sie von den Betroffenen erkennbar abgelehnt werden. Der Begriff des Verhaltens ist derart weit, dass jede bewusste Lebensäußerung darunter zu fassen ist: 

Berühren, Ansprechen, sonstige Äußerungen, Gesten, Blicke, Zeigen usw. Eingegrenzt wird dies durch das Erfordernis des sexuell bestimmten, vorsätzlichen Verhaltens. Wann Handlungen sexuell bestimmt sind, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Es ist hierbei jedoch auf abstrakter Ebene der Eindruck von objektiven Beobachtern (männlich/weiblich) als akzeptabler Maßstab anzusehen. Vorsätzliches Verhalten setzt bewusste und gewollte Belästigung voraus; der Belästigende muss also zumindest billigend in Kauf genommen haben, dass sein Verhalten für die Betroffenen eine Belästigung im Sinne des Abs. 2 darstellt. Fehlendes Unrechtsbewusstsein schließt den Vorsatz nicht aus. Doch muss die Wirkung des Verhaltens als belästigend vorhersehbar gewesen sein. Hierbei kann davon ausgegangen werden, dass zwischen Männern und Frauen eine vergleichsweise hohe Übereinstimmung darüber besteht, dass als sexuelle Belästigung verstanden werden: Erzwingen sexueller Handlungen und tätliche Bedrohung; zur Schaustellung des Genitales; aufgedrängte Küsse; Aufforderung zu sexuellem Verkehr; Versprechen beruflicher Vorteile für sexuelle Gefälligkeiten; Androhung beruflicher Nachteile bei Verweigerung derartiger Gefälligkeiten; Berühren der Brust/Genitalien; Gespräche/Briefe mit sexuellen Anspielungen; Kneifen oder Klapsen des Gesäßes; Einladungen mit eindeutiger Absicht; abzügliche Bemerkungen über die Figur oder das sexuelle Verhalten im Privatleben; pornographische Bilder am Arbeitsplatz. (Vergleiche zu Vorstehendem so Schlachter in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 1. Auflage, Beschäftigtenschutzgesetz (Nr. 190) § 2 Anmerkung 3 und 4). Für die Kammer steht außer Frage, dass ein strafbares Verhalten im Arbeitsverhältnis eine Pflichtverletzung im Sinne des § 2 Abs. 3 BSchG darstellt. Hierbei kommen insbesondere in Betracht sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen oder Abhängigen (§ 174 StGB), sexuelle Nötigung (§ 178 StGB), Vergewaltigung (§ 177 StGB) etc. Gegebenenfalls kann nach Auffassung der Kammer auch Beleidigung (§ 185 StGB) in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen sein. Daneben sollte zur Feststellung einer sexuellen Belästigung jedenfalls die Tatbestandsmäßigkeit der Verletzung von Normen des Sexualstrafrechtes genügen, um den Schutzbereich des § 2 Abs. 2 Nr. 1 BSchuG nicht zu weit einzuschränken. Sonstige sexuell bestimmte Verhaltensweisen sind alle nicht strafrechtlich relevanten Handlungen mit sexuellem Bezug. Diese enthalten dann eine Belästigung, sofern sie von dem Betroffenen erkennbar abgelehnt werden. Sexuelle Handlungen/Berührungen sind unabhängig von einer besonderen Schwere als Belästigung anzusehen. Bemerkungen sexuellen Inhaltes sind Äußerungen über sexuelles Verhalten, Partnerwahl, sexuelle Neigungen oder die Ausstrahlung und das Erscheinungsbild An- oder Abwesender. Ausreichend ist hierbei, dass ein Klima der Belästigung erzeugt wird. Die Gefahr einer Überbewertung wird dadurch ausgeschlossen, dass derartige Verhaltensweisen dann eine Belästigung darstellen, wenn sie von den Betroffenen erkennbar abgelehnt werden. Sexuelle Belästigung liegt vor, wenn jemandem ein unerwünschtes Verhalten mit sexuellem Hintergrund aufgedrängt wird. Da es sich dabei gemäß § 2 Abs. 3 BSchuG um eine Vertragspflichtverletzung handelt, muss die Tatbestandsverwirklichung für den Handelnden vermeidbar, d.h. zumindest auch erkennbar gewesen sein. Handlungen, deren Einbeziehung in die Tatbestände nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 BSchuG subjektiv unterschiedlich beurteilt werden kann, müssen von den Betroffenen deutlich abgelehnt worden sein, um sie als Pflichtverletzung einzuordnen. Bei hinreichend schweren Fällen ist die Ablehnung durch Betroffene auch ohne ausdrücklich vorangegangene Erklärung für jeden erkennbar. Abzustellen ist auf einen objektiven Maßstab, ein lediglich subjektiv unerwünschtes Verhalten soll nicht genügen. Insoweit gilt allerdings zu berücksichtigen, dass die Empfehlungen der EG-Kommission weitergehend sind. Artikel 1 der Empfehlung läßt nämlich genügen, dass „ein solches Verhalten für die Betroffene unerwünscht, unangebracht und anstößig ist“. Insoweit wird folglich auf die subjektiven Vorstellungen Betroffener abgestellt (vgl. zu Vorstehendem Schlachter a.a.O. Rn. 5-12 mit weiteren Nachweisen). Die Kammer vermag der Auffassung der Beklagten nicht zu folgen, dass vorliegend strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Klägers gemäß § 174 StGB vorliegt. Insoweit fehlt es nach Ansicht der Kammer an der Erfüllung der entsprechenden objektiven Tatbestandsvoraussetzungen. § 174 StGB kann nicht dahingehend ausgeweitet werden, dass Auszubildende im Verhältnis zu sämtlichen, mit ihnen in beruflichen Kontakt tretenden Personen als Schutzbefohlene oder Abhängige angesehen werden können. Denkbar erscheint der Kammer hingegen, dass vorliegend das Verhalten des Klägers gegenüber beiden Auszubildenden unter strafrechtlicher Betrachtungsweise einen Fall der Beleidigung gemäß § 185 StGB darstellen könnte. Darüber hinaus ist das Verhalten des Klägers, soweit von ihm selbst eingeräumt, unter § 2 Abs. 2 BSchuG zu subsumieren. Zweifelhaft könnte zwar sein, inwieweit das vom Kläger eingeräumte Verhalten von den Auszubildenden erkennbar abgelehnt wurde. Nach Ansicht der Kammer ist eine konkrete Feststellung dieser erkennbaren Ablehnung aber dann nicht mehr erforderlich, wenn diese sich aus den objektiven Umständen selbst ergibt. Die noch minderjährige Auszubildende ... erscheint ihrem Entwicklungsstand nach ein ruhiges und verschlossenes Mädchen zu sein, bei welchem die Kammer den Begriff des Mädchens eher als die Bezeichnung junge Frau für angebracht sieht. Der Kläger hingegen ist ein über 50 jähriger Mann, der fast der Großvater der Auszubildenden sein könnte. Es ist nach Ansicht der Kammer daher geschmacklos und in keinster Weise zu verstehen, aufgrund welcher Tatsachen sich der Kläger berechtigt gesehen will, die minderjährige Auszubildende körperlich des Öfteren durch Pieksen und Stechen und gelegentlich durch Streicheln berühren zu dürfen. Dieses, vom Kläger eingeräumte Verhalten stellt nach Ansicht der Kammer daher eine Pflichtverletzung im Sinne des § 2 Abs. 3 BSchuG dar. Ebenso, müssten nach Ansicht der Kammer die weiteren, von der Beklagten dargestellten, zwischen den Parteien umstrittenen Verhaltensweisen des Klägers bewertet werden. Das auf beide Auszubildende erfolgte Hinterherpfeifen, das in den Wegstellen sowie die im Zusammenhang mit dem Herpesbläschen dargestellten Äußerungen sind gleichfalls Handlungen, die Mißachtung gegenüber den Auszubildenden, insbesondere gegenüber der minderjährigen Auszubildenden zum Ausdruck gebracht haben. Dass die Kammer gleichwohl nicht in eine Beweisaufnahme eingetreten ist, ergibt sich aus folgendem:

Gemäß § 4 Abs. 1 Ziff. 1 BSchuG hat der Arbeitgeber die im Einzelfall angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen. Der Arbeitgeber hat folglich angemessene Maßnahmen gegen die festgestellte sexuelle Belästigung zu ergreifen. Welches der im Gesetz (nicht abschließend) genannten Sanktionsmittel im konkreten Fall angemessen ist, ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit, hängt also von der Schwere des Vorfalls sowie dem Umstand ab, ob es sich um eine erstmalige oder eine wiederholte Verfehlung handelt. Die im Gesetz genannte Abmahnung ist als eigenständiges Sanktionsmittel zu sehen. Sie wird als nicht erforderlich angesehen, wenn sie als „angemessene“ Maßnahme nicht genügt. Bei wiederholtem Fehlverhalten von einigem Gewicht ist in der Rechtsprechung eine Kündigung auch ohne Abmahnung anerkannt. Eine Kündigung wurde als angemessene Sanktion sexueller Belästigung anerkannt. Beispielsweise bei intimen Berührungen einer Auszubildenden durch den Ausbilder bzw. bei Berühren einer Kollegin an der Brust nach vorangegangen verbalen Belästigungen (vgl. hierzu Schlächter a.a.O., BSchuG (Nr. 190), § 4 Rn. 1 mit weitern Nachweisen). Unterstellt, das von der Beklagten umfassend dargestellte Verhalten des Klägers sei so gegeben, wie von der Beklagten vorgetragen, so ergibt sich nach voller Überzeugung der Kammer gleichwohl vorliegend für die Beklagte nicht die Notwendigkeit des Ausspruches einer außerordentlichen Kündigung. Dies deshalb, weil die dem Kläger vorgehaltenen Handlungen und Äußerungen ihrer Art und Schwere nach einer unteren Stufe sexueller Belästigungen zuzurechnen sind. Für die harte Reaktion der Beklagten spricht zwar, dass die auch vom Kläger eingeräumten Berührungen der Auszubildenden über einen längeren Zeitraum erfolgt sind. Nicht ausgeschlossen werden kann aber, dass diese Berührungen auch im Hinblick auf die Sitzweise der Auszubildenden erfolgten, ist diese doch auch dem Auszubildenden aufgefallen, wie dieser in seiner Aussage vor dem Ermittlungsdienst am 30.06.2000 ausgeführt hat (ergänzend muss ich noch erwähnen, dass die Angaben von Herrn insofern richtig sind, dass insbesondere Frau ... oftmals provozierend im Stuhl in der Messwarte liegt. Dies bedeutet, dass sie breitbeinig mehr oder weniger im Stuhl liegt und diese Haltung nicht ändert, wenn jemand die Messwarte betritt. Ich selbst finde diese Verhaltensweise auch nicht in Ordnung). Demgegenüber ist seitens des Klägers zu berücksichtigen, dass dieser seit über 30 Jahren bei der Beklagten beschäftigt ist und als über 50-jähriger nicht ohne Weiteres einen anderen vergleichbaren Arbeitsplatz finden dürfte. Darüber hinaus ist der Kläger verheiratet und seiner nicht berufstätigen Ehefrau unterhaltsverpflichtet. Berücksichtigt man diese Ausgangspositionen, d.h. die Art und die Schwere der von der Beklagten dargelegten sexuellen Belästigungen sowie die Sozialdaten des von einer Personalentscheidung betroffenen Arbeitnehmers, so hätte die Beklagte nach voller Überzeugung der Kammer vor Ausspruch einer Kündigung Maßnahmen ergreifen müssen, die den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses derzeit noch ermöglichen, die Rechtspositionen der Beklagten und der betroffenen Auszubildenden aber hinreichend berücksichtigen. Insoweit hätte dem Kläger gegenüber eine Abmahnung aufgrund des von den Auszubildenden mitgeteilten Verhaltens des Klägers ausgesprochen werden können. Darüber hinaus hätte dem Kläger aufgegeben werden können, sich wegen seines gezeigten Verhaltens -gegebenenfalls auch nur soweit eingeräumt- bei den Auszubildenden zu entschuldigen. Die Beklagte hätte darüber hinaus im Rahmen einer Besprechung der von ihr gewonnenen Ermittlungsergebnisse im betroffenen Betrieb allgemein klarstellen können, dass derartige Verhaltensweisen in keinster Weise geduldet werden, arbeitsrechtliche. Sanktionen nach sich ziehen und sogar -bei fehlender Einsichtigkeit- zum Verlust des Arbeitsplatzes führen können. Schließlich hätte die Beklagte über die bei ihr bestehende Kommission gegenüber dem Kläger auch auf eine finanzielle Belastung im Hinblick auf das gezeigte Fehlverhalten einwirken können. Gerichtlicherseits wird hierbei davon ausgegangen, dass die Kommission eine angemessene, aber auch warnende, dem Kläger merklich finanziell belastende Entscheidung getroffen hätte. Für die Kammer ist nicht erkennbar, aus welchem Grunde die Beklagte von diesen, ihr zur Verfügung stehenden Maßnahmen keinen Gebrauch gemacht hat. Allein der Umstand, dass es sich bei den betroffenen Personen um weibliche Auszubildende handelte, dass der Kläger die minderjährige ... mehrfach über längeren Zeitraum körperlich berührt hat, dass die minderjährige aufgrund des Verhalten des Klägers eingeschüchtert war und dass der Kläger sich gegebenenfalls auch verbal stark abschätzend gegenüber der Auszubildenden geäußert hat, verdeutlichen nach Ansicht der Kammer nicht ausreichend, weshalb man nicht die vorstehend aufgezeigten milderen Maßnahmen ergriffen hat, um auch die für den Kläger sprechenden Umstände angemessen zu berücksichtigen. Die Kammer geht mit voller Überzeugung davon aus, dass der Kläger nach Ergreifen der vorstehend dargestellten milderen Maßnahmen zukünftig sexuell belästigend nicht mehr aufgefallen wäre. Keinesfalls muss nämlich erwartet werden, dass der Kläger den Bestand seines Arbeitsverhältnisses als seine einzige Existenzgrundlage durch derart unbedachtes Fehlverhalten zukünftig nochmals gefährden wird. Nach Ausspruch einer Abmahnung wäre der Kläger einschlägig vorgewarnt. Bei wiederholtem Fehlverhalten im Sinne einer sexuellen Belästigung -dann auch bei geringer Schwere- müsste das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger durch die Beklagte außerordentlich aufgekündigt werden. Diese Warnung und diese Gefahr allein deshalb nicht für ausreichend zu erachten, weil sich betroffene Mitarbeiterinnen gegebenenfalls nicht der Beklagten gegenüber anvertrauen würden, erscheint nach Ansicht der Kammer überzogen und fehlerhaft. Vielmehr sieht die Kammer bezogen auf den Kläger viel eher die Möglichkeit, dass dessen Verhalten zukünftig viel eher unter dem Gesichtspunkt einer sexuellen Belästigung betrachtet und viel schneller zum Gegenstand entsprechender Mitteilungen gemacht wird. Auch insoweit könnte die Beklagte -nach Überzeugung der Kammer- sicher sein, dass der Kläger sich zukünftig davor hüten wird, sich in irgendeiner Art und Weise zweideutig zu verhalten, um den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses nicht zu gefährden. Nach Ansicht der Kammer ist die seitens der Beklagten aufgrund des von ihr dargestellten Fehlverhaltens des Klägers getroffene Personalentscheidung unverhältnismäßig gewesen. Die rechtzeitige, angemessene Reaktion hätte dem aufgeklärten Sachverhalt, den Interessen der betroffenen Auszubildenen, den Interessen der Beklagten und dem Bestandsschutzinteresse des Klägers entsprochen. Dass nunmehr, im Nachhinein, die gerichtliche Aufhebung der außerordentlichen Kündigung weitere Probleme auf werfen kann, darf die gerichtliche Entscheidung aber nicht berühren. Hatte die Kammer bei Prüfung der außerordentlichen Kündigung als angemessene Reaktion der Beklagten bezogen auf das von ihr dargelegte Fehlverhalten des Klägers den Ausspruch einer Abmahnung gegenüber dem Kläger angesehen, so muss dies auch bezogen auf die dem Kläger gegenüber vorsorglich ausgesprochene ordentliche verhaltensbedingte Kündigung zur Feststellung deren Rechtsunwirksamkeit führen, da sozial ungerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG). Ist in die Abwägung der Kammer insbesondere das Bestandsschutzinteresse des Klägers eingeflossen, so ist auch bei Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer ordentlichen Kündigung zu berücksichtigen, dass durch mildere Reaktion der Interessenlage sämtlicher Betroffener ausreichend hätte Rechnung getragen werden können. Auch bei der verhaltensbedingten ordentlichen Kündigung gilt eine zukunftsbezogene Betrachtungsweise. Auch insoweit hatte die Kammer daher festzuhalten, dass nach Ausspruch einer Abmahnung und Ergreifen begleiteter Maßnahmen von einer zukünftigen Wiederholung des gezeigten Fehlverhaltens nicht ohne Weiteres hätte ausgegangen werden dürfen. Auch insoweit überwiegt nach Ansicht der Kammer das Bestandsschutzinteresse des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Da der Ausspruch einer Abmahnung im Hinblick auf die Schwere des dem Kläger vorgehaltenen Fehlverhaltens nach Überzeugung der Kammer auch angemessen gewesen wäre, musste die dem Kläger gegenüber vorsorglich ausgesprochene ordentliche Kündigung als sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam festgestellt werden. 

Nach Ansicht der Kammer werden beide, dem Kläger gegenüber ausgesprochenen Kündigungen auch nichtdurch die nachgeschobene Kündigungsbegründung begründet bzw. sozial gerechtfertigt. Die Kammer kann dahingestellt bleiben lassen, inwieweit bezogen auf die nachgeschobene Kündigungsbegründung ein derartiges Nachschieben rechtlich überhaupt möglich ist. Darüber hinaus kann die Kammer dahingestellt bleiben lassen, wer letztlich den Schichtführer des Klägers aufgefordert hat, auf andere Kollegen im Sinne der Vornahme einer bestimmten Sachverhaltsdarstellung einzuwirken. Selbst wenn das von der Beklagten angesprochene Gespräch am 18.07.2000, also einen Tag vor Zugang der Kündigung geführt worden wäre und der Kläger die entsprechenden Ausführungen gegenüber seinem Schichtführer gemacht haben sollte, so würden diese -wie von der Beklagten dargestellt- zur Begründung einer außerordentlichen bzw. ordentlichen Kündigung nicht ausreichen. Zu Gunsten des Klägers gilt nämlich zu berücksichtigen, dass dieser sich am 18.07.2000 dem Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung ausgesetzt sah und folglich um den Verlust seiner Existenzgrundlage fürchten musste. Wenn in einer derartigen Situation ein Arbeitnehmer -nach Ansicht der Kammer- gänzlich in die Enge getrieben ist, so stellt es zwar ein zu missbilligendes Verhalten dar, wenn ein Vorgesetzter aufgefordert wird, auf Kollegen im Sinne einer Aussagenänderung einzuwirken. Nach Ansicht der Kammer muss dieses möglicherweise vom Kläger gezeigte Verhalten aber auch vor dem Hintergrund der unverhältnismäßigen Reaktion der Beklagten gesehen werden. Hätte die Beklagte nämlich angemessen und maßvoll auf das festgestellte Fehlverhalten des Klägers durch Ausspruch einer Abmahnung und begleitende Maßnahmen reagiert, so hätte der Kläger nicht um den Verlust seines Arbeitsplatzes fürchten müssen und gegebenenfalls nicht alle Hebel in Bewegung gesetzt, um seinen Arbeitsplatz und damit seine Existenzgrundlage zu sichern. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Kläger bezüglich mehrerer Vorhalte eine von der Beklagten abweichende Haltung vertreten hat. Insbesondere bezüglich der von den Parteien zu stark in den Vordergrund gestellten verbalen Äußerungen hat der Kläger einen abweichenden Sachverhalt geschildert. Die Richtigkeit dieses Sachverhaltes nachzuweisen, kann Zielsetzung des Klägers gewesen sein. Wenn sich der Kläger also gegenüber seinem Schichtführer ... wie von der Beklagten dargestellt geäußert haben sollte, so muss auch diese subjektive Betrachtungsweise in die Bewertung der nachgeschobenen Kündigungsbegründung einfließen. Geschieht aber dies, so kann man in diesem gegebenfalls vom Kläger gezeigten Verhalten keinen zur Begründung einer außerordentlichen bzw. ordentlichen Kündigung ausreichenden Kündigungsgrund sehen. Schließlich hafte die Kammer noch zu berücksichtigen, inwieweit die nachträgliche Beschuldigung des Mitarbeiters ... die Wirksamkeit der beiden Kündigungen hätte begründen können. Die Kammer verneint dies gleichfalls, da auch diesbezüglich das Bestandsschutzinteresse des Klägers deutlich das gegebenenfalls von der Beklagten zurecht dargestellte Fehlverhalten des Klägers überwiegt. Der Beklagten ist insgesamt zwar zuzugeben, dass -betrachtet man die von ihr dem Kläger gegenüber vorgehaltenen Verhaltensweisen- diese Verhaltensweisen -sollten sie tatsächlich vorgelegen haben- für die Richtigkeit der von der Beklagten dem Kläger vorgehaltenen sexuellen Belästigung sprechen. Steht aber -auch nach dem Willen des Gesetzgebers- einem Arbeitgeber als Reaktionsmöglichkeit eine Vielzahl von abgestuften Reaktionen zur Verfügung, so muss unter Berücksichtigung dieser gesetzlichen Vorgabe auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angemessen Rechnung getragen werden. Dies hat die Kammer mit ihrer Entscheidung vorliegend versucht. Die Kammer verkennt nicht, dass sie mit dieser Entscheidung der Beklagten und den betroffenen Auszubildenden Verhaltensweisen auferlegt, die gleichfalls Verständnis für den Kläger erfordern. Dennoch erschien der Kammer -ohne dass eine Beweisaufnahme durchzuführen war- auf der Grundlage des Tatsachenvortrages der Beklagten allein diese Entscheidung rechtlich begründet. Keinesfalls hat die Kammer hierdurch versucht, die Durchführung einer Beweisaufnahme in der 1. Instanz zu umgehen. Sollte daher zweitinstanzlich die vorstehend von der Kammer begründete Abwägung für rechtlich vollkommen unvertretbar angesehen werden, so sollte seitens des Landesarbeitsgerichtes im Falle der Durchführung eines Berufungsverfahrens überlegt werden, inwieweit der Rechtsstreit wegen fehlender Durchführung einer Beweisaufnahme an die erstinstanzlich zuständige Kammer zurückverwiesen werden kann. Nach alledem hatte die Kammer bezogen auf das Feststellungsbegehren des Klägers wie tenoriert zu entscheiden. Im Hinblick auf die Rechtsunwirksamkeit der dem Kläger gegenüber ausgesprochenen Kündigungen ist die Beklagte verpflichtet, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen als Chemiefacharbeiter in der 4 mal 12- Stunden-Wechselschicht in der Dicarbon-Destillation bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen. Der diesbezügliche Anspruch ergibt sich aus dem durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes anerkannten kündigungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruch (vgl. dazu: BAG GS 27.02.1985 - DB 1985, 2197). Da zwischen beiden Parteien der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses umstritten ist, besteht seitens des Klägers ein Rechtsschutzinteresse daran, ein Zwischenzeugnis zu erhalten, das sich auf Führung und Leistung erstreckt. Der diesbezügliche Anspruch ist in Anlehnung an § 630 Satz 2 BGB aufgrund der Fürsorgeverpflichtung des Arbeitgebers in einer derartigen tatsächlichen Situation begründet. Soweit der Kläger einen uneingeschränkten Weiterbeschäftigungsantrag gestellt hat (über den Ablauf der Kündigungsfrist) war dieser abzuweisen.So lange der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses der Parteien zwischen beiden Parteien im Streit ist, kann nur der kündigungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch gerichtlich verfolgt werden. Bezüglich eines weitergehenden titulierten Anspruches fehlt nämlich Rechtsschutzinteresse, da in keinster Weise erkennbar ist, dass die Beklagte den Kläger nach rechtskräftig festgestelltem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nicht vertragsgemäß weiter beschäftigen wird.

Nach alledem hatte die Kammer wie tenoriert mit der sich aus § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, §§ 495, 92 Abs. 2 ZPO ergebenden Kostenfolge zu entscheiden.

Der Streitwert war gemäß §§12 Abs. 7 Satz 1, 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, §§495, 3, 5 ZPO festzusetzen (§ 61 Abs. 1 ArbGG).



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