Arbeitsgericht Ludwigshafen

Urteil vom - Az: 4 Ca 1282/06

Zu den Tätigkeiten des täglichen Lebens gehört auch der Bereich der Ausscheidung

Die Anweisung der Beklagten an den Kläger, die Bewohner auf ihren Toilettengang zu begleiten, ist hier ausnahmsweise auf Grund der besonderen Umstände des Einzelfalls nicht vom arbeitgeberseitigen Direktionsrecht gedeckt.

Tatbestand 

Die Parteien streiten darüber, ob die Anweisung an den Kläger, Bewohner des Alten- und Pflegeheims auf die Toilette zu begleiten, eine Überschreitung des Direktionsrechts durch den Arbeitgeber darstellt. Der 59- jährige Kläger ist seit 1988 bei der Beklagten beschäftigt, wobei das Arbeitsverhältnis von Anfang 1997 bis Ende 1998 für knapp zwei Jahre unterbrochen war. Gem. § 1 des Dienstvertrags der Parteien vom 9. 11. 1998 ist der Kläger als Mitarbeiter für den Bereich der Beschäftigung in den Dienst der Beklagte eingetreten. Die monatliche Arbeitsvergütung lag zuletzt bei 2900 Euro brutto. In den Jahren 2001, 2003 und 2006 überreichte die Beklagte dem Kläger jeweils eine Stellenbeschreibung. In der dortigen Rubrik „Aufgaben im Detail“ ist unter anderem aufgeführt: „Anleitung und Motivation beim Wiedererlernen und Durchführen von Handlungen des täglichen Lebens“. Zum 1. 2. 2006 wurde der Kläger von dem Seniorenzentrum X in das Alten- und Pflegeheim Y versetzt. Seither erhielt der Kläger erstmals die Anweisung, dass er die Bewohner zur Toilette zu begleiten hat, wenn sie dieses Bedürfnis während der Übungen äußern, die er mit ihnen durchführt. Seit dem 28. 2. 2006 ist der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. 

Die Klage hatte Erfolg. 

 

Entscheidungsgründe 

Die Anweisung der Beklagte an den Kläger, die Bewohner auf ihren Toilettengang zu begleiten, ist hier ausnahmsweise auf Grund der besonderen Umstände des Einzelfalls nicht vom  arbeitgeberseitigen Direktionsrecht gedeckt. Gem. § 106 S. 1 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrags oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Je enger die Tätigkeit des Arbeitnehmers im Arbeitsvertrag festgeschrieben ist, umso geringer ist der Spielraum des Arbeitgebers zur Ausübung des Direktionsrechts. Welche Arbeitsleistungen zum jeweils vereinbarten Berufs- bzw. Tätigkeitsbild gehören, ist im Wege der Auslegung unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung zu ermitteln (ErfK/Preis, § 611 BGB Rdnr. 277). Die Ausübung des  Weisungsrechts muss nach billigem Ermessen erfolgen. Die Wahrung billigen Ermessens setzt voraus, dass die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt werden (BAG [24. 4. 1996], NZA 1996, 1088 = AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 48). Ob dies geschehen ist, unterliegt gerichtlicher Kontrolle. Im vorliegenden Fall erscheint es bereits fraglich, ob von einem Mitarbeiter der Beschäftigung die Begleitung zum Toilettengang erwartet werden darf, wenn dieses Bedürfnis während einer Therapiestunde geäußert wird. Dies kann aber letztlich dahingestellt bleiben. Denn selbst wenn sich das Weisungsrecht des Arbeitgebers hierauf erstreckt, so erfolgte hier die Ausübung des Direktionsrechts nicht unter  Wahrung billigen Ermessens. Auf der Grundlage der Stellenbeschreibungen der Beklagte sind Mitarbeiter der Beschäftigung verpflichtet, die Bewohner der Einrichtung bei den Tätigkeiten des täglichen Lebens anzuleiten und sie zu motivieren. Zu den Tätigkeiten des täglichen Lebens gehört auch der Bereich der Ausscheidung. Allerdings soll hier die Begleitung auf den Toilettengang nicht im Rahmen einer Therapie erfolgen, sondern für den Fall, dass der Bewohner ein entsprechendes Bedürfnis während einer Therapiestunde äußert.

Die eigentliche Beschäftigungstherapie zu einem anderen Thema soll also unterbrochen werden, um dem Bewohner bei seiner Ausscheidung behilflich zu sein. Es handelt sich daher primär nicht um eine therapeutische, sondern um eine pflegerische Aufgabe. Grundsätzlich sind pflegerische Tätigkeiten von einem Mitarbeiter der Beschäftigung nicht geschuldet. Es kann jedoch zulässig sein, ihn im Rahmen einer Nebenarbeit hiermit zu betrauen. Nebenarbeiten hat der Arbeitnehmer zu verrichten, wenn deren Übernahme dem Arbeitsvertrag entspricht, d.h. typischerweise in dem vereinbarten Tätigkeitsbereich anfallen, bzw. nur eine untergeordnete Bedeutung haben. Ob es sich hier um eine zulässige Nebenarbeit handelt, kann dahingestellt bleiben, weil die Beklagte das Direktionsrecht nicht unter Wahrung billigen Ermessens ausgeübt hat. Was dem billigen Ermessen entspricht, ist unter Abwägung der Interessenlage beider Vertragsparteien festzustellen. Zu Gunsten des Kläger ist hier zu berücksichtigen, dass er bereits seit 1988 bei der Beklagte beschäftigt ist und im Verlauf des Arbeitsverhältnisses vor Februar 2005 keine ausdrücklichen Anweisungen zur Begleitung von Bewohnern auf Toilettengängen erhalten hat. Daher war für ihn bei Unterzeichnung des Arbeitsvertrags am 9. 11. 1998 nicht ersichtlich, dass die Beklagte diese Tätigkeit als vertraglich geschuldete Leistung erachtet und von ihm im Verlauf des neu begründeten Arbeitsverhältnisses abverlangen wird. Gerade im Hinblick auf die gesundheitlichen Probleme, die beim Kläger aufgetreten sind und die er durch die Anweisung der Beklagte verursacht sieht, ergibt sich eine besondere Begründungspflicht für die Beklagte, weshalb sie nunmehr entgegen der jahrelangen Übung unbedingt darauf angewiesen ist, dass der Kläger während der Therapiestunden Bewohner zur Toilette begleitet. Sie trägt selbst vor, dass die Begleitung zu den Toilettengängen kein allzu hohes Maß an Zeit und Häufigkeit in Anspruch nimmt. Dies könnte auch dafür sprechen, einen Mitarbeiter aus dem Pflegepersonal mit dieser Aufgabe zu betrauen. Es hätte daher intensiv begründet werden müssen, weshalb die Anweisung gerade an den Kläger trotz seiner persönlichen Schwierigkeiten hiermit erforderlich ist. Die von der Beklagten benannten betrieblichen Notwendigkeiten erweisen sich als zu unsubstanziiert. Es hätte dargelegt werden müssen, was hiermit im Einzelnen gemeint ist.



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