Arbeitsgericht Trier

Urteil vom - Az: 3 Ca 179/12

Übertragung des Urlaubs wegen Krankheit; Urlaubsabgeltung; Zeugniserteilung

1. Grundsätzlich ist ein über das Jahresende hinaus arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer, der im Übertragungszeitraum des Folgejahres wieder gesundet, gehalten, seinen übertragenen Resturlaub aus dem Vorjahr innerhalb des Übertragungszeitraums zu nehmen.

2. Sofern die nach Wiedergenesung bis zum Ende des Übertragungszeitraums verbleibenden Tage nicht ausreichen, um den aus dem Vorjahr übertragenen Resturlaubsanspruch vollständig zu erfüllen, treten die „überhängenden“ Resturlaubstage zu dem Urlaub für das laufende Kalenderjahr hinzu und sind nach denselben rechtlichen Regeln zu behandeln wie dieser, einschließlich einer Urlaubsabgeltung, wenn das Arbeitsverhältnis in diesem Jahr beendet wird.

3. Beantragt der im Übertragungszeitraum wiedergenesene Arbeitnehmer noch während des Übertragungszeitraums die Gewährung seines Resturlaubs aus dem Vorjahr und bewilligt ihm der Arbeitgeber diesen für einen Zeitraum nach Ablauf des Übertragungszeitraums, so kann er sich, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub dann wegen erneuter, bis zum Jahresende durchgehender krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht antreten kann, nicht darauf berufen, er hätte den übertragenen Urlaub innerhalb des Übertragungszeitraums oder jedenfalls vor Eintritt seiner erneuten Erkrankung nehmen müssen. Auch in einem solchen Fall tritt der übertragene Urlaub aus dem Vorjahr zu dem Urlaub für das laufende Jahr hinzu und unterliegt denselben rechtlichen Regeln wie dieser.

4. Eine arbeitsvertragliche Regelung, die dem Arbeitnehmer „27 Werktage Urlaub gewährt, 3 Tage mehr als der gesetzliche Urlaub“, begründet jedenfalls ohne weitere Anhaltspunkte kein eigenständiges Urlaubsregime für den übergesetzlichen Urlaubsteil. Dieser folgt daher insbesondere hinsichtlich seiner Übertragung und Abgeltung den Regeln für den gesetzlichen Mindesturlaub.
(Leitsätze des Gerichts)

Tenor

1.) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.427,20 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.01.2012 zu zahlen.

2.) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3.) Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 50 % und die Beklagte zu 50 %.

4.) Der Streitwert wird auf 6.489,47 € festgesetzt.

5.) Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten zuletzt noch um ein "gutes" Zeugnis sowie um Urlaubsabgeltungsansprüche.

Der Kläger war bei der Beklagten vom 17.03.2008 bis 31.12.2011 als Lagerist in einer Fünftagewoche zu einem durchschnittlichen Stundenlohn von zuletzt 11,90 EUR brutto beschäftigt. Sein Arbeitsvertrag enthält in § 6 unter anderem folgende Regelung:

"Der Arbeitnehmer erhält 27 Werktage Urlaub. Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr ... Es werden 27 Tage Urlaub gewährt, 3 Tage mehr als der gesetzliche Urlaub ..."

Vom 15.11.2010 - 12.03.2011 sowie vom 17.07. - 31.12.2011 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Am 16.03.2011 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung von jeweils 10 Urlaubstagen für die Zeiträume 20.06. - 02.07.2011, 22.08. - 03.09.2011 und 21.11. - 03.12.2011. Die ersten 10 Tage lehnte die Beklagte am 18.03.2011 aus betrieblichen Gründen ab, bot ihm aber an, diese ganz oder je zur Hälfte an den zweiten und/oder dritten Urlaubszeitraum anzuhängen. In der Lohnabrechnung für August 2011 vom 07.09.2011 wies sie 28,5 mit in das Jahr 2011 übernommene Urlaubstage sowie 27 weitere Urlaubstage für das Jahr 2011, mithin insgesamt 55,5 Tage, aus, in einer 2. Nachberechnung vom 09.01.2012 sowie in der Schlussabrechnung für Dezember 2011, ebenfalls datiert auf den 09.01.2012, zog sie hiervon 9 Tage ab, welche sie dem Kläger als anteiligen Urlaub für seine Anwesenheitszeiten im Jahr 2011 (13.03. - 16.07.) bereits vergütet hatte. Des Weiteren erteilte sie dem Kläger unter dem 09.01.2012 ein Arbeitszeugnis.

Der Kläger begehrt vorliegend Urlaubsabgeltung für 19,5 Tage aus 2010 und 27 Tage aus 2011 sowie ein Zeugnis mit einer besseren Bewertung. Hierzu behauptet er, die Beklagte habe mehrfach Urlaubsanträge für das Jahr 2011 abgelehnt und ihm nach seiner Wiedergenesung im März 2011 erklärt, er müsse nach seiner monatelangen Abwesenheit als ihr einziger Lagerarbeiter erst einmal wieder Ordnung im Lager schaffen. Weiter vertritt er die Ansicht, seine Urlaubsansprüche für 2010 seien infolge seiner Arbeitsunfähigkeit zum Jahresende 2010 in das Jahr 2011 hinein übertragen worden und daher ebenso abzugelten wie sein Urlaub aus 2011.

Nachdem der Kläger ursprünglich beantragt hat, die Beklagte zu verurteilen,

1. an ihn 4.426,80 EUR brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins hieraus seit dem 28.01.2012,

2. ihm ein wohlwollendes, qualifiziertes Arbeitszeugnis für die Zeit 17.03.2008 bis 31.12.2011 mit der Note "sehr gut" zu erteilen,

er seine Klage zwischenzeitlich um Überstundenvergütung in Höhe von 178,83 EUR brutto nebst Zinsen erweitert hat und die Parteien diesen Anspruch im Kammertermin übereinstimmend für erledigt erklärt haben,

hat der Kläger zuletzt noch beantragt, die Beklagte zu verurteilen,

1. an ihn 4.426,80 EUR brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins hieraus seit dem 28.01.2012,

2. ihm ein wohlwollendes, qualifiziertes Arbeitszeugnis für die Zeit 17.03.2008 bis 31.12.2011 mit der Note "gut" zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie vertritt die Ansicht, jeglicher Urlaub aus den Jahren vor 2011 sei erloschen, da der Kläger diesen bis zum 31.03.2011, jedenfalls aber bis zum 31.12.2011 hätte nehmen müssen. Im April und Juni 2011 hätte er auch Urlaub erhalten können. Im Übrigen habe er am 31.05., 01.06., 02.06. und 04.06.2010 sowie vom 25. - 29.10.2010 insgesamt 9 Urlaubstage erhalten. Für das Jahr 2011 seien 3 Tage (22.03., 15.04. und 24.06.2011) in Abzug zu bringen, die mit seinem Stundenkonto verrechnet worden seien. Der Kläger habe genug Zeit gehabt, seinen Urlaub zu beantragen und zu nehmen. Da sich die Urlaubsgewährung für das Jahr 2011 lediglich auf 20 und nicht auf 30 Tage erstreckt habe, sei der Resturlaub aus 2010 nicht rechtzeitig beantragt und bewilligt worden. Den Lohnabrechnungen komme insoweit keinerlei Aussagekraft zu, da diese lediglich in einem automatisierten Verfahren erstellt würden und keinerlei Ansprüche des Klägers begründen könnten. Jedenfalls seien sämtliche übergesetzlichen Urlaubsansprüche erloschen, da sich die neue Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts lediglich auf den gesetzlichen Mindesturlaub beziehe.

Hinsichtlich des Zeugnisantrags verweist sie darauf, der Kläger habe nicht gut gearbeitet und seine gegenteilige Behauptung durch keinerlei Sachvortrag untermauert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

A. Die zuletzt noch gestellten Anträge sind zulässig, aber nur teilweise begründet.

I.

Der Anspruch auf Erteilung eines Zeugnisses mit der Bewertung "gut" war schon deswegen abzuweisen, da der Kläger trotz gerichtlichen Hinweises auf die Darlegungs- und Beweislast bereits im Gütetermin und des nachfolgenden Auflagenbeschlusses keinerlei Ausführungen getätigt hat, aufgrund welcher Tatsachen, Vorfälle, Kenntnisse, Qualifikationen oder sonstiger Umstände er zu dem Schluss gelangt, er habe überdurchschnittlich gute Arbeit geleistet und könne daher eine entsprechende Bewertung verlangen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 14.10.2003 AP Nr. 28 zu § 630 BGB; vgl. ferner ErfK/Müller-Glöge, 12. Aufl. 2012, § 109 GewO Rn. 86) trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast, wenn er eine überdurchschnittliche, d. h. besser als befriedigende Bewertung begehrt. Da es hierzu an jeglichem Sachvortrag des Klägers fehlt, war ein diesbezüglicher Anspruch nicht ersichtlich und die Klage insoweit abzuweisen.

II.

Die geltend gemachten Urlaubsabgeltungsansprüche stehen ihm dagegen nach dem von beiden Parteien gehaltenen Sachvortrag überwiegend zu.

1. Dies gilt zunächst in Bezug auf das Jahr 2011.

a) Nach dem Arbeitsvertrag stehen dem Kläger 27 Urlaubstage pro Jahr zu. Genommen hat er im Jahr 2011 keinen Urlaub, da der am 18.03.2011 bewilligte Urlaub Zeiträume betraf, zu denen er bereits wieder arbeitsunfähig erkrankt war. Während Arbeitsunfähigkeitszeiten scheidet aber die Gewährung von Erholungsurlaub aus (Neumann/Fenski, BUrlG, 10. Aufl. 2011, § 9 Rn. 2). Die 3 Tage am 22.03., 15.04. und 24.06.2011 kann die Beklagte nicht in Abzug bringen, da sie diese mit dem Stundenkonto des Klägers verrechnet und damit als "Minusstunden", nicht aber als Urlaubstage verbucht hat. Hingegen waren 9 Tage abzuziehen, die der Kläger zwar nicht in Natura erhalten, die die Beklagte aber unstreitig für den Zeitraum vom 13.03. - 16.07.2011 anteilig vergütet hat. Insoweit handelt es sich um 4 volle Kalendermonate und damit (27 : 12 x 4 =) 9 Urlaubstage. Es verblieben folglich (27 - 9 =) 18 Tage.

b) Diese waren nicht um die Differenz zwischen gesetzlichem Mindest- und vertraglich festgeschriebenem übergesetzlichen Urlaub zu verringern. Zwar betrifft die neue Rechtsprechung von Europäischem Gerichtshof und Bundesarbeitsgericht zur Aufrechterhaltung von Urlaubs-/Urlaubsabgeltungsansprüchen bei Arbeitsunfähigkeit am Ende des Kalenderjahres bzw. des Übertragungszeitraums grundsätzlich nur den gesetzlichen Mindesturlaub, so dass die (Arbeits- oder Tarif-) Vertragsparteien darüber hinausgehende Urlaubs-/Urlaubsabgeltungsansprüche frei regeln können (BAG 24.03.2009 NZA 2009, 538, 546; 23.03.2010 NZA 2010, 810, 812; 04.05.2010 NZA 2010, 1011, 1013). Für den Willen zu einer solchen "freien", also vom Schicksal des gesetzlichen Mindestanspruchs abweichenden Regelung müssen indes nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Rahmen der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB deutliche Anhaltspunkte bestehen, da die Vertragsparteien nur ausnahmsweise vom Gesetzesrecht abweichen wollen und ein Gleichlauf gesetzlicher und übergesetzlicher Ansprüche daher die Regel, ihr unterschiedliches rechtliches Schicksal die Ausnahme bildet; fehlt es an einer solchen eigenständigen Regelung, teilt der vertragliche Mehrurlaub das rechtliche Schicksal des gesetzlichen Mindesturlaubs (BAG 24.03.2009 NZA 2009, 538, 546; 23.03.2010 NZA 2010, 810, 814 f.; 04.05.2010 NZA 2010, 1011, 1013; 12.04.2011 NZA 2011, 1050 ff.; ferner LAG Hamm 29.04.2009 - 18 Sa 1594/08; LAG Schleswig-Holstein 17.02.2010 - 3 Sa 410/09; LAG Niedersachsen 04.10.2010 - 8 Sa 357/10). So liegt es hier.

Die Parteien haben im Arbeitsvertrag lediglich einen Gesamturlaubsanspruch von 27 Tagen pro Kalenderjahr festgehalten. Zwar wird dieser in 24 Tage gesetzlichen und 3 Tage zusätzlichen vertraglichen Urlaub aufgesplittet. Dies erscheint der Kammer jedoch mitnichten ein eigenständiges, von den für den gesetzlichen Urlaub geltenden Vorschriften abweichendes Urlaubsregime begründen zu wollen, sondern lediglich die im Grunde überflüssige Erklärung zu beinhalten, dass die gewährten 27 Tage über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehen, was ohnehin offensichtlich ist. Dass damit irgendein eigenständiger Erklärungsinhalt verbunden sein soll, etwa bzgl. einer unterschiedlichen rechtlichen Behandlung von gesetzlichen und übergesetzlichen Urlaubsansprüchen, ist der Kammer nicht ersichtlich und wurde von der Beklagten auch nicht behauptet. Das vom BAG verlangte eigenständige Urlaubsregime, das sich insbesondere in eigenständigen Regeln für die Gewährung und Abgeltung des vertraglichen Mehrurlaubsanspruchs äußert (so BAG 04.05.2010 NZA 2010, 1011, 1013), oder irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass die Parteien den vertraglichen Mehrurlaub vom gesetzlichen Mindesturlaub "abkoppeln" wollten (so formuliert LAG Schleswig-Holstein 17.02.2010 - 3 Sa 410/09) fehlen hier völlig. So wurde denn auch in der obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung eine arbeitsvertragliche Regelung, die lediglich einen insgesamten "Urlaub von x Arbeitstagen" vorsieht, zutreffend für nicht eigenständig im o. g. Sinne gehalten (BAG 04.05.2010 NZA 2010, 1011, 1013; LAG Schleswig-Holstein 17.02.2010 - 3 Sa 410/09).

c) Die für 2011 abzugeltenden (27 - 9 =) 18 Urlaubstage entsprechen einem Betrag von (11,90 x 40 x 13 : 65 x 18 =) 1.713,60 EUR brutto.

2. Auch für 2010 kann der Kläger Abgeltung von 18 Urlaubstagen verlangen.

a) Auszugehen ist insoweit wiederum von zunächst 27 Urlaubstagen. Zwar benennt der Übertrag in den Lohnabrechnungen von August und Dezember 2011 28,5 Tage, so dass 1,5 Tage aus einer Zeit vor 2010 stammen müssen. Übertragungsgründe in das Jahr 2010 hinein hat der Kläger indes keine benannt - seine Arbeitsunfähigkeit begann auch erst am 15.11.2010 -, so dass Vorjahresansprüche mit Ablauf des Übertragungszeitraumes am 31.03.2010 erloschen sind.

Den allgemeinen Lohnabrechnungen kommt bezüglich der Urlaubsansprüche keine konstitutive Bedeutung zu, insbesondere stellt sie kein Anerkenntnis der Beklagten dar. Ein abstraktes Schuldanerkenntnis entfällt bereits mangels Einhaltung der gesetzlichen Schriftform (§§ 781, 126 BGB). Aber auch ein formlos wirksames deklaratorisches Schuldanerkenntnis ist grundsätzlich in einer Gehaltsabrechnung nicht zu sehen (hierzu und zum Folgenden BAG 10.03.1987 NZA 1987, 557 ff.; 12.12.2000 NZA 2001, 514, 515; LAG Rheinland-Pfalz 09.10.2002 LAGE § 781 BGB Nr. 5; LAG Schleswig-Holstein 09.05.2007 - 6 Sa 436/06; LAG Hamm 28.11.2007 - 18 Sa 923/07). In aller Regel teilt der Arbeitgeber in der Lohnabrechnung dem Arbeitnehmer lediglich die Höhe des Entgelts einschließlich seiner Zusammensetzung sowie sonstiger Ansprüche wie etwa des Urlaubsanspruchs mit. Die Lohnabrechnung hat aber nicht den Zweck, streitig gewordene Ansprüche endgültig festzulegen. Ihr kann daher regelmäßig nicht entnommen werden, dass der Arbeitgeber die Zahl der angegebenen Urlaubstage auch dann gewähren will, wenn er diesen Urlaub nach Gesetz, Tarifvertrag oder Arbeitsvertrag gar nicht schuldet. Erst Recht ergibt sich aus ihr nicht, dass er auf die künftige Einwendung des Erlöschens des Urlaubsanspruchs durch Zeitablauf verzichten will. Will er mit der Abrechnung ausnahmsweise eine derartige Erklärung abgeben, müssen hierfür besondere Anhaltspunkte vorliegen. Daran fehlt es vorliegend.

b) Hiervon in Abzug zu bringen waren sodann die von der Beklagten benannten 9 genommenen Urlaubstage (31.05., 01.06., 02.06., 04.06. sowie 25. - 29.10.2010), die der Kläger letztlich auch nicht geltend macht, da er für das Jahr 2010 lediglich Abgeltung von 19,5 (ausgehend von 28,5) Urlaubstagen begehrt.

c) Der Anspruch hinsichtlich der damit verbleibenden (27 - 9 =) 18 Urlaubstage ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht erloschen. Zwar verweist sie grundsätzlich zutreffend auf die neue Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, nach der ein Urlaubsanspruch trotz langwieriger krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit erlischt, wenn der Arbeitnehmer im Kalenderjahr oder im Übertragungszeitraum so rechtzeitig gesund und arbeitsfähig wird, dass er in der verbleibenden Zeit seinen Urlaub nehmen kann und eine Ausnahme - unter weiteren Voraussetzungen - lediglich in den Fällen angebracht ist, in denen die in § 7 Abs. 3 BUrlG bestimmte Frist nicht ausreicht, um den durch Art. 7 RiLi 2003/88/EG gewährleisteten Gesamturlaub als Summe aus altem und neuem Urlaub tatsächlich zu nehmen (BAG 09.08.2011 NZA 2012, 29 ff.). Dies kann nach Ansicht der Kammer aber nicht für einen Fall wie den vorliegenden gelten, in dem der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer während des Übertragungszeitraums den beantragten (Rest-)Urlaub für eine Zeit im laufenden Kalenderjahr nach Ablauf des Übertragungszeitraums gewährt und der Arbeitnehmer dann später zu dieser Zeit wiederum bis zum Jahresende durchgehend arbeitsunfähig erkrankt ist. In einem solchen Fall handelt es sich nach Ansicht der Kammer um ein erneutes Hindernis, dass eine weitere Übertragung des (Rest-)Urlaubs rechtfertigt bzw., wenn wie hier das Arbeitsverhältnis zum Jahresende endet, eine Abgeltung auch dieser Resturlaubsansprüche im Gleichlauf mit den für das laufende Kalenderjahr (hier 2011) entstandenen Urlaubs- bzw. Urlaubsabgeltungsansprüchen (diese Möglichkeit nennt grundsätzlich auch BAG 09.08.2011 NZA 2012, 29 ff. [etwa Rn. 19]).

Der bis zum 12.03.2011 arbeitsunfähig erkrankte Kläger beantragte am 16.03.2011 insgesamt 30 Tage Urlaub. Im Übertragungszeitraum bis zum 31.03.2011 hätte er, wenn er direkt am ersten Arbeitstag um Urlaubsgewährung gebeten hätte, maximal 14 der 18 Tage Urlaub nehmen können. Für die überhängenden vier Tage verlängerte sich der Übertragungszeitraum ohnehin bis zum 31.12.2011, da der Übertrag aus dem Vorjahr zum Urlaub für das laufende Kalenderjahr hinzutritt und demselben Fristenregime wie dieser unterliegt (BAG 09.08.2011 NZA 2012, 29 ff., Orientierungssatz Nr. 1). Aber auch die 14 übrigen Urlaubstage teilen im Ergebnis das Fristenregime des Urlaubs für 2011. Ob dem Arbeitnehmer nach monatelanger krankheitsbedingter Betriebsabwesenheit zugemutet werden kann, direkt nach seiner Wiedergenesung den Arbeitgeber um Gewährung des aufgelaufenen Urlaubs möglichst noch im Übertragungszeitraum zu bitten, erscheint der Kammer angesichts der gelebten täglichen Betriebspraxis bereits äußerst zweifelhaft, insbesondere wenn der Arbeitnehmer seinen Urlaub praktisch im nahtlosen Anschluss nehmen müsste, um die Frist des Übertragungszeitraums noch einzuhalten.

Ob, wann und für wann der Arbeitnehmer einen solchen Antrag genau stellen muss, kann vorliegend jedoch offen bleiben, da der Kläger noch während des Übertragungszeitraumes Urlaub beantragte, und zwar für 30 Tage, so dass der Beklagten klar sein musste, dass es sich nicht nur um Urlaub für das laufende Jahr 2011, sondern auch um übertragenen Urlaub handelte. Wenn sie dem Kläger diesen Urlaub aber für Sommer 2011, also für eine Zeit nach Ablauf des Übertragungszeitraums, gewährt, kann sie sich nicht im Nachhinein darauf berufen, der Resturlaub für 2010 sei bereits zum 31.03.2011 erloschen gewesen. Sie hätte dann dem Kläger gegenüber deutlich machen müssen, dass er Resturlaub nach dem Übertragungszeitraum nicht mehr nehmen kann, oder jedenfalls, dass ihm Urlaub für die von ihm begehrte Zeit nach dem Übertragungszeitraum nur in Höhe von 27 Tagen, also entsprechend dem Anspruch für das Jahr 2011, zusteht. Aus ihrem Verhalten konnte der Kläger solches aber nicht ableiten. Die Beklagte hat ihn nicht nur nicht darauf hingewiesen, ihm stünden gar keine 30 Urlaubstage mehr zu (sondern nur noch 27 Tage), sondern sie hat ihm die Möglichkeit angeboten, die beantragten und abgelehnten "ersten" zehn Urlaubstage (20.06. - 02.07.2011) an die zweite und/oder dritte Urlaubsphase anzuhängen. Damit hat sie deutlich ihre Bereitschaft zur Gewährung der vollen beantragten 30 Tage bekundet, ohne dass der Kläger hier mit einer Beschränkung auf die ihm für das Jahr 2011 zustehenden Urlaubstage rechnen oder von einer solchen ausgehen musste. Das nunmehrige Vorbringen des Prozessbevollmächtigten der Beklagten, eine Einigung sei lediglich über 20 Urlaubstage zustande gekommen und die Beklagte hätte dem Kläger nicht mehr als 27 Urlaubstage bewilligt, schien der Kammer nicht die damalige tatsächliche Situation zwischen den Parteien wiederzugeben, sondern rein prozesstaktisch motiviert und vorgetragen, um eine Übertragung des Urlaubs aus 2010 zu verhindern. Dafür, dass die Beklagte seinerzeit derartige Überlegungen wie nun ihr Prozessbevollmächtigter angestellt hätte, existieren keinerlei Anhaltspunkte. Auch kommt es für den Empfängerhorizont des Klägers nicht auf eine erzielte Einigung mit der Beklagten an, sondern auf deren erklärte Bereitschaft zu einer solchen Einigung, die sich aus ihrem Vermerk auf dem Urlaubsantrag des Klägers aber in überdeutlicher Weise ergibt. Da die Beklagte folglich damit einverstanden war, dass der Kläger seinen Resturlaub aus 2010 erst nach Ablauf des Übertragungszeitraums im Jahre 2011 nahm, und der Kläger dann zu diesem Zeitpunkt - im Sommer 2011 - erneut durchgehend bis zum Ende des Kalenderjahres 2011 (und damit zugleich des erweiterten Übertragungszeitraumes) arbeitsunfähig erkrankt war, ist sein Resturlaub aus 2010 ebenso wie der ihm für 2011 zustehende Urlaub zu behandeln. Mithin waren ihm als Urlaubsabgeltung für 18 Tage aus 2010 weitere 1.713,60 € brutto zuzusprechen.

B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.

C. Bei der Streitwertentscheidung wurde der Zeugnisanspruch mit einem Bruttomonatsgehalt zu (11,90 x 40 x 13 : 3 =) 2.062,67 € veranschlagt.

D. Die Berufung war vorliegend im Hinblick auf die noch offenen Fragen zum Urlaubsrecht gemäß § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

 



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