Arbeitsgericht Trier

Urteil vom - Az: 3 Ca 507/10

Zum Anspruch auf Annahmeverzugslohn

Für die Berechnung des Anspruchs auf Annahmeverzugslohn gilt das Lohnausfallprinzip. Danach ist dem Arbeitnehmer die Vergütung zu zahlen, die dieser im Falle seiner Weiterarbeit erzielt hätte.

Tenor

I. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.305,40 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.07.2009 zu zahlen. 

II. Der Streitwert wird auf 3.305,40 € festgesetzt.

 

Tatbestand 

Die Klägerin macht Ansprüche aus übergegangenem Recht (§§ 143 Abs. 3, 143a Abs. 4 SGB III i. V. m. § 115 SGB X) geltend.

Der Rechtsvorgänger des Beklagten beschäftigte ab dem 01.05.2007 Herrn V als Einzelhandelskaufmann zu einem Bruttostundenlohn von 8,34 €. Im Arbeitsvertrag heißt es: 

„ § 1 Beginn des Anstellungsverhältnisses/Tätigkeit Der Arbeitnehmer wird mit Wirkung vom 01.05.2007 als Einzelhandelskaufmann in Teilzeit auf Stundenbasis eingestellt ... 

§ 5 Arbeitszeit/Überstunden Die Arbeitszeit ist variabel auf Abruf zu erbringen ... 

§ 11 Ausschlussklausel 

Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit diesem in Verbindung stehen, sind innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit, spätestens jedoch innerhalb von drei Monaten nach Beendigung des Vertragsverhältnisses schriftlich gegenüber der anderen Vertragspartei geltend zu machen ...“ 

Nach einem zwischenzeitlich erfolgten Betriebsübergang kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 27.11.2007 außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich; das Arbeitsgericht Trier stellte im seinerzeitigen Kündigungsschutzverfahren mit Urteil vom 05.06.2008 (2 Ca 1864/07) die Unwirksamkeit der außerordentlichen wie der ordentlichen Kündigung fest, das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz bestätigte diese ntscheidung mit Urteil vom 22.01.2009 (2 Sa 402/08). Herr V hatte in den Monaten Mai bis Oktober 2007 94,5 Stunden, 130 Stunden, 162,5 Stunden, 183 Stunden, 153 Stunden und 173 Stunden (bis zum 22.10.2007) gearbeitet und dafür entsprechend seinem Stundensatz einen Bruttoarbeitslohn von 788,13 €, 1.084,20 €, 1.355,25 €, 1.526,22 €, 1.276,02 € und 1.442,82 € erhalten. Vom 23.10. bis einschließlich 23.11.2007 war er arbeitsunfähig erkrankt. 

Mit Schreiben vom 04.03.2008 zeigte die Klägerin dem Beklagten den Übergang von Ansprüchen gemäß § 143 Abs. 3 SGB III i. V. m. § 115 SGB X an. In der Überleitungsanzeige heißt es u. a.: „Soweit arbeitsrechtliche oder tarifliche Ausschlussfristen für das Arbeitsverhältnis zwischen Ihnen und Herrn V gelten, bitte ich gegenüber der Agentur für Arbeit auf Einreden zu verzichten. Eine entsprechende Erklärung ist mit der Bitte um Rückgabe als Anlage beigefügt . . . Sofern Sie gegenüber der Agentur für Arbeit nicht darauf verzichten, sich auf eventuelle arbeitsrechtliche oder tarifliche Ausschlussfristen zu berufen, wäre ich verpflichtet, allein mit dem Ziel der Fristwahrung Klage zu erheben.“ Einen entsprechenden Verzicht erklärt der Beklagte nicht. Mit Schreiben vom 29.09.2008 teilte ihm die Klägerin mit, sie habe an Herrn V für die Zeit vom 06.12.2007 bis 22.08.2008 Arbeitslosengeld in Höhe von insgesamt 3.987,02 € gemäß §§ 143 Abs. 3, 143a Abs. 4 SGB III gezahlt und bitte um Begleichung entsprechend der Regelung des § 115 SGB X. Da der vorgenannte Betrag vom Beklagten nicht beglichen wurde, 

erhob die Klägerin Klage und beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 3.305,40 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozent über dem Basiszinssatz seit dem 14.07.2009 zu zahlen. 

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen. 

Er vertritt die Ansicht, der Klägerin stünden keinerlei Ansprüche zu, da mit Herrn V ein Arbeitsverhältnis auf Abruf vereinbart gewesen sei und er dessen Leistung nach dem 30.11.2007 nicht mehr abgerufen habe. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen. 

 

Entscheidungsgründe 

Die Klage ist zulässig und begründet. 

Ein Anspruchsübergang gemäß § 115 SGB X scheidet nicht etwa deswegen aus, weil die Parteien ein Arbeitsverhältnis auf Abruf vereinbart haben und der Beklagte nach dem 30.11.2007 die Arbeitsleistung von Herrn V nicht mehr abgerufen hat. Gemäß § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG gilt in einem Arbeitsverhältnis auf Abruf, wenn die Parteien - wie hier - keine Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit festgelegt haben, eine wöchentliche Arbeitszeit von 10 Stunden als vereinbart.

Auf die vorgenannte Norm wurde der Beklagte sowohl seinerzeit vom Landesarbeitsgericht wie auch noch einmal von der erkennenden Kammer im Kammertermin hingewiesen. Gründe, warum die gesetzliche Fiktion vorliegend nicht einschlägig sein sollte, hat er keine vorgetragen. Damit befand er sich nach Ausspruch seiner unwirksamen Kündigung jedenfalls seit Beginn des hier streitgegenständlichen Zeitraums ab dem 06.12.2007 in Annahmeverzug in Höhe einer Vergütung für wöchentlich 10 Arbeitsstunden, entsprechend einem Betrag von 83,40 € brutto. Damit hat es indes nicht sein Bewenden.

Für die Berechnung des Anspruchs auf Annahmeverzugslohn gemäß § 615 S. 1 BGB gilt das Lohnausfallprinzip (BAG 18.09.2001 AP Nr. 37 zu § 611 BGB Mehrarbeitsvergütung; ErfK/Preis, 10. Auflg. 2010, § 615 BGB Rn. 76; DLW/Dörner, Handbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht, 8. Auflg. 2009, Kap. 3 Rn. 1547). Danach ist dem Arbeitnehmer die Vergütung zu zahlen, die dieser im Falle seiner Weiterarbeit erzielt hätte. Zwar war der Beklagte in dem mit Herrn V vereinbarten Abrufarbeitsverhältnis nicht über die Grenzen des § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG hinaus zum Abruf der Arbeitsleistung verpflichtet. Entscheidend ist jedoch - da es an festen Anhaltspunkten für die im Verzugszeitraum von Herrn V erzielte Vergütung fehlt -, welches Entgelt dieser mutmaßlich im Sinne des Lohnausfallprinzips erzielt hätte. So nimmt das Bundesarbeitsgericht in Fällen, in denen es bei schwankender Vergütung an Vereinbarungen oder anderen festen Anhaltspunkten fehlt, eine Schätzung im Sinne von § 287 Abs. 2 ZPO vor, wobei einen Anhaltspunkt für die Vergütungshöhe die vom Arbeitnehmer bis zum Eintritt des Annahmeverzuges erzielte Vergütung liefern kann (vgl. BAG 11.08.1998 - 9 AZR 410/97; 18.09.2001 AP Nr. 37 zu § 611 BGB Mehrarbeitsvergütung; Schaub/Linck, Arbeitsrechtshandbuch, 13. Auflg. 2009, § 95 Rn. 66 ff.). Die Frage, ob der Annahmeverzugslohn auch Überstunden mit umfassen kann, bejaht das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich unter Hinweis darauf, es komme darauf an, ob Überstunden ohne den Annahmeverzug tatsächlich geleistet worden wären, und nicht etwa darauf, dass der Arbeitnehmer keinen vertraglichen Anspruch auf Ableistung von Überstunden habe (BAG 18.09.2001 AP Nr. 37 zu § 611 BGB Mehrarbeitsvergütung).

Auch soweit das Bundesarbeitsgericht die Rechtslage bei § 615 S. 1 BGB mit derjenigen bei Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall als vergleichbar ansieht, hält es dort die Zugrundelegung eines Durchschnittsbetrages aus dem vor der Arbeitsunfähigkeit (hier entsprechend vor dem Annahmeverzug) liegenden Zeitraum für eine sachgerechte Berechnungsart (BAG 23.06.1994 AP Nr. 56 zu § 615 BGB; zur Durchschnittsberechnung und Zugrundelegung von Zeiträumen vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit vgl. aus der Literatur ErfK/Dörner, § 4 EFZG Rn. 14; Schmitt, EFZG, 6. Auflg. 2007, § 4 Rn. 156; Schaub/Linck, § 98 Rn. 88).

Dies steht auch nicht im Widerspruch zu § 615 S. 1 BGB, der keine Vergütung nur für vereinbarte Dienste vorsieht, sondern vielmehr die vereinbarte Vergütung „für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste“. Welche Dienste infolge des Verzugs nicht geleistet werden, lässt das Gesetz damit gerade offen, ohne diese auf vertraglich festgeschriebene Parameter zu beschränken, die der gelebten Praxis des geschriebenen vertraglichen Wortes unter Umständen gar nicht gerecht werden. 

Unstreitig hat der Beklagte die Arbeitsleistung von Herrn V in der Zeit von dessen Arbeitsfähigkeit (01.05. bis 22.10.2007) für erhebliche Zeiten abgerufen, nämlich für 94,5 Stunden (Mai), 130 Stunden (Juni), 162,5 Stunden (Juli), 183 Stunden (August), 153 Stunden (September) und 173 Stunden (anteiliger Oktober). Dies ergibt durchschnittlich eine Arbeitszeit von (896 : 6 =) 149,3 monatlichen Stunden, entsprechend 34,46 Wochenarbeitsstunden. Aus welchem Grunde der Beklagte die Arbeitsleistung ohne seine Kündigung nicht mehr hätte abrufen sollen oder können, ist weder ersichtlich noch vorgetragen.

Seinem Annahmeverzugslohnrisiko kann sich der Beklagte aber nicht dadurch entziehen, dass er den Arbeitnehmer erst durchschnittlich fast wie eine Vollzeitkraft einsetzt, sich dann aber ab Ausspruch der Kündigung darauf zurückzieht, er sei arbeitsvertraglich zu einem Abruf der Arbeitsleistung nicht verpflichtet. Sofern sich an der tatsächlichen Situation nichts geändert hat - wofür es hier keinerlei Anhaltspunkte gibt - und da Herr V ab dem 24.11.2007 wieder arbeitsfähig war, ist mithin davon auszugehen, dass er wie vorher auch zur Arbeitsleistung herangezogen bzw. diese in entsprechendem Umfang abgerufen worden wäre.

Eine Berechnung bzw. Schätzung unter Zugrundelegung der durchschnittlichen Arbeitszeit aus dem Zeitraum vom 01.05. bis 22.10.2007 erscheint vorliegend auch sachgerecht, da er das gesamte Arbeitsverhältnis umfasst und insbesondere auch nicht zu Lasten des Beklagten geht, da der Mai als erster und einziger Monat mit einer deutlich geringeren Stundenzahl ebenfalls mit in die Berechnung einfließt und die in den drei Oktoberwochen geleistete Arbeitszeit von immerhin 173 Stunden nicht auf vier Wochen hochgerechnet wurde. Legt man daher 34,46 Wochenarbeitsstunden zu Grunde, ergeben sich für den streitgegenständlichen Zeitraum folgende Beträge: 06.-17.12. und 25.-27.12.2007 (insgesamt 2 Wochen): (2 x 34,46 x 8,34 =) 574,82 € brutto; 11.-29.02.2008 (3 Wochen): (3 x 34,46 x 8,34 =) 862,23 € brutto; 01.03.-22.08.2008 (25 Wochen): (25 x 34,46 x 8,34 =) 7.185,23 € brutto. Dies ergibt insgesamt einen Betrag von 8.622,28 € brutto. Dabei sind die für die einzelnen Zeiträume von der Klägerin an Herrn V. gezahlten Beträge von den Annahmeverzugsansprüchen jeweils kongruent abgedeckt. 

Dem steht die in § 11 des Arbeitsvertrages vereinbarte Ausschlussfrist nicht entgegen. 

Zwar gingen die Annahmeverzugslohnansprüche von Herrn V. auf die Klägerin gemäß §§ 404, 412 BGB i. V. m. § 115 SGB X einschließlich der Behaftung mit der arbeitsvertraglich vereinbarten Ausschlussfrist über. Diese Frist wurde auch seitens der Klägerin nicht durch deren Überleitungsanzeige vom 04.03.2008 gewahrt, da dort ausdrücklich um einen Verzicht auf die Berufung auf Ausschlussfristen bzw. Verjährung gebeten und anderenfalls fristwahrende Klageerhebung angekündigt wird. Die betreffende Erklärung hat der Beklagte unstreitig nicht abgegeben. Das Schreiben der Klägerin vom 29.09.2008 beinhaltet zwar eine Geltendmachung der Ansprüche gegenüber dem Beklagten, kann aber nur die Ansprüche ab Juni 2008 erfassen, was lediglich einem Betrag von (582,60 + 582,60 + 311,52 =) 1.476,72 € entspricht. Die Ausschlussfrist wurde aber durch die seinerzeitige Erhebung der Kündigungsschutzklage im Dezember 2007 gewahrt.

Die Erhebung einer Kündigungsschutzklage genügt zur schriftlichen Geltendmachung der Ansprüche, die vom erfolgreichen Ausgang des Kündigungsschutzprozesses abhängen, wie vor allem Annahmeverzugslohnansprüche, wenn die Verfallklausel - wie hier - lediglich die (außergerichtliche, also auf der ersten Stufe erfolgende) Geltendmachung der Ansprüche verlangt (BAG 07.11.1991 AP Nr. 114 zu § 4 TVG Ausschlussfristen; 26.04.2006 NZA 2006, 845, 846). Diese Frist hatte Herr V. mit seiner Kündigungsschutzklage für sämtliche hier streitgegenständlichen Annahmeverzugslohnansprüche gewahrt. Daran ändert auch nichts, dass er nach den klagestattgebenden Urteilen erster und zweiter Instanz offenbar keinen Annahmeverzugslohn eingeklagt hat. Die Klägerin hat den Beklagten noch während des Kündigungsschutzprozesses mit Schreiben vom 29.09.2008 aufgefordert, den hier streitgegenständlichen Betrag an sie infolge gesetzlicher Anspruchsüberleitung zu zahlen und ihm damit hinreichend deutlich gemacht, dass sie eine entsprechende Zahlung von ihm begehrt. Auch aus diesem Grunde musste der Beklagte davon ausgehen, von der Klägerin in Anspruch genommen zu werden, und zwar selbst dann, wenn Herr V. seinerseits nicht weiter an ihn herantreten würde. 

Zwar handelt es sich bei dem Klagebetrag um einen Nettobetrag, beim vorstehend berechneten Annahmeverzugslohn dagegen um einen Bruttobetrag. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass ein Betrag von 8.622,28 € brutto einen Nettobetrag von 3.305,40 € beinhaltet. Insoweit hat der Beklagte auch keinerlei Einwände erhoben. Damit war der Klage vollumfänglich stattzugeben. 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. 



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