Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 8 Sa 207/13

Abfindungsangebot am schwarzen Brett

(1.) Verteilt der Arbeitgeber Aushänge im Betrieb, in denen er Arbeitnehmern für ein freiwilliges Ausscheiden aus dem Betrieb eine Abfindung anbietet, so handelt es sich hierbei um eine Gesamtzusage, welche dem einzelnen Arbeitnehmer im Falle einer Eigenkündigung einen Abfindungsanspruch zuerkennt.

(2.) Die in einer Gesamtzusage enthaltenen Regelungen sind rechtlich als Allgemeine Geschäftsbedingungen (§ 305 Abs. 1 BGB) zu qualifizieren. Für ihre Auslegung gelten daher nicht die allgemeinen Regeln der §§ 133, 157 BGB, sondern der Grundsatz objektiver Auslegung. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 9.4.2013, Az. 12 Ca 3429/12, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Abfindung.

Der Kläger war bei der Beklagten zu 1 seit dem 01.06.2003, zuletzt als Key   Account Manager beschäftigt. Seine Arbeitsvergütung belief sich zuletzt auf 7.087,75 EUR brutto monatlich. Am 01.08.2012 ging das Arbeitsverhältnis infolge eines Betriebsübergangs gemäß § 613 a Abs. 1 BGB auf die Beklagte zu 2. über.

Die Beklagte zu 1. veröffentlichte im Zuge der Reorganisation und Fokussierung auf ihr Kerngeschäft im Jahr 2012 mehrere Aushänge, in denen sie ihren Arbeitnehmern Angebote zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung unterbreitete. Der zeitlich letzte Aushang datiert vom 12.03.2012 und hat - soweit vorliegend von Belang - folgenden Inhalt:

„Freiwillige Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Verlängerung bis 30.4.2012

Nachdem unser erstes Angebot zum freiwilligen Ausscheiden Ende Februar 2012 ausgelaufen ist, haben wir uns entschlossen, dieses Angebot bis zum 30.4.2012 zu verlängern.

Da in vielen Abteilungen der Personalabbau allerdings bereits abgeschlossen ist, gilt dieses Angebot im Einzelfall nur bei Zustimmung der Geschäftsführung.

Bei einem freiwilligen Ausscheiden zahlen wir mit der letzten Monatszahlung eine Abfindung in Höhe von [....]

Ab dem 1.5.2012 werden wir diese Regelung nicht weiter verlängern. Danach werden wir bei freiwilligem Ausscheiden den gleichen Betrag als Abfindung zahlen wie er bei betriebsbedingten Kündigungen „normalerweise“ festgelegt wird, nämlich

Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatslohn = Beispiel [...] /  2

(Betriebszugehörigkeit, Bruttolohn 3.000 EUR)

In beiden Fällen berücksichtigen wir Kinder und Schwerbehinderungen zusätzlich wie bisher.

A-Stadt, 12.03.2012“

Am 27.05.2012 kündigte der Kläger, der zwei Kinder hat, zum 31.08.2012.

Mit seiner am 18.09.2012 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger, gestützt auf den Aushang vom 12.03.2012 und unter Zugrundelegung seiner Betriebszugehörigkeit von 9,25 Jahren, gegen die Beklagte einen Abfindungsanspruch in Höhe von 32.780,85 EUR brutto zuzüglich einer Zulage für seine beiden Kinder in Höhe von jeweils 1.000,00 EUR brutto geltend gemacht.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen streitigen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 09.04.2013 (Bl. 115 bis 118 d. A.).

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an den Kläger 34.780,85 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.09.2012 zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 09.04.2013 stattgegeben. Zur Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 7 bis 11 dieses Urteils (= Bl. 119 bis 123 d. A.) verwiesen.

Gegen das ihnen am 07.05.2013 zugestellte Urteil haben die Beklagten am 15.05.2013 Berufung eingelegt und diese innerhalb der ihnen mit Beschluss vom 27.06.2013 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 31.07.2013 begründet.

Die Beklagten machen im Wesentlichen geltend, das erstinstanzliche Urteil beruhe auf einer fehlerhaften Auslegung des Aushangs vom 12.03.2012. Das Arbeitsgericht habe insoweit die Auslegungsgrundsätze der §§ 133, 157 BGB nicht zutreffend angewendet. Insbesondere unterfalle die Eigenkündigung eines Arbeitnehmers nicht dem Begriff des "freiwilligen Ausscheidens" im Sinne des Aushangs. Diesbezüglich sei zu berücksichtigen, dass der Aushang vom 12.03.2012 der letzte Aushang im Zuge einer ganzen Reihe aufeinander aufbauender Bekanntmachungen gewesen sei. Bereits im Aushang vom 08.12.2011 sei klargestellt worden, dass unter einem "freiwilligen Ausscheiden" der Abschluss eines Aufhebungsvertrages gemeint sei. Entsprechendes gelte für den Aushang vom 04.01.2012, wo darüber hinaus auch ausgeführt sei, dass die Entscheidung über die Annahme eines Aufhebungsvertrages der Geschäftsführung obliege. Dies sei nochmals im Aushang vom 25.01.2012 eindeutig zum Ausdruck gebracht worden. Der Aushang vom 12.03.2012 könne daher nicht anders verstanden werden. Die darin enthaltene Formulierung "ab dem 01.05.2012 werden wir diese Regelung nicht weiter verlängern", beziehe sich ausschließlich auf die Abfindungshöhe, ohne aber dabei den Begriff "freiwilliges Ausscheiden" auf eine neue Grundlage zu stellen und damit auch Eigenkündigungen zu erfassen. Die am Anfang des Aushangs getätigte Aussage, dass das Angebot nur bei Zustimmung der Geschäftsführung gelte, beziehe sich auf beide Abfindungsberechnungen. Es sei ohne Bedeutung, dass im zweiten Teil des Abfindungsangebots nicht nochmals ausdrücklich erklärt worden sei, dass der Abfindungsanspruch von der Zustimmung der Geschäftsleitung abhänge. Ein anderes Verständnis sei auch in Ansehung der betrieblichen Bedürfnisse nicht vertretbar. Zum damaligen Zeitpunkt sei ein Personalabbau im Vertrieb, in welchem der Kläger tätig gewesen sei, nicht mehr erwünscht gewesen. Dies ergebe sich auch aus einer an alle Mitarbeiter gerichteten E-Mail vom 29.02.2012, in der deutlich gemacht worden sei, dass u. a. in der Abteilung des Klägers kein weiterer Personalabbau gewünscht sei.

Zur Darstellung aller Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf deren Berufungsbegründungsschrift vom 31.07.2013 (Bl. 159 bis 166 d. A.) Bezug genommen.

Die Beklagten beantragen,

das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderungsschrift vom 04.10.2013 (Bl. 182 bis 184 d. A.), auf die Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe

I.  Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Klage vielmehr zu Recht stattgegeben.

II.  Die Klage ist begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner einen Zahlungsanspruch in Höhe von 34.780,85 EUR brutto. Der Anspruch ergibt sich aus der im Wege des Aushangs vom 12.03.2012 getätigten Gesamtzusage der Beklagten zu

1. Bei dem Aushang der Beklagten zu 1 vom 12.03.2012 handelt es sich um eine Gesamtzusage, d. h. um eine an alle Arbeitnehmer in allgemeiner Form - wie hier durch Aushang am Schwarzen Brett - gerichtete Erklärung des Arbeitgebers, unter bestimmten Voraussetzungen eine Leistung zu erbringen. Aufgrund einer solchen Gesamtzusage erwerben die Arbeitnehmer, falls sie die vom Arbeitgeber genannten Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, einen einzelvertraglichen Anspruch auf Gewährung der zugesagten Leistung. Der einzelne Arbeitnehmer kann das in der Gesamtzusage liegende Angebot annehmen, ohne dass dem Arbeit-geber die Annahmeerklärung zugeht (§ 151 Satz 1 BGB; vgl. BAG v. 17.11.2009   - 9 AZR 765/08 - NZA-RR 2010, 293).

Der Kläger hat durch seine Eigenkündigung vom 27.05.2012 die im zweiten Abschnitt des Aushangs vom 12.03.2012 genannten Voraussetzungen für einen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung erfüllt. Zugleich hat er damit das in der Gesamtzusage liegende Angebot auf Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung konkludent angenommen.

Der Kläger ist infolge seiner Eigenkündigung "freiwillig" im Sinne der Gesamtzusage vom 12.03.2012 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Es bedurfte insoweit - entgegen der Ansicht der Beklagten - auch weder des Abschlusses eines Aufhebungsvertrages noch der im zweiten Absatz der Gesamtzusage genannten "Zustimmung der Geschäftsführung".

Die in der Gesamtzusage der Beklagten zu 1. enthaltenen Regelungen sind, da sie an eine Vielzahl von Arbeitnehmern gerichtetes vorformuliertes Angebot erhalten, rechtlich als Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne von § 305 Abs. 1 BGB zu qualifizieren. Für ihre Auslegung gelten daher nicht die allgemeinen Regeln der §§ 133, 157 BGB, sondern der Grundsatz objektiver Auslegung. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Ausgangspunkt für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist der Vertragswortlaut. Von Bedeutung für das Auslegungsergebnis sind ferner der von den Vertragsparteien verfolgte Regelungszweck sowie die der jeweils anderen Seite erkennbare Interessenlage der Beteiligten (BAG v. 19.05.2010 - 4 AZR 796/08 - NZA 2010, 1183, m. w. N.).

Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers infolge der von ihm er-klärten Eigenkündigung stellt ein freiwilliges Ausscheiden im Sinne der Gesamtzusage dar. Insoweit ist der Wortlaut des Aushangs eindeutig. Die Eigenkündigung des Klägers erfolgte - soweit ersichtlich - aus freien Stücken des Klägers sowie ohne arbeitgeberseitigen Zwang und damit nach allgemeinem Sprachverständnis freiwillig.

Nach dem Wortlaut des Aushangs bedurfte es für das Entstehen eines Abfindungsanspruchs bei einer nach dem 30.04.2012 erklärten Eigenkündigung auch nicht der im zweiten Absatz der Gesamtzusage bezeichneten Zustimmung der Geschäftsführung. Diese bezieht sich nämlich, wie sich aus dem Aufbau bzw. der inhaltlichen Gliederung des Aushangs ergibt, nur auf den Fall des mit einem höheren Abfindungsanspruch verbundenen Ausscheidens bis zum 30.04.2012. Der Aushang enthält insoweit zwei verschiedene Angebote: Zum einen das Angebot auf Zahlung einer (relativ hohen) Abfindung nach Maßgabe der im ersten Abschnitt des Aushangs genannten Berechnungsformel bei einem Ausscheiden bis einschließlich 30.04.2012 mit Zustimmung der Geschäftsführung; zum anderen das Angebot auf Zahlung einer (geringeren) Abfindung in einer der Regelung des § 1 a Abs. 2 KSchG entsprechenden Höhe für den Fall eines freiwilligen, auch  ohne Zustimmung der Geschäftsführung erfolgten Ausscheidens ab dem 01.05.2012. Dies wird insbesondere in der Formulierung "ab dem 01.05.2012 werden wir diese Regelung nicht weiter verlängern" deutlich. Hierin kommt eindeutig zum Ausdruck, dass die an die Zustimmung der Geschäftsführung geknüpfte Abfindungsregelung für die Zeit nach dem 30.04.2012 nicht mehr gelten solle. Bezüglich der ab 01.05.2012 geltenden Abfindungsregelung enthält der Aushang keinerlei Hinweis auf das Erfordernis der Zustimmung der Geschäftsführung. Auch ansonsten ergeben sich aus dem Wortlaut des Aushangs keinerlei Hinweise darauf, dass das Zustimmungserfordernis auch noch bei einem frei-willigen Ausscheiden nach dem 30.04.2012 fortgelten sollte.

Nichts anderes ergibt sich auch unter Berücksichtigung des mit dem Aushang verfolgten Regelungszwecks und der für den Kläger erkennbaren Interessenlage der Beklagten zu 1. Der Kläger konnte als Erklärungsempfänger vielmehr durchaus davon ausgehen, dass die Beklagte zu 1 ausschließlich das Entstehen des im  ersten Teil des Aushangs genannten Abfindungsanspruchs an eine vorherige Zustimmung der Geschäftsführung knüpfen, die Entstehung des verringerten Abfindungsanspruchs hingegen nur noch von dem Erfordernis des freiwilligen Ausscheidens abhängig machen wollte. Einem diesem Verständnis entgegen-stehende Gesichtspunkte sind nicht erkennbar.

Aber selbst dann, wenn man zugunsten der Beklagten davon ausgehen würde, dass die Gesamtzusage auch dahingehend ausgelegt werden könnte, dass die Zustimmung der Geschäftsführung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses in jedem Fall, d. h. auch noch für die Zeit nach dem 30.04.2012 Voraussetzung für die Entstehung des Abfindungsanspruchs ist, so würde dies der Begründetheit der Klage nicht entgegenstehen, da nach der Unklarheitenregel des § 305 c Abs. 2 BGB Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu Lasten des Verwenders gehen.

Die Klage ist auch der Höhe nach begründet. Das Berufungsgericht folgt insoweit den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts unter I. 1. c) in den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils und stellt dies gemäß § 69 Abs. 2  ArbGG fest.

Die gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten zu 1. und der Beklagten zu 2. folgt aus § 613 a Abs. 1 BGB.

Der Zinsanspruch resultiert aus den §§ 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB.

III.  Nach alledem war die Berufung der Beklagten mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.

Für die Zulassung der Revision bestand in Ansehung der in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.



Sie kennen die Kanzlei Labisch aus folgenden Medien:

Logo SWR1
Logo SWR4
Logo RPR1
Logo Wiesbadener Kurier
Logo Geißener Anzeiger
Logo Wormser Zeitung
Logo Wiesbadener Tagblatt
Logo Main Spitze
Logo Frankfurter Rundschau
Logo Handelsblatt
Logo Allgemeine Zeitung
Logo Darmstädter Echo
Logo Focus
Logo NTV
Logo ZDF WISO
Lexikon schließen
Schließen