Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 10 Sa 25/13

Anspruch auf kostenfreie Privatnutzung des Dienstwagens aus betrieblicher Übung - Schriftformgebot des TVöD

Die Zusage einer unentgeltlichen Beförderung (Fahrtgelderstattung) des Arbeitnehmers von und zum Arbeitsplatz stellt eine Nebenabrede dar. Der mit ihr verbundene vermögenswerte Vorteil wird nicht als Gegenleistung für die vertraglich geschuldete Leistung des Arbeitnehmers erbracht, sondern aus sozialen Gründen.
Damit unterfällt sie dem Schriftformerfordernis des §2 Abs.3 TVöD (früher: BAT). In einem solchen Fall kann für den Arbeitnehmer kein Anspruch auf kostenfreie Beförderung vom und zum Arbeitsplatz aus betrieblicher Übung entstehen.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 22. November 2012, Az.: 7 Ca 1193/12, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte berechtigt ist, den Kläger ab 01.10.2011 an den Kosten der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsort mit dem Dienstfahrzeug zu beteiligen.

Der 1953 geborene Kläger ist seit 01.04.2003 bei dem beklagten Zweckverband, der ca. 40 Arbeitnehmer beschäftigt, als Krankenpfleger angestellt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der TVöD Anwendung. Der Kläger wird nach Entgeltgruppe 8 a (Stufe 6) - Besonderer Teil Pflege- und Betreuungseinrichtungen (TVöD-B) - vergütet.

Der Beklagte stellt dem Kläger und den anderen (ca. 25) Beschäftigten, die in der ambulanten Alten- und Krankenpflege arbeiten, für Dienstfahrten ein Kraftfahrzeug zur Verfügung, das sie auch für die Privatfahrten zwischen ihrer Wohnung und dem Arbeitsort benutzen dürfen. Bis Ende September 2011 mussten sich die Beschäftigten an den Kosten dieser Privatfahrten nicht beteiligen. Am 27.09.2011 schloss der Beklagte mit dem Personalrat eine Dienstvereinbarung zur Regelung der Nutzung der Dienstfahrzeuge. Diese hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

„II. Regelungen für Mitarbeiter/-innen in der Pflege

Die Mitarbeiter/-innen, welche über Dienstfahrzeuge verfügen, setzen diese auch für Privatfahrten zwischen ihrer Wohnung und dem Arbeitsort ein. Als Arbeitsort wird C-Stadt oder E-Stadt verbindlich festgelegt. Hier ist der jeweils nächste Arbeitsort in Beziehung auf den Wohnort zu nehmen.

Der geldwerte Vorteil für die Benutzung des Dienstwagens zum festgelegten Arbeitsort wird mit derzeit 0,22 Euro pro Kilometer vom Mitarbeiter/von der Mitarbeiterin ausgeglichen. ...

Die Arbeitszeit vom Arbeitsort zum ersten Einsatzort wird regulär vergütet.

Für die Rückfahrt vom letzten Arbeitseinsatz zum Wohnort trägt der Mitarbeiter keine Kostentragungspflicht. Es besteht für diese Zeit auch kein Entgeltanspruch.

...“

Seit 01.10.2011 zog der Beklagte vom Monatsentgelt des Klägers € 0,22 pro Kilometer für die einfache Strecke zwischen Wohnung und Arbeitsort ab. Die kürzeste Entfernung beträgt 26,1 Kilometer. Mit dem Entgeltabzug, der sich von Oktober 2011 bis März 2012 auf insgesamt € 654,29 belief, ist der Kläger nicht einverstanden. Am 29.03.2012 erhob er deshalb Klage. Seit April 2012 ist er ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes, des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der erstinstanzlich gestellten Sachanträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 22.11.2012 (dort Seite 2-4) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe weder aus dem Arbeitsvertrag noch aus dem TVöD einen Anspruch darauf, das Dienstfahrzeug zwischen Wohn- und Arbeitsort kostenfrei privat zu nutzen. Ein solcher Anspruch folge auch nicht aus betrieblicher Übung. Eine betriebliche Übung scheitere im öffentlichen Dienst schon an der fehlenden Schriftform. Dessen ungeachtet gelte im öffentlichen Dienst grundsätzlich Normvollzug. Der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes könne selbst bei langjährigen Leistungen nicht ohne zusätzliche konkrete Anhaltspunkte annehmen, die Gewährung von Vergünstigungen sei Vertragsbestandteil geworden und werde auf Dauer gewährt. Solche Anhaltspunkte habe der Kläger nicht vorgetragen, sie seien auch nicht ersichtlich. Dies habe zur Konsequenz, dass der Beklagte die Arbeitnehmer durch einseitige Anordnung an den Kosten der Privatfahrten beteiligen könne. Auf die Frage der Wirksamkeit der Dienstvereinbarung komme es deshalb nicht an. Wegen der Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 4-6 des erstinstanzlichen Urteils vom 22.11.2012 Bezug genommen.

Das Urteil ist dem Kläger am 17.12.2012 zugestellt worden. Er hat mit am 14.01.2013 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 18.03.2013 verlängerten Begründungsfrist mit am 14.03.2013 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Der Kläger macht geltend, die rechtliche Würdigung des Arbeitsgerichts sei unzutreffend. Er habe einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf die Privatnutzung des Dienstwagens erworben. Die kostenlose Nutzung des Dienstwagens für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsort sei ein geldwerter Vorteil und damit Vergütungsbestandteil für die geschuldete Arbeitsleistung. Dieser Vergütungsbestandteil könne vom Arbeitgeber nicht einseitig widerrufen werden, weil in der erlaubten Privatnutzung des Dienstwagens ein Besitzmittlungsverhältnis iSv. § 868 BGB angelegt worden sei. Deshalb könne ihn der Beklagte auch nicht durch einseitige Anordnung an den Kosten der Fahrten zwischen Wohn- und Arbeitsort beteiligen. Er könne auch nicht durch die freiwillige Dienstvereinbarung vom 27.09.2011 gebunden werden. Der arbeitsvertragliche Anspruch auf kostenfreie Privatnutzung könne nur durch eine Änderungskündigung geändert werden. Der Beklagte unterfalle als kommunaler Zweckverband nicht automatisch sämtlichen Grundsätzen des öffentlichen Dienstes. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 18.03.2013 und vom 06.05.2013 Bezug genommen.

Der Kläger beantragt zweitinstanzlich,

das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 22.11.2012, Az. 7 Ca 1193/12, abzuändern und festzustellen, dass der Beklagte nicht berechtigt ist, ihn ab 01.10.2011 an den Kosten der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsort mit dem Dienstfahrzeug zu beteiligen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung vom 17.04.2013, auf die Bezug genommen wird, als zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.  Die nach § 64 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und in ausreichender Weise begründet worden. Sie ist somit zulässig.

II.  In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Der Beklagte war berechtigt, den Kläger ab dem 01.10.2011 an den Kosten der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsort mit dem Dienstfahrzeug zu beteiligen.

1. Die Feststellungsklage ist iSv. § 256 Abs. 1 ZPO zulässig. Der Kläger hat ein rechtliches Interesse daran, durch das Gericht feststellen zu lassen, ob der Beklagte berechtigt ist, ihn ab 01.10.2011 an den Kosten der Fahrten zwischen Wohn- und Arbeitsort mit dem Dienstfahrzeug zu beteiligen.

Eine allgemeine Feststellungsklage braucht sich nicht notwendig auf das gesamte Rechtsverhältnis zu erstrecken. Der Kläger kann sie auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken (BAG 13.07.2010 - 9 AZR 264/09 - Rn. 21 mwN, Juris). So liegt der Fall hier. Die vom Kläger begehrte Feststellung bezieht sich lediglich auf die Beteiligung an den Kosten der Privatfahrten mit dem Dienstfahrzeug zwischen Wohn- und Arbeitsort.

Der grundsätzlich geltende Vorrang der Leistungsklage steht der Zulässigkeit des Feststellungsantrags nicht entgegen. Der Vorrang der Leistungsklage dient dem Zweck, Rechtsstreitigkeiten prozesswirtschaftlich sinnvoll zu erledigen. Danach ist eine Feststellungsklage zulässig, wenn mit ihr eine sachgerechte, einfache Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte zu erreichen ist und prozesswirtschaftliche Überlegungen gegen einen Zwang zur Leistungsklage sprechen (BAG 17.05.2011 - 9 AZR 201/10 - Rn. 28, 29 mwN, AP GewO § 106 Nr. 12). Diese Voraussetzungen liegen vor. Das der Vollstreckung nicht zugängliche Feststellungsurteil ist geeignet, den rechtlichen Konflikt der Parteien endgültig zu lösen und weitere Prozesse zu vermeiden.

Im Übrigen ist zu erwarten, dass sich ein öffentlich-rechtlicher Arbeitgeber einer gerichtlichen Feststellung entsprechend verhalten wird. Entgegen der Ansicht der Berufung handelt es sich beim Beklagten um einen öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Landesgesetzes über die kommunale Zusammenarbeit (KomZG) in der Fassung vom 22.12.2003 ist der Zweckverband eine Körperschaft des öffentlichen Rechts.

2. Die Klage ist nicht begründet. Der Kläger kann vom Beklagten nicht verlangen, dass ihm der Dienstwagen für die Fahrten zwischen Wohn- und Arbeitsort kostenfrei zur Verfügung gestellt wird. Es fehlt an einer Anspruchsgrundlage. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.

a.) Aus dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 29.01.2003 folgt keine Verpflichtung des Beklagten, dem Kläger den Dienstwagen kostenfrei zur Verfügung zu stellen, um damit von seiner Wohnung zur Arbeit zu fahren. Der schriftliche Arbeitsvertrag enthält keinerlei Dienstwagenregelung.

b.) Der Anspruch folgt nicht aus tariflichen Vorschriften. Nach § 2 des Arbeitsvertrags vom 29.01.2003 bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem BAT und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen. Damit richtet sich das Arbeitsverhältnis der Parteien seit 01.10.2005 nach den Regelungen des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) für den Dienstleistungsbereich Pflege- und Betreuungseinrichtungen im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (TVöD-B), der den BAT ersetzt hat. Es handelt sich um eine Tarifsukzession (BAG 17.11.2011 - 5 AZR 409/10 - Rn. 15 mwN, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 96). Weder der TVöD-B noch der BAT begründen tarifliche Ansprüche auf kostenfreie Nutzung eines Dienstwagens für die Fahrten zwischen Wohn- und Arbeitsort.

c.) Der Anspruch folgt nicht aus betrieblicher Übung. Dem steht schon das Schriftformgebot des § 2 Abs. 3 Satz 1 TVöD (früher: § 4 Abs. 2 Satz 1 BAT) entgegen. Nach dieser Tarifvorschrift sind Nebenabreden nur wirksam, wenn sie schriftlich vereinbart wurden. Es handelt sich dabei um eine gesetzliche Schriftform iSd. § 126 BGB. Ihre Missachtung hat die Unwirksamkeit des betreffenden Rechtsgeschäfts zur Folge. Im Geltungsbereich des TVöD (früher: BAT) kann deshalb die wiederholte Gewährung einer Vergünstigung eine bindende Wirkung grundsätzlich nur dann entfalten, wenn der tariflichen Formvorschrift genügt wird (BAG 13.07.2010 - 9 AZR 264/09 - Rn. 48, Juris; 18.09.2002 - 1 AZR 477/01 - Rn. 16, AP BGB Betriebliche Übung Nr. 59).

Eine vertragliche Abrede über die kostenfreie Nutzung des Dienstwagens für Fahrten zwischen Wohn- und Arbeitsort würde als Nebenabrede dem Anwendungsbereich des § 2 Abs. 3 TVöD unterfallen. Nach der Rechtsprechung des BAG, der die Berufungskammer folgt, ist die Zusage einer unentgeltlichen Beförderung des Arbeitnehmers von und zum Arbeitsplatz eine Nebenabrede. Der mit ihr verbundene vermögenswerte Vorteil wird nicht als Gegenleistung für die vertraglich geschuldete Leistung des Arbeitnehmers erbracht, sondern aus sozialen Gründen, weil der Kläger - wie er selbst einräumt - im ländlichen Raum nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu seinem Arbeitsort gelangen kann. Es handelt sich um eine betriebliche Sozialleistung und nicht um eine vertragliche Hauptpflicht, für die § 2 Abs. 1 TVöD lediglich ein deklaratorisches Schriftformerfordernis enthält (BAG 18.09.2002 - 1 AZR 477/01 - Rn. 17, aaO).

d.) Der Anspruch folgt nicht aus § 612 Abs. 1 BGB. Danach gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Mit der Fahrt von der Wohnung zum Arbeitsort erbringt der Kläger keine Dienstleistung iSv. § 612 Abs. 1 BGB. Die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz sind erforderliche Handlungen des Arbeitnehmers, um die geschuldete Tätigkeit am Arbeitsplatz aufnehmen zu können (BAG 22.06.2011 - 8 AZR 102/10 - Rn. 24, NZA 2012, 91). Nach allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätzen hat der Arbeitnehmer seine Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte selbst zu tragen.

e.) Die Ausführungen der Berufung zum Besitzmittlungsverhältnis iSd. § 868 BGB sind unerheblich. Das Besitzrecht des Klägers am Dienstwagen gibt keinen Aufschluss über die Frage, ob die Beklagte berechtigt ist, ihn ab 01.10.2011 mit € 0,22 pro Kilometer an den Kosten der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsort zu beteiligen.

f.) Der Kläger hat keinen Anspruch auf kostenfreie Nutzung des Dienstwagens für die Fahrten von seiner Wohnung zum Arbeitsort aufgrund der Dienstvereinbarung vom 27.09.2011. Es kann dahinstehen, ob diese Dienstvereinbarung, wie der Kläger meint, von Anfang an rechtsunwirksam war, denn sie regelt eine Kostenbeteiligung der Arbeitnehmer mit € 0,22 pro Kilometer und keinen Anspruch auf kostenfreie Nutzung.

III.  Nach alledem ist die Berufung des Klägers mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.



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