Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 10 Sa 224/12

Anwendung des KSchG für Hauptbetrieb und Niederlassung; Klageverzicht mit Stundenzettel; betriebsbedingte Kündigung; Betriebsübergang

(1.) Die räumliche Einheit ist kein entscheidendes Abgrenzungsmerkmal bezüglich der Frage, ob ein Betrieb im kündigungsschutzrechtlichen Sinne vorliegt. Vielmehr kommt es auf die Leitung des Betriebs an, der es obliegt, die Einzelheiten der arbeitstechnischen Zwecksetzung zu regeln. Daher können auch ein Hauptbetrieb und eine 400 Km entfernte Niederlassung einen Betrieb darstellen, wenn dem Niederlassungsleiter lediglich untergeordnete Personalkompetenzen zustehen.

(2.) Enthält ein Stundenzettel den Zusatz „Beschäftigungsende am ...“, so lässt eine Unterzeichnung des Arbeitnehmers nicht auf dessen rechtsgeschäftlichen Willen, auf eine Kündigungsschutzklage zu verzichten, schließen.
(Redaktionelle Orientierungssätze)

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 2) wird das Teilurteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 2. März 2012, Az.: 2 Ca 1670/10, teilweise abgeändert soweit der Klage auf Zahlung von € 1.351,48 brutto Überstundenvergütung stattgegeben worden ist. Insoweit wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagten zu 1) und zu 2) als Gesamtschuldner zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf € 34.829,98 festgesetzt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten zu 1) vom 14.07.2010, über die Zahlung von Arbeitsentgelt, das der Kläger der Beklagten zu 2) gestundet hatte, und Überstundenvergütung.

Der im April 1946 geborene Kläger war seit dem 01.10.2005 bei der Fa. Z. GmbH (Geschäftsführer A.) mit Sitz in A-Stadt als technischer Leiter beschäftigt. In § 4 des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 28.09.2005 (Bl. 10-13 d.A.). war ein Bruttomonatsentgelt von € 4.000,00, in § 12 eine doppelte Ausschlussfrist von drei Monaten vereinbart worden. Beginnend mit dem 01.11.2005 erklärte sich der Kläger mit einer Stundung des monatlichen Arbeitsentgelts in Höhe eines Teilbetrages von € 1.500,00 für einen Zeitraum von maximal zwei Jahren einverstanden. Dies bestätigte der Geschäftsführer A. in einem Schreiben an den Kläger vom 28.09.2005 (Bl. 59 d.A.).

Die Z. GmbH hat die Firma im November 2009 in D., die Beklagte zu 2), geändert. A. war bis 03.11.2009 als Geschäftsführer ins Handelsregister eingetragen. Die Beklagte zu 2) ist eine Tochtergesellschaft der Beklagten zu 1). Mit Gesellschafterbeschluss vom 02.01.2007 (Bl. 60 d.A.) hatte die Beklagte zu 1) als „100%ige“ Gesellschafterin der Fa. Z. GmbH beschlossen, deren Geschäftstätigkeit einzustellen. Die laufende Geschäftstätigkeit sollte von der Beklagten zu 1), Niederlassung Y.-Stadt, durchgeführt werden.

Am 01.06.2007 schloss der Kläger mit der Beklagten zu 1), die ihren Sitz in X.-Stadt (Thüringen) hat, einen schriftlichen Arbeitsvertrag (Bl. 6-9 d.A.). Danach wurde der Kläger mit Dienstantritt ab 01.06.2007 als Servicetechniker im Bereich der Niederlassung A-Stadt eingestellt. Niederlassungsleiter war A.. Es wurde ein Bruttomonatsgehalt von € 2.000,00 zzgl. eines Arbeitgeberzuschusses zur privaten Krankenversicherung vereinbart, der sich auf € 159,50 belief. In der Niederlassung A-Stadt beschäftigte die Beklagte zu 1) nicht mehr als fünf Arbeitnehmer, am Hauptsitz in X.-Stadt beschäftigt sie mehr als zehn.

Mit Schreiben vom 14.07.2010 (Bl. 5 d.A.) kündigte die Beklagte zu 1) das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 15.08.2010, hilfsweise zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 03.08.2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen Kündigungsschutzklage. Da er seit dem 01.05.2011 Rentner ist, macht er den Bestand des Arbeitsverhältnisses bis zum 30.04.2011 geltend. Über den Klageantrag auf Zahlung der Arbeitsvergütung für die Zeit vom 01.06.2010 bis zum 30.04.2011 in Höhe von € 23.754,50 brutto (11 Mon. x € 2.159,00) abzüglich Arbeitslosengeld, hat das Arbeitsgericht noch nicht entschieden. Den Antrag auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses hat der Kläger mit Einwilligung der Beklagten zurückgenommen. Der Kläger verlangt außerdem von den Beklagten zu 1) und zu 2) als Gesamtschuldner die Zahlung des gestundeten Arbeitslohnes für 18 Monate vom 01.11.2005 bis 30.04.2007 (18 x € 1.500,00) in Höhe von € 27.000,00 brutto. Schließlich macht er gegenüber der Beklagten zu 1) Überstundenvergütung in Höhe von € 1.351,48 brutto für 85,25 Überstunden geltend, die er vom 03.07. bis 20.12.2007 geleistet habe und die ihm noch nicht vergütet worden seien (Stundenguthaben laut Wochenarbeitsplan KW 52/2007 vom 21.12.2007, Bl. 72 d.A.).

Am 01.08.2010 verkaufte der Kläger für € 5.000,00 die Büroausstattung der Beklagten zu 2) in A-Stadt an die Fa. W. GmbH (Bl. 132 d.A.). Das Inventar war ihm am 26.06.2007 von der Fa. Z. GmbH zur Sicherheit übertragen worden (Bl. 149 d.A.). Die Fa. W. GmbH (Geschäftsführer A.), die am 23.06.2010 gegründet worden ist, ist in A-Stadt unter der Anschrift der Beklagten zu 2) ansässig.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Teilurteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 02.03.2012 (dort Seite 2-5 = Bl. 178-181 d.A.) Bezug genommen.

Der Kläger hat - soweit von Interesse - erstinstanzlich zuletzt beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zu 1) nicht durch die Kündigung vom 14.07.2010 zum 15.08.2010 beendet worden ist,
die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn € 27.000,00 zzgl. fünf Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit 01.11.2007 zu zahlen,
die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an ihn € 23.754,50 abzüglich erhaltener Arbeitslosengeldzahlungen in Höhe von € 7.385,84 nebst gestaffelter Zinsen zu zahlen,
die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an ihn € 1.351,48 zzgl. fünf Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit 01.01.2008 zu zahlen.

Die Beklagten zu 1) und zu 2) haben beantragt,
die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat mit Teilurteil vom 02.03.2012 den Klageanträgen zu1), zu 2) und zu 4) stattgegeben. Über den Antrag zu 3) hat es noch nicht entschieden, weil im Termin Angaben zur Höhe des bezogenen Arbeitslosengeldes fehlten.

Zur Begründung des Teilurteils hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung vom 14.07.2010 sei sozial nicht gerechtfertigt. Das Kündigungsschutzgesetz finde gemäß § 23 Abs. 1 KSchG Anwendung, weil die Beklagte zu 1) insgesamt mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftige. Es sei auf die Gesamtzahl der Arbeitnehmer abzustellen und nicht nur auf die Anzahl der in der Niederlassung A-Stadt beschäftigten Arbeitnehmer. Die Beklagte habe nicht substantiiert dargelegt, dass die Niederlassung A-Stadt durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständig und in der Niederlassung eine eigenständige Personalleitung bezüglich der sozialen und personellen Angelegenheiten institutionalisiert sei. Sie habe auch einen Kündigungsgrund nicht hinreichend substantiiert dargetan. Ihr Vortrag, dass die Niederlassung A-Stadt im September 2010 geschlossen und abgemeldet worden sei, genüge nicht.

Beide Beklagten seien verpflichtet, an den Kläger die ab 01.11.2005 gestundete Vergütung von monatlich € 1.500,00 für 18 Monate, mithin insgesamt € 27.000,00 brutto zu zahlen. Der Kläger könne die Beklagte zu 1) neben der Beklagten zu 2) gesamtschuldnerisch wegen Betriebsübergangs in Anspruch nehmen. Ein Betriebsübergang iSd. § 613 a Abs. 1 BGB sei im Hinblick auf den Gesellschafterbeschluss der Beklagten zu 1) vom 02.01.2007 anzunehmen. Die Beklagte zu 1) sei außerdem verpflichtet, dem Kläger Überstundenvergütung für 85,25 Überstunden nebst Zuschlägen in Höhe der geltend gemachten € 1.351,48 brutto zu zahlen. Der Kläger habe eine schriftliche Überstundenaufstellung der Beklagten zu 1) vom 21.12.2007 zur Akte gereicht, aus der sich die Überstunden ergäben.

Wegen weiterer Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 5 bis 9 des erstinstanzlichen Teilurteils vom 02.03.2012 (Bl. 181-185 d.A.) Bezug genommen. Das genannte Urteil ist beiden Beklagten am 12.04.2012 zugestellt worden. Sie haben mit am 11.05.2012 beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese am 12.06.2012 begründet.

Sie sind der Ansicht, das Arbeitsverhältnis sei durch die Kündigung der Beklagten zu 1) vom 14.07.2010 aufgelöst worden. Der Kläger habe durch Schreiben vom 02.08.2010 auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichtet (Stundenzettel 02.08.2010; Bl. 62 d.A.). Das Kündigungsschutzgesetz sei nicht anwendbar, denn die Niederlassung A-Stadt sei ein selbständiger Betrieb iSd. § 23 Abs. 1 KSchG. Insbesondere sei die Personalleitung durch den Niederlassungsleiter A. selbständig erfolgt. Er sei berechtigt gewesen, Anstellungsverträge abzuschließen. So habe er auch den Anstellungsvertrag vom 01.06.2007 mit dem Kläger geschlossen. Im Übrigen sei die Kündigung durch dringende betriebliche Gründe gerechtfertigt, denn sie habe ihre Geschäftstätigkeit in A-Stadt am 15.09.2010 eingestellt. A. habe die Geschäftstätigkeit ab 16.09.2010 in vollem Umfang und voller Identität mit der neu gegründeten Fa. W. GmbH wieder aufgenommen. Am Hauptsitz in X.-Stadt könne sie den Kläger nicht weiter beschäftigen.

Sie seien nicht als Gesamtschuldner verpflichtet, an den Kläger € 27.000,00 zu zahlen. Die gestundeten Ansprüche auf Arbeitsentgelt seien gegenüber der Beklagten zu 2) aufgrund der dreimonatigen Ausschlussklausel in § 12 des Arbeitsvertrages vom 28.09.2005 verfallen. Die gestundeten Ansprüche seien am 01.11.2007, maximal zwei Jahre seit 01.11.2005, zur Zahlung fällig gewesen. Der Kläger habe die Ansprüche erst mit Klageerweiterung vom 23.12.2010 ggü. der Beklagten zu 2) geltend gemacht. Dies sei verspätet. Im Übrigen liege kein Betriebsübergang auf die Beklagte zu 1) vor. Der Hinweis auf den Gesellschafterbeschluss vom 02.01.2007 genüge nicht. Die Beklagte zu 1) habe weder das Personal noch die Betriebsmittel der Beklagten zu 2) übernommen. Der Kläger selbst habe die Büroausstattung am 01.08.2010 an die Fa. W. GmbH veräußert. Es handele sich lediglich um eine Funktionsnachfolge.

Der Kläger könne keine Überstundenvergütung beanspruchen. Die Klage sei unsubstantiiert. Der vorgelegten Unterlage (Bl. 72 d.A.) lasse sich keine „Überstundenaufstellung“ entnehmen. Es handele sich um den Wochenarbeitsplan KW 52/2007, der kein Schuldanerkenntnis enthalte. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Inhalt des Schriftsatzes der Beklagten vom 12.06.2012 (Bl. 232-243 d.A.) Bezug genommen.

Die Beklagten zu 1) und zu 2) beantragen zweitinstanzlich,
das Teilurteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 02.03.2012, Az.: 2 Ca 1670/10, abzuändern, soweit der Klage stattgegeben wurde, und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung vom 27.07.2012 (Bl. 270-277 d.A.), auf die Bezug genommen wird, als zutreffend. Die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt. Das Kündigungsschutzgesetz sei anwendbar, denn die Niederlassung A-Stadt sei kein eigenständiger Betrieb. Sämtliche relevanten Entscheidungen seien am Hauptsitz der Beklagten in X.-Stadt getroffen worden. Er bestreite, das die Beklagte den Einbau und den Service von Kleinkläranlagen von ihrem Hauptsitz in X.-Stadt aus nicht betreibe. Sie betreue bis heute als Subunternehmerin ca. 20 Kleinkläranlagen. Sein Anspruch auf Zahlung der gestundeten Arbeitsvergütung für 18 Monate sei nicht verfallen. Die Beklagte zu 2) könne sich nicht auf die Ausschlussklausel berufen, weil der ursprüngliche Vertrag nach dem Betriebsübergang durch einen neuen Arbeitsvertrag ersetzt worden sei, der keine Verfallfrist enthalte. Im Übrigen sei die Stundungsvereinbarung nicht von der Ausschlussklausel erfasst. Die Klausel sei überraschend und damit unwirksam. Die geltend gemachten Überstunden habe die Beklagte zu 1) wirksam anerkannt.

Die Berufungskammer hat Beweis erhoben über die Behauptung der Beklagten zu 1), A. habe die Niederlassung A-Stadt selbständig geleitet und überwacht, durch Vernehmung des A. als Zeugen. Wegen des Inhalts der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die Feststellungen zur Sitzungsniederschrift vom 08.11.2012 (Bl. 374ffd.A.).

 

Entscheidungsgründe

I.  Die nach § 64 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten zu 1) und zu 2) ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und in ausreichender Weise begründet worden. Sie ist somit zulässig.

II.  In der Sache hat die Berufung der Beklagten nur zu einem geringen Teil Erfolg. Die Beklagte zu 1) ist nicht verpflichtet, an den Kläger Überstundenvergütung in Höhe von € 1.351,48 brutto zu zahlen. Das Teilurteil des Arbeitsgerichts ist insoweit abzuändern und die Klage abzuweisen. Die Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung vom 14.07.2010 sowie die Klage auf Zahlung gestundeten Arbeitslohns in Hohe von € 27.000,00 brutto sind dagegen begründet. Insoweit hat die Berufung keinen Erfolg.

1. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die ordentliche Kündigung der Beklagten zu 1) vom 14.07.2010 sozial ungerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 KSchG und deshalb rechtsunwirksam ist.

1.1. Entgegen der Ansicht der Beklagten hat der Kläger nicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichtet.

Zwar kann ein Arbeitnehmer nach Ausspruch der Kündigung durch den Arbeitgeber auf die Erhebung oder Durchführung einer Kündigungsschutzklage verzichten (BAG 06.09.2007 - 2 AZR 722/06 - NZA 2008, 219). Die Unterschrift des Klägers auf dem Stundenzettel vom 02.08.2010 für die 32. KW 2010, der den Aufdruck enthält: „Beschäftigungsende bei Systems am 15.08.2010“ lässt einen rechtsgeschäftlichen Willen, von der Erhebung einer Kündigungsschutzklage Abstand zu nehmen, jedoch nicht erkennen. Die Unterzeichnung des Stundenzettels ist eine bloße Formalität bei der technischen Abwicklung des tatsächlichen Ausscheidens zum 15.08.2010. Der erforderliche Verzichtswille des Klägers ist nicht ansatzweise ersichtlich.

1.2. Die Kündigung vom 14.07.2010 ist hinsichtlich ihrer Wirksamkeit an §1 KSchG zu messen, weil das Kündigungsschutzgesetz anwendbar ist, obwohl die Beklagte zu 1) in ihrer Niederlassung A-Stadt stets nur fünf Arbeitnehmer beschäftigt hat.

Gemäß § 23 Abs. 1 KSchG ist insbesondere § 1 KSchG dann nicht anwendbar, wenn im Betrieb in der Regel zehn oder weniger Arbeitnehmer beschäftigt waren. Zwar beschäftigte die Beklagte zu 1) in A-Stadt stets nur fünf Arbeitnehmer, jedoch bildete die Niederlassung A-Stadt (Eifel) und der Hauptbetrieb der Beklagten zu 1) in X.-Stadt (Thüringer Wald) im Kündigungszeitpunkt einen einheitlichen Betrieb iSd. § 23 KSchG, so dass auf die Gesamtzahl der Arbeitnehmer abzustellen ist, die den Schwellenwert von zehn Arbeitnehmern unstreitig übersteigt.

Es ist unerheblich, dass die Niederlassung A-Stadt rund 400 Kilometer vom Hauptbetrieb in X.-Stadt entfernt war. Nach der Rechtsprechung des BAG, der die Berufungskammer folgt, können auch ein Hauptbetrieb und eine räumlich weit entfernte Betriebsstätte iSv. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG einen Betrieb iSd. § 23 KSchG bilden. Im Unterschied zu § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG differenziert § 23 KSchG nicht zwischen Betrieben und räumlich entfernten Betriebsteilen, die als selbstständige Betriebe im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes gelten. Die räumliche Einheit ist kündigungsschutzrechtlich kein entscheidendes Abgrenzungsmerkmal, weil es wesentlich auf die Leitung des Betriebs ankommt, der es obliegt, die Einzelheiten der arbeitstechnischen Zwecksetzung zu regeln (BAG 28.10.2010- 2 AZR 392708 - AP § 23 KSchG 1969 Nr. 48, mwN.)

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist die Berufungskammer nicht davon überzeugt, dass der Zeuge A. die Niederlassung A-Stadt selbständig geleitet und überwacht hat. Die erforderliche selbständige Personalverantwortung ließ sich nicht feststellen. Der Zeuge hat während seiner Vernehmung bekundet, dass die gesamte Personalverwaltung der Niederlassung A-Stadt vom Hauptbetrieb der Beklagten zu 1) in X.-Stadt aus gesteuert worden sei. Er habe lediglich das Tagesgeschäft geleitet, Urlaub genehmigt und erforderliche Überstunden angeordnet. Für Einstellungen, Kündigungen und Gehaltsvereinbarungen von Mitarbeitern der Niederlassung A-Stadt sei er nicht zuständig gewesen. Die Arbeitsverträge mit dem Kläger und den anderen Arbeitnehmern der Niederlassung seien ihm im Entwurf vom Hauptbetrieb in X.-Stadt vorgegeben worden. Den Arbeitsvertrag mit dem Kläger habe er nicht gegengezeichnet. Er habe den Vertragstext vielmehr nach der Unterzeichnung durch den Kläger zum Hauptbetrieb nach X.-Stadt versandt. Von dort sei der Vertrag seines Wissens nie zurückgeschickt worden. Er habe lediglich den Arbeitsvertrag mit der neu eingestellten Sekretärin U. im Auftrag für die Beklagte zu 1) unterzeichnet. Mit Frau U., die sich auf die ausgeschriebene Stelle für eine Sekretärin in der Niederlassung A-Stadt beworben hatte, habe er das Bewerbungsgespräch geführt. Zuvor habe er allerdings sämtliche Bewerbungsunterlagen eingescannt und zum Hauptbetrieb nach X.-Stadt verschickt. In Absprache mit dem Vorstand T. habe er Frau U. dann eingestellt. Er habe mit den Servicemonteuren keinen Lohn ausgehandelt, sondern sich an den Vorgaben aus X.-Stadt orientieren müssen. Er habe den Mitarbeitern der Niederlassung A-Stadt allerdings Urlaub genehmigt und erforderliche Überstunden angeordnet.

Die vom Zeugen A. geschilderten Kompetenzen genügen nicht, um eine Personalverantwortung von hinreichender Relevanz annehmen zu können. Er unterlag als Niederlassungsleiter umfassenden Vorgaben und war nicht allein entscheidungsbefugt. Seine Personalkompetenzen waren nur von untergeordneter Bedeutung. Dies genügt nicht, um die Niederlassung A-Stadt als eigenständigen (Klein-)Betrieb im kündigungsschutzrechtlichen Sinne anzusehen. Über die Arbeitsbedingungen wurde schwerpunktmäßig vom Hauptbetrieb in X.-Stadt aus entschieden, insbesondere wurde sowohl die Einstellung als auch die Kündigung des Klägers und seiner Arbeitskollegen von dort vorgenommen.

1.3. Die ordentliche Kündigung der Beklagten zu 1) vom 14.07.2010 ist sozial ungerechtfertigt und damit nach § 1 Abs. 1 KSchG rechtsunwirksam.

Es fehlt, wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, an hinreichendem Vorbringen der Beklagten zu 1) zum Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 KSchG. Die Beklagte zu 1) hat zwar vorgetragen, dass sie ihre Niederlassung in A-Stadt zum 15.09.2010 stillgelegt und das Gewerbe abgemeldet habe. Dies führt jedoch nicht automatisch zur Annahme eines dringenden betrieblichen Erfordernisses iSd. § 1 Abs. 2 KSchG.

Es ist zwar zutreffend, dass zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen, die nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG einen Grund zur sozialen Rechtfertigung der Kündigung abgeben können, die Stilllegung des gesamten Betriebes, einer Betriebsabteilung oder eines Betriebsteiles durch den Arbeitgeber gehören. Mit der Stilllegung des gesamten Betriebes entfallen alle Beschäftigungsmöglichkeiten. Bei einer Teilbetriebsstilllegung handelt es sich hingegen nur um eine Einschränkung des Betriebes, bei der zwar objektiv Beschäftigungsmöglichkeiten entfallen, die Beschäftigungsmöglichkeiten im verbleibenden Betriebsteil aber erhalten bleiben. Ist aber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im fortgeführten Betriebsteil möglich, ist die Kündigung nicht wegen dringender betrieblicher Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, sozial gerechtfertigt (BAG 28.10.2004 - 8 AZR 391/03 - NZA 2005, 285, mwN.).

Die Beklagte zu 1) hat die notwendigen Tatsachen zur Beurteilung ihres pauschalen Vortrags, es bestehe keine Möglichkeit, den Kläger nach der Schließung ihrer Niederlassung in A-Stadt zum 15.09.2010 im fortgeführten Hauptbetrieb in X.-Stadt weiter zu beschäftigen, nicht hinreichend dargelegt. Der Arbeitgeber, der eine betriebsbedingte Kündigung ausspricht, ist für den dauerhaften Wegfall des Beschäftigungsbedarfs darlegungs- und beweispflichtig. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen des Klägers betreibt die Beklagte zu 1) den Einbau und Service von Kleinkläranlagen weiter. Sie betreue als Subunternehmerin noch ca. 20 Kleinkläranlagen im R. in S.-Stadt sowie in Thüringen und Bayern. Da die Beklagte zu 1) verpflichtet sei, die bestehenden Service- und Wartungsverträge mit ihrer Kundschaft auch nach Schließung ihrer Niederlassung in A-Stadt zu erfüllen, sei der Beschäftigungsbedarf für einen Servicemonteur nicht weggefallen. Die Beklagte zu 1) habe keinen Kunden verloren und auch keinen Vertrag gekündigt. Es sei unerheblich, ob die Beklagte zu 1) ihre Kunden von ihrem Hauptsitz oder ihrer Niederlassung aus betreue bzw. von wo aus sie die erforderlichen Servicearbeiten koordiniere.

Auf dieses beachtliche Vorbringen des Klägers ist die Beklagte zu 1) nicht eingegangen. Wenn der Arbeitnehmer - wie hier - näher darlegt, wie er sich eine anderweitige Beschäftigung vorstellt, muss der Arbeitgeber unter Darlegung von Einzelheiten erläutern und im Streitfall beweisen, aus welchen Gründen ihm dies nicht möglich oder nicht zumutbar gewesen sei (APS-Kiel 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 648, mwN.). Hieran fehlt es.

2. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Beklagten zu 1) und zu 2) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, an den Kläger € 27.000,00 brutto zu zahlen.

Der Kläger hat der Beklagten zu 2) in den 18 Monaten vom 01.11.2005 bis 30.04.2007 seine Ansprüche auf Arbeitsentgelt in Höhe von monatlich € 1.500,00, insgesamt € 27.000,00 brutto, gestundet. Die Stundungsabrede „zum Zwecke der Verbesserung der Kapitalstruktur" der Beklagten zu 2) ist zeitgleich mit Abschluss des Arbeitsvertrages vom 28.09.2005 getroffen worden. Der Kläger hat sich - abweichend vom Arbeitsvertrag, der ein Monatsentgelt von € 4.000,00 regelt - mit der Auszahlung einer monatlichen Bruttovergütung von € 2.500,00 einverstanden erklärt und der Beklagten zu 2) monatlich € 1.500,00 gestundet. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig.

2.1. Entgegen der Ansicht der Beklagten sind die - für einen Zeitraum von maximal zwei Jahren - gestundeten Ansprüche auf Arbeitsentgelt nicht aufgrund der dreimonatigen Ausschlussklausel in § 12 des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 28.09.2005 verfallen. Der Kläger war nicht verpflichtet, die gestundeten Ansprüche nach Ablauf der zwei Jahre, dh. ab 01.11.2007, innerhalb von drei Monaten gegenüber den Beklagten schriftlich geltend zu machen. Die gestundeten Vergütungsforderungen waren streitlos.

Ausschlussfristen dienen der Rechtssicherheit im Arbeitsverhältnis. Sie sollen in kurzer Zeit Klarheit darüber schaffen, welche Ansprüche aus der Sicht einer Vertragspartei noch bestehen, die von der anderen noch zu erfüllen sind. Nach Ablauf der Frist soll sich der Schuldner darauf verlassen dürfen, unabhängig vom Eintreten der gesetzlichen Verjährung keinen Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis mehr ausgesetzt zu sein. Wenn jedoch - wie hier - der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber aus wirtschaftlichen Gründen einen Teil seines monatlichen Arbeitsentgelts aufgrund einer gesonderten Abrede stundet, besteht kein Grund, durch Beachtung der Ausschlussfrist klarzustellen, ob und welche Ansprüche offengeblieben sind. Hierüber kann beim Arbeitgeber kein Zweifel aufkommen. Wenn die Beklagte zu 2) „zum Zwecke der Verbesserung der Kapitalstruktur" den in seiner Höhe nicht zweifelhaften Anspruch des Klägers auf Arbeitsentgelt seit dem 01.11.2005 nicht vollständig erfüllt, sondern aufgrund der Stundungsabrede 18 Monate lang jeweils € 1.500,00 weniger zahlt als vereinbart, ist eine schriftliche Geltendmachung der streitlos geschuldeten Lohnforderung nicht erforderlich.

2.2. Die Beklagten zu 1) und zu 2) haften für die gestundeten Entgeltansprüche von insgesamt € 27.000,00 brutto als Gesamtschuldner. Auch dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.

Die Beklagte zu 1) ist in das zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 2) bestehende Arbeitsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten eingetreten, § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB. Hierzu gehören auch die der Beklagten zu 2) gestundeten Ansprüche auf Arbeitsentgelt für die Zeit vom 01.11.2005 bis 30.04.2007.

Entgegen der Ansicht der Beklagten liegt ein Betriebsübergang vor. Voraussetzung eines Betriebsübergangs ist, dass die wirtschaftliche Einheit im Wesentlichen unverändert unter Wahrung ihrer Identität fortgeführt wird. Das war hier der Fall. Ausweislich des Gesellschafterbeschlusses vom 02.01.2007 hat die Beklagte zu 1) die laufende Geschäftstätigkeit der Beklagten zu 2) - namentlich Vertrieb, Einbau und Service von Kleinkläranlagen - übernommen. Die Beklagte zu 1) hat auch das Personal der Beklagten zu 2) übernommen, was im Rahmen der Gesamtwürdigung ein gewichtiges Indiz für einen Betriebsübergang darstellt. Sie hat nicht nur den früheren Geschäftsführer der Beklagten zu 2), A., als Niederlassungsleiter angestellt, sondern auch den Kläger, Q. P. und N. M. als Servicemonteure weiterbeschäftigt.

Einem Betriebsübergang steht nicht entgegen, dass die Beklagte zu1) keine sächlichen Betriebsmittel wie PC, Telefongeräte und Büromöbel der Beklagten zu 2) übernommen hat. Diese sächlichen Betriebsmittel, die dem Kläger zur Sicherheit übereignet worden sind, waren für den Betrieb nicht identitätsprägend. Sächliche Betriebsmittel sind nur wesentlich, wenn ihr Einsatz bei wertender Betrachtung den eigentlichen Kern des zur Wertschöpfung erforderlichen Funktionszusammenhangs ausmacht (BAG 21.06.2012 - 8 AZR 181/11 - BB 2012, 2687, mwN.). Für einen Betrieb, der Kleinkläranlagen vertreibt, beim Kunden einbaut und wartet, hat die Büroausstattung für die Identität der wirtschaftlichen Einheit keine entscheidende Bedeutung. Sie spielt neben der menschlichen Arbeitskraft vielmehr nur eine untergeordnete Rolle. Die Beklagte zu 1) hat einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals der Beklagten zu 2) übernommen und damit die Identität der wirtschaftlichen Einheit gewahrt.

3. Die Beklagte zu 1) ist nicht verpflichtet, an den Kläger Überstundenvergütung in Höhe von € 1.351,48 brutto für 85,25 Überstunden zu zahlen, die der Kläger in der Zeit vom 03.07. bis 21.12.2007 geleistet haben will.

Der Kläger ist der ihm obliegenden Darlegungslast nicht gerecht geworden. Hierfür reicht die Vorlage des Wochenarbeitsplans der 52. Kalenderwoche des Jahres 2007 nicht aus. Dieser Plan vom 21.12.2007 weist zwar ein „Stundenguthaben“ von 85,25 Überstunden auf, er stellt jedoch kein deklaratorisches Schuldanerkenntnis iSd. § 781 BGB dafür dar, dass beim technischen Ausscheiden des Klägers am 15.08.2010 - rund 32 Monate später - die aufgelisteten Überstunden noch offen standen. Sie hätten vom Kläger in dieser Zeit abgefeiert werden können. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass bei seinem Ausscheiden noch ein Überstundenguthaben bestand.

III.  Die Beklagten haben die Kosten der Berufung als Gesamtschuldner zu tragen, denn die Zuvielforderung des Klägers war verhältnismäßig geringfügig und hat keine höheren Kosten verursacht, § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.



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