Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 5 Sa 229/14

Arbeitgeber muss Sozialversicherungsbeiträge nicht erstatten

(1.) Der Arbeitgeber hat den Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die Einzugsstelle zu zahlen. Mit dem Abzug und der Abführung von Lohnbestandteilen erfüllt der Arbeitgeber seine Zahlungspflicht gegenüber dem Arbeitnehmer.

(2.) Die Gerichte für Arbeitssachen sind nicht befugt, die Berechtigung der Abzüge für Steuer- und Sozialversicherungsbeiträge zu überprüfen. Legt der Arbeitgeber nachvollziehbar dar, dass er bestimmte Abzüge für Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge einbehalten und abgeführt hat, kann der Arbeitnehmer die nach seiner Auffassung unberechtigt einbehaltenen und abgeführten Beträge nicht erfolgreich mit einer Vergütungsklage geltend machen. Er ist vielmehr auf die steuer- und sozialrechtlichen Rechtsbehelfe beschränkt, es sei denn, für den Arbeitgeber wäre auf Grund der für ihn zum Zeitpunkt des Abzugs bekannten Umstände eindeutig erkennbar gewesen, dass eine Verpflichtung zum Abzug nicht bestand. Andernfalls tritt die Erfüllungswirkung ein.

Hier: Die Klage eines Arbeitnehmers gegen seinen letzten Arbeitgeber auf Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen, die der Arbeitgeber an die Sozialversicherung gezahlt hat, ist abgelehnt worden. Der Arbeitgeber hat nachvollziehbar dargelegt, warum er der Rechtsansicht war, Sozialbeiträge für die Urlaubsabgeltung des Klägers zahlen zu müssen.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 3. April 2014, Az. 5 Ca 4378/12, abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen.

Die 1962 geborene Klägerin war seit 1983 bei der beklagten Bundesagentur für Arbeit in der Agentur für Arbeit N. angestellt. Das Arbeitsverhältnis bestimmte sich aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarung nach dem Tarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der A. (TV-BA) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der jeweils geltenden Fassung.

Die Klägerin war seit 12.12.2011 ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt, der Entgeltfortzahlungsanspruch war wegen Vorerkrankungen bereits erschöpft. Die Beklagte leistete gem. § 24 Abs. 2 TV-BA einen Krankengeldzuschuss. Mit Bescheid vom 10.09.2012 bewilligte die gesetzliche Rentenversicherung der Klägerin rückwirkend ab 01.01.2012 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Nach § 36 Abs. 2 TV-BA endete das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31.10.2012.

Mit der Abrechnung für Oktober 2012 (vgl. Bl. 137 d.A.) zahlte die Beklagte der Klägerin Urlaubsabgeltung für 31 nicht genommene Urlaubstage. Vom Bruttoabgeltungsbetrag iHv. € 2.607,72 führte sie Sozialversicherungsbeiträge iHv. € 493,52 ab. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 03.12.2012 erhobenen Klage. Sie ist der Ansicht, die Urlaubsabgeltung sei gem. § 23a Abs. 3 SGB IV nicht beitragspflichtig.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 03.04.2014 Bezug genommen.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie € 493,52 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 03.04.2014 stattgegeben und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, von der Urlaubsabgeltung Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Zwar sei einmalig gezahltes Arbeitsentgelt nach § 23a Abs. 1 SGB IV grundsätzlich beitragspflichtig. Weil die Klägerin von Januar bis Oktober 2012 jedoch kein laufendes Arbeitsentgelt, sondern Krankengeld bezogen habe, übersteige die Differenz zwischen anteiliger Jahresbeitragsbemessungsgrenze und beitragspflichtigem Arbeitsentgelt ("Null") die Einmalzahlung nicht. Somit sei der Abgeltungsbetrag nach § 23a Abs. 3 SGB IV nicht beitragspflichtig.

Gegen das am 17.04.2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit am 23.04.2014 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 17.07.2014 verlängerten Begründungsfrist mit am 04.07.2014 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Die Beklagte trägt vor, sie habe vom Bruttoabgeltungsbetrag iHv. € 2.607,82 zu Recht Sozialversicherungsbeiträge abgeführt. Die monatliche Beitragsbemessungsgrenze habe im Jahr 2012 in der Kranken- und Pflegeversicherung € 3.825,- und in der Renten- und Arbeitslosenversicherung € 5.600,- betragen. Folglich sei die Urlaubsabgeltung, die mit € 2.607,72 unter den Maximalbeträgen aller Sozialversicherungszweige gelegen habe, beitragspflichtig.

Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich,

das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 03.04.2014, Az. 5 Ca 4378/12, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 01.08.2014, auf die Bezug genommen wird, als zutreffend.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.  Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 2a ArbGG statthaft, weil sie vom Arbeitsgericht zugelassen worden ist. Sie ist ordnungsgemäß innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet worden.

II.  Die Berufung der Beklagten ist auch erfolgreich. Sie führt zur Abänderung des erstinstanzlichen Urteils und zur Abweisung der Klage. Die Klägerin hat gegen die Beklagte gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG keinen Anspruch auf Zahlung von € 493,52 an weiterer Urlaubsabgeltung.

Der Urlaubsabgeltungsanspruch der Klägerin für 31 Tage ist im Oktober 2012 entstanden und der Höhe nach mit einem Bruttobetrag von € 2.607,72 unstreitig. Die Beklagte kann dem Anspruch der Klägerin den besonderen Erfüllungseinwand der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen entgegenhalten.

Der Arbeitgeber hat den Gesamtsozialversicherungsbeitrag (§ 28d SGB IV) an die Einzugsstelle zu zahlen. Er hat gemäß § 28g Sätze 1 und 2 SGB IV gegen den Arbeitnehmer einen Anspruch auf den vom Beschäftigten zu tragenden Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags, den er im Wege des Abzugs vom Arbeitsentgelt geltend machen kann. Mit dem Abzug und der Abführung von Lohnbestandteilen erfüllt der Arbeitgeber seine Zahlungspflicht gegenüber dem Arbeitnehmer. Die Abführung begründet einen besonderen Erfüllungseinwand. Es bedarf keiner Aufrechnung (vgl. BAG 30.04.2008 - 5 AZR 725/07 - NZA 2008, 884).

Hinsichtlich der Sozialversicherungsbeiträge stehen sich nicht allein der Anspruch des Arbeitnehmers auf Auszahlung und der Anspruch des Arbeitgebers nach § 28g Satz 1 SGB IV gegenüber. Vielmehr hat der Arbeitgeber den Beitrag zugunsten des Arbeitnehmers an die Einzugsstelle zu zahlen (§ 28h SGB IV). Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, die Rückerstattung erhöhter Sozialversicherungsbeiträge gemäß § 26 SGB IV zu fordern und die Höhe der Beiträge von den Sozialgerichten überprüfen zu lassen.

Die Gerichte für Arbeitssachen sind nicht befugt, die Berechtigung der Abzüge für Steuer- und Sozialversicherungsbeiträge zu überprüfen. Legt der Arbeitgeber nachvollziehbar dar, dass er bestimmte Abzüge für Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge einbehalten und abgeführt hat, kann der Arbeitnehmer die nach seiner Auffassung unberechtigt einbehaltenen und abgeführten Beträge nicht erfolgreich mit einer Vergütungsklage geltend machen. Er ist vielmehr auf die steuer- und sozialrechtlichen Rechtsbehelfe beschränkt, es sei denn, für den Arbeitgeber wäre auf Grund der für ihn zum Zeitpunkt des Abzugs bekannten Umstände eindeutig erkennbar gewesen, dass eine Verpflichtung zum Abzug nicht bestand. Andernfalls tritt die Erfüllungswirkung ein (vgl. BAG 30.04.2008 - 5 AZR 725/07 - Rn. 20, 21, aaO).

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte nachvollziehbar dargelegt, dass sie nach ihrer Rechtsansicht gem. § 23a SGB IV berechtigt und verpflichtet war, für die geleistete Urlaubsabgeltung iHv. € 2.607,72 brutto Sozialversicherungsbeiträge iHv. € 493,52 abzuführen. In Anwendung der oben dargestellten Grundsätze kann die Klägerin die nach ihrer Rechtsansicht unberechtigt abgeführten Sozialversicherungsbeiträge nicht erfolgreich mit einer Vergütungsklage geltend machen. Sie ist vielmehr auf die sozialrechtlichen Rechtsbehelfe beschränkt.

Entgegen ihrer in der mündlichen Verhandlung geäußerten Ansicht hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagte, weil diese -womöglich zu Unrecht - Sozialversicherungsbeiträge iHv. € 493,52 abgeführt hat. Die Klägerin hat bei der zuständigen Einzugsstelle noch nicht einmal einen Antrag auf Erstattung der aus ihrer Sicht zu Unrecht gezahlten Sozialversicherungsbeiträge gestellt. Soweit die Klägerin die Antragstellung mit dem Argument ablehnt, es sei nicht einzusehen, dass sie das Risiko einer abweichenden Einschätzung der Rechtslage durch die Einzugsstelle tragen solle, übersieht sie, dass die Frage, ob die von der Beklagten im Oktober 2012 gezahlte Urlaubsabgeltung der Sozialversicherungspflicht unterliegt, nicht von den Gerichten für Arbeitssachen zu beurteilen ist. Es muss vielmehr den Sozialversicherungsträgern und ggf. den zuständigen Sozialgerichten überlassen bleiben, die aufgeworfenen sozialversicherungsrechtlichen Fragen zu klären. Nur die Entscheidungen dieser Behörden und Gerichte binden alle Beteiligten und müssen, wenn sie bestandskräftig geworden sind, dann auch von den Gerichten für Arbeitssachen beachtet werden (so schon BAG 10.11.1982 - 4 AZR 231/82 - DB 1983, 615).

III.  Nach alledem war das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und die Klage mit der sich aus § 91 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge abzuweisen.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.



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