Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 10 Sa 87/12

Auslegung einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel auf den BAT

Mit einer dynamischen Bezugnahmeklausel auf den BAT ("einschließlich der ihn ändernden und ergänzenden Verträge") haben sich die Parteien für die Zukunft der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes anvertraut.
Daran ändert sich nichts durch den Zusatz, dass im Arbeitsvertrages geregelt ist, dass sich „darüber hinaus" die Bezüge und Zuwendungen nach den Beschlüssen des Vorstandes richten. Vielmehr ergibt die gebotene Auslegung, dass der Arbeitnehmerin die übertariflichen Zulagen als selbstständige Entgeltbestandteile „neben" dem jeweiligen Tarifentgelt „darüber hinaus" zugesagt worden sind.
(Redaktionelle Zusammenfassung)

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 13.12.2011, Az.: 8 Ca 2979/11, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte ab dem 01.05.2011 verpflichtet ist, bei der Berechnung der Höhe der Vergütung der Klägerin die tariflichen Entgelterhöhungen des TV-L seit dem Jahr 2009 - mit Sockelwirkung für die Zukunft - zu berücksichtigen.
Die weitergehende Klage wird als unzulässig abgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen,
Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Auslegung einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel auf den BAT und sich daraus ergebende Ansprüche der Klägerin.

Die 1973 geborene Klägerin ist seit 1993 bei der Beklagten, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, im Regionalzentrum Z-Stadt als Angestellte in Teilzeit, zuletzt mit 30 Wochenstunden, beschäftigt. Beide Parteien sind nicht tarifgebunden. Im schriftlichen Formulararbeitsvertrag vom 18.05.1993 (Bl. 9 ff d.A.) ist u.a. geregelt:

„§2
Der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) in der Fassung des Bundes und der Länder wird einschließlich der ihn ändernden und ergänzenden Verträge ange-wendet. Darüber hinaus richten sich die Bezüge und Zuwendungen nach den Beschlüssen des Vorstandes der KV Z-Stadt.
§3
Frau Y. ist entsprechend § 22 BAT in Vergütungsgruppe X eingruppiert.
§4
Neben der sich aus § 2 dieses Anstellungsvertrages ergebenden Vergütung gewährt die KV Z-Stadt Frau Y. nach Ablauf der Probezeit eine monatliche Zulage in Höhe von 1/12 (8,33%) des jeweiligen monatlichen Bruttogehaltes (Grundgehalt, Ortszuschlag, tarifliche und betriebliche Zulagen)."


Am 01.11.2006 traten der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) und der Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der Länder in den TV-L und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-L) in Kraft. Die Beklagte wendete zunächst jedoch nicht diese Tarifverträge, sondern nach wie vor die Bestimmungen des BAT auf das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis an.

Im Verlauf des Arbeitsverhältnisses wurde die Klägerin mehrfach höhergruppiert, zuletzt mit Wirkung ab 01.12.2001 in VergGr. VII BAT. Im Jahr 2009 führte sie vor dem Arbeitsgericht Mainz (1 Ca 881/09) gegen die Beklagte einen Rechtsstreit mit dem Ziel der Höhergruppierung in VergGr. VI b BAT. In einem gerichtlich festgestellten Vergleich vom 04.06.2009 (Bl. 13/14 d.A.) einigten sich die Parteien wie folgt:
Die Beklagte verpflichtet sich, der Klägerin rückwirkend ab dem 20.03.2007 eine monatliche Zulage in Höhe des Differenzbetrages zwischen der VergGr. VII BAT und der VergGr. VI b BAT zu zahlen. Diese Zulage ist dynamisierungsfähig und damit relevant als Bezugsgröße für etwaige Sonderzahlungen und Weihnachtsgeld. Sie ist auch sockelrelevant für künftige Gehaltssteigerungen. Eine Anrechnung auf etwaige Tariferhöhungen findet nicht statt.
Die Beklagte verpflichtet sich, die Differenzbeträge gemäß Ziff. 1) dieses Vergleichs seit dem 20.03.2007 abzurechnen und den sich ergebenden Nettogesamt-betrag an die Klägerin auszuzahlen.
Damit ist der Rechtsstreit erledigt."

Im Hinblick auf die Entscheidung des BAG vom 19.05.2010 (4 AZR 796/08 - NZA 2010, 1183) schloss die Beklagte am 09.12.2010 mit dem Gesamtpersonalrat eine Dienstvereinbarung, die u.a. die Überleitung der Mitarbeiter in den TV-L zum Gegenstand hat (zum Wortlaut im Einzelnen: Bl. 49-53 d.A.). Die Dienstvereinbarung bestimmt, dass der TV-L mit Wirkung ab 01.01.2011 die Arbeitsverhältnisse aller Mitarbeiter, die sich - wie die Klägerin - nicht für die Geltung eines neuen Entgeltsystems entschieden haben, regelt. Die Dienstvereinbarung verweist grundsätzlich auf das Überleitungsverfahren nach dem TVÜ-L. In § 3 Abs. 4 ist geregelt, dass dem Vergleichsentgelt die Vergütung des Monats Dezember 2010 nebst sonstiger dynamischer tariflicher Zulagen zu Grunde zu legen ist. Das so ermittelte Entgelt ist vor der Überleitung um 1,2 % zu erhöhen. Die Zuordnung in eine Zwischen- bzw. Endstufe der jeweiligen Entgeltgruppe hat unter Berücksichtigung des so erhöhten Vergleichsentgelts zu erfolgen. Außerdem ist eine Einmalzahlung in Höhe der im Jahr 2010 erfolgten Tariflohnerhöhungen, also um 1,2 % rückwirkend zum 01.03.2010, vereinbart worden.

In der Tarifrunde 2009 hatten die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes ab 01.03.2009 eine allgemeine Erhöhung der Entgelttabellenwerte um einen Sockelbetrag von € 40,00 und anschließend eine Erhöhung um 3,0 % vereinbart. Außerdem wurde eine Einmalzahlung für die Monate Januar und Februar 2009 in Höhe von insgesamt € 40,00 vorgesehen. Diese Tariflohnerhöhung wurde in der Dienstvereinbarung nicht weitergegeben. Die Klägerin hatte diese Tariflohnerhöhung mit Schreiben vom 08.06.2009 (zum Wortlaut im Einzelnen: Bl. 15 d.A.) gegenüber der Beklagten erfolglos geltend gemacht.

Die Beklagte vergütet die Klägerin entsprechend der Dienstvereinbarung ab 01.01.2011 nach Entgeltgruppe 5 TV-L Stufe 6 zzgl. einer persönlichen Endstufe.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte sei verpflichtet, bei der Berechnung ihrer Vergütung ab 01.05.2011 auch die Tariferhöhungen des TV-L ab dem Jahr 2009 mit Sockelwirkung zu berücksichtigen. Mit ihrer am 22.08.2011 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage verlangt sie die Feststellung, dass die Beklagte ab 01.05.2011 verpflichtet ist, ihr eine bestimmte Vergütung zu zahlen.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 13.12.2011 (dort Seite 2-11 = Bl. 127-136 d.A.) Bezug genommen.

Die Klägerin hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an sie mit Wirkung zum 01.05.2011 eine monatliche Grundvergütung in Höhe von € 2.183,13 brutto zuzüglich 3 % Gehalt (aktuell: € 65,49 brutto), 8,33 % Gehalt Z-Stadt (aktuell € 181,85 brutto); Treuezulage (aktuell: € 25,87 brutto), VWL (aktuell: € 5,18 brutto), sowie Fahrtkosten nach Anfall entsprechend der arbeitsvertraglichen Regelungen in Verbindung mit der gültigen Dienstvereinbarung zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht Koblenz hat der Feststellungsklage mit Urteil vom 13.12.2011 stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte sei aus § 611 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag verpflichtet, bei der Berechnung der Vergütung der Klägerin auch die im Jahr 2009 erfolgten Tariferhöhungen des TV- L mit Sockelwirkung zu berücksichtigen. § 2 Satz 1 des Formulararbeitsvertrages enthalte eine dynamische Bezugnahme, die den jeweiligen BAT erfasse. Die dynamische Bezugnahmeregelung sei zum 01.11.2006 aufgrund der Ablösung des BAT durch den TV-L lückenhaft geworden. Die nachträglich entstandene Regelungslücke sei durch eine ergänzende Vertragsauslegung zu schließen. Diese Auslegung ergebe, dass sich die Vergütung der Klägerin nach dem TV-L als Nachfolgetarifvertrag des BAT richte. Der kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung geltende TV-L sei günstiger als die Dienstvereinbarung vom 09.12.2010. Nach dem Günstigkeitsprinzip müssten die Regelungen der Dienstvereinbarung daher hinter der einzelvertraglich begründeten Rechtsposition zurücktreten. Der Kläger-in sei es nach Treu und Glauben i.S.d. § 242 BGB nicht verwehrt, sich auf die einzelvertragliche Geltung des TV-L zu berufen. Zwar habe sie nach dem 01.11.2006 wöchentlich weiterhin 30 statt 30,39 Stunden (Vollzeit nach TV-L 39 Stunden) gearbeitet und die Abrechnungen der Beklagten nach dem BAT widerspruchslos hingenommen. Bis zur Entscheidung des BAG vom 19.05.2010 (4AZR 796/08) zur Auslegung einer Bezugnahmeklausel auf den BAT sei die Rechtslage höchstrichterlich nicht geklärt gewesen. Die Klägerin habe durch ihr Schreiben vom 08.06.2009 deutlich gemacht, dass sie eine Gehaltsanpassung nach dem aktuellen Tarifabschluss geltend mache. Dabei sei unschädlich, dass sie auch auf den BAT Bezug nehme, zumal sie ihr Anliegen unter den Betreff „Anpassung der Gehaltsbezüge entsprechend den Erhöhungen des TV-L" gestellt habe. Auch aus dem Eingruppierungsrechtsstreit im Jahr 2009 folge nichts anderes. Zwar habe die Klägerin ihre Höhergruppierung nach dem BAT verlangt. Hieraus habe die Beklagte nicht herleiten dürfen, dass die Klägerin in Zukunft keine Vergütung nach dem TV-L beanspruchen werde. Wegen der Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 12 bis 27 des erstinstanzlichen Urteils vom 13.12.2011 (Bl. 137-152 d.A.) Bezug genommen.

Das genannte Urteil ist der Beklagten am 18.01.2012 zugestellt worden. Sie hat mit am 15.02.2012 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 29.05.2012 verlängerten Begründungsfrist am 29.05.2012 begründet.

Die Beklagte macht geltend, die Feststellungsklage sei unzulässig. Dem Antrag fehle - jedenfalls in Teilen - das erforderliche Feststellungsinteresse. Die Klage sei unbegründet. Die Bezugnahmeklausel in § 2 des Arbeitsvertrages vom 18.05.1993 sei entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung so auszulegen, dass auf das Arbeitsverhältnis automatisch der TV-L Anwendung finde. Vorliegend enthalte § 2 Satz 2 i.V.m. § 4 des Arbeitsvertrages eine eigenständige - weil spezielle - Vergütungsabrede. Allein durch das Außerkrafttreten des BAT und den Wegfall der Dynamik sei noch keine planwidrige Regelungslücke entstanden. Vielmehr enthalte § 2 Satz 2 des Arbeitsvertrages eine Regelung, die ein „Einfrieren" der Vergütung verhindere. Eine ergänzende Vertragsauslegung verbiete sich im Übrigen, weil die angeblich entstandene „Regelungslücke" jedenfalls durch die Dienstvereinbarung vom 09.12.2010 zur Überleitung der Mitarbeiter in den TV-L geschlossen worden sei (so ausdrücklich: LAG Rheinland-Pfalz vom 22.03.2012 - 10 Sa 41/12 - Juris). Für einen Günstigkeitsvergleich zwischen einer Überleitung nach TVÜ-L einerseits und der Dienstvereinbarung vom 09.12.2010 andererseits bleibe kein Raum. Die Klägerin verhalte sich widersprüchlich und verstoße gegen Treu und Glauben, wenn sie sich jetzt auf die Geltung des TV-L ohne die Überleitungsregelung in der Dienstvereinbarung berufe. Sie müsse sich daran festhalten lassen, dass sie im April 2009 eine Klage auf Höhergruppierung in die VergGr. VI b BAT erhoben und sich im gerichtlich festgestellten Vergleich vom 04.06.2009 mit der Zahlung einer monatlichen Zulage in Höhe der Differenz zwischen VergGr. VII und VI b BAT einverstanden erklärt habe. In ihrem Schreiben vom 08.06.2009 habe sie sogar ausdrücklich eingefordert, dass sich ihre monatlichen Gehaltsbezüge nach Tarif „BAT (Bund /TdL)" richten. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beklagten vom 29.05.2012 (Bl. 188-198 d.A.) und vom 27.07.2012 (Bl. 221-226 d.A.) Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich,
das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 13.12.2011, Az.: 8 Ca 2979/11, abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 02.07.2012 (Bl. 209-214 d.A.), auf die Bezug genommen wird, als zutreffend.

Ergänzend wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die zu den Sitzungsniederschriften getroffenen Feststellungen Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

I.  Die nach § 64 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und in ausreichenderweise begründet worden. Sie ist somit zulässig.

II.  In der Sache hat die Berufung der Beklagten nur zu einem geringen Teil Erfolg, denn die Feststellungsklage ist teilweise unzulässig. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.

Die Berufungskammer folgt den ausführlichen und sorgfältigen Ausführungen des Arbeitsgerichts - mit Ausnahme zur Zulässigkeit der Feststellungsklage - uneingeschränkt und stellt dies nach § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Das Berufungsvorbringen der Beklagten zeigt keine Gesichtspunkte auf, die eine andere rechtliche Beurteilung rechtfertigen.

1. Die Feststellungsklage ist teilweise unzulässig.

Soweit die Klägerin festgestellt haben will, dass ihr die Beklagte neben der „monatlichen Grundvergütung" eine übertarifliche Zulage von 3 % sowie eine weitere übertarifliche Zulage von 8,33 % („Gehalt Z-Stadt") und eine sog. Treuezulage zu zahlen hat, fehlt ihr das notwendige Feststellungsinteresse. Die Beklagte hat die übertariflichen Bestandteile des Monatsentgelts der Klägerin - bisher - nicht auf Tariflohnerhöhungen angerechnet. Hierüber besteht keine Meinungsverschiedenheit, so dass es keiner gerichtlichen Prüfung bedarf. Das gleiche gilt für die begehrte Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr monatlich „VWL" sowie „Fahrtkosten nach Anfall" zu zahlen. Die Beklagte zahlt der Klägerin unstreitig vermögenswirksame Leistungen und erstattet ihre erforderlichen Reisekosten. Es ist nicht Zweck der Feststellungsklage, das Gericht ein Rechtsgutachten in Urteilsform erstatten zu lassen für Sachverhaltskonstellationen, die derzeit nicht vorliegen und deren zukünftiges Entstehen unsicher ist. Die Feststellung muss grundsätzlich auf ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis gerichtet sein.

Der weitergehende Feststellungsantrag bedarf der Auslegung. Er ist, obwohl er nach seinem Wortlaut anders formuliert ist, dahingehend zu verstehen, dass die Klägerin ab dem 01.05.2011 die Verpflichtung der Beklagte festgestellt haben will, bei der Berechnung der Höhe ihrer monatlichen Vergütung die tariflichen Entgelterhöhungen des TV-L seit dem Jahr 2009 - mit Sockelwirkung für die Zukunft - zu berücksichtigen.

Mit diesem Inhalt ist der Feststellungsantrag zulässig, weil die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO erfüllt sind. Eine Feststellungsklage kann sich auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken, sog. Elementenfeststellungsklage. Auch die Anwendbarkeit eines bestimmten Tarifvertrages oder Tarifwerks auf ein Arbeitsverhältnis kann Gegenstand einer Feststellungsklage sein. Mit dem Feststellungsbegehren kann der Streit der Parteien über Grund und Umfang der Leistungspflichten, die sich aus der Bezugnahmeklausel aus dem Arbeitsvertrag vom 18.05.1993 ergeben, geklärt werden (ebenso BAG vom 22.02.2012 - 4 AZR 580/10 - Rn. 17, Juris, mwN). Dass die Beklagte, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, einer gerichtlichen Feststeilung nicht Folge leisten will, ist nicht ersichtlich. Aufgrund der Befriedungsfunktion eines Feststellungsurteils ist die Klägerin auch nicht gehalten, eine Leistungsklage zu erheben.

2. Der derart klargestellte Feststellungsantrag ist begründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht erkannt, dass sich das Arbeitsverhältnis der Parteien bereits vor Inkrafttreten der Dienstvereinbarung vom 09.12.2010 kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung nicht mehr nach dem BAT, sondern seit dem 01.11.2006 nach dem TV-L richtet. Dies ergibt die ergänzende Auslegung des Arbeitsvertrages.

Das Arbeitsgericht hat die Bezugnahmeklausel in § 2 Satz 1 des Arbeitsvertrages vom 18.05.1993 auf den BAT einschließlich der ihn „ändernden" und „ergänzenden" Verträge zutreffend ausgelegt. Diese Abrede enthält eine zeitdynamische Bezugnahme auf den BAT. Das Arbeitsgericht hat weiterhin zutreffend erkannt, dass mit der Ablösung des BAT durch den TV-L eine nachträgliche Regelungslücke entstanden ist, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen ist (ausf. zu den Voraussetzungen und Maßstäben: BAG vom 19.05.2010 - 4 AZR 796/08 - Rn. 23, 31 ff, NZA 2010, 1183; BAG vom 18.05.2011 - 5 AZR 213/09 - Rn. 15 ff, AP Nr. 89 zu §1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG vom 16.11.2011 - 4 AZR 234/10 - Rn. 22 ff, Juris; BAG vom 14.12.2011 - 10 AZR 447/10 - Rn. 20 ff, ZTR 2012, 282; jeweils mwN).

Mit der dynamischen Bezugnahme auf den BAT haben sich die Parteien für die Zukunft der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes anvertraut. Die mit der Tarifsukzession verbundene Änderung der Tarifwerke wirkt deshalb nicht anders auf den Arbeitsvertrag als eine (tiefgreifende) inhaltliche Änderung des in Bezug genommenen BAT. Die Parteien werden nicht anders gestellt, als sie stünden, wenn die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes den BAT reformiert und ihm einen neuen Inhalt gegeben hätten (BAG vom 14.12.2011 - 10 AZR 447/10 - Rn. 24, mwN). Als redliche Vertragsparteien hätten sich die Parteien, wenn sie bei Vertragsschluss bedacht hätten, dass der arbeitsvertraglich in Bezug genommene BAT durch andere Tarifwerke ersetzt werden könnte, für den TV-L entschieden, der für den Bereich der Länder den BAT zum 01.11.2006 ersetzt hat.

3. Ein anderes Auslegungsergebnis lässt sich entgegen der Ansicht der Beklagten nicht damit begründen, dass in § 2 Satz 2 des Arbeitsvertrages vom 18.05.1993 geregelt ist, dass sich „darüber hinaus" die Bezüge und Zuwendungen nach den Beschlüssen des Vorstandes richten. Die Beklagte gewährt der Klägerin nicht nur aufgrund der Regelung in § 4 des Arbeitsvertrages „neben" der sich aus § 2 ergebenden Vergütung nicht unerhebliche übertarifliche Leistungen (mtl. Zulage von 8,33 %, weitere mtl. Zulage von 3,0 %, jeweils auf Grundgehalt, Ortszuschlag und tarifliche Zulage, weitere mtl. Treuezulage von € 25,54). Der Inhalt der vertraglichen Abrede in § 2 Satz 1 des Arbeitsvertrages ist dadurch jedoch nicht verändert worden. Vielmehr ergibt die gebotene Auslegung (§§ 133, 157 BGB) von § 2 Satz 2 und § 4 des Arbeitsvertrages, dass der Klägerin die übertariflichen Zulagen als selbstständige Entgeltbestandteile „neben" dem jeweiligen Tarifentgelt „darüber hinaus" zugesagt worden sind. Allgemeine Zulagen, die - wie vorliegend - nicht besondere Leistungen oder ähnliches abgelten sollen, werden regelmäßig deshalb gewährt, weil der Tariflohn den Parteien des Arbeitsvertrags als nicht ausreichend erscheint. Ob die Beklagte berechtigt ist, die Zulagen auf (künftige) Tariferhöhungen anzurechnen, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits und für dessen Entscheidung unerheblich.

Entgegen der Ansicht der Berufung kann eine nachträgliche Regelungslücke im Arbeitsvertrag nicht deshalb verneint werden, weil sie durch die Dienstvereinbarung vom 09.12.2010 zur Überleitung der Mitarbeiter in den TV-L geschlossen worden wäre. Soweit der Entscheidung der Kammer vom 22.03.2012 (LAG Rheinland-Pfalz - 10 Sa 41/12 - Rn. 37 ff, Juris) eine abweichende Ansicht entnommen werden könnte, wird daran nicht festgehalten. Da die ergänzende Vertragsauslegung eine anfängliche Regelungslücke rückwirkend schließt, ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Feststellung und Bewertung des mutmaßlichen typisierten Parteiwillens und der Interessenlage der Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Das gilt auch, wenn eine Lücke sich erst nachträglich als Folge des weiteren Verlaufs der Dinge ergeben hat (BAG vom 24.08.2011 - 4 AZR 683/09 - Rn. 29 ff, Juris; mwN). Für die ergänzende Auslegung des Arbeitsvertrages zwischen den Parteien vom 18.05.1993 sind die Regelungen der Dienstvereinbarung vom 09.12.2010 zwischen der Beklagten und dem Gesamtpersonalrat unerheblich.

Das Arbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Inhalt der vertraglichen Abrede in § 2 des Arbeitsvertrages durch die Regelungen der Dienstvereinbarung vom 09.12.2010 nicht verändert worden ist. Es steht außerhalb der Regelungsmacht von Arbeitgeber und Gesamtpersonalrat, individualvertragliche Bezugnahmeregelungen durch eine Dienstvereinbarung abzuändern. Eine Dienstvereinbarung kann günstigere einzelvertragliche Regelungen nicht verdrängen.

6. Ohne Erfolg ist der Einwand der Beklagten, die Klägerin verstoße gegen Treu und Glauben in der Erscheinungsform des widersprüchlichen Verhaltens, weil sie sich ab 01.05.2011 auf die Geltung des TV-L ohne die Überleitungsregelung in der Dienstvereinbarung vom 09.12.2010 berufe. Sie müsse sich daran festhalten lassen, dass sie im April 2009 eine Klage auf Höhergruppierung in die VergGr. VI b BAT erhoben und sich im gerichtlich festgestellten Vergleich vom 04.06.2009 (ArbG Mainz 1 Ca 881/09) mit der Zahlung einer monatlichen Zulage in Höhe der Differenz zwischen VergGr. VII und VI b BAT einverstanden erklärt habe. In ihrem Schreiben vom 08.06.2009 habe sie sogar ausdrücklich eingefordert, dass sich ihre monatlichen Gehaltsbezüge nach Tarif „BAT (Bund /TdL)" richten.

Die Berufungskammer folgt dem Arbeitsgericht auch darin, dass die Klägerin mit der Geltendmachung ihrer Ansprüche nicht gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens verstößt, § 242 BGB. Die Rechtsordnung lässt widersprüchliches Verhalten grundsätzlich zu. Es ist erst dann rechtsmissbräuchlich, wenn die andere Seite auf ein Verhalten vertrauen durfte und ihre Interessen vorrangig schutzwürdig erscheinen (BAG vom 23.08.2011 - 3 AZR 575/09 - Rn. 60, NZA 2012, 211, mwN). Die Tatsache, dass die Klägerin im April 2009 auf Höhergruppierung in VergGr. VI b BAT geklagt und sich am 04.06.2009 mit der Beklagten auf die Zahlung einer monatlichen Zulage geeinigt hat, lässt ihr jetziges Verhalten, ab 01.05.2011 die Tariflohnerhöhung des TV-L aus 2009 mit Sockelwirkung für die Zukunft zu verlangen, nicht als rechtsmissbräuchlich erscheinen.

Die Parteien haben arbeitsvertraglich den BAT bzw. den TV-L in Bezug genommen. In § 70 Abs. 1 BAT bzw. in § 37 Abs. 1 TV-L haben die Tarifvertragsparteien eine Ausschlussfrist von sechs Monaten für die allmonatlich entstehenden Ansprüche auf Vergütung vereinbart. Eine Arbeitnehmerin, die - wie die Klägerin ab 01.05.2011 - innerhalb dieser Ausschlussfrist ihre Rechte geltend macht, handelt nicht allein wegen des Zeitablaufs oder eines früheren gerichtlichen Vergleichs rechtsmissbräuchlich. Die Beklagte konnte sich nicht schutzwürdig darauf einrichten, dass sich die Klägerin ab 01.05.2011 nicht darauf beruft, ihr Arbeitsverhältnis richte sich kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung bereits seit 01.11.2006 nach dem TV-L. Der TV-L war zunächst ohne eigenständige Regelungen zur Eingruppierung in Kraft getreten, es gab weder neue Eingruppierungsmerkmale noch reformierte Eingruppierungsvorschriften. Vielmehr galten die §§ 22, 23 BAT einschließlich der Vergütungsordnung über den 31.10.2006 hinaus bis zum 31.12.2011 fort. Wenn die Klägerin im Jahr 2009 eine Höhergruppierung in VergGr. VI b BAT verlangte, konnte die Beklagte daraus nicht ableiten, die Klägerin sei mit einer statischen Fortgeltung des BAT einverstanden.

Es ist nicht Zweck des § 242 BGB, Schuldner, denen gegenüber der Gläubiger längere Zeit seine Rechte nicht geltend gemacht hat, von ihrer Pflicht zur Leistung vorzeitig zu befreien. Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, war die Rechtslage hinsichtlich der Auslegung arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln auf den BAT nach der Tarifsukzession Ende 2006 höchstrichterlich nicht geklärt. Bereits mit Schreiben vom 08.06.2009 hat die Klägerin die Anpassung ihrer Bezüge „entsprechend den Erhöhungen des TV-L" verlangt. Das Schreiben enthält bei ungekünstelter Auslegung nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass die Klägerin mit dem „Einfrieren" ihrer Vergütung auf den Zeitpunkt der Tarifsukzession einverstanden war. Das Gegenteil ist der Fall.

Fehlt es an besonderen Umständen im Verhalten der Klägerin, kommt es nicht darauf an, ob sich die Beklagte ihrerseits so verhielt, dass es ihr unzumutbar geworden wäre, die Forderungen der Klägerin zu erfüllen. Jedenfalls hat die Beklagte keine solchen Umstände vorgetragen.

III.  Die Entscheidung über die Kosten folgt aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die teilweise Unzulässigkeit des gestellten Feststellungsantrages bleibt kostenmäßig unberücksichtigt, weil sie nur einen geringfügigen Anteil des gesamten Streitgegenstandes betrifft.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.



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