Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 5 Sa 44/14

Auslegung einer Ausgleichsquittung ("alle Ansprüche ... abgegolten")

Ob eine Ausgleichsquittung überhaupt rechtsgeschäftliche Erklärungen enthält und welche Rechtsqualität diesen zukommt, ist durch Auslegung (§§ 133, 157 BGB) zu ermitteln. Sofern die Parteien den Willen haben, ihre Rechtsbeziehung zu bereinigen, kommen als rechtstechnische Mittel dafür der Erlassvertrag, das konstitutive und das deklaratorische Schuldanerkenntnis in Betracht. Maßgebend ist das Verständnis eines redlichen Erklärungsempfängers.

Ein Erlassvertrag (§ 397 Abs. 1 BGB) ist anzunehmen, wenn die Parteien vom Bestehen einer bestimmten Schuld ausgehen, diese aber übereinstimmend als nicht mehr zu erfüllen betrachten.
Ein konstitutives negatives Schuldanerkenntnis (§ 397 Abs. 2 BGB) liegt vor, wenn der Wille der Parteien darauf gerichtet ist, alle oder eine bestimmte Gruppe von bekannten oder unbekannten Ansprüchen zum Erlöschen zu bringen.
Ein deklaratorisches negatives Schuldanerkenntnis ist anzunehmen, wenn die Parteien nur die von ihnen angenommene Rechtslage eindeutig dokumentieren und damit fixieren wollen.

Hier: Das Wort “abgegolten“ lässt sich ohne den Zusammenhang mit einer bislang nicht geschuldeten Leistung nur im Sinne von “erfüllt“, nicht im Sinne von “kompensiert“ verstehen. Durch die Erfüllung einzelner Ansprüche wird kein anderer Anspruch abgegolten. Beiden Parteien musste klar sein, dass mit der Übergabe der Arbeitspapiere und der Zahlung eines Nettobetrags von € 500,00 für November 2012 die im Raum stehenden Ansprüche nicht erledigt werden konnten.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 4. Dezember 2013, Az. 4 Ca 204/13, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Restlohnansprüche der Klägerin.

Die Beklagte betreibt ein Eiscafé in A-Stadt. Die 1969 geborene Klägerin ist rumänische Staatsangehörige. Sie arbeitete im Eiscafé der Beklagten als Küchenhilfe. Die Beklagte stellte ihr eine Unterkunft und Verpflegung kostenfrei zur Verfügung. Eine Meldung zur Sozialversicherung erfolgte für die Zeit vom 12.06. bis 31.08.2012. In der Lohnsteuerbescheinigung wurde ggü. dem Finanzamt für diesen Zeitraum ein Bruttoarbeitslohn von insgesamt € 1.580,00 angegeben.

Tatsächlich arbeitete die Klägerin bei der Beklagten in der Zeit vom 25.03. bis 26.08.2012 und vom 23.09. bis 11.11.2012. Die Beklagte zahlte ihr in den Monaten von April bis August 2012 und im Oktober 2012 jeweils € 1.200,00 netto sowie für November 2012 einen Nettobetrag von € 500,00. Vom 27.08. bis 22.09.2012 arbeitete die Klägerin nicht.

Am 12.11.2012 unterzeichnete die Klägerin folgenden Text, den die Steuerberater der Beklagten unter einem an die Beklagte adressierten Schreiben vom 28.09.2012 vorbereitet hatten:

„Sehr geehrte Frau N.,

anbei erhalten Sie an Arbeitspapieren zurück:

Angestellte(r):                         V.-G. C.

            Ausdruck der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung für 2012

            Gehalts-Endabrechnung

            Beitragsnachweis zur Rentenversicherung

            Der/die Angestellte wurde von uns zum 31.08.2012 bei der AOK abgemeldet.

Mit freundlichen Grüßen

H., W. & Kollegen

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Ich bestätige, die oben aufgeführten Arbeitspapiere heute erhalten zu haben und dass mit der Zahlung des Gehaltes lt. Gehaltsendabrechnung alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis abgegolten sind.

A-Stadt                   12.11.2012                C.

Ort                  Datum                        Unterschrift des Arbeitnehmers“

Mit Klageschrift vom 16.01.2013 machte die Klägerin eine monatliche Vergütung von € 3.091,62 brutto abzgl. der gezahlten Nettobeträge und abzgl. von € 297,97 brutto für freie Unterkunft und Verpflegung geltend. Zur Begründung führte sie aus, sie habe wöchentlich 84 Stunden (7 Tage x 12 Std.) gearbeitet. Die Beklagte schulde ihr pro Stunde die übliche Vergütung von € 8,50 brutto.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes, des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der erstinstanzlich gestellten Sachanträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 04.12.2013 (dort Seite 3-8) Bezug genommen.

Durch das genannte Urteil hat das Arbeitsgericht - unter Abweisung der Klage im Übrigen - die Beklagte verurteilt,

an die Klägerin € 1.493,67 brutto abzgl. am 30.04.2012 gezahlter € 1.200,00 netto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 02.05.2012 zu zahlen,

an die Klägerin € 1.493,67 brutto abzgl. am 30.05.2012 gezahlter € 1.200,00 netto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 02.06.2012 zu zahlen,

an die Klägerin € 1.493,67 brutto abzgl. am 30.06.2012 gezahlter € 1.200,00 netto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 02.07.2012 zu zahlen,

an die Klägerin € 1.493,67 brutto abzgl. am 31.07.2012 gezahlter € 1.200,00 netto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 02.08.2012 zu zahlen,

an die Klägerin € 1.493,67 brutto abzgl. am 31.08.2012 gezahlter € 1.200,00 netto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 02.09.2012 zu zahlen,

a)        an die Klägerin € 299,84 brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 02.10.2012 zu zahlen,

b)        an die Klägerin € 1.493,67 brutto abzgl. am 20.10.2012 gezahlter € 1.200,00 netto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 02.11.2012 zu zahlen,

an die Klägerin € 547,69 brutto abzgl. gezahlter € 500,00 netto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.12.2012 zu zahlen,

der Klägerin über das gezahlte Arbeitsentgelt für die Zeit vom 01.04. bis 11.11.2012 eine Abrechnung nach § 108 GewO zu erteilen.

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht - zusammengefasst - ausgeführt, die Beklagte schulde der Klägerin einen Stundenlohn von € 8,50 brutto für eine Wochenarbeitszeit von 48 Stunden. Die Klägerin könne daher einen Monatslohn iHv. € 1.766,64 brutto beanspruchen (207,84 Std. x € 8,50). Von diesem Bruttobetrag seien für freie Unterkunft und Verpflegung monatlich € 272,97 brutto abzuziehen. Für April bis August 2012 sowie Oktober 2012 könne die Klägerin daher einen Bruttolohn von € 1.493,67 abzgl. gezahlter € 1.200,00 netto beanspruchen. Für die Zeit vom 23.09. bis 30.09.2012 stehe ihr ein Lohn von € 299,84 brutto zu (anteilig 8/30 von € 1.766,64 = € 471,10 abzgl. € 138,70 für Kost und € 134,27 für Logis). Für die Zeit vom 01.11. bis 11.11.2012 belaufe sich ihr Lohnanspruch auf € 547,69 brutto (anteilig 11/30 von € 1.766,64 = € 647,77 abzgl. € 100,08 für Kost und Logis) abzgl. des gezahlten Nettobetrags von € 500,00.

Der Lohnanspruch der Klägerin sei nicht aufgrund der Ausgleichsquittung vom 12.11.2012 erloschen. Es handele sich um eine von den Steuerberatern der Beklagten vorformulierte Vertragsbestimmung, die der Klägerin in dieser Form angeboten und damit gestellt worden sei. Die Klägerin habe ersichtlich keinen Einfluss auf deren Inhalt gehabt. Die Ausgleichsquittung sei intransparent und damit unwirksam, § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Wegen der Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 8 bis 14 des erstinstanzlichen Urteils vom 04.12.2013 Bezug genommen.

Gegen das am 23.12.2013 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit am 23.01.2013 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 07.02.2014 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Die Beklagte macht zur Begründung der Berufung im Wesentlichen geltend, bei der Erklärung vom 12.11.2012 handele es sich um eine Individualvereinbarung und nicht um eine Allgemeine Geschäftsbedingung iSd. § 305 Abs. 1 BGB. Die Klägerin habe seit 27.08.2012 unentschuldigt gefehlt. Deshalb sei sie von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgegangen und habe ihren Steuerberater die Erklärung vom 28.09.2012 vorbereiten lassen. Am 23.09.2012 sei die Klägerin überraschend zurückgekehrt und habe darum gebeten, weiter arbeiten zu dürfen. Ihr Lebensgefährte S. M. habe ihr dies zugesagt. Da der Betrieb des Eiscafés im Winterhalbjahr deutlich eingeschränkt sei, habe ihr Lebensgefährte mit der Klägerin am 12.11.2012 ein Gespräch geführt und mit ihr vereinbart, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Er habe der Klägerin ausdrücklich und klar verständlich erläutert, dass eine Fortbeschäftigung nicht mehr möglich sei. Er habe ihr das Schreiben der Steuerberater vom 28.09.2012 überreicht. Die Klägerin habe durch ihre Unterschrift bestätigt, die Arbeitspapiere und das Restgehalt erhalten zu haben und dass somit alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis abgegolten seien. Sie sei ab 12.11.2012 von allen Arbeitsleistungen freigestellt worden, ihr sei außerdem erklärt worden, dass sie die Wohnung räumen müsse. Auch dagegen habe sich die Klägerin nicht gewehrt.

Bei der am 12.11.2012 von der Klägerin unterzeichneten Erklärung handele es sich um eine Standardformulierung, die nach der Rechtsprechung eine Individualvereinbarung darstelle, wenn sie dem Arbeitnehmer in einem erläuternden Gespräch übergeben werde und der Arbeitnehmer in diesem Gespräch die Möglichkeit habe, zu entscheiden, ob er auf den Beendigungsvorschlag des Arbeitgebers eingehen wolle oder nicht. Diese Möglichkeit habe sie der Klägerin gegeben und dafür ihren Lebensgefährten als Zeugen benannt. Die Vereinbarung vom 12.11.2012 sei auch nicht intransparent. Die von der Rechtsprechung des BAG gestellten Anforderungen an eine klar erkennbare Ausgleichsquittung seien in dem von ihr verwendeten Dokument in geradezu vorbildlicher Weise verwirklicht worden. Das Schreiben sei klar und übersichtlich. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Inhalt des Schriftsatzes der Beklagten vom 07.02.2014 Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich,

das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 04.12.2013, Az. 4 Ca 204/13,

teilweise abzuändern und die Klage vollständig abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung im Schriftsatz vom 17.03.2014 als zutreffend.

Auch im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.  Die gemäß § 64 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. b ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist insbesondere form- sowie fristgerecht eingelegt und ausreichend begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO).

II.  In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zu Recht zur Zahlung restlichen Arbeitsentgelts nebst Zinsen verurteilt. Die Berufungskammer folgt zunächst den Gründen des angefochtenen Urteils und stellt dies gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Das Berufungsvorbringen der Beklagten veranlasst lediglich folgende Ausführungen:

Der Klägerin stehen gemäß § 612 Abs. 2 BGB gegen die Beklagte Restlohnansprüche für den Zeitraum vom 01.04. bis 11.11.2012 in der vom Arbeitsgericht tenorierten Höhe zu. Die Beklagte ist außerdem gem. § 108 Abs. 1 GewO zur Lohnabrechnung verpflichtet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Ansprüche der Klägerin auf die übliche Vergütung nicht durch die Ausgleichsquittung vom 12.11.2012 erloschen sind, die die Steuerberater der Beklagten ihrem Schreiben an die Beklagte vom 28.09.2012 angefügt haben.

1.         Es kann dahinstehen, ob es sich bei der Ausgleichsquittung, die die Steuerberater der Beklagten vorformuliert haben, um eine Allgemeine Geschäftsbedingung iSv. § 305 Abs. 1 BGB handelt, denn § 307 BGB findet jedenfalls nach § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB Anwendung. Nach dieser Vorschrift sind § 305c Abs. 2 BGB und die §§ 306 und 307 bis 309 BGB bei Verbraucherverträgen auf vorformulierte Vertragsbedingungen auch dann anzuwenden, wenn diese nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind und soweit der Verbraucher aufgrund der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluss nehmen konnte. Die Klägerin war als Arbeitnehmerin Verbraucher in diesem Sinn (st. Rspr., zB BAG 11.12.2013 - 10 AZR 286/13 -Rn. 13 mwN, Juris).

Die Steuerberater der Beklagten haben die Ausgleichsquittung unstreitig vorformuliert, die der Klägerin vom Lebensgefährten der Beklagten am 12.11.2012 in dieser Form angeboten und damit im Rechtssinne gestellt worden ist. Die Klägerin konnte auf den Inhalt der Ausgleichsquittung auch keinen Einfluss nehmen. Die Möglichkeit der Einflussnahme muss sich auf die konkrete Klausel beziehen (BAG 19.05.2010 - 5 AZR 253/09 - Rn. 26 mwN, NJW 2010, 2827). Der Vortrag der Beklagten genügt nicht, um von der Möglichkeit einer Einflussnahme auf die Ausgleichsquittung iSd. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB auszugehen. Der gesetzesfremde Kerngehalt der Klausel müsste von ihr erkennbar ernsthaft zur Disposition gestellt und dem Verwendungsgegner müsste Gestaltungsfreiheit zur Wahrung seiner Interessen eingeräumt worden sein Die Beklagte hat auch zweitinstanzlich nicht konkret dargelegt, aus welchen Gründen sich am 12.11.2012 für die Klägerin erkennbar die Bereitschaft ihres Lebensgefährten ergeben haben soll, gerade die Ausgleichsquittung, die ihre Steuerberater am 28.09.2012 vorformuliert hatten, zur Disposition zu stellen. Dies muss indessen vorliegend nicht vertieft werden. Es erübrigt sich auch ein Eingehen auf die Frage, ob die von der Beklagten angeführte Entscheidung des BGH (16.11.1990 - V ZR 217/89 - NJW 1991, 843) zur gerichtlichen Inhaltskontrolle notarieller Verträge, die eine andere Fallgestaltung betrifft und hier nicht einschlägig ist, nach der Schuldrechtsmodernisierung zum 01.01.2002 unverändert Bedeutung hat.

2.         Ob eine Ausgleichsquittung überhaupt rechtsgeschäftliche Erklärungen enthält und welche Rechtsqualität diesen zukommt, ist nach den Regeln der §§ 133, 157 BGB durch Auslegung zu ermitteln. Sofern die Parteien den Willen haben, ihre Rechtsbeziehung zu bereinigen, kommen als rechtstechnische Mittel dafür der Erlassvertrag, das konstitutive und das deklaratorische Schuldanerkenntnis in Betracht. Ein Erlassvertrag (§ 397 Abs. 1 BGB) ist anzunehmen, wenn die Parteien vom Bestehen einer bestimmten Schuld ausgehen, diese aber übereinstimmend als nicht mehr zu erfüllen betrachten. Ein konstitutives negatives Schuldanerkenntnis (§ 397 Abs. 2 BGB) liegt vor, wenn der Wille der Parteien darauf gerichtet ist, alle oder eine bestimmte Gruppe von bekannten oder unbekannten Ansprüchen zum Erlöschen zu bringen. Ein deklaratorisches negatives Schuldanerkenntnis ist anzunehmen, wenn die Parteien nur die von ihnen angenommene Rechtslage eindeutig dokumentieren und damit fixieren wollen (BAG 23.10.2013 - 5 AZR 135/12 - Rn. 14 mwN, NZA 2014, 200). Maßgebend ist das Verständnis eines redlichen Erklärungsempfängers. Dieser ist nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verpflichtet, unter Berücksichtigung aller ihm erkennbaren Umstände mit gehöriger Aufmerksamkeit zu prüfen, was der Erklärende gemeint hat. Zu berücksichtigen ist ferner der Grundsatz der nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung. Diese Auslegungsgrundsätze gelten auch für die Frage, ob überhaupt eine rechtsgeschäftliche Erklärung vorliegt (BAG 07.11.2007 - 5 AZR 880/06 - Rn. 17 mwN, NJW 2008, 461).

3.         Nach diesen Grundsätzen konnte die Beklagte vorliegend nicht davon ausgehen, die Klägerin wolle den Bestand ihrer Rechte in irgendeiner Weise verändern und dabei auf ihre Ansprüche verzichten.

a)        Schon der Wortlaut der Klausel (“... abgegolten sind“) spricht gegen eine solche Erklärung. Das Wort “abgegolten“ lässt sich ohne den Zusammenhang mit einer bislang nicht geschuldeten Leistung nur im Sinne von “erfüllt“, nicht im Sinne von “kompensiert“ verstehen. Durch die Erfüllung einzelner Ansprüche wird kein anderer Anspruch abgegolten. Beiden Parteien musste klar sein, dass mit der Übergabe der Arbeitspapiere und der Zahlung eines Nettobetrags von € 500,00 für November 2012 die im Raum stehenden Ansprüche nicht erledigt werden konnten. Deshalb liegt die Annahme nahe, die Klägerin bestätige hier lediglich, die Ansprüche seien ihres Wissens vollständig erfüllt. Eine rechtsgeschäftliche Erklärung ist damit nicht verbunden.

b)        Selbst wenn man der Erklärung der Klägerin, "dass mit der Zahlung des Gehaltes lt. Gehaltsendabrechnung alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis abgegolten sind", einen rechtsgeschäftlichen Erklärungswert beimessen sollte, hat die Ausgleichsquittung allenfalls die Bedeutung eines deklaratorischen negativen Schuldanerkenntnisses. Entsprechend ihrem Wortlaut hält die Klausel die übereinstimmende Auffassung der Parteien fest, dass nach Erhalt der Arbeitspapiere und mit Zahlung des letzten Lohns alle Ansprüche "abgegolten sind". Damit fixierten sie die von ihnen angenommene Rechtslage und dokumentierten das, wovon sie ausgingen: Es bestehen keine Ansprüche mehr. Von "verzichten" - in welcher Form auch immer - ist nicht die Rede. In einer solchen Situation darf ein verständiger und redlicher Arbeitgeber nicht davon ausgehen, der Wille des Arbeitspapiere und (Rest-)Lohn abholenden Arbeitnehmers richte sich darauf, alle oder eine bestimmte Gruppe von bekannten oder unbekannten Ansprüchen zum Erlöschen zu bringen. Für eine derartige Annahme besteht nur dann Anlass, wenn eine Ausgleichsquittung nach vorangegangenem Streit als Bestandteil eines gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleichs oder im Rahmen eines die Beendigung des Arbeitsverhältnisses regelnden Aufhebungsvertrags abgegeben wird (so ausdrücklich: BAG 23.10.2013 - 5 AZR 135/12 - Rn. 18, aaO). Beides ist vorliegend nicht der Fall.

c)        Nach den unstreitigen sowie den von der Beklagten vorgetragenen Umständen der Erklärung vom 12.11.2012 bestand für die Beklagte kein Anhaltspunkt dafür, die Klägerin wolle auf Ansprüche verzichten. An die Feststellung eines Verzichtswillens sind hohe Anforderungen zu stellen. Ein Erlass liegt im Zweifel nicht vor. Selbst bei eindeutig erscheinender Erklärung des Gläubigers darf ein Verzicht nicht angenommen werden, ohne dass bei der Feststellung zum erklärten Vertragswillen sämtliche Begleitumstände berücksichtigt worden sind. Wenn feststeht, dass eine Forderung entstanden ist, verbietet dieser Umstand im Allgemeinen die Annahme, der Gläubiger habe sein Recht einfach wieder aufgegeben (BAG 07.11.2007 - 5 AZR 880/06 - Rn. 22 mwN, aaO).

Die Klägerin hatte vorliegend keine Veranlassung, einen Verzicht zu erklären. Der Lebensgefährte der Beklagten hat das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien am 12.11.2012 durch mündliche Erklärung wegen eines eingeschränkten Geschäftsbetriebs im Winterhalbjahr mit sofortiger Wirkung beenden wollen. Die Klägerin hat sich gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht gewehrt, obwohl gemäß § 623 BGB die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch Kündigung oder Auflösungsvertrag zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform bedarf. Die Klägerin hat auch die Unterkunft geräumt, die ihr die Beklagte bis zum 12.11.2012 zur Verfügung gestellt hatte. Die Unterzeichnung des Schreibens der Steuerberater der Beklagten vom 28.09.2012 bei der Aushändigung der Papiere am 12.11.2012 musste ihr als bloße Formalität bei der technischen Abwicklung des Ausscheidens erscheinen.

Die Steuerberater der Beklagten haben die Klägerin nur für einen Zeitraum vom 12.06.2012 bis zum 31.08.2012 zur Sozialversicherung und bei der Finanzverwaltung gemeldet. Sie haben für diesen Zeitraum ein Bruttoarbeitsentgelt iHv. insgesamt € 1.580,00 gemeldet, obwohl die Beklagte der Klägerin - unstreitig - von April bis August Nettobeträge iHv. insgesamt € 6.000,00 (5 x € 1.200,00) gezahlt hat. Darüber hinaus gewährte die Beklagte der Klägerin freie Unterkunft und Verpflegung, die nach der Sachbezugsverordnung 2012 monatlich mit € 431,00 zu versteuern und verbeitragen waren. Die Klägerin hat außerdem im Zeitraum vom 23.09. bis zum 11.11.2012 bei der Beklagten gearbeitet und auch für diesen Zeitraum freie Unterkunft und Verpflegung sowie Nettozahlungen iHv. insgesamt € 1.700,00 (€ 1.200,00 im Oktober, € 500,00 für November 2012) erhalten. Die Arbeitspapiere, die der Lebensgefährte der Beklagten der Klägerin am 12.11.2012 ausgehändigt hat, waren - was beide Parteien wussten - inhaltlich falsch. Weder die gemeldete Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses noch die in den Arbeitspapieren ausgewiesenen Beträge entsprachen der Wahrheit.

Die Klägerin besaß nicht das geringste Interesse, auf ihre Lohnansprüche ohne irgendeine Gegenleistung zu verzichten. Das war für die Beklagte bzw. deren Lebensgefährten erkennbar. Wenn sie der Klägerin am 12.11.2012 gleichwohl das von den Steuerberatern vorbereitete Schreiben vom 28.09.2012 zur Unterschrift vorlegten, ohne auf die von ihnen gewünschte Bedeutung hinzuweisen, konnten sie redlicherweise nicht davon ausgehen, die Klägerin wolle allein damit alle Ansprüche zum Erlöschen bringen. Aus welchen Gründen die Klägerin auf Ansprüche wegen Lohnwuchers verzichten sollte und welchen Sinn und Zweck eine solche Vereinbarung über die einseitige Durchsetzung der Interessen der Beklagten hinaus haben konnte, ist nicht ersichtlich.

d)        Selbst wenn zugunsten der Beklagten unterstellt würde, die Klägerin habe rechtsgeschäftlich bestätigt, dass alle Ansprüche erfüllt seien und sonstige Ansprüche nicht bestünden, hindert ein solches deklaratorisches negatives Schuldanerkenntnis die weitere Geltendmachung der Ansprüche aus § 612 Abs. 2 BGB wegen Sittenwidrigkeit der Vergütungsvereinbarung nicht.

III.  Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.



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