Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 5 SA 68/15

Außerordentliche Kündigung wegen Arbeitszeitbetrugs

(1.) Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, kommt als wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Frage.

(2.) Überträgt der Arbeitgeber den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und füllt ein Arbeitnehmer entsprechende Formulare vorsätzlich falsch aus, liegt darin in aller Regel ein schwerer Vertrauensmissbrauch.

(3.) Die Kündigungsfrist beginnt erst ab der Täuschungshandlung des Arbeitnehmers, also erst mit der wahrheitswidrigen Abgabe der Monatsstundenerfassung.

Die Klägerin war bei dem Beklagten als Vereinsbetreuerin beschäftigt. Sie war für die Betreuung einer Dame zuständig. In ihrer Monatsstundenerfassung gab sie fälschlich an, die Dame an zwei verschiedenen Tagen in dem jeweiligen Monat besucht zu haben. Für diese Fahrten wurden der Klägerin von dem Beklagten Reisekosten erstattet und die Besuchs- und Reisezeiten wurden ihr als Arbeitszeit vergütet. Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos mit der Begründung, die Klägerin habe ihre Arbeitszeiten falsch dokumentiert, die zu betreuende Dame sei von ihr nicht an den angegebenen Tagen besucht worden.

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 15. Januar 2015, Az. 2 Ca 185/14, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten zweitinstanzlich noch über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

Die 1954 geborene Klägerin war seit 24.05.1999 bei dem Beklagten, einem anerkannten Betreuungsverein iSv. § 1908f BGB, als Vereinsbetreuerin zu einem Monatsgehalt von € 2.500,00 brutto beschäftigt. Ihre wöchentliche Arbeitszeit betrug 27 Stunden. Auf das Arbeitsverhältnis fanden kraft einzelvertraglicher Vereinbarung die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) Anwendung. Der beklagte Verein beschäftigte, einschließlich der Klägerin, regelmäßig nur vier Arbeitnehmer, darunter drei in Teilzeit.

Der Klägerin war die Wahrnehmung der Betreuung von Frau Sch. (geb. 1923) übertragen worden, die in der Ortsgemeinde St. wohnt. In ihrer Monatsstundenerfassung für Dezember 2013 gab die Klägerin an, sie habe die Betreute am Donnerstag, den 05.12.2013 von 13:00 bis 15:00 Uhr und am Donnerstag, den 12.12.2013 von 12:30 bis 14:15 Uhr in deren Haus aufgesucht. Aufgrund der Eintragungen im Fahrtenbuch erstattete der Beklagte der Klägerin am 14.01.2014 die Reisekosten für die beiden Fahrten zwischen ihrer Wohnung und St.. Die Besuchs- und Reisezeit vergütete er ihr als Arbeitszeit.

Mit Schreiben vom 05.02.2014 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich. Er stützt die Kündigung darauf, dass die Klägerin ihre Arbeitszeit falsch dokumentiert habe, weil sie die Betreute weder am 05.12. noch am 12.12.2013 besucht habe. Mit ihrer am 12.02.2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage wehrt sich die Klägerin gegen diese Kündigung. Erstinstanzlich verlangte sie noch ein Zwischenzeugnis.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestands, des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der erstinstanzlichen Sachanträge wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils vom 15.01.2015 (dort Seite 2 bis 5) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage nach Vernehmung der Zeugen K. (Schatzmeister des Beklagten) und Kl. (Mitbewohner der Betreuten) abgewiesen und zur Begründung - zusammengefasst - ausgeführt, die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 05.02.2014 sei rechtswirksam. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Klägerin die Betreute am 05. und 12.12.2013 nicht in deren Haus aufgesucht habe. Der Zeuge K. habe an beiden Tagen gemeinsam mit dem 1. Vorsitzenden des Beklagten das Haus der Betreuten beobachtet. Nach den glaubhaften Angaben des Zeugen K. sei die Klägerin zu den von ihr angegebenen Zeiten dort nicht erschienen. Der von der Klägerin gegenbeweislich benannte Zeuge Kl. habe sich nicht mehr an die konkreten Besuchstage der Klägerin bei der Betreuten erinnern können. Einer Vernehmung der von der Klägerin benannten Zeugin N. sei nicht erforderlich gewesen, weil diese die Klägerin nicht zu den Hausbesuchen begleitet habe. Der Beklagte habe die Kündigungserklärungsfrist von zwei Wochen gewahrt. Die Falschangaben der Klägerin über ihre Hausbesuche am 05. und 12.12.2013 seien erst mit Vorlage ihrer Abrechnung als Kündigungsgrund relevant geworden. Die Frist habe damit am 27.01.2014 mit der Einreichung der unterzeichneten Monatsstundenerfassung für Dezember 2013 in der Geschäftsstelle des Beklagten zu laufen begonnen. Wegen der Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 6 bis 17 des erstinstanzlichen Urteils vom 15.01.2015 Bezug genommen.

Gegen das am 30.01.2015 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit am 26.02.2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 30.04.2015 verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit am 13.04.2015 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Sie macht geltend, ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung iSd. § 626 Abs. 1 BGB liege nicht vor, weil sie die Betreute am 05. und 12.12.2013 besucht habe. Das Arbeitsgericht hätte den Angaben des Zeugen K. keinen Glauben schenken dürfen. Der Zeuge habe als Schatzmeister und Mitglied des erweiterten Vorstandes ein Interesse daran gehabt, den Beklagten vor finanziellen Belastungen, die mit einer unwirksamen Kündigung verbunden seien, zu bewahren. Der Zeuge K. habe seine Aussage von einem mitgebrachten "Spickzettel" mehr oder weniger abgelesen. Auch dies rechtfertige den Schluss auf dessen fehlende Glaubwürdigkeit. Die Kenntnis von der Örtlichkeit des Hausanwesens der Betreuten habe sich der Zeuge noch durch einen nachträglichen Besuch in St. verschaffen können. Der Zeuge sei außerdem nicht glaubwürdig, weil er das Haus einer anderen betreuten Person (Frau W.) nicht beobachtet habe. Auch der Umstand, dass ihr der Zeuge K. am 14.01.2014 die Reisekosten erstattet habe, obwohl sie am 05. und 12.12.2013 nach seiner Behauptung nicht in St. gewesen sein soll, belege, dass er sich dort tatsächlich nicht aufgehalten habe.

Der Zeuge Kl. sei entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts glaubwürdig gewesen. Er habe eingeräumt, dass er sich an das Geschehen am 05. und 12.12.2013 konkret nicht mehr erinnern könne, jedoch daran, dass sie die Betreute regelmäßig jede Woche am Donnerstag oder Freitag besucht habe. Daraus habe er auf ihre Anwesenheit auch am 05. und 12.12.2013 geschlossen. Zudem habe ihr der Zeuge Kl. am 10.02.2014 eine Bestätigung unterzeichnet. Er habe gewusst, dass deren Inhalt richtig sei.

Das Arbeitsgericht hätte die von ihr benannte Zeugin N. vernehmen müssen. Sie habe der Zeugin, die mit ihr in einer Wohngemeinschaft lebe, sowohl am 05. als auch am 12.12.2013 von Ereignissen berichtet, die sie bei ihren jeweiligen Besuchen im Haus der Betreuten erlebt habe. Sie habe zum damaligen Zeitpunkt keinen Anlass gehabt, der Zeugin N. von nicht stattgefundenen Hausbesuchen zu berichten. Zudem hätte die Zeugin schildern können, dass sie zu den üblichen Zeiten nach St. aufgebrochen und jeweils mit Zigarettenrauchanhaftungen des Zeugen Kl. zu den üblichen Zeiten wieder zurückgekehrt sei. Das Arbeitsgericht habe auch nicht gewürdigt, dass der Beklagte bereits seit 2009 versuche, sie zur Aufgabe ihres Arbeitsverhältnisses zu bewegen, bzw. sie zu Vertragsverletzungen zu verleiten und ihr "Fallen" zu stellen.

Der Beklagte habe die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt, denn er habe bereits am 10.01.2014 Kenntnis vom Inhalt ihrer Monatsstundenerfassung für Dezember 2013 und damit der kündigungsrelevanten Tatsachen gehabt. Sie habe der Geschäftsstellenleiterin die Erfassung an diesem Tag ausgehändigt und erklärt, dass diese ein fehlerhaftes Ergebnis von minus 669,36 Stunden aufweise. Versuche - auch des 1. Vorsitzenden des Beklagten - das fehlerhafte Ergebnis zu korrigieren, seien fehlgeschlagen. Sie habe die Stundenerfassung anschließend nicht wieder mitgenommen, diese sei vielmehr in der Geschäftsstelle verblieben. Hieraus seien ihre Dienstzeiten am 05. und 12.12.2013 ersichtlich gewesen. Eine Unterzeichnung der Stundenerfassung sei für die Erlangung der Kenntnis, auf die die Kündigung gestützt werde, nicht erforderlich gewesen. Der Beklagte habe ferner aufgrund des Inhalts des in der Geschäftsstelle ausliegenden sog. Abwesenheitsbuchs sichere Kenntnis von den am 05. und 12.12.2013 erfolgten Fahrten zur Betreuten gehabt. Auch deshalb sei die Kündigung vom 05.02.2014 verfristet.

Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 08.04.2015 und vom 19.06.2015 Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt zweitinstanzlich,

das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 15.01.2015, Az. 2 Ca 185/14, abzuändern und

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 05.02.2014 nicht aufgelöst worden ist,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung des Beklagten vom 05.02.2014 aufgelöst worden ist.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung vom 12.05.2015, auf die Bezug genommen wird, als zutreffend.

Auch im Übrigen wird ergänzend auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und ausreichend begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

II.

In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage zu Recht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 05.02.2014 mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden. Damit bleibt auch die Klage gegen die nur hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung erfolglos.

Die Berufungskammer folgt den ausführlichen und sorgfältig dargestellten Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils und stellt dies gem. § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Von der Darstellung eigener vollständiger Entscheidungsgründe wird daher abgesehen. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Klägerin erscheinen lediglich folgende Ergänzungen angezeigt:

1. Das Arbeitsgericht hat zu Recht angenommen, für die außerordentliche Kündigung sei ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB, § 16 Abs. 1 AVR gegeben. Die Klägerin hat ihre arbeitsvertraglichen Pflichten in erheblicher Weise verletzt, weil sie ihre Arbeitszeit am 05. und 12.12.2013 nicht korrekt dokumentiert hat.

a) Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, kommt als wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Frage. Dies gilt für den vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare. Der Arbeitgeber muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit seiner Mitarbeiter vertrauen können. Überträgt er den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und füllt ein Arbeitnehmer entsprechende Formulare vorsätzlich falsch aus, liegt darin in aller Regel ein schwerer Vertrauensmissbrauch (BAG 26.09.2013 - 2 AZR 682/12 - Rn. 54 mwN, NZA 2014, 443).

b) Nach diesen Maßstäben liegt ein vorsätzlicher Verstoß der Klägerin gegen ihre Verpflichtung vor, ihre Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren. Die Klägerin hat in ihrer Monatsstundenerfassung für Dezember 2013 vorsätzlich falsch angegeben, dass sie am 05.12.2013 von 13:00 bis 15:00 Uhr und am 12.12.2014 von 12:30 bis 14:15 Uhr der von ihr betreuten Frau Sch. in der Ortsgemeinde St. einen Haubesuch abgestattet habe. Dadurch hat sie sich die Bezahlung von 3,75 Stunden tatsächlich nicht geleisteter Arbeitszeit erschlichen.

Aufgrund der vom Arbeitsgericht durchgeführten Beweisaufnahme steht auch zur Überzeugung der Berufungskammer fest, dass die Klägerin die zwei Hausbesuche tatsächlich nicht durchgeführt hat. Dem Arbeitsgericht sind bei der Würdigung der erhobenen Beweise keine Fehler unterlaufen. Die Beweiswürdigung ist umfassend, in sich nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei. Sie verstößt weder gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze und ist insgesamt auch nach der eigenen Würdigung der Berufungskammer in der Sache zutreffend. Die Berufungsangriffe der Klägerin reichen nicht aus, um die sorgfältigen Sachverhaltsfeststellungen des Arbeitsgerichts, das die Zeugenaussagen erschöpfend gewürdigt hat, in Zweifel zu ziehen. Sie erfordern daher auch keine Wiederholung der Beweisaufnahme.

Soweit die Klägerin die Glaubwürdigkeit des Zeugen K. und die Glaubhaftigkeit seiner Bekundungen abweichend vom Arbeitsgericht würdigt, setzt sie lediglich ihre eigene Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des Arbeitsgerichts, was nicht ausreicht, um Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen des Arbeitsgerichts zu begründen. Die Klägerin beruft sich darauf, dass der Zeuge als Schatzmeister und Mitglied des erweiterten Vorstandes ein Interesse daran habe, den Beklagten vor finanziellen Belastungen, die mit einer unwirksamen Kündigung verbunden seien, zu bewahren. Die Stellung des Zeugen, der seine Aufgaben beim Beklagten ehrenamtlich erfüllt, gibt jedoch keinen Anlass an seinen Angaben und seiner Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Es spricht auch nicht gegen den Zeugen, dass er seine Aussage nach dem Eindruck der Klägerin von einem mitgebrachten "Spickzettel" mehr oder weniger abgelesen haben soll. Der Zeuge K., ein 71-jähriger pensionierter Kommunalbeamter, hat bei seiner erstinstanzlichen Vernehmung bekundet, dass er sich die Beobachtungszeiten extra aufgeschrieben habe, um diese später noch wissen zu können. Dies spricht für die Gewissenhaftigkeit und das Bestreben des Zeugen, den Sachverhalt vor Gericht korrekt darzustellen, nachdem er vom 1. Vorsitzenden des Beklagten eigens als Zeuge hinzugezogen worden ist. Die Überlegung der Klägerin, die Aussage des Zeugen K. sei nicht glaubhaft, weil er das Haus einer weiteren betreuten Person (Frau W.) nicht observiert habe, ist nicht nachvollziehbar. Die Mutmaßung der Klägerin, dass der Zeuge am 05. und 12.12.2013 überhaupt nicht vor Ort gewesen sei, sondern sich erst nachträglich mit den Örtlichkeiten in St. vertraut gemacht habe, hat keine tragfähige Grundlage. Die von der Klägerin angeführten Zweifelsmomente bewegen sich im Bereich der bloßen Spekulation. Schließlich spricht auch nicht gegen den Zeugen oder seine Aussage, dass er am 14.01.2014 als Schatzmeister des Beklagten der Klägerin die beantragten Reisekosten erstattet hat, obwohl er wusste, dass sie im Beobachtungszeitraum nicht im Haus der betreuten Frau Sch. in St. gewesen ist. Die Klägerin hat im Fahrtenbuch unstreitig keine Uhrzeiten eingetragen. Der Zeuge konnte deshalb bei Erstattung der Reisekosten nicht ausschließen, dass die Klägerin die Betreute nicht etwa bereits vor oder erst nach den von ihm beobachteten Zeiträumen aufgesucht hat.

Eine fehlerhafte Würdigung der Aussage des Zeugen Kl. durch das Arbeitsgericht ist ebenfalls nicht ersichtlich. Der Zeuge hat bekundet, dass er sich konkret weder an einen Besuch der Klägerin am 05.12. noch am 12.12.2013 erinnern könne. Während die Klägerin selbst vorgetragen hat, sie habe die Betreute "regelmäßig donnerstags" aufgesucht, hat der Zeuge Kl. bekundet, die Klägerin sei "meistens donnerstags oder freitags" gekommen. Die von der Klägerin vorgefertigte und dem Zeugen Kl. zur Unterschrift vorgelegte Bestätigung vom 10.02.2014 hat das Arbeitsgericht zutreffend gewürdigt. Auch der Berufungskammer fällt auf, dass der Zeuge mit seiner Unterschrift exakt die zum Vortrag der Klägerin passenden Zeiten (am 05.12.2013 von ca. 13:30 bis ca. 14:40 Uhr; am 12.12.2013 von ca. 12:50 bis ca. 14:00 Uhr) bestätigt hat, obwohl es unwahrscheinlich ist, dass er sich nach über zwei Monate noch an diese erinnern konnte und sie ohne Rundungen auf ganze oder halbe Stunden anzugeben vermochte. In seiner Vernehmung hat der Zeuge im Widerspruch zum Vortrag der Klägerin und zu seiner eigenen schriftlichen Erklärung bekundet, dass die Klägerin nicht länger als eine Stunde, eher nur eine halbe Stunde, geblieben sei. Konkrete Besuchszeiten hat der Zeuge nicht angeben können.

Es ist schließlich nicht zu beanstanden, dass das Arbeitsgericht die von der Klägerin gegenbeweislich benannte Zeugin N. nicht vernommen hat. Sie war nur Zeugin vom Hörensagen, denn sie hätte nur das Bekunden können, was die Klägerin ihr von Ereignissen, Geschehnissen und Vorgängen im Haus der Betreuten berichtet hat. Das Arbeitsgericht hat die in das Wissen der Zeugin gestellte Behauptung der Klägerin, sie habe der Zeugin erzählt, dass der Zeuge Kl. zwei Katzenwelpen aufgenommen und sie ihm empfohlen habe, diese tierärztlich untersuchen zu lassen, ebenso als wahr unterstellt, als die Klägerin der Zeugin berichtet hat, der Zeuge Kl. habe an der linken Hand ein schmerzhaftes Überbein, welches er ambulant chirurgisch entfernen lassen wolle. Ein Beweis der Tatsache, dass die Klägerin am 05. und 12.12.2013 entsprechende Erlebnisse gehabt bzw. angeblich Erzähltes erfahren haben soll, ergibt sich aus den in das Wissen der Zeugin gestellten Umständen nicht. Da die Zeugin die Klägerin unstreitig nicht begleitet hat, könnte sie auch nicht bezeugen, ob der Zeuge Kl. starker Raucher ist bzw. während der angeblichen Hausbesuche der Klägerin an diesen beiden Tagen geraucht hat.

Soweit die Klägerin bemängelt, das Arbeitsgericht habe nicht gewürdigt, dass der Beklagte bereits seit 2009 versuche, sie zur Aufgabe ihres Arbeitsverhältnisses zu bewegen, bzw. sie zu Vertragsverletzungen zu verleiten, und ihr "Fallen" zu stellen, ist ein Rechtsfehler nicht zu erkennen. Das Arbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, dass zwischen dem Kündigungssachverhalt und früheren Geschehnissen kein Zusammenhang ersichtlich ist. Hinzu kommt, dass die Klägerin gem. § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG keinen Kündigungsschutz genoss, weil der Beklagte nicht mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt (BAG 16.01.2003 - 2 AZR 609/01 - EzA KSchG § 23 Nr. 25). Es bestand entgegen der Vermutung der Klägerin überhaupt keine Veranlassung, einen Kündigungsgrund zu "konstruieren".

c) Dem Beklagten war es nach den Umständen des Streitfalls nicht zuzumuten, die Klägerin bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres (§ 14 Abs. 2e AVR), dh. bis zum 30.09.2014, weiterzubeschäftigen. Auch dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.

Einer vorherigen Abmahnung der Klägerin bedurfte es nicht. Zwar gilt das durch § 314 Abs. 2 BGB konkretisierte Erfordernis einer Abmahnung grundsätzlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Die Abmahnung ist aber, wie § 314 Abs. 2 Satz 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB zeigt, unter besonderen Umständen entbehrlich. Das ist der Fall, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht erwartet werden kann oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass die Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 25.10.2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 15, 16 mwN, Juris). Die Klägerin konnte keinesfalls damit rechnen, dass der Beklagte die Täuschung über die erbrachte Arbeitszeit billigen oder ihre Falschangaben bei der Arbeitszeiterfassung lediglich mit einer Abmahnung begegnen würde. Eine Hinnahme der falschen Dokumentation der Arbeitszeit durch den Beklagten war - auch für die Klägerin erkennbar - ausgeschlossen.

Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses war dem Beklagten unter Berücksichtigung der Umstände des Streitfalls und bei Abwägung der Interessen beider Vertragsteile auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zumutbar. Zwar ist zugunsten der Klägerin neben ihrem Lebensalter von 59 Jahren im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs insbesondere ihre langjährige Betriebszugehörigkeit seit dem 24.05.1999 zu berücksichtigen. Gleichwohl konnte dem Beklagten in Anbetracht von Art und Schwere der Pflichtverletzungen und des hierdurch bewirkten irreparablen Vertrauensverlusts eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum 30.09.2014 nicht zugemutet werden. Durch ihr Verhalten hat die Klägerin das in sie gesetzte Vertrauen, ihre Arbeitszeiten wahrheitsgemäß anzugeben, nachhaltig zerstört. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte auf wahrheitsgemäße Angaben der Klägerin angewiesen ist, weil er nicht alle Arbeitsbereiche so kontrollieren kann, dass Pflichtverletzungen der Arbeitnehmer zwingend aufgedeckt würden. Erschwerend kommt hinzu, dass sich der Beklagte darauf verlassen muss, dass die Klägerin ihre Aufgaben und Hauptpflichten als Betreuerin tatsächlich wahrnimmt und keine Hausbesuche bei betreuten Personen dokumentiert, die sie tatsächlich nicht absolviert hat.

2. Die Kündigung ist nicht deshalb unwirksam, weil der Beklagte die zweiwöchige Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt hätte.

Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht.

Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Zweiwochenfrist erst am 27.01.2014 mit der Einreichung der von der Klägerin unterzeichneten Monatsstundenerfassung für Dezember 2013 in der Geschäftsstelle des Beklagten zu laufen begann. Erst dann stand fest, dass die Klägerin ihre Arbeitszeit am 05. und 12.12.2014 nicht korrekt dokumentiert hat. Der kündigungsberechtigte 1. Vorsitzende des Beklagten wusste zwar, dass die Klägerin der Betreuten an diesen beiden Tagen zu den angegebenen Uhrzeiten keine Hausbesuche abgestattet hat, weil er selbst an der Beobachtung des Hauses beteiligt war. Die Täuschungshandlung bestand jedoch (erst) darin, dass die Klägerin in der Monatsstundenerfassung wahrheitswidrig angegeben hat, sie wäre dort gewesen. Es ist unerheblich, dass der Schatzmeister des Beklagten, der Zeuge K., der Klägerin am 14.01.2014 die Reisekosten erstattet hat, denn die Reisekostenabrechnung enthielt zwar die Daten der vermeintlichen Hausbesuche, jedoch keine Uhrzeiten. Es war damit nicht zweifelsfrei ausgeschlossen, dass die Klägerin die Hausbesuche außerhalb der zwei Beobachtungszeiträume absolviert haben könnte.

Auch die noch nicht unterzeichnete Monatsstundenerfassung, die die Klägerin am 10.01.2014 eingereicht hat oder die Eintragungen im sog. Abwesenheitsbuch, sind für den Beginn der Zweiwochenfrist nicht maßgeblich. Der Beklagte konnte, ohne sein Kündigungsrecht zu verlieren, abwarten, bis ihm die Klägerin am 27.01.2014 eine unterzeichnete Stundenerfassung vorgelegt hat. Da der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, von der unter Umständen unsicheren Möglichkeit der Verdachtskündigung Gebrauch zu machen, kann er abwarten, bis er eine auf die Tatbegehung selbst gestützte außerordentliche Kündigung aussprechen kann. Erst mit ihrer Unterschrift unter die Monatsstundenerfassung hat die Klägerin ihren unbedingten Willen zum Ausdruck gebracht, die volle Verantwortung für den -falschen- Inhalt zu übernehmen.

3. Da die außerordentliche Kündigung vom 05.02.2014 das Arbeitsverhältnis mit ihrem Zugang beendet hat, bleibt die Klage gegen die ordentliche Kündigung schon deshalb ohne Erfolg. Im Übrigen hätte der Beklagte das Arbeitsverhältnis fristgerecht kündigen können, weil die Klägerin im sog. Kleinbetrieb keinen Kündigungsschutz nach §§ 1 ff. KSchG genoss. Sie erfüllte nicht die Voraussetzungen des § 14 Abs. 5 AVR für den Ausschluss der ordentlichen Kündigung, weil noch keine Beschäftigungszeit von 15 Jahren vorlag.

III.

Die Klägerin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.



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