Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 7 Sa 530/13

Außerordentliche Kündigung wegen unterlassener Informationen über Strafantritt - Weiterbeschäftigung bis zur nächsten Kündigung

(1.) Ein Arbeitnehmer verletzt seine arbeitsvertraglichen Pflichten im Zusammenhang mit dem Antritt einer Ersatzfreiheitsstrafe, indem er die Arbeitgeberin nicht unverzüglich nach dem Erhalt der Ladung zum Strafantritt informiert, sich - entgegen den Hinweisen im Merkblatt zum offenen Vollzug - weder rechtzeitig noch vor Strafantritt mit der Justizvollzugsanstalt in Verbindung setzt, noch eine Bescheinigung des Arbeitgebers in die Justizvollzugsanstalt mitbringt oder an diese übersendet, noch Urlaub für die ersten Tage im Vollzug beantragt. Eine solche Nichtbeachtung der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht kann grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung (§ 626 Abs. 1 BGB) rechtfertigen.

Hier: Trotz der erheblichen Pflichtverletzungen des klagenden Arbeitnehmers (umgeschulter Jugend- und Heimerzieher) ist die außerordentliche Kündigung der Arbeitgeberin nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts (wie auch der Vorinstanz) unwirksam. Denn dem beklagten Land ist die Weiterbeschäftigung bis zum Ende der Kündigungsfrist zumutbar. Insbesondere aufgrund des fortgeschrittenen Alters des Arbeitnehmers (56) sowie der drohenden längeren Arbeitslosigkeit fällt die durchzuführende Interessenabwägung zugunsten des Klägers aus.
Die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung sei mangels Personalratsanhörung unwirksam.

(2.) Die Verbüßung einer Freiheitsstrafe ist nicht als ein vom Arbeitnehmer schuldhaft herbeigeführter Fall der Arbeitsverhinderung, sondern als personenbedingter Grund für eine außerordentliche Kündigung einzuordnen. Der Arbeitnehmer ist für die Dauer der Freiheitsstrafe arbeitsunfähig.

(3.) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat der gekündigte Arbeitnehmer einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist oder bei einer fristlosen Kündigung über deren Zugang hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsprozesses, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers einer solchen Beschäftigung nicht entgegenstehen.
In der Regel überwiege das Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung bis zu dem Zeitpunkt, in dem das Arbeitsgericht die Unwirksamkeit der Kündigung feststellt.

Hat aber ein Arbeitsgericht festgestellt, dass eine bestimmte Kündigung unwirksam ist und hat es deshalb den Arbeitgeber zur Weiterbeschäftigung verurteilt, führt eine weitere Arbeitgeberkündigung jedenfalls dann zu einer zusätzlichen Unsicherheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, wenn diese auf einen neuen Lebenssachverhalt gestützt wird, der es möglich erscheinen lässt, dass die erneute Kündigung eine andere rechtliche Beurteilung erfährt. Diese zusätzliche Unsicherheit lässt das schutzwürdige Interesse des Arbeitgebers wieder überwiegen.
Hier: Weiterbeschäftigung bis zum Ende der Kündigungsfrist der im Lauf des Verfahrens ausgesprochenen weiteren (ordentlichen) Kündigung. Im Verfahren um die erneute Kündigung ist die Frage nach der Personalratsanhörung neu zu beurteilen.

Tenor

Auf die Berufung des beklagten Landes wird unter Zurückweisung seines weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 23. Oktober 2013, Az.: 1 Ca 645/13, geringfügig abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung des beklagten Landes vom 29. April 2013 aufgelöst worden ist.

Das beklagte Land wird verurteilt, den Kläger bis zum 30. Juni 2014 zu den bisherigen Bedingungen weiterzubeschäftigen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Das beklagte Land hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer vom beklagten Land ausgesprochenen fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zwischen ihnen sowie die Weiterbeschäftigung des Klägers.

Der 1956 geborene, ledige Kläger ist Vater eines 1984 geborenen Sohnes. Er absolvierte von 1971 bis 1974 eine Lehre im Raumausstatterhandwerk mit dem Berufsabschluss "Gesellenbrief zum Facharbeiter". Für diesen ursprünglich erlernten Beruf ist der Kläger infolge eines Bandscheibenvorfalls berufsunfähig. Nach einer Umschulungsmaßnahme zum Jugend- und Heimerzieher und einem Berufspraktikum bis 2003 ist er seit dem 30. August 2004 als pädagogische Fachkraft im Schuldienst des beklagten Landes in B-Stadt, konkret in der J.-W.-Schule als staatliche Förderschule beschäftigt. Zu den Aufgaben des Klägers gehörte insbesondere die Vor- und Nachbereitung selbstständigen Unterrichts in eigener pädagogischer Verantwortung in Zusammenarbeit mit der Sonderschulkraft sowie die Führung von Aufsichten und die Übernahme von Bereitschaften.

Im Jahr 2011 wurde der Kläger wegen Körperverletzung im Amt (körperlicher Übergriff auf den Schüler N. F. am 23. November 2011) angezeigt. Die Staatsanwaltschaft stellte zunächst das Ermittlungsverfahren gegen die Auflage zur Zahlung eines Geldbetrages ein (Anlage B 3, Bl. 127 ff. d. A.). Da der Kläger diesen Betrag nicht fristgemäß zahlte, beantragte die Staatsanwaltschaft den Erlass eines Strafbefehls mit einer Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen à 40,00 €, im Falle der Uneinbringlichkeit an Stelle eines Tagessatzes 1 Tag Freiheitsstrafe. Diesen - zwischenzeitlich rechtskräftigen - Strafbefehl erließ das Amtsgericht B-Stadt am 7. September 2012 (Az. 0000, Anlage B 2, Bl. 121 ff. d. A.). Nach Erhalt des Strafbefehls wandte sich der Kläger erstmals an die Schulleiterin der J.-W.-Schule und unmittelbare Vorgesetzte, Frau Z.. Auf Nachfrage erklärte er dieser, er habe wegen eines defekten Briefkastenschlosses seinen Briefkasten erst jetzt öffnen können. Mit Schreiben vom 11. Oktober 2012 bewilligte die Staatsanwaltschaft Y.-Stadt dem Kläger vorläufig monatliche Teilzahlungen in Höhe von 100,00 €, beginnend am 1. November 2012. Zahlungen erbrachte der Kläger nicht.

Mit Schreiben vom 20. November 2012 teilte das beklagte Land dem Kläger mit, dass ihm gegenüber eine Abmahnung ausgesprochen werden solle. Am 12. Dezember 2012 wurde der Kläger angehört. Im Laufe dieses Gesprächs teilte er mit, dass er vorhabe, die Ersatzfreiheitsstrafe anzutreten, da er nicht in der Lage sei, die geforderte Summe zu zahlen. Er wurde darüber belehrt, dass für die Dauer der Ersatzfreiheitsstrafe eine Beurlaubung ohne Bezüge erforderlich und entsprechend zu beantragen sei. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2012 (Anlage B 5, Bl. 130 f. d. A.) wies das beklagte Land den Kläger bezugnehmend auf das Gespräch vom 12. Dezember 2012 unter anderem auf Folgendes hin:

"Ich weise Sie jedoch darauf hin, dass Sie für den Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe eine Beurlaubung ohne Bezüge benötigen. Für die Dauer der Beurlaubung wird Ihnen kein Entgelt gezahlt.

Sollten Sie in Kenntnis der Rechtsfolgen weiterhin die Ersatzfreiheitsstrafe antreten wollen, bitte ich Sie, diese - sofern möglich - in die Sommerferien zu legen um den Unterrichtsausfall möglichst gering zu halten.

Ich bitte Sie, sich hinsichtlich der Einzelheiten Ihres Dienstausfalls zu Klärungszwecken mit dem Fachreferat in Verbindung zu setzen. Das Fachreferat erhält einen Abdruck dieses Schreibens zur Kenntnis."

Unter dem 6. Februar 2013 wurde der Kläger wegen des Begehens einer Körperverletzung im Amt abgemahnt. Mit Verfügung vom 13. März 2013 wurde er ab dem 9. April 2013 für den Unterricht eingeplant. Durch Verfügung vom 13. März 2013 wurde der Kläger zum Strafantritt für den 15. April 2013 geladen (Anlage B 6, Bl. 133 d. A.). Diesem Schreiben waren Hinweise einschließlich "Schwitzen statt Sitzen" und das Merkblatt für den offenen Vollzug (Bl. 137 d. A.) beigefügt. In diesem heißt es auszugsweise:

"Darüber, ob Sie weiterbeschäftigt werden können, entscheidet die Leitung der Justizvollzugsanstalt alsbald nach Strafantritt.

Um eine Weiterbeschäftigung ohne Unterbrechung zu gewährleisten, wird Ihnen dringend empfohlen, sich rechtzeitig noch vor Strafantritt mit der Justizvollzugsanstalt schriftlich, telefonisch oder persönlich in Verbindung zu setzen. Dabei ist die unter Buchstabe b) genannte Bescheinigung Ihres Arbeitgebers mitzubringen oder an die Justizvollzugsanstalt zu übersenden.

Bitte planen Sie einen Urlaub bzw. arbeitsfreie Zeit von 4 bis 5 Werktagen bei Strafantritt ein, weil in den ersten Tagen im Vollzug eine Vielzahl von Verwaltungsvorgängen anfallen, die Ihre Anwesenheit in der Justizvollzugsanstalt erfordern, z. B. anstaltsärztliche Untersuchungen."

In der Zeit vom 20. März bis 5. April 2013 waren in Rheinland-Pfalz Osterferien. Frau Z. war in dieser Zeit unter einer dem Kläger bekannten Handynummer erreichbar. In der Zeit vom 10. bis 19. April 2013 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Am 11. April 2013 brachte der Kläger die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sekretariat vorbei und wünschte die Schulleiterin zu sprechen. Diese erreichte den Kläger auf seinem Handy am 13. April 2013. In diesem Telefonat informierte der Kläger über seinen bevorstehenden Haftantritt und kündigte an, in der Justizvollzugsanstalt sofort einen Antrag auf „offenen Vollzug“ zu stellen, um seinen Dienst in der J.-W.-Schule fortsetzen zu können. Einen Antrag auf Beurlaubung stellte der Kläger nicht. Nach seinem Haftantritt am 15. April 2013 rief der Kläger am 16. oder 17. April 2013 die Schulleiterin an, um mitzuteilen, dass der Antrag länger als erwartet brauche. Am 18. April 2013 unterrichtete die Schulleiterin die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion vom Haftantritt des Klägers. Am folgenden Tag hinterließ der Kläger sodann auf der Mailbox der Schulleiterin die Nachricht, dass sie ihm eine Arbeitsbescheinigung zuschicken solle. Zu einer Übersendung der Arbeitsbescheinigung kam es nicht.

Am 22. April 2013 hörte das beklagte Land den Bezirkspersonalrat zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung an (Anlage B 14, Bl. 152 f. d. A.). In diesem Anhörungsschreiben heißt es abschließend:

"Herr B. hat bis zum heutigen Datum keinen Antrag auf Beurlaubung ohne Bezüge gestellt. Dieses Verhalten stellt kein arbeitsvertraglich konformes Verhalten dar, daher ist die außerordentliche Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt vorgesehen." Der Bezirkspersonalrat hat die beabsichtigte außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zur Kenntnis genommen (Stellungnahme Anlage B 16, Bl. 155 d. A.).

Unter dem 29. April 2013 (Anlage K 1, Bl. 3 ff. d. A.) sprach das beklagte Land gegenüber dem Kläger eine fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung zum 30. September 2013 aus. Diese wurde dem Kläger am 29. April 2013 in die Justizvollzugsanstalt Y.-Stadt gegen Empfangsbekenntnis (Anlage B 17, Bl. 156 d. A.) zugestellt.

Gegen diese fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung wendet sich der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit.

Mit Datum vom 6. Dezember 2013 hat das beklagte Land gegenüber dem Kläger eine weitere ordentliche Kündigung zum 30. Juni 2014 ausgesprochen. Hinsichtlich dieser Kündigung ist ein Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Kaiserslautern unter dem Az. 8 Ca 1736/13 anhängig.

Der Kläger hat vorgetragen,

die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Weder verhaltens-, personen- noch betriebsbedingte Kündigungsgründe lägen vor. Der Kläger hat die ordnungsgemäße Anhörung des Personalrates bestritten.

Er hat erstinstanzlich beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung vom 29. April 2013 und die darin enthaltene ordentliche Kündigung nicht beendet wurde;

das beklagte Land zu verurteilen, ihn zu den bisherigen Bedingungen weiter zu beschäftigen.

Das beklagte Land hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es hat vorgetragen,

der Kläger habe im Zusammenhang mit dem Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe eine bemerkenswerte Pflichtvergessenheit gegenüber dem beklagten Land offenbart, die zu erheblichen Störungen in den Abläufen des Schulbetriebs geführt und das Vertrauen in die zukünftige ordnungsgemäße Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten durch den Kläger irreparabel zerstört habe. Die Kündigung sei aus verhaltens-, nicht aus personenbedingten Gründen erfolgt.

Der Kläger habe es unterlassen, die lediglich ersatzweise zu verbüßende Freiheitsstrafe und den dadurch verursachten Ausfall seiner Arbeitskraft dem Grunde nach abzuwenden, so durch Zahlung der 300,00 € oder durch rechtzeitige Kommunikation mit der Staatsanwaltschaft. Er habe außerdem seine Hauptleistungspflicht nicht erfüllt, indem er es unterlassen habe, am Montag, 22. April 2013 seine Arbeitsleistung anzubieten. Er sei gegenüber dem beklagten Land nicht von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung befreit gewesen, da er es unterlassen habe, bei Haftantritt einen Urlaub von vier bis fünf Werktagen einzuplanen, vor Haftantritt einen Antrag auf Beurlaubung bei der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion zu stellen. Es erscheine fernliegend, dass der Kläger Vollzugslockerungen erhalten hätte. Er besitze die für die Eignung für den offenen Vollzug erforderlichen Charaktereigenschaften Selbständigkeit, Selbstdisziplin, Gemeinschaftsfähigkeit, Verantwortungsgefühl und Bereitschaft zu aktiver Mitarbeit nicht. Im Übrigen wäre der Kläger in jedem Fall für mindestens vier bis fünf Werktage bei Strafantritt ausgefallen.

Aufgrund des Fernbleibens des Klägers von seinem Arbeitsplatz sei es zu Ausfällen im Schulbetrieb der J.-W.-Schule in B-Stadt gekommen. Im Bereich des Differenzierungsunterrichts in den Klassen 3 - 4 und 10 sei die spezifische Betreuung von betreuungsbedürftigen Schülern weggefallen. Auch im Bereich der Ganztagsschule habe sich das Fernbleiben des Klägers ausgewirkt. Das Auffinden einer qualifizierten pädagogischen Fachkraft als Vertretungskraft sei realiter nur im Vorfeld der Einstellungstermine 1. Februar bzw. 1. August möglich. In der Praxis könnten daher Ausfälle von pädagogischen Fachkräften im laufenden Schuljahr kurzfristig nur durch die Abordnung von Förderschullehrern von anderen Schulen erfolgen. Dieses Vorgehen erfordere jedoch schon unter Berücksichtigung der personalvertretungsrechtlichen Beteiligungsrechte einen gewissen zeitlichen Vorlauf. Hätte der Kläger sich umgehend nach Erhalt der Ladung zum Haftantritt an Frau Z. oder die ADD gewendet, hätte letztere nach einer Interessenabwägung unter Bedarfsgesichtspunkten die Förderschullehrerin M. L. an die J.-W.-Schule anstatt an eine Grundschule abordnen können. Im Ergebnis hätte damit der eingetretene Unterrichtsausfall vermieden werden können. Die Lücke habe unter anderem durch persönliche und unbezahlte Mehrarbeit der Schulleiterin minimiert werden müssen.

Aus seiner Sicht könne nicht mehr mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass es bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zu Problemen von oder mit Schüler/innen kommen werde, die der Kläger schlicht ignoriere und/oder nicht angemessen im Team kommuniziere. Außerdem könne der Kläger wohl kaum einer Schülerin oder einem Schüler vermitteln, dass man zu seinen Fehlern stehen und offensiv an seine Probleme herangehen müsse. Außerdem bestünden Zweifel, ob der Kläger zukünftig Ratschläge und Anweisungen seiner Vorgesetzten befolgen werde.

Der Kläger hat erwidert,

er sei mit dem Antritt einer Haftstrafe konfrontiert gewesen, was in ihm eine massive Existenzangst ausgelöst und ihn in seinen Handlungen gelähmt habe. Er sei in einem psychischen Ausnahmezustand gewesen. Bereits im Jahr 2008 habe er sich in einer vergleichbaren Belastungssituation befunden mit der Folge, dass er sich unter anderem einer mehrwöchigen Therapie in der Psychiatrie habe unterziehen müssen. Er habe sich in der Vergangenheit in Rahmen seiner Tätigkeit bei dem beklagten Land freiwillig in vielerlei Hinsicht sozial engagiert. Am letzten Wochenende der Ferien habe er nach seiner Erinnerung über sein Handy der Schulleiterin den Zeitpunkt des Antritts der Ersatzfreiheitsstrafe mitgeteilt. Am 13. April 2013 wäre auch noch genug Zeit gewesen, Frau L. an die J.-W.-Schule abzuordnen. Außerdem stünde die pädagogische Fachkraft Frau X. gerade für solche Fälle zum Teil auf Abruf vertretungsweise zur Verfügung. Hätte man ihm die Arbeitsbescheinigung unmittelbar nach der Anforderung zukommen lassen, wäre allenfalls mit einem Ausfall bis maximal 23. April zu rechen gewesen.

Das Arbeitsgericht Kaiserslautern hat durch Urteil vom 23. Oktober 2013 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung des beklagten Landes vom 29. April 2013 aufgelöst worden ist. Es hat das beklagte Land weiter verurteilt, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen weiter zu beschäftigen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht - zusammengefasst - ausgeführt: Voraussetzung einer außerordentlichen Kündigung wegen haftbedingter Arbeitsverhinderung sei, dass der Arbeitnehmer für eine verhältnismäßig erhebliche Zeit nicht in der Lage sein werde, seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Die Nichterfüllung der Arbeitspflicht müsse sich außerdem nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken. Da der Arbeitgeber im Fall der haftbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers typischerweise von der Lohnzahlungspflicht befreit sei, hänge es von der Dauer sowie Art und Ausmaß der betrieblichen Auswirkungen ab, ob die Inhaftierung geeignet sei, einen Grund zur Kündigung abzugeben. Im vorliegenden Fall sei die Dauer der gegen den Kläger verhängten Ersatzfreiheitsstrafe von vier Monaten relativ gering. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es aufgrund des haftbedingten Fernbleibens des Klägers von seinem Arbeitsplatz zu Störungen und Ausfällen im Schulbetrieb gekommen sei, erweise sich die außerordentliche Kündigung als unverhältnismäßig. Zwar hätte der Kläger bei rechtzeitiger Kommunikation mit der Staatsanwaltschaft die Chance gehabt, den Strafantritt abzuwenden oder doch zumindest durch Stellung eines rechtzeitigen Urlaubsantrages bei dem beklagten Land die organisatorischen Probleme im Zusammenhang mit der notwendigen Vertretung verringern können. Angesichts des seit mehr als 8 Jahren störungsfrei verlaufenen Arbeitsverhältnisses und seiner angeschlagenen gesundheitlichen Verfassung würde er jedoch durch die außerordentliche Kündigung unverhältnismäßig hart getroffen. Zumindest die Einhaltung der bis zum 30. September 2013 dauernden ordentlichen Kündigungsfrist sei dem beklagten Land zumutbar gewesen. Die von dem beklagten Land ausgesprochene ordentliche Kündigung erweise sich jedoch mangels ordnungsgemäßer Beteiligung des Personalrats als unwirksam. Dieser sei ausschließlich zum geplanten Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung beteiligt worden. Auch die dem Personalrat gemäß § 83 Abs. 1 in Verbindung mit § 82 Abs. 2 LPersVG im Mitwirkungsverfahren zustehende Frist von 10 Werktagen habe das beklagte Land nicht abgewartet. Da der Bezirkspersonalrat der außerordentlichen Kündigung auch nicht vorbehaltslos zugestimmt, sondern lediglich am 30. April 2013 mitgeteilt habe, die beabsichtigte Personalmaßnahme zur Kenntnis genommen zu haben, könne nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass der Personalrat der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung vorbehaltslos zugestimmt hätte. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird ergänzend auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern (Bl. 199 ff. d. A.) Bezug genommen.

Das genannte Urteil ist dem beklagten Land am 11. November 2013 zugestellt worden. Es hat hiergegen mit einem am 21. November 2013 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag Berufung eingelegt und diese mit am 8. Januar 2014 eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag begründet.

Zur Begründung der Berufung macht das beklagte Land nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 229 ff. d. A.) zusammengefasst geltend,

der Kläger habe seine Vertragspflichten, die sich aus seiner besonderen Position als pädagogische Fachkraft mit einer Vorbildfunktion der Schule gegenüber den Schülern und übrigen Kollegen ergäben, schuldhaft verletzt. Auch eine erhebliche Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten, insbesondere eine Verletzung der vertraglichen Pflicht zur Rücksichtnahme könnten einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen. Ergänzt werde dies durch die Interessen der Schüler, die einen Anspruch darauf hätten, ordnungsgemäß unterrichtet zu werden. Der Kläger habe aber auch gegen seine Hauptleistungspflichten verstoßen. Er habe vorsätzlich die Optionen der gemeinnützigen Arbeit am Wochenende sowie des offenen Vollzuges nicht wahrgenommen, damit vorsätzlich dem beklagten Land seine Tätigkeit entzogen, seinen Arbeitsplatz bewusst gefährdet und seiner Arbeit bewusst nicht nachkommen wollen. Die außerordentliche Kündigung sei auch nicht unverhältnismäßig gewesen.

Das beklagte Land beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seines Berufungserwiderungsschriftsatzes vom 6. Februar 2014, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 238 f. d. A.), als rechtlich zutreffend. Dass es letztlich nicht zu dem Freigang gekommen sei, sei auf ein Versäumnis des beklagten Landes zurückzuführen, da dieses die Arbeitsbescheinigung nicht ausgestellt und Bemühungen der Schulleiterin, ihn zu unterstützen, durch ein Kontaktverbot verhindert habe.

Auch im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der Sitzung vom 12. März 2014 (Bl. 240 ff. d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.  Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des beklagten Landes ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

II.  In der Sache hatte die Berufung des beklagten Landes weit überwiegend keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung des beklagten Landes vom 29. April 2013 aufgelöst worden ist. Im Hinblick auf die zwischenzeitlich vom beklagten Land ausgesprochene weitere Kündigung war lediglich der Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers zeitlich zu begrenzen.

Die Berufungskammer folgt zunächst den Gründen des angefochtenen Urteils und stellt dies gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Das Berufungsvorbringen veranlasst lediglich folgende Ausführungen:

1. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist nicht durch die außerordentliche Kündigung des beklagten Landes vom 29. April 2013 aufgelöst worden. Ein wichtiger Grund für den Ausspruch einer außerordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung gegenüber dem Kläger ist nicht gegeben.

a) Maßstab für die rechtliche Beurteilung einer außerordentlichen Kündigung ist § 626 Abs. 1 BGB. Dieser setzt voraus, dass Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dabei ist die Prüfung, ob ein wichtiger Grund im Sinn des § 626 Abs. 1 BGB vorliegt, nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in zwei Stufen vorzunehmen. Zum einen muss ein Grund vorliegen, der an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung siehe BAG, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - NZA 2004, 486). Des Weiteren muss dieser Kündigungsgrund im Rahmen einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu einem Überwiegen der Interessen des Kündigenden führen. Dabei ist zu beachten, dass das Gesetz keine "absoluten" Kündigungsgründe kennt. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich", das heißt typischerweise als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - NZA 2010, 1227).

b) Das beklagte Land stützt die außerordentliche Kündigung weder auf den - abgemahnten - Vorfall mit dem Schüler N. F. aus dem Jahr 2011, wegen dem der Kläger zu einer Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen à 40,00 €, ersatzweise an Stelle eines Tagessatzes 1 Tag Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Kündigungsgrund ist ebenfalls nicht die Verurteilung als solche. Kündigungsgrund ist aus Sicht des beklagten Landes vielmehr, dass der Kläger seine arbeitsvertraglichen Pflichten im Zusammenhang mit dem Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe verletzt hat. So hat der Kläger die Beklagte nicht unverzüglich nach dem Erhalt der Ladung zum Strafantritt am 15. April 2013 informiert. Auch hat er sich - entgegen den Hinweisen im Merkblatt zum offenen Vollzug - weder rechtzeitig noch vor Strafantritt mit der Justizvollzugsanstalt in Verbindung gesetzt noch eine Bescheinigung des beklagten Landes in die Justizvollzugsanstalt mitgebracht oder an diese übersandt noch Urlaub für die ersten Tage im Vollzug beantragt. Eine solche Nichtbeachtung der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht kann grundsätzlich auch einen wichtigen Grund im Sinn des § 626 Abs. 1 BGB darstellen (vgl. für eine  eigenmächtige Urlaubsnahme durch den Arbeitnehmer BAG, Urteil vom 20. Januar 1994 - 2 AZR 521/93 - AP Nr. 115 zu § 626 BGB). Auch unterlassene Bemühungen des Klägers, die Ersatzfreiheitsstrafe nicht absitzen zu müssen, können an sich in Form der Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten, insbesondere der Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) ein verhaltensbedingter wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sein (BAG, Urteil vom 23. Mai 2013 - 2 AZR 120/12 - NJW 2013, 3325, 3326 Rn. 22).

Das Unterlassen eines Arbeitsangebots durch den Kläger am 22. April 2013 stellt dagegen keinen verhaltensbedingten wichtigen Grund dar. Zu berücksichtigen ist insoweit, dass der Kläger in der Zeit der Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe - unabhängig davon, ob er zuvor unbezahlten Urlaub beantragt hat - arbeitsunfähig ist. Die Verbüßung der Freiheitsstrafe ist nicht als ein vom Arbeitnehmer schuldhaft herbeigeführter Fall der Arbeitsverhinderung, sondern als personenbedingter Grund für eine außerordentliche Kündigung einzuordnen. Das Bundesarbeitsgericht hat eine Arbeitsverhinderung, die auf einer Straf- oder Untersuchungshaft beruht, nicht als verhaltensbedingten Kündigungsgrund angesehen (BAG, Urteil vom 23. Mai 2013 - 2 AZR 120/12 - NZA 2013, 1211).

c) Dem beklagten Land ist nach Auffassung der Kammer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar. Zwar hat der Kläger vor dem Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe seine vertraglichen Pflichten verletzt und sich nicht in ausreichendem Umfang um die Klärung der Situation mit Staatsanwaltschaft und Justizvollzugsanstalt sowie mit seinem Arbeitgeber gekümmert. Doch muss die Interessenabwägung trotz seines Verhaltens und der hierauf beruhenden Beeinträchtigungen im Schulbetrieb der Jakob-Weber-Schule letztendlich unter anderem im Hinblick auf die langjährige Betriebszugehörigkeit des Klägers seit 2004 zu dessen Gunsten ausfallen.

Zugunsten des Klägers ist ein erhebliches Interesse am Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses zu berücksichtigen. Er ist 56 Jahre alt und hat sich erst aufgrund einer Umschulungsmaßnahme zum Jugend- und Heimerzieher für die Tätigkeit beim beklagten Land qualifiziert, nachdem er für seinen ursprünglich erlernten Beruf als Raumausstatter infolge eines Bandscheibenvorfalls berufsunfähig ist. Schon aufgrund seines Lebensalters und seiner angeschlagenen gesundheitlichen Verfassung stellt eine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Kläger vor existentielle Probleme, gegebenenfalls droht sogar eine längere Arbeitslosigkeit. Auch ist der Antritt einer (Ersatz-)Freiheitsstrafe für einen strafrechtlich nicht in Erscheinung getretenen Bürger eine sicherlich nicht alltägliche Situation und mit besonderen psychischen Belastungen verbunden.

Dagegen sind an den Kläger als pädagogische Fachkraft aber auch besondere Anforderungen im Hinblick auf seine pädagogische Verantwortung, seine Vorbildfunktion gegenüber den Schülern, Umsicht, kommunikative Kompetenzen, Teamgeist und Zuverlässigkeit zu stellen.

Soweit der Kläger seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen dadurch verletzt hat, dass er dem beklagten Land den Termin seines Haftantritts nicht unverzüglich nach Erhalt der Ladung zum Strafantritt mitgeteilt hat, ist zu seinen Lasten zu berücksichtigen, dass ihn das beklagte Land bereits im Rahmen des Gesprächs vom 12. Dezember 2012 sowie in der Folge durch Schreiben vom 14. Dezember 2012 gebeten hatte, sich hinsichtlich der Einzelheiten des Dienstausfalls zu Klärungszwecken mit dem Fachreferat in Verbindung zu setzen und ihn auf die - aus damaliger Sicht des beklagten Landes - Erforderlichkeit einer Beurlaubung ohne Dienstbezüge hingewiesen hatte. Zu Gunsten des Klägers ist dagegen zu berücksichtigen, dass er bereits bei diesem Gespräch vom Dezember 2012 mitgeteilt hatte, die Ersatzfreiheitsstrafe antreten zu müssen. Dem beklagten Land war es daher bereits zu diesem Zeitpunkt möglich, langfristig Vorkehrungen für den - gegebenenfalls kurzfristig eintretenden - Fall des Strafantritts des Klägers zu treffen. Schließlich teilte der Kläger zwar nicht unverzüglich, aber noch vor dem Strafantritt spätestens am 13. April 2013 diesen der Schulleiterin mit, nachdem er bereits am 11. April 2013 versucht hatte, Frau Z. zu sprechen. Da der Kläger zudem noch bis einschließlich 19. April 2013 arbeitsunfähig erkrankt war, war der 22. April 2013 der erste Tag, an dem der Kläger infolge der Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe fehlte und aus diesem Grund vertreten werden musste. Der Schule stand somit zumindest ein Zeitraum von mehr als einer Woche zur Verfügung um den Vertretungsplan zu organisieren. Eine Neueinstellung wäre auch nach dem Vortrag des beklagten Landes ohnedies während des laufenden Schulhalbjahres nicht mehr möglich gewesen. Ebenfalls war im Kündigungszeitpunkt noch offen, ob dem Kläger die Ableistung der Ersatzfreiheitsstrafe im offenen Vollzug bewilligt werden würde. Im Fall der Bewilligung des offenen Vollzuges hätte der Kläger seine Tätigkeit für das beklagte Land in der Förderschule mit einer Unterbrechung von nur wenigen Tagen fortsetzen können. Nach dem Merkblatt über den offenen Vollzug werden als Voraussetzungen für die Weiterbeschäftigung am bisherigen Arbeitsplatz während der Strafverbüßung genannt: "u. a. dass Sie a) der anliegenden Ladung Folge leisten und sich pünktlich in der Justizvollzugsanstalt zum Strafantritt stellen, b) eine Bescheinigung Ihres Arbeitgebers bzw. Ausbilders beibringen, dass Sie in einem festen Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis stehen und dieses auch nach dem Strafantritt fortsetzen können, und sich ihr Arbeitgeber bzw. Ausbilder bereit erklärt, der Justizvollzugsanstalt auf Nachfrage Auskunft darüber zu geben, ob Sie sich an Ihrem Arbeitsplatz befinden, c) Ihre Arbeitsstelle von der Justizvollzugsanstalt aus - in der Regel mit öffentlichen Verkehrsmitteln - in angemessener Zeit erreichen können." Ein entsprechender Antrag war im Kündigungszeitpunkt gestellt, der Kläger hatte die Haft pünktlich angetreten. Seitens des beklagten Landes wurde aber nach dem Haftantritt des Klägers nicht der Versuch unternommen, das Bestreben des Klägers, seine Ersatzfreiheitsstrafe im offenen Vollzug abzuleisten, zu unterstützen. Ohne eine vom beklagten Land ausgestellte Arbeitsbescheinigung und die Erklärung, der Justizvollzugsanstalt auf Nachfrage Auskunft darüber zu geben, ob der Kläger sich an seinem Arbeitsplatz befindet, konnte der Antrag auf Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe keinesfalls Erfolg haben. Soweit das beklagte Land dem Kläger vorwirft, dass dieser sich nicht frühzeitig um die Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe im offenen Vollzug bemüht habe, ist zu berücksichtigen, dass es andererseits in seinem Schriftsatz vom 30. August 2013 (dort auf S. 2 f.) selbst vorgetragen hat, dass es fernliegend erscheine, dass der Kläger Vollzugslockerungen erhalten hätte.

Zwar hat der Kläger keine Anstrengungen hinsichtlich der Option "Sitzen statt schwitzen" unternommen hat. Er durfte aber aus Sicht der Kammer insbesondere in Anbetracht des Umfangs der abzuleistenden 120 Tagessätze à in der Regel 6 Stunden unentgeltlicher gemeinnütziger Arbeit und der bestehenden Beschäftigung beim beklagten Land, versuchen, die Ersatzfreiheitsstrafe im offenen Vollzug abzuleisten.

Soweit das beklagte Land im Hinblick auf die Vorkommnisse vor dem Haftantritt befürchtet, dass es zu Problemen mit Schüler/innen kommen könne, die der Kläger ignorieren oder nicht im Team kommunizieren könnte, kann dies zwar nicht ausgeschlossen werden. Der Umgang mit dem eigenen bevorstehenden Haftantritt lässt jedoch nicht unbedingt auf den Umgang des Klägers mit Problemen der Schüler/innen schließen. In der Vergangenheit ist es - mit Ausnahme des zum Strafbefehl führenden, in seinem Hergang zwischen den Parteien streitigen Vorfalls - zu keinem Fehlverhalten des Klägers im Umgang mit den Schülerinnen und Schülern und in der Kommunikation mit Vorgesetzten und im Team gekommen.

Im Rahmen der Interessenabwägung war zu Gunsten des Klägers auch zu berücksichtigen, dass in den Zeitraum der Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe die Sommerferien 2013 fielen und dadurch der Unterrichtsausfall begrenzt wurde Schließlich war das Land für den Zeitraum der Ableistung der Ersatzfreiheitsstrafe nicht zur Lohnzahlung verpflichtet (§§ 616 Abs. 1, 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 BGB). Zwischen dem Zeitpunkt der Haftentlassung und dem Ende der vom Kündigungszeitpunkt aus gerechneten ordentlichen Kündigungsfrist von 4 Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres (§ 34 Abs. 1 S. 2 TV-L) lag lediglich ein Zeitraum von etwa sieben Wochen.

Die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist war dem beklagten Land daher nach alledem nicht unzumutbar.

2. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist auch nicht durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 29. April 2013 aufgelöst worden. Diese erweist sich mangels ordnungsgemäßer Beteiligung des Personalrats (§ 83 Abs. 1 in Verbindung mit § 82 Abs. 2 LPersVG RhPf) als unwirksam. Die Berufungskammer folgt insoweit Gründen des angefochtenen Urteils und stellt dies gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Das Berufungsvorbringen des beklagten Landes veranlasst keine weiteren Ausführungen hierzu.

3. Die Verurteilung des beklagten Landes zur Weiterbeschäftigung des Klägers war im Hinblick auf die nach dem erstinstanzlichen Urteil ausgesprochene weitere ordentliche Kündigung zum 30. Juni 2014 zu begrenzen.

Nach der Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesarbeitsgericht (Beschluss vom 27. Februar 1985 - GS 1/84 - AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht) hat der gekündigte Arbeitnehmer auch außerhalb der Regelungen der §§ 102 Abs. 5, 79 Abs. 2 BPersVG einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist oder bei einer fristlosen Kündigung über deren Zugang hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsprozesses, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers einer solchen Beschäftigung nicht entgegenstehen. Außer im Fall einer offensichtlich unwirksamen Kündigung begründe die Ungewissheit über den Ausgang des Kündigungsprozesses ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers für die Dauer des Kündigungsprozesses. Dieses überwiege in der Regel das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers bis zu dem Zeitpunkt, in dem im Kündigungsprozess ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Urteil ergeht. Solange ein solches Urteil bestehe, könne die Ungewissheit des Prozessausgangs für sich allein ein überwiegendes Gegeninteresse des Arbeitgebers nicht mehr begründen.

Hat aber ein Arbeitsgericht festgestellt, dass eine bestimmte Kündigung unwirksam ist und hat es deshalb den Arbeitgeber zur Weiterbeschäftigung verurteilt, führt eine weitere Arbeitgeberkündigung jedenfalls dann zu einer zusätzlichen Unsicherheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, wenn diese auf einen neuen Lebenssachverhalt gestützt wird, der es möglich erscheinen lässt, dass die erneute Kündigung eine andere rechtliche Beurteilung erfährt. Diese zusätzliche Unsicherheit lässt das schutzwürdige Interesse des Arbeitgebers wieder überwiegen (DLW/Dörner, 11. Aufl. 2014, Kap. 4 Rn. 3523). Eine solche zusätzliche Unsicherheit ist im vorliegenden Rechtsstreit infolge der weiteren Arbeitgeberkündigung vom 6. Dezember 2013 nach dem Ablauf der Kündigungsfrist gemäß § 34 Abs. 1 S. 2 TV-L am 30. Juni 2013 gegeben, da die Frage des Vorliegens einer ordnungsgemäßen Personalratsanhörung neu zu prüfen ist.

Nach allem war die Berufung des beklagten Landes weitgehend zurückzuweisen und das angefochtene Urteil nur hinsichtlich des Weiterbeschäftigungsantrags teilweise abzuändern.

III.  Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung nach § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht erfüllt.



Sie kennen die Kanzlei Labisch aus folgenden Medien:

Logo SWR1
Logo SWR4
Logo RPR1
Logo Wiesbadener Kurier
Logo Geißener Anzeiger
Logo Wormser Zeitung
Logo Wiesbadener Tagblatt
Logo Main Spitze
Logo Frankfurter Rundschau
Logo Handelsblatt
Logo Allgemeine Zeitung
Logo Darmstädter Echo
Logo Focus
Logo NTV
Logo ZDF WISO
Lexikon schließen
Schließen