Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 5 Sa 110/14

Der Arbeitnehmer als stiller Gesellschafter - Beteiligung darf von Kündigung nicht abhalten

(1.) Eine AGB-Klausel in einem Gesellschaftsvertrag, an dem sich ein Arbeitnehmer beteiligt, ist unwirksam, wenn sie den Arbeitnehmer in unangemessener Weise von dem Gebrauch seines Kündigungsrechts abhält (§§307 I, 622 VI BGB).

(2.) Unangemessen in diesem Sinne ist eine Klausel in einem Gesellschaftsvertrag, nach der dem sich beteiligenden Arbeitnehmer beim Ausscheiden aus der Gesellschaft durch Eigenkündigung des Arbeitsverhältnisses bis zum 63. Lebensjahr nur eine um die Einlage gekürzte Abfindung zusteht.

Die Argumentation, im Hinblick auf das hohe Gewinnpotential bei einer Beteiligung sei es den Arbeitnehmern zumutbar, im gewissen Umfang auf einen Teil der Gewinnausschüttungen zu verzichten, überzeugt nicht. Im Gegenteil: Je höher die geleistete Einlage und je höher die ausgeschütteten Gewinnanteile, umso größer wird der Druck auf den stillen Gesellschafter, das Arbeitsverhältnis nicht vor dem 63. Lebensjahr durch Kündigung zu beenden.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 4. Februar 2014, Az. 11 Ca 1172/13, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rückzahlung einer stillen Einlage.

Der 1971 geborene Kläger war vom 15.11.2006 bis 31.10.2011 bei der Beklagten als Mitarbeiter im Projektmanagement zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsentgelt von € 3.500,- oder € 3.587,- beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch eine ordentliche, fristgerechte Kündigung des Klägers.

Am 10.02.2010 schlossen die Parteien einen Vertrag über die Errichtung einer typischen stillen Gesellschaft. Der Kläger leistete eine Bareinlage von € 5.000,-. Der Vertrag hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

"§ 15 Dauer, Kündigung

...

Im Übrigen endet dieser Vertrag mit dem Ausscheiden des stillen Gesellschafters aus dem Arbeitsverhältnis aus der GmbH ohne dass es einer Kündigung bedarf. Das gilt auch für ein Ausscheiden wegen der gesetzlichen Altersrente, Invalidität oder vergleichbarer Gründe.

...

§ 16 Auseinandersetzung und Abfindung

Falls der stille Gesellschafter das Gesellschaftsverhältnis oder sein Arbeitsverhältnis bei der GmbH vor Vollendung des 63. Lebensjahres und ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes in der Sphäre der GmbH kündigt oder falls sein Arbeitsverhältnis durch die GmbH wegen eines verhaltensbedingten wichtigen Grundes des stillen Gesellschafters gekündigt wird, erhält der stille Gesellschafter als Abfindung den Nominalbetrag seiner Einlage zuzüglich einer Verzinsung von 2 % über dem zum 01. Januar eines Vertragsjahres maßgebenden Basiszinssatz aber abzüglich der bis dahin erhaltenen Gewinnanteile und abzüglich etwaiger Verluste, soweit diese nicht durch spätere Gewinne ausgeglichen werden.

...

Im Übrigen steht dem stillen Gesellschafter (oder seinen Erben) eine Abfindung entsprechend dem Wert seiner Beteiligung am Beendigungsstichtag zu. ...

..."

Der Kläger erhielt während seiner 21-monatigen Beteiligung folgende Gewinnausschüttungen:

2010 (Feb. bis Dez.)           € 2.649,49

2011 (Jan. bis Okt.)             € 3.563,45

Summe                                 € 6.212,94

Er verlangt nach Kündigung des Arbeitsverhältnisses seine stille Einlage iHv. € 5.000,- zurück. Die Beklagte verweigert die Auszahlung unter Berufung auf § 16 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags vom 10.02.2010, weil die Gewinnausschüttungen die Bareinlage von € 5.000,- mit der Basisverzinsung von € 185,50 erheblich überstiegen.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 5.000,- nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 19.01.2013 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 04.02.2014 Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger könne von der Beklagten die Auszahlung des Nominalbetrags seiner Einlage iHv. € 5.000,- verlangen. Die Regelung in § 16 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags, die den Abzug der bis dahin erhaltenen Gewinnausschüttungen vorsehe, sei unwirksam. Sie stelle eine unzulässige Kündigungserschwerung im Sinne der zu § 622 Abs. 6 BGB entwickelten Rechtsprechungsgrundsätze und nicht nur einen "mittelbaren Rechtsreflex" dar, weil sie direkt auf den Fall der ordentlichen Eigenkündigung des Arbeitnehmers abstelle. Die Unangemessenheit der Regelung zeige sich bei wertender Betrachtung daran, dass sie auch als Beschränkung des Kündigungsrechts des stillen Gesellschafters nach § 723 Abs. 3 BGB unzulässig sei. Wegen der Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 5 bis 8 des erstinstanzlichen Urteils vom 04.02.2014 Bezug genommen.

Gegen das am 19.02.2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit am 04.03.2014 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 19.05.2014 verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit am 16.05.2014 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Die Beklagte macht geltend, dem Kläger stehe zusätzlich zu den Gewinnausschüttungen iHv. € 6.212,94 nicht noch ein Anspruch auf Auszahlung einer Abfindung in Höhe des Nominalbetrags seiner Einlage von € 5.000,- zu. Die Abfindungsregelung in § 16 Abs. 1 des stillen Gesellschaftsvertrags sei wirksam. Die Regelung führe im Fall der Eigenkündigung des Arbeitnehmers nicht zu einem vollständigen Ausschluss des Abfindungsanspruchs, dieser beziffere sich vielmehr nach dem Nominalbetrag der Einlage zzgl. einer Verzinsung von 2 % über dem Basiszinssatz. Die Abfindungsregelung in § 16 Abs. 1 mit der Abzugsmöglichkeit von ausgezahlten Gewinnanteilen gelte nicht bei jeder ordentlichen Eigenkündigung, sondern nur bei einer Kündigung vor dem 63. Lebensjahr. Der maßgebliche Zweck der Abfindungsregelung bestehe darin, die Mitarbeiter möglichst lange an ihr Unternehmen zu binden. § 16 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags stelle keine unzulässige Kündigungsbeschränkung dar. Der Arbeitsvertrag selbst enthalte keine Kündigungsbeschränkung, der Gesellschaftsvertrag über die stille Beteiligung sei als völlig eigenständiger Vertrag zu betrachten. Zwar habe die Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtlichen Einfluss auf die Rechte des stillen Gesellschafters. Diese Reflexwirkung bestehe jedoch nur einseitig bei dem Gesellschaftsvertrag. Die rechtlich getrennten Verträge seien auch nicht in einem zeitlichen Zusammenhang abgeschlossen worden. Der Vertrag über die stille Beteiligung sei fast 3 ½ Jahre nach Beginn des Arbeitsverhältnisses abgeschlossen worden. Es sei daher schon fraglich, ob auf § 16 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags überhaupt § 622 Abs. 6 BGB anzuwenden sei. Das Arbeitsgericht habe weder den historischen Hintergrund noch das sehr hohe Gewinnpotential der stillen Beteiligung gewürdigt. Der Kläger habe in 21 Monaten eine Kapitalverzinsung von 124 % erhalten. Der stille Gesellschaftsvertrag sei allein auf Initiative des Klägers abgeschlossen worden, sie habe keinerlei Druck auf ihn ausgeübt. Das enorm hohe Gewinnpotenzial der stillen Beteiligung sei für den Kläger einziges Motiv gewesen, sich zu beteiligen. Weiter habe das Arbeitsgericht nicht beachtet, dass § 16 Abs. 1 hinsichtlich der Anrechnung von Gewinnanteilen auf die Bareinlage nur im Fall einer Gewinnausschüttung zur Anwendung komme. Wenn keine Gewinnausschüttungen erfolgen, erhalte der stille Gesellschafter seine Bareinlage einschließlich einer Verzinsung von 2 % über dem Basiszinssatz ausgezahlt, sofern keine Verluste zu Buche standen. Im Übrigen sei die Abfindungsregelung auch sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig. Im Hinblick auf das hohe Gewinnspotential der stillen Beteiligung würde bei Unwirksamkeit der Abfindungsregelung des § 16 Abs. 1 der Zweck der stillen Beteiligung entfallen. Damit würde auch die weitere Durchführung der stillen Beteiligung mit den anderen Gesellschaftern, in deren Verträge die gleiche Abfindungsregelung vereinbart sei, für die Zukunft in Frage gestellt. Wegen des Im hohen Gewinnpotentials sei es den Mitarbeitern, die sich als stille Gesellschafter beteiligt haben, zumutbar, im gewissen Umfang auf einen Teil der Gewinnausschüttungen zu verzichten in Gestalt des Abzugs bzw. der Verrechnung mit dem Nominalbetrag der geleisteten Einlage. Die Abfindungsregelung in § 16 Abs. 1 stelle auch keine unzulässige Beschränkung des Kündigungsrechts des stillen Gesellschafters nach § 723 Abs. 3 BGB dar. Eine unverhältnismäßige Kündigungserschwerung liege nach der Rechtsprechung des BGH (19.09.2005 - II ZR 342/03) nicht vor. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Inhalt des Schriftsatzes der Beklagten vom 16.05.2014 Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich,

das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 04.02.2014, Az. 11 Ca 1172/13, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung vom 22.07.2014, auf die Bezug genommen wird, als zutreffend.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.  Die gemäß § 64 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. b ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist insbesondere form- sowie fristgerecht eingelegt und ausreichend begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO).

II.  In der Sache hat die Berufung der Beklagten keinen Erfolg. Die Klage ist begründet. Der Kläger hat nach seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis gegen die Beklagte einen Anspruch auf Auszahlung des Nominalbetrags seiner stillen Einlage iHv. € 5.000,-.

Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Abfindungsklausel in § 16 Abs. 1 des Vertrags über die Errichtung einer typischen stillen Gesellschaft vom 10.02.2010 unwirksam ist.

1. Das Arbeitsgericht hat bei seiner Prüfung auf die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu § 622 Abs. 6 BGB abgestellt. Das Bundesarbeitsgericht hat aus dem Verbot des § 622 Abs. 6 BGB, für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer eine längere Frist zu vereinbaren als für die Kündigung durch den Arbeitgeber, den allgemeinen Grundsatz hergeleitet, es sei unzulässig, durch vertragliche Absprachen eine ungleiche Kündigungslage zum Nachteil des Arbeitnehmers zu schaffen, insb. einen einseitigen Vermögensnachteil des Arbeitnehmers für den Fall einer von ihm erklärten Kündigung zu vereinbaren. Damit soll die Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers in Bezug auf die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses geschützt werden. Der Arbeitnehmer soll die Freiheit behalten, unter Beachtung der geltenden Kündigungsfrist das Arbeitsverhältnis zu beenden und sich einer anderen Tätigkeit zuzuwenden. Nach diesen Rechtsprechungsgrundsätzen war eine Würdigung der Gesamtumstände unter Beachtung des Gebots der Verhältnismäßigkeit entscheidend (vgl. BAG 06.09.1989 - 5 AZR 586/88 - DB 1990, 434; BAG 25.04.2001 - 5 AZR 509/99 - AP BBiG § 5 Nr. 8; BGH 19.09.2005 - II ZR 342/03 - Rn. 17 ff., NJW 2005, 3644; jeweils mwN).

Das Arbeitsgericht hat außerdem die gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Wirkung von Abfindungsklauseln als Kündigungsbeschränkung im Sinne des § 723 Abs. 3 BGB herangezogen. Danach ist eine Regelung unzulässig, durch die an die Kündigung derart schwerwiegende Nachteile geknüpft werden, dass ein Gesellschafter vernünftigerweise veranlasst sein kann, von dem ihm formal zustehenden Kündigungsrecht keinen Gebrauch zu machen. Ein solcher Nachteil kann darin bestehen, dass der im Falle einer Kündigung bestehende Abfindungsanspruch des Gesellschafters unzumutbar eingeschränkt wird (vgl. BGH 07.04.2008 - II ZR 181/04 - Rn. 19 mwN, NJW 2008, 2987).

2. Nach dem Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes hat die Prüfung nicht mehr nach den von der Rechtsprechung zu §§ 622 Abs. 6, 723 Abs. 3 BGB entwickelten Regeln zu erfolgen, vielmehr ist bei Formularverträgen eine Inhaltskontrolle nach den Bestimmungen der §§ 307 ff. BGB vorzunehmen (vgl. ErfK/Müller-Glöge 14. Aufl. BGB § 622 Rn. 43-44; MüKoBGB/Hesse 6. Aufl. § 622 Rn. 105). Dabei kann § 622 Abs. 6 BGB zusammen mit § 723 Abs. 3 BGB als gesetzliches Leitbild herangezogen werden, denn der Verstoß Allgemeiner Geschäftsbedingungen gegen das gesetzliche Leitbild führt im Zweifel zu deren Unwirksamkeit. Anderes gilt, wenn die Leitbildabweichung sachlich gerechtfertigt ist und der gesetzliche Schutzzweck auf andere Weise sichergestellt wird (vgl. BGH 07.03.2013 - VII ZR 162/12 - Rn. 26 mwN, NJW 2013).

Der Arbeitsvertrag der Parteien wurde im Jahre 2006, der stille Gesellschaftsvertrag im Jahr 2010 geschlossen, so dass auf beide Verträge die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001 anzuwenden sind. Hierzu gehört auch die in den §§ 305 bis 310 BGB geregelte Gestaltung des Schuldverhältnisses durch Allgemeine Geschäftsbedingungen.

3. Die streitbefangene Klausel in § 16 Abs. 1 des stillen Gesellschaftsvertrags vom 10.02.2010 unterliegt der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB, der im Arbeitsrecht ebenso wie im allgemeinen Zivilrecht gilt. Die Beklagte hat die streitbefangene Regelung nach ihrem Vorbringen mit allen Arbeitnehmern, die sich als stille Gesellschafter beteiligt haben, wiederholt verwendet, so dass es sich um für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen und damit um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt (§ 305 Abs. 1 Satz 1 BGB).

Die von der Beklagten in § 16 Abs. 1 verwendete Klausel, wonach ein Arbeitnehmer, der sein Arbeitsverhältnis vor Vollendung des 63. Lebensjahres ordentlich kündigt, als Abfindung den Nominalbetrag seiner Einlage, zzgl. einer Verzinsung von 2 % über dem Basiszinssatz, aber abzüglich der bis dahin erhaltenen Gewinnanteile erhält, benachteiligt den Kläger unangemessen iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Klauselverwenders entgegen Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Unangemessen ist jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses des Arbeitnehmers, die nicht durch begründete und billigenswerte Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt ist oder durch gleichwertige Vorteile ausgeglichen wird (zum Prüfungsmaßstab im Einzelnen vgl. BAG 12.12.2013 - 8 AZR 829/12 - Rn. 37 mwN, NJW 2014, 2138).

§ 16 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags belastet einen Arbeitnehmer, der - wie der Kläger - das 63. Lebensjahr nicht vollendet hat, im Fall der ordentlichen Eigenkündigung erheblich. Die erhaltenen Gewinnausschüttungen werden ihm bis zum Nominalbetrag der geleisteten Einlage abgezogen. Die vorgesehene Bindungsdauer bis zum 63. Lebensjahr ist von vornherein nicht durch ein billigenswertes Interesse der Beklagten gerechtfertigt. Das Interesse des Arbeitgebers, der seine Arbeitnehmer gesellschaftsrechtlich am Unternehmen beteiligen, geht regelmäßig dahin, diese Mitarbeiter stärker und möglichst langfristig an das Unternehmen zu binden. Dieses grundsätzlich berechtigte Interesse gestattet es dem Arbeitgeber jedoch nicht, einen Bleibedruck bis zum 63. Lebensjahr auszuüben.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dem in § 723 Abs. 3 BGB zum Ausdruck gekommenen gesetzlichen Leitbild ist zwar ein zeitweiliger Ausschluss des Kündigungsrechts zulässig, nicht aber eine Regelung, durch die an eine Kündigung schwerwiegende Nachteile geknüpft werden. Derartige Nachteile können darin bestehen, dass der im Falle einer Kündigung bestehende Abfindungsanspruch des Gesellschafters unzumutbar eingeschränkt wird (BGH 13.03.2006 - II ZR 295/04 - Rn. 11 mwN, DB 2006, 999; 07.04.2008 - II ZR 181/04 - Rn. 19 mwN, aaO).

So liegt der Fall hier. Die Gewinnanteile des Klägers betrugen in den Jahren 2010/2011 insgesamt € 6.212,94. Im Fall der Eigenkündigung vor Vollendung des 63. Lebensjahrs zum 31.10.2011 soll ihm die stille Einlage nach der Regelung in § 16 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags bei seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis nicht ausgezahlt werden, so dass sein Gewinn um € 5.000,- sinkt. Dies führt zu einer unzulässigen Kündigungserschwerung iSd. §§ 723 Abs. 3, 622 Abs. 6 und damit zur Unwirksamkeit der Klausel. Auch die von der Beklagten angeführten Beispiele der anderen Arbeitnehmer, die - wie der Kläger - vor Vollendung des 63. Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sind, verdeutlichen den Befund. Die Gewinnanteile des Arbeitnehmers H. betrugen in den Jahren 2004-2010 insgesamt € 108.660,89, wenn ihm die stille Einlage unter Berufung auf § 16 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags nicht ausgezahlt wird, sinkt sein Gewinn um die geleistete Einlage iHv. € 26.000,-. Die Gewinnanteile des Arbeitnehmers B. betrugen in den Jahren 2004-2010 insgesamt € 67.977,39, wenn ihm die stille Einlage aufgrund der Abfindungsklausel in § 16 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags nicht ausgezahlt wird, sinkt sein Gewinn um die geleistete Einlage iHv. € 16.500,-. Diese Nachteile werden weder durch gleichwertige Vorteile ausgeglichen noch durch begründete und billigenswerte Interessen der Beklagten gerechtfertigt. Die Argumentation der Beklagten, im Hinblick auf das hohe Gewinnpotential sei es den Arbeitnehmern, die sich als stille Gesellschafter beteiligt haben, zumutbar, im gewissen Umfang auf einen Teil der Gewinnausschüttungen zu verzichten, überzeugt nicht. Im Gegenteil: Je höher die geleistete Einlage und je höher die ausgeschütteten Gewinnanteile, umso größer wird der Druck auf den stillen Gesellschafter, das Arbeitsverhältnis nicht vor dem 63. Lebensjahr durch ordentliche Kündigung zu beenden. Diese Einschränkung der Kündigungsfreiheit des Arbeitnehmers ist unangemessen und damit unwirksam. Es ist nicht gerechtfertigt, den Gewinn eines Arbeitnehmers, der sich finanziell am Unternehmen beteiligt hat, bei seinem Ausscheiden bis zur Höhe der geleisteten Einlage zu schmälern.

Die Beklagte ist deshalb verpflichtet, dem Kläger nach seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung vor Vollendung des 63. Lebensjahres den Nominalbetrag seiner Einlage iHv. € 5.000,- zurückzuzahlen, obwohl sie ihm während seiner stillen Beteiligung Gewinne iHv. € 6.212,94 ausgeschüttet hat. Gegen die Verknüpfung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Wegfall der Gesellschafterstellung und die Abfindungsbeschränkung auf den Betrag, den er - unabhängig vom Wert im Zeitpunkt des Ausscheidens - für den Erwerb seines Anteils gezahlt hat, wendet sich der Kläger nicht (vgl. hierzu BGH 19.09.2005 - II ZR 342/03 - NJW 2005, 3644).

Die geltend gemachten Zinsen rechtfertigen sich aus dem Gesichtspunkt des Verzugs, §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Der Kläger hat die Beklagte unter Fristsetzung zum 18.01.2013 vergeblich zur Zahlung aufgefordert.

III.  Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.



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