Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 10 Sa 137/12

Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit während eines Arbeitskampfes

Arbeitgeber und Gewerkschaft sind bei der einvernehmlichen Auswahl der Arbeitnehmer, die während eines Arbeitskampfes Notdienst- und Erhaltungsarbeiten vornehmen sollen, nicht völlig frei, sondern haben das allgemeine Willkürverbot zu beachten. Ist ein arbeitswilliger Arbeitnehmer während des Arbeitskampfes arbeitsunfähig erkrankt, so kann er Entgeltfortzahlung nur verlangen, wenn er dartut, dass die Auswahlentscheidung willkürlich geschehen ist.
(Redaktionelle Orientierungssätze)

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 16.02.2012, Az.: 1 Ca 1958/11, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlungsansprüche während eines Arbeitskampfes.

Der 1958 geborene Kläger ist seit 1987 bei der Beklagten als Konstrukteur zu einem Bruttomonatsentgelt von ca. € 3.900,00 beschäftigt. Er war vom 03.05. bis einschließlich 13.06.2011 arbeitsunfähig erkrankt. Die Krankenkasse zahlte ihm € 2.860,20 netto Krankengeld. Die Beklagte zahlte ihm Entgeltfortzahlung für den 04.05.2011, nicht aber für die Zeit vom 05.05.bis einschließlich 13.06.2011.

Die Beklagte betreibt ein Unternehmen der Metallindustrie. Ihr Betrieb in Frankenthal wurde auf Aufruf der IG Metall vom 05.05. bis einschließlich 17.06.2011 bestreikt. Während des Streiks kam der Betrieb zum Erliegen, über 600 Arbeitnehmer arbeiteten nicht. Die Beklagte organisierte im Einverständnis mit der örtlichen Streikleitung der IG Metall einen Notdienst. So setzte sie vier Instandhaltungsmitarbeiter ein, die an zwei Wochentagen (dienstags und donnerstags) - jeweils zu zweit - Rundgänge durchführten, um die Kühlaggregate in den Serverräumen zu überwachen, die Flüssigkeitsstände in den stillstehenden Maschinen zu kontrollieren, die Heizungsanlage zu warten und auch Blumen zu gießen. Außerdem war die Streikleitung damit einverstanden, dass die Außendienstmonteure bereits laufende Montagearbeiten beim Kunden zum Abschluss bringen.

Der Kläger ist der Ansicht, er habe seinen Entgeltfortzahlungsanspruch während des Arbeitskampfes nicht verloren, weil ihn die Beklagte im Fall seiner Arbeitsfähigkeit als Notdienstmitarbeiter hätte beschäftigen können.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 16.02.2012 (dort Seite 2-5 = Bl. 42-45 d. A.) Bezug genommen.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 5.206,08 brutto abzüglich € 2.860,20 netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 01.07.2011 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht Ludwigshafen hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte sei nicht zur Entgeltfortzahlung verpflichtet, weil sie den Kläger im Fall seiner Arbeitsfähigkeit nicht - auch nicht im Notdienst - hätte ein-setzen können. Wegen der Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 5 bis 8 des erstinstanzlichen Urteils vom 16.02.2012 (Bl. 45-48 d.A.) Bezug genommen.

Das genannte Urteil ist dem Kläger am 06.03.2012 zugestellt worden. Er hat mit am 20.03.2012 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 06.06.2012 verlängerten Begründungsfrist am 06.06.2012 begründet.

Er trägt vertiefend vor, dass er im Fall seiner Arbeitsfähigkeit während des Streiks die Tätigkeiten hätte ausüben können, die die vier Mitarbeiter der Instandhaltungsabteilung verrichtet haben. Er wäre ohne weiteres in der Lage gewesen, Blumen zu gießen, die Heizungsanlage zu warten oder die Flüssigkeitsstände in den Maschinen zu kontrollieren. Es hätte allenfalls einer kurzen Einweisung durch einen der anderen Notdienstmitarbeiter bedurft. Als Konstrukteur verfüge er über die erforderlichen technischen Kenntnisse. Er hätte auch Montagetätigkeiten vor Ort beim Kunden ausüben können. Allein aus dem Umstand, dass er bislang Montagearbeiten nur unterstützt, aber nicht selbst ausgeführt habe, könne jedenfalls nicht mit der erforderlichen Sicherheit geschlossen werden, dass er im Fall seiner Arbeitsfähigkeit nicht in der Lage gewesen wäre, diese Tätigkeiten zu verrichten. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Inhalt des Schriftsatzes des Klägers vom 06.06.2012 (Bl. 67-70 d.A.) Bezug genommen.

Der Kläger beantragt zweitinstanzlich,
das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 16.02.2012, Az.: 1 Ca 1958/11, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 5.206,08 brutto abzüglich € 2.860,20 netto Krankengeld nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2011 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 10.07.2012 (Bi. 82- 87 d.A.), auf den Bezug genommen wird, als zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die nach § 64 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und in ausreichender Weise begründet worden. Sie ist somit zulässig.

Die Berufung hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Zahlungsklage zu Recht abgewiesen.

Das Arbeitsgericht hat vollkommen zutreffend erkannt, dass der Kläger für die Zeit vom 05.05. bis zum 13.06.2011 keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 Abs. 1 EFZG verlangen kann. Die Berufungskammer folgt der ausführlichen und sorgfältigen Begründung des angefochtenen Urteils und stellt dies nach § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Das Berufungsvorbringen des Klägers veranlasst lediglich folgende Ausführungen:

Für den Entgeltfortzahlungsanspruch während eines rechtmäßigen Arbeitskampfes gelten Besonderheiten. Können Arbeitnehmer während eines Arbeitskampfs nicht beschäftigt werden, beurteilt sich die Vergütungspflicht des Arbeitgebers nach den Grundsätzen der arbeitskampfrechtlichen Parität. Störungen des Betriebsablaufs, die auf Streiks oder Aussperrungen beruhen und die Fortsetzung des Betriebs ganz oder teilweise unmöglich oder für den Arbeitgeber wirtschaftlich unzumutbar machen, führen dazu, dass jede Seite das auf sie entfallende Kampfrisiko zu tragen hat. Die vom Arbeitskampf betroffenen Arbeitnehmer verlieren unter diesen Voraussetzungen für die Dauer der arbeitskampfbedingten Störung ihre Beschäftigungs- und Vergütungsansprüche. Diese grundsätzliche Risikoverteilung gilt auch für das Risiko der Entgeltfortzahlung an die nicht am Streik beteiligten Arbeitnehmer, die infolge der Streikauswirkungen nicht beschäftigt werden können (vgl. ausführlich: BAG Urteil vom 13.12.2011 -1 AZR 495/10 - Juris, m.w.N.).

Danach hätte der Kläger im Fall seiner Arbeitsfähigkeit in der Zeit vom 05.05. bis zum 13.06.2011 keinen Anspruch auf eine Vergütung aus §§ 615 Satz 1, 611 Abs. 1 BGB gehabt, zu deren Fortzahlung die Beklagte nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG verpflichtet gewesen wäre. Nach den Grundsätzen über die Verteilung des Lohnrisikos im Arbeitskampf bestünde für die Beklagte nur dann eine Vergütungspflicht, wenn sie den Kläger während des Arbeitskampfes hätte vertragsgemäß einsetzen können und ihr diese Beschäftigung wirtschaftlich zumutbar gewesen wäre. Eine solche Beschäftigungsmöglichkeit hat der Kläger nicht dargetan.

Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass während des Arbeitskampfes eine Beschäftigungsmöglichkeit in der bisher ausgeübten Tätigkeit als Konstrukteur bei der Beklagten nicht bestanden hat. Die Beklagte wäre nicht verpflichtet gewesen, den Kläger im Not- oder Außendienst einzusetzen, wenn er für die Dauer des Streiks nicht arbeitsunfähig erkrankt wäre.

Die Notwendigkeit der Durchführung von Notstands- und Erhaltungsarbeiten während eines Arbeitskampfs wird allgemein anerkannt. Unter Erhaltungsarbeiten sind nach der Rechtsprechung die Arbeiten zu verstehen, die erforderlich sind, um das Unbrauchbarwerden der sächlichen Betriebsmittel zu verhindern. Notstandsarbeiten sind die Arbeiten, die die Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Diensten und Gütern während eines Arbeitskampfs sicherstellen sollen (BAG Urteil vom 31.01.1995 - 1 AZR 142/94 - AP Nr. 135 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, m.w.N.).

Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass sich die Beklagte und die örtliche Streikleitung der IG-Metall darauf geeinigt haben, dass ein Notdienst durchgeführt wird, ferner, mit welchem Inhalt und Umfang das geschehen soll. Auch hinsichtlich der heranzuziehenden Arbeitnehmer kam eine Übereinkunft zustande. Vereinbarungen über die Einrichtung und den Umfang von Notdienstarbeiten sind angesichts des Fehlens jeglicher gesetzlicher Regelung nicht nur zulässig, sondern vorrangig von den Arbeitskampfparteien anzustreben. Den Arbeitskampfparteien ist dabei ein weiter Beurteilungsspielraum zuzugestehen (BAG vom 31.01.1995 - 1 AZR 142/94, a.a.O.).

Die Beklagte hat aufgrund der Notdienstvereinbarung mit der IG Metall exakt die vier Mitarbeiter der Abteilung Instandhaltung (Z., Y., X. und W.) zu Kontrollgängen - und zwar dienstags und donnerstags, jeweils zu zweit - eingesetzt, die ständig im Betrieb mit der Wartung, Reparatur und Instandhaltung sämtlicher Maschinen betraut sind. Sie hat außerdem in Absprache mit der Streikleitung der IG Metall die Monteure mit dem Abschluss der Montagearbeiten beim Kunden betraut, die bei Streikbeginn schon im Außendienst vor Ort waren.

Der Kläger gehörte nicht zu den für die Kontrollgänge oder die Montagearbeiten bestimmten Arbeitnehmern. Er hatte keinen Anspruch darauf, im Not- oder Außendienst berücksichtigt zu werden. Da der Arbeitgeber in der Entscheidung frei ist, den bestreikten Betrieb auch zu Lasten arbeitswilliger Arbeitnehmer ganz zu schließen, greift eine Notdienstvereinbarung grundsätzlich nicht in bestehende Rechte ein. Notdienst- und Erhaltungsarbeiten sind Teil des arbeitskampfrechtlichen Geschehens. Sie beschränken den Umfang des Arbeitskampfs aus Gründen, die sich entweder aus den Interessen des Betriebes selbst oder aus den Interessen Dritter ergeben. Hingegen dienen sie nicht der Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten für arbeitswillige Arbeitnehmer. Allein der Umstand, dass der Kläger - wenn er nicht erkrankt wäre - arbeitswillig gewesen wäre, ließ also die Beschäftigungspflicht der Beklagten nicht Wiederaufleben, nur weil ein Notdienst eingerichtet worden war.

Die unterbliebene Berücksichtigung des Klägers bei den zum Notdienst bzw. zum Abschluss der Montagearbeiten herangezogenen Arbeitnehmern ist nicht zu beanstanden. Zwar ist davon auszugehen, dass Arbeitgeber und Gewerkschaft bei der einvernehmlichen Auswahl der Arbeitnehmer nicht völlig frei sind, sondern das allgemeine Willkürverbot zu beachten haben. Anhaltspunkte, die auf eine willkürliche Auswahlentscheidung schließen lassen, sind weder dargetan noch ansatzweise ersichtlich. Im Gegenteil: Es ist aus sachlichen Gründen gut nachvollziehbar, dass die Mitarbeiter auf der Grundlage der Notdienstvereinbarung zur Arbeit herangezogen worden sind, die die Instandhaltungs- oder Montagearbeiten auch sonst regelmäßig verrichten. Es kann dahinstehen, ob der Einsatz des - zwar arbeitswilligen, aber arbeitsunfähigen -Klägers technisch möglich und wirtschaftlich zumutbar gewesen wäre. Der Kläger hatte keinen Anspruch darauf, im Notdienst herangezogen zu werden.

III.  Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.



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