Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 11 Sa 122/12

Entschädigung nach Ausscheiden aus dem Rufbereitschaftsdienst - Auslegung einer Betriebsvereinbarung

Ist in einer Betriebsvereinbarung geregelt, dass solchen Arbeitnehmern, die nicht mehr im Bereitschaftsdienst eingesetzt werden können, eine monatliche Entschädigung zu zahlen ist, wenn zwischen dem Ausscheiden aus dem Rufbereitschaftsdienst und der zuvor geleisteten Tätigkeit ein ursächlicher Zusammenhang besteht, so kann die Entschädigung nur verlangt werden, wenn der Zusammenhang positiv festgestellt worden ist. Es reicht hingegen nicht aus, wenn der Arzt lediglich nicht ausschließen kann, dass auch die Arbeitstätigkeit zu den Faktoren gehört, die das Ausscheiden aus dem Rufbereitschaftsdienst mit beeinflusst haben könnten.
(Redaktioneller Orientierungssatz)

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 20.10.2011, Az. 1 Ca 267/10, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch aus einer Betriebsvereinbarung auf Zahlung einer Rufbereitschaftsentschädigung.

Der 1952 geborene Kläger ist seit 05.04.1983 bei der Stadt A-Stadt als Maschinenschlosser beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis ist im Sommer 2009 auf die Beklagte übergegangen.

Mit der vorliegenden Klage vom 12.02.2010 begehrt der Kläger die Zahlung einer Rufbereitschaftsentschädigung auf der Basis der Anlage 1 zur Betriebsvereinbarung Nr. 19 vom 14.05.1998. Die Anlage 1 beinhaltet folgende Regelungen:

§ 1 Zielsetzung

Zielsetzung dieser Vereinbarung ist die Absicherung der Rufbereitschaftsentschädigung für die Mitarbeiter der S. GmbH, die nach betriebsärztlicher Bestätigung aus gesundheitlichen Gründen keinen Rufbereitschaftsdienst (Schichtbereitschaft) mehr ausüben dürfen.

§ 2 Höhe der RB- (SchB)-Entschädigung

Die Absicherung der Rufbereitschaft wird wie folgt festgelegt:

Das Ausscheiden muss aus gesundheitlichen Gründen erfolgen und in ursächlicher Beziehung mit der Arbeit bei der S. GmbH stehen. ...

§ 3 Bemessungsgrundlage

Die Höhe der nach dieser Vereinbarung zu sichernden RB-Entschädigung bemisst sich aus dem durchschnittlichen finanziellen Gegenwert für die Rufbereitschaft, die in den letzten 12 Monaten vor dem offiziellen Ausscheiden aus dem Rufbereitschaftsdienst geleistet wurde.

Gemäß Ziff. 2.1. der Betriebsvereinbarung Nr. 19 vom 23.01.1997 werden drei Arten der Rufbereitschaft unterschieden: wöchentliche Rufbereitschaft, Wochenendrufbereitschaft und tageweise Rufbereitschaft. Die Rufbereitschaft umfasst gemäß Ziff. 4 der Betriebsvereinbarung Nr. 19 die Zeit von 16 Uhr bis 7 Uhr sowie die arbeitsfreien Zeiten.

Die Betriebsärztin Frau Dr. K. teilte der Beklagten mit Schreiben vom 17.11.2008 mit, dass Rufbereitschaftsdienst ab 22 Uhr für den Kläger arbeitsmedizinisch nicht empfohlen werde. Ein gelegentlicher Rufbereitschafsdienst bis 22 Uhr sei dem Kläger zumutbar.

Mit Ablauf des Monats Januar 2009 wurde der Kläger vollständig aus dem Rufbereitschaftsdienst herausgenommen.

Die Personalabteilung befragte die Betriebsärztin mit E-Mail vom 16.02.2009, inwieweit sie bestätigen könne, dass das Ausscheiden des Klägers aus gesundheitlichen Gründen aus der Rufbereitschaft in ursächlichem Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für den Arbeitgeber steht.

Mit E-Mail vom 18.02.2009 teilte die Betriebsärztin der Beklagten, Frau Dr. K., dem Teamleiter Personal folgendes mit:

 „...wie schon telefonisch besprochen, kann die Frage, ob bestehende gesundheitliche Beschwerden von Herrn W. (Kläger) im ursächlichen Zusammenhang mit seiner Tätigkeit in Ihrem Hause stehen, nicht beantwortet werden. Die gesundheitlichen Beschwerden bei Nacht-, Schicht-Arbeit sind eher unspezifisch und somit nicht vergleichbar mit Erkrankung im Sinne der Berufskrankheit (hier besteht ein ursächlicher Zusammenhang). Aufgrund der bisherigen Erfahrung werden aber häufig sogenannte schichtarbeitstypische gesundheitliche Beschwerden beschrieben. Diese Beschwerden betreffen sehr häufig die Körperfunktionen, welche mit der Tagesrhythmik in Zusammenhang stehen. Diese gesundheitlichen Störungen sind auch bei Herrn W. festzustellen. Es ist deshalb denkbar, dass ein Zusammenhang zwischen seiner langjährigen Schichtarbeit und den aktuellen gesundheitlichen Störungen bestehen könnte. Prozentual sind keine Angaben möglich, da hier auch verschiedene andere individuelle Faktoren eine Rolle spielen könnten.

Das Fortsetzen der Nacht-, Schicht-Arbeit ist mit der Gefahr der Verschlechterung des Gesundheitszustandes verbunden und somit aus arbeitsmedizinischer Sicht zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu empfehlen. ...“

Mit Bescheid vom 08.04.2010 attestierte das Amt für soziale Angelegenheiten Landau dem Kläger einen GdB von 60 und stützte den Wert auf folgende Beeinträchtigungen:

Schwerhörigkeit beiderseits

Wirbelsäulen-Syndrom, Bandscheibenschaden, Wurzelreizungen

Depressive Verstimmung, Schlafstörung

Fußheberschwäche links, Narbe linker Unterschenkel, Gonarthrose rechts

Hypertonie

Mit weiterem Schreiben vom 22.04.2010 erklärte die Betriebsärztin gegenüber der Personalabteilung der Beklagten, dass trotz Kenntnis des gesundheitlichen Zustandes ihrerseits nicht nachgewiesen werden könne, dass die gesundheitlichen Störungen im ursächlichen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit des Klägers stehen.

Der Kläger begehrt für den Zeitraum von Februar 2009 bis März 2010 die Zahlung von 4.568,85 EUR brutto. Die Forderung berechnet er wie folgt:

19,33 Stunden Rufbereitschaft pro Monat x 16,88 EUR brutto x 14 Monate.

Der Kläger hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, die Rufbereitschaftsentschädigung sei auch dann zu zahlen, wenn Rufbereitschaft nicht vollständig im Sinne der Betriebsvereinbarung Nr. 19 erbracht werden könne. Aus den von ihm vorgelegten Attesten ergäbe sich, dass die behandelnden Ärzte einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der essentiellen Hypertonie und seiner Schichtarbeit sähen. Für das Ausscheiden aus dem Rufbereitschaftsdienst aus gesundheitlichen Gründen nach § 2 der Anlage 1 zur Betriebsvereinbarung sei kein ausschließlicher ursächlicher Zusammenhang mit der Arbeit bei der Beklagten erforderlich; ein mitursächlicher Zusammenhang reiche für den Anspruch aus.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.568,85 EUR brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank aus jeweils 326,34 EUR brutto monatlich seit 01.05.2009 bis jeweils monatlich 01.05.2010 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, dass die Rufbereitschaftsentschädigung nur unter den Voraussetzungen zu zahlen sei, dass der Mitarbeiter keinen Rufbereitschaftsdienst mehr ausüben dürfe und dass das Ausscheiden aus gesundheitlichen Gründen in ursächlicher Beziehung mit der Arbeit stehe. Beide Voraussetzungen lägen hier nicht vor. Der Kläger könne bis 22 Uhr Rufbereitschaft leisten. Die Betriebsärztin habe unter Datum vom 22.04.2010 nochmals bestätigt, dass die eingeschränkte Rufbereitschaftsfähigkeit des Klägers in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der Tätigkeit bei der Beklagten stehe.

Das Arbeitsgericht Ludwigshafen hat die Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens mit Urteil vom 20.10.2011, Aktenzeichen 1 Ca 267/10, abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen folgendes ausgeführt:

Entgegen der Auffassung des Klägers reiche es nicht aus, wenn die Arbeit bei der Beklagten lediglich mitursächlich für das Ausscheiden aus der Rufbereitschaft sei. Voraussetzung für eine Zahlung nach Anlage 1 zur Betriebsvereinbarung Nr. 19 sei, dass die alleinige Ursache des Ausscheidens aus der Rufbereitschaft die Arbeit bei der Beklagten sei. Dies sei hier nicht gegeben. Der Kläger habe durch seine Lebensführung (Übergewicht, Alkohol, Nikotin) eine wesentliche Ursache für den bei ihm diagnostizierten Bluthochdruck selbst gesetzt. Es sei der Anlage 1 nicht zu entnehmen, dass die Betriebsparteien das Risiko einer ungesunden Lebensführung der Beklagten aufbürden wollten. Bezüglich der weiteren Erkrankungen sehe der Sachverständige keinen Ursachenzusammenhang zwischen der Tätigkeit des Klägers bei der Beklagten und seinem Ausscheiden aus dem Rufbereitschaftsdienst.

Das Urteil ist dem Kläger am 09.02.2012 zugestellt worden. Er hat hiergegen am 09.03.2012 Berufung eingelegt und diese am 09.05.2012 innerhalb der bis zum 09.05.2012 verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet.

Der Kläger ist der Auffassung, dem Wortlaut der Anlage 1 zur Betriebsvereinbarung Nr. 19 lasse sich nicht entnehmen, dass die Arbeit bei der Beklagten die alleinige Ursache für das Ausscheiden aus der Rufbereitschaft sein müsse. § 2 der Anlage zur Betriebsvereinbarung spreche von einer „ursächlichen Beziehung“. Dieser Begriff sei keineswegs gleichzusetzen mit „alleiniger Ursache“. Zudem sei der Begriff „ursächliche Beziehung“ schon schwächer als etwa der Begriff „Ursache“. Dieses Ergebnis werde bestätigt durch die Systematik der Betriebsvereinbarung. Bei der Regelung der Zielsetzung in § 1 der Anlage 1 sei die vom Arbeitsgericht angenommene Monokausalität überhaupt nicht erwähnt. Auch dies zeige, dass es den Betriebsparteien in allererster Linie darum ging, dass die Mitarbeiter eine Rufbereitschaftsentschädigung erhalten sollten, die aus gesundheitlichen Gründen keinen Rufbereitschaftsdienst mehr ausüben dürfen und dies betriebsärztlich bestätigt bekommen. Bei der Auslegung sei schließlich auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse zu beachten. Angesichts der Schwierigkeit, eine medizinisch eindeutige Aussage zu treffen, dass eine bestimmte Erkrankung ihre Ursachen ausschließlich in der für einen bestimmten Arbeitgeber geleisteten Arbeit habe, würde die Betriebsvereinbarung praktisch leer laufen.

Der Gutachter habe gerade nicht festgestellt, ob ein bestehender essentieller Bluthochdruck beim Kläger schon zu Beginn seines Einsatzes im Rufbereitschaftsdienst vorgelegen habe oder nicht.

Die Auffassung des Arbeitsgerichts, wonach der Kläger durch seine Lebensführung eine wesentliche Ursache für den Bluthochdruck selbst gesetzt habe, sei nicht nachvollziehbar. Der Kläger rauche lediglich 5 Zigarillos am Tag und trinke ca. einmal die Woche 1-2 Glas Wein zum Essen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 20.10.2011 - 1 Ca 267/10 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.568,85 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 326,34 EUR brutto monatlich seit dem 01.05.2009 bis 01.05.2010 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, nach richtiger Auffassung des Gutachters liege bereits keine gesundheitliche Beeinträchtigung für den Einsatz in der Rufbereitschaft vor. Der Gutachter habe ausgeführt, dass eine ursächliche Beziehung zur Tätigkeit bei der Beklagten nicht bewiesen werden könne. Bereits an dieser eindeutigen Feststellung scheitere der Anspruch des Klägers. Die Betriebsvereinbarung bezwecke nur dann einen Zahlungsausgleich, wenn zwischen Krankheit und Tätigkeit bei der Beklagten ein Ursachenzusammenhang besteht. Denklogisch führe das dazu, dass diese ursächliche Beziehung eine ausschließliche sein müsse.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf sämtliche Schriftsätze der Parteien und die Feststellungen in den Sitzungsprotokollen verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

I. Die nach § 64 Abs. 2b ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist somit zulässig.

II. In der Sache ist die Berufung jedoch nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Rufbereitschaftsentschädigung auf der Grundlage der Anlage 1 zur Betriebsvereinbarung Nr. 19.

Nach § 1 der Anlage 1 zur Betriebsvereinbarung bezweckt die Vereinbarung die Absicherung der Rufbereitschaftsentschädigung für diejenigen Mitarbeiter, die nach betriebsärztlicher Bestätigung aus gesundheitlichen Gründen keinen Rufbereitschaftsdienst mehr ausüben dürfen. Gemäß § 2 der Anlage 1 zur Betriebsvereinbarung muss das Ausscheiden aus gesundheitlichen Gründen erfolgen und in ursächlicher Beziehung mit der Arbeit bei der Beklagten stehen.

1. Der Kläger ist nicht mehr in der Lage, aus gesundheitlichen Gründen Rufbereitschaftsdienst im Sinne der Betriebsvereinbarung Nr. 19 vom 23.01.1997 zu leisten. Die Betriebsärztin Frau Dr. K, hat in ihrer arbeitsmedizinischen Beurteilung vom 17.11.2008 ausgeführt, dass ein gelegentlicher Rufbereitschaftsdienst bis 22 Uhr dem Kläger zumutbar sei. Nachtarbeit, auch in Form von Rufbereitschaftsdienst, sei aus arbeitsmedizinischer Sicht weiter nicht empfohlen.

Im Umkehrschluss folgt aus dieser Einschränkung, nur gelegentlich Rufbereitschaft bis 22 Uhr wahrnehmen zu können, dass es dem Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich ist, auch nur eine der drei in Ziff. 2.1. der Betriebsvereinbarung Nr. 19 vorgesehenen Rufbereitschaftsarten wahrzunehmen. Die 3 unterschiedlichen Arten der Rufbereitschaft umfassen allesamt Rufbereitschaft während der Nachtzeit. Die eingeschränkte, teilweise Leistung von Rufbereitschaft nur von 16 Uhr bis 22 Uhr abends ist von den Betriebsparteien nicht vorgesehen worden. Damit ist es dem Kläger nicht möglich, Rufbereitschaft im Sinne der Betriebsvereinbarung Nr. 19 zu leisten.

2. § 2 der Anlage 1 zur Betriebsvereinbarung setzt des Weiteren voraus, dass das Ausscheiden aus der Rufbereitschaft aus gesundheitlichen Gründen in ursächlicher Beziehung mit der Arbeit bei der Beklagten steht.

a) Im Wege der Auslegung ist zu klären, was die Betriebsparteien mit dem Begriff der "ursächlichen Beziehung" gemeint haben: Dabei ist zu prüfen, ob es im Sinne der Rechtsauffassung des Klägers ausreichend ist, dass die Arbeit bei der Beklagten neben anderen Ursachen mitursächlich für das Ausscheiden aus der Rufbereitschaft sein muss, oder ob nach der Rechtsauffassung der Beklagten ein ausschließlicher Ursachenzusammenhang erforderlich ist, d.h. ob allein die ausgeübte Arbeitstätigkeit zu den gesundheitlichen Beeinträchtigungen beim Arbeitnehmer geführt haben muss.

b) Die Auslegung von Betriebsvereinbarungen richtet sich wegen des aus § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG ergebenden normativen Charakters - unmittelbare und zwingende Geltung - ebenso wie bei Tarifverträgen nach den Grundsätzen der Gesetzesauslegung (BAG 17.11.1998, 02.03.2004 AP Nr. 6, 13 zu § 77 BetrVG 1972 Auslegung; Fitting, 26. Aufl., § 77 Rn. 15 m.w.N.). Auszugehen ist danach zunächst vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Betriebsparteien zu berücksichtigen, soweit er in den Vorschriften seinen Niederschlag gefunden hat. Dabei sind insbesondere der Gesamtzusammenhang sowie der Sinn und Zweck der Regelung zu beachten. Bleiben hiernach noch Zweifel, so können ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte oder auch eine praktische Übung herangezogen werden. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt der Auslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch handhabbaren Regelung führt (BAG 12.11.2002 AP Nr. 155 zu § 112 BetrVG 1972; 21.01.2003 AP Nr. 117 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung).

c) Der Wortlaut des § 2 der Anlage 1 allein hilft bei der Klärung der unter a) dargelegten Auslegungsfrage nicht weiter. Die Betriebsparteien verlangen nach dem Wortlaut eine ursächliche Beziehung. Zwischen den Begriffen der Mit- bzw. Alleinursächlichkeit wird nicht unterschieden. Daher ist bereits fraglich, ob es auf die von den Parteien im Rechtsstreit vorgenommene Unterscheidung letztlich ankommt.

d) Die Betriebsparteien haben in der Anlage 1 deutlich gemacht, dass eine Entschädigung nur dann gezahlt werden soll, wenn das gesundheitlich bedingte Ausscheiden aus der Rufbereitschaft in einem Ursachenzusammenhang zur zuvor geleisteten Tätigkeit bei der Beklagten steht. Durch die Verknüpfung der gesundheitlichen Beeinträchtigung mit der zuvor ausgeübten Tätigkeit wird klargestellt, dass die Betriebsparteien gerade nicht für jeden Fall des Ausscheidens aus der Rufbereitschaft aus gesundheitlichen Gründen die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Entschädigungszahlung aufnehmen wollten. Die erforderliche Kausalität muss positiv festgestellt werden können. Es reicht hingegen nicht aus, wenn der Arzt lediglich nicht ausschließen kann, dass auch die Arbeitstätigkeit zu den Faktoren gehört, die das Ausscheiden aus dem Rufbereitschaftsdienst mit beeinflusst haben könnten. Anderenfalls hätte es nahegelegen, auf den ursächlichen Zusammenhang zur Tätigkeit zu verzichten und allein das Ausscheiden aus der Rufbereitschaft aus gesundheitlichen Gründen zur Grundlage des Entschädigungsanspruchs zu machen.

e) Der Anspruch auf die Rufbereitschaftsentschädigung wird nach § 1 der Anlage 1 zur Betriebsvereinbarung entscheidend von der betriebsärztlichen Bestätigung abhängig gemacht. Danach reicht es nicht aus, dass die den Arbeitnehmer behandelnden Ärzte das Ausscheiden aus der Rufbereitschaft empfehlen. Entscheidend kommt es allein auf die arbeitsmedizinische Einschätzung durch den Betriebsarzt an. Nach dem Wortlaut bezieht sich die Bestätigung des Betriebsarztes allein auf das Ausscheiden aus gesundheitlichen Gründen, denn der Betriebsarzt wird nur in § 1, nicht jedoch in § 2 der Anlage 1 benannt. Der Betriebsarzt kann allerdings den Gesundheitszustand eines Arbeitnehmers auch am besten zu seinen Arbeitsbedingungen am Arbeitsplatz in Beziehung setzen und beurteilen, ob die gesundheitlichen Leiden in ursächlicher Beziehung zur beruflichen Tätigkeit stehen. Vom Sinn und Zweck der Regelung her ist es daher geboten, die nach § 1 erforderliche Einschätzung des Betriebsarztes auch auf die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs gemäß § 2 der Anlage 1 zu erstrecken.

Die Betriebsärztin Frau Dr. K. hat mit Schreiben vom 22.04.2010 eingeräumt, dass sie trotz der Kenntnis des gesundheitlichen Zustandes nicht nachweisen könne, dass die gesundheitlichen Störungen des Klägers im ursächlichen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit stehen. Bereits hiermit ist dem Anspruch des für den ursächlichen Zusammenhang darlegungspflichtigen Klägers die Grundlage entzogen. Die Betriebsärztin als die maßgebliche Beurteilungsperson hat die von ihm behauptete Ursächlichkeit nicht bestätigen können.

3. Selbst wenn man sich nicht der hier vertretenen Auffassung anschließt, dass die Betriebsärztin das Vorliegen der ursächlichen Beziehung zu beurteilen hat, so folgt auch aus dem erstinstanzlich eingeholten Gutachten des Sachverständigen Herrn Dr. B., dass die Klage abzuweisen war. Der Gutachter hat auf S. 12 seines Gutachtens vom 25.05.2011 die Meinung vertreten, dass der Kläger ohne Weiteres mit seinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen noch in der Lage sei, die früher nach seinen Angaben einmal im Monat stattfindende Rufbereitschaft weiter wahrzunehmen. Bei dieser Form der Rufbereitschaft würden keine gesundheitlichen Schäden auftreten, eine Verschlechterung des Bluthochdrucks sei nicht zu erwarten. Der Gutachter verneint folglich bereits die Erforderlichkeit des Ausscheidens des Klägers aus der Rufbereitschaft aus gesundheitlichen Gründen. Hieraus folgt, das er dann erst recht keine Kausalität sieht zwischen dem Ausscheiden des Klägers und dessen zuvor ausgeübten Tätigkeit bei der Beklagten.

III. Nach alledem ist die Berufung des Klägers mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.



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