Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 5 Sa 509/13

Frauen können Männer-Lohn verlangen - bis zu 3 Jahre rückwirkend

(1.) Zahlt der Arbeitgeber an weibliche Beschäftigte einen niedrigeren Stundenlohn als an männliche Beschäftigte, so liegt eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts vor.

(2.) Eine so diskriminierte Arbeitnehmerin kann die Vergütungsdifferenz verlangen. Dies folgt aus den Wertungen von § 2 Abs. 1 Nr. 2 iVm. § 8 Abs. 2 AGG sowie dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.

(3.) Der Anspruch auf Zahlung der Vergütungsdifferenz unterliegt der regelmäßigen Verjährungsfrist von 3 Jahren; er unterliegt hingegen nicht der zweimonatigen Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG. Dies folgt daraus, dass es sich bei dem Anspruch um einen Erfüllungsanspruch und nicht um einen Schadensersatzanspruch handelt.

Die Klägerin hatte auf einer Betriebsversammlung von der unterschiedlichen Vergütung für Männer und Frauen erfahren und daraufhin die Differenzvergütung für die letzten drei Jahre sowie eine Entschädigung verlangt. Auf eine Auskunftsklage hin hatte ihr Arbeitgeber mitgeteilt, dass der Stundenlohn der Männer etwa 1 € höher liege als der der Frauen.
Das Landesarbeitsgericht hat der klagenden Arbeitnehmerin einen Vergütungsanspruch iHv. ca. 7.500 € für die letzten drei Jahre sowie eine Entschädigung iHv. 6.000 € zugesprochen. Bei der Festlegung der Entschädigungshöhe hat das Gericht insbesondere berücksichtigt, dass neben der Klägerin noch eine Vielzahl weiterer Frauen jahrelang unmittelbar und vorsätzlich benachteiligt und somit deren Persönlichkeitsrechte verletzt wurden. Nicht sachgerecht sei hingegen, auf das Gehalt der Klägerin abzustellen, da die Persönlichkeitsverletzung unabhängig von den materiellen Ansprüchen zu sanktionieren sei. Nach der Rspr des BAG müsse das Gehalt nicht zwingend in die Berechnung miteinfließen.

Tenor

Auf die Berufungen der Klägerin und der Beklagten wird unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsmittel das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 25. September 2013, Az. 12 Ca 372/13,

unter Aufrechterhaltung von Ziff. 1,

in Ziff. 2 teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin eine Entschädigung iHv. € 6.000,00 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Klägerin 61 % und die Beklagte 39 % zu tragen. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 10 % und die Beklagte 90 % zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten zweitinstanzlich noch über die Zahlung von Differenzlohn für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.12.2012 und einer Entschädigung wegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts sowie um Auskunftsansprüche.

Die Klägerin (geb. 1965) ist seit 01.07.1996 bei der Beklagten als einfache Produktionsmitarbeiterin angestellt. Die Beklagte, eine Schuhherstellerin, beschäftigt 176 Arbeitnehmer und etwa 50 Leiharbeitnehmer. Sie zahlte bis 31.12.2012 an die in der Produktion beschäftigten Frauen bei gleicher Tätigkeit einen geringeren Stundenlohn als den Männern. Ab 01.01.2013 zahlt sie Frauen und Männern einen Stundenlohn von € 9,86 brutto.

Die Beklagte   zahlte der Klägerin     vergleichbaren Männern         Differenz pro Stunde

2009                            € 8,54              € 9,76                                     € 1,22

2010, 2011, 2012       € 8,72              € 9,86                                     € 1,14

Die Anwesenheitsprämie (5 % des Bruttolohns), das Weihnachtsgeld (40 % des Bruttolohns) und das Urlaubsgeld (46,5 % des Bruttolohns) berechnete die Beklagte für Frauen bis 31.12.2012 ebenfalls auf der Grundlage des niedrigeren Stundenlohns. Die Lohndifferenz im Zeitraum vom 01.01.2009 bis 31.12.2012 betrug - was zweitinstanzlich rechnerisch unstreitig ist - € 7.543,57 brutto.

Die Ungleichbehandlung bei der Entlohnung von Frauen und Männern ist der Klägerin spätestens seit einer Betriebsversammlung, die am 18.09.2012 stattfand, bekannt. Ob sie bereits seit einem früheren Zeitpunkt, frühestens seit ihrer Einstellung, Kenntnis von der geschlechtsbezogenen Ungleichbehandlung beim Entgelt hatte, ist zwischen den Parteien streitig.

Mit Schreiben ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 09.11.2012 machte die Klägerin Ansprüche wegen geschlechtsbezogener Benachteiligung geltend. Am 18.12.2012 verzichtete die Beklagte in einer Vereinbarung mit der Klägerin auf die Einrede der Verjährung für Ansprüche, die nicht bereits an diesem Stichtag verjährt waren. Ansonsten erhob sie in dem von der Klägerin am 29.01.2013 anhängig gemachten vorliegenden Klageverfahren die Einrede der Verjährung.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 25.09.2013 Bezug genommen.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

die Beklagte zu verurteilen,

ihr wegen Verstoßes gegen das AGG rückständigen Lohn iHv. € 12.156,88 brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basis-zinssatz der EZB seit 12.12.2012 zu zahlen,

ihr wegen Verstoßes gegen das AGG eine angemessene Entschädigung, die sich jedoch auf mindestens € 9.194,50 belaufen soll, zu zahlen,

die nachzuzahlenden Löhne für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.12.2012 ordnungsgemäß abzurechnen und ihr entsprechende Gehaltsabrechnungen zu erteilen,

ihr umfassend Auskunft darüber zu erteilen, ob sie auch bereits vor dem 01.01.2009 aufgrund ihres Geschlechts hinsichtlich des Lohns und der übrigen Vergütungsbestandteile, insb. des Weihnachtsgelds, des Urlaubsgelds und der Anwesenheitsprämie ungleich behandelt worden ist und wenn ja, in welcher Höhe eine geringere Bezahlung als bei den männlichen Kollegen stattfand,

sie zukünftig auf der Grundlage eines Stundenlohns von € 9,94 zu vergüten und dabei insb. auch das Weihnachtsgeld, das Urlaubsgeld, die Anwesenheitsprämie sowie den Urlaubslohn und die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall auf der Grundlage dieses Stundenlohns abzurechnen und auszuzahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht Koblenz hat mit Urteil vom 25.09.2013 dem Klageantrag zu 1) teilweise iHv. € 7.543,57 brutto und dem Klageantrag zu 2) teilweise iHv. € 3.537,18 stattgegeben. Dem Klageantrag zu 4) hat das Arbeitsgericht voll stattgegeben, die Klageanträge zu 3) und 5) voll abgewiesen.

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht - zusammengefasst - ausgeführt, die Klägerin habe gem. § 15 Abs. 1 AGG einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte auf Zahlung der Lohndifferenzen für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.12.2012. Die Beklagte habe die Klägerin unmittelbar wegen ihres Geschlechts benachteiligt, weil sie den weiblichen Produktionsbeschäftigten bis zum Jahresende 2012 bei gleicher Tätigkeit einen niedrigeren Lohn gezahlt habe als den männlichen. Die Klägerin habe die zweimonatige Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG gewahrt, denn sie habe erst in der Betriebsversammlung im September 2012 von der Benachteiligung aufgrund ihres Geschlechts Kenntnis erlangt. Die Beklagte habe eine frühere Kenntniserlangung nicht substantiiert dargelegt. Der Schadensersatzanspruch sei nicht verjährt. Die Verjährungshöchstfrist von zehn Jahren gem. § 199 Abs. 4 BGB sei bei Klageerhebung für die Ansprüche ab 01.01.2009 nicht abgelaufen gewesen. Die Klägerin habe Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG, weil sie von der Beklagten wegen ihres Geschlechts benachteiligt worden sei. Für die erlittene jahrelange Diskriminierung sei eine Entschädigung iHv. drei durchschnittlichen Monatslöhnen angemessen, aber auch ausreichend. Da die Klägerin durchschnittlich 119,58 Stunden im Monat gearbeitet habe, belaufe sich ihr Bruttomonatslohn bei einem anzusetzenden Stundenlohn von € 9,86 auf durchschnittlich € 1.179,06, so dass sich eine Entschädigung von € 3.537,18 errechne. Der Auskunftsanspruch der Klägerin wegen Benachteiligung aufgrund ihres Geschlechts für die Zeit vor dem 01.01.2009 sei begründet, denn sie sei in entschuldbarer Weise über das Bestehen und den Umfang ihres Rechts im Ungewissen. Die Klägerin habe keine Zugriffsmöglichkeit auf die jeweiligen Lohndaten der vergleichbar beschäftigten Männer, während die Beklagte in der Lage sei, die begehrte Auskunft unschwer zu erteilen. Der Auskunftsanspruch sei nicht verjährt, denn er sei erst im September 2012 mit Kenntnis der Klägerin von ihrer Lohndiskriminierung entstanden. Wegen weiterer Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 9 bis 17 des erstinstanzlichen Urteils vom 25.09.2013 Bezug genommen.

Gegen das am 14.10.2013 zugestellte Urteil haben beide Parteien teilweise Berufung eingelegt, wobei die Klägerin ihren Antrag auf Zahlung von Lohndifferenzen (Ziff. 1) teilweise - in erstinstanzlich ausgeurteilter Höhe von € 7.543,57 brutto - sowie den Klageantrag auf Entschädigung (Ziff. 2) - mit einem reduzierten Mindestbetrag von € 5.520,48 - und den Antrag auf Auskunftserteilung (Ziff. 4) weiterverfolgt, während die Beklagte die vollständige Abweisung der Klage begehrt.

Mit Schreiben vom 06.11.2013 erteilte die Beklagte der Klägerin die Auskunft, dass sie auch vor dem 01.01.2009 hinsichtlich des Stundenlohns und der übrigen Vergütungsbestandteile (Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, Anwesenheitsprämie) weibliche Produktionsbeschäftigte geringer entlohnt habe als männliche. Der Stundenlohn eines typischen männlichen Produktionsmitarbeiters habe im Jahr 1995 € 7,76, ab 01.01.2002 € 9,56 und ab 01.01.2004 € 9,66 brutto betragen.

Die Klägerin hat zwischenzeitlich vor dem Arbeitsgericht Koblenz eine neue Zahlungsklage gegen die Beklagte erhoben und Vergütungsdifferenzen für die Zeit bis zum 31.12.2008 geltend gemacht. Ihren Auskunftsanspruch (Ziff. 4) hat sie gleichwohl nicht für erledigt erklärt, weil sie die mit Schreiben vom 06.11.2013 erteilten Auskünfte nicht für ausreichend hält.

Die Beklagte macht zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen geltend, der Antrag auf Zahlung von Differenzlohn ab 01.01.2009 (Ziff. 1) sei weitgehend unbegründet, weil die Klägerin die zweimonatige Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG für die Zeit vor September 2012 mit ihrem Geltendmachungsschreiben vom 09.11.2012 nicht gewahrt habe. Der Klägerin sei bereits seit ihrer Einstellung und während der gesamten Dauer ihrer Beschäftigung die Tatsache positiv bekannt gewesen, dass die männlichen Produktionsmitarbeiter einen höheren Lohn erhielten als die weiblichen. Die Klägerin habe auch gewusst, dass die Ungleichbehandlung beim Lohn unmittelbar an das Geschlecht anknüpfte. In ihrem Betrieb seien die geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede jederzeit offen kommuniziert worden. Das Arbeitsgericht habe den Anspruch auf Entschädigung (Ziff. 2) nach § 15 Abs. 2 AGG mit drei durchschnittlichen Bruttomonatslöhnen zu hoch bemessen. Das Arbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass die unterschiedliche Entlohnung von weiblichen und männlichen Produktionsmitarbeitern stets offen kommuniziert worden sei. Die Klägerin habe wahrheitswidrig behauptet, sie sei heimlich und ohne ihr Wissen diskriminiert worden. Eine offene Ungleichbehandlung wiege aber weitaus weniger schwer als eine heimliche Lohndiskriminierung. Der Auskunftsanspruch (Ziff. 4) sei bereits unzulässig, weil er nicht iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmt sei. Der Anspruch sei jedenfalls unbegründet. Ansprüche auf Auskunft wegen geschlechtsbezogener Ungleichbehandlung für die Zeit vor dem 01.01.2009 seien ausgeschlossen, weil die entsprechenden Zahlungsansprüche gem. § 15 Abs. 4 AGG vollständig verfristet seien. Außerdem seien etwaige Hauptansprüche auf Schadensersatz für die Zeit vor dem 01.01.2009 verjährt. Im Übrigen habe sie der Klägerin mit Schreiben vom 06.11.2013 bereits Auskünfte über Lohnunterschiede für die Zeit vor dem 01.01.2009 erteilt. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Inhalt des Schriftsatzes der Beklagten vom 16.01.2014 Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich,

das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 25.09.2013, Az. 12 Ca 372/13, teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt zweitinstanzlich,

das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 25.09.2013, Az. 12 Ca 372/13, teilweise abzuändern und

die Beklagte zu verurteilen, ihr eine angemessene Entschädigung in Geld zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die jedoch den Betrag von € 5.520,48 nicht unterschreiten soll,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin macht zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen geltend, das Arbeitsgericht habe den Entschädigungsanspruch (Ziff. 2) zu niedrig bemessen. Das Arbeitsgericht habe drei durchschnittliche Bruttomonatslöhne für angemessen erachtet, der Berechnung der Entschädigung jedoch nur den Grundlohn zugrunde gelegt. Sie halte eine Entschädigung iHv. mindestens vier Bruttomonatslöhnen für angemessen, wobei in die Durchschnittsberechnung auch das Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie die Anwesenheitsprämie einfließen müsse. Die Beklagte habe den Auskunftsanspruch (Ziff. 4) mit Schreiben vom 06.11.2013 nicht erfüllt, so dass keine Erledigung eingetreten sei. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Inhalt des Schriftsatzes der Klägerin vom 14.01.2014 Bezug genommen.

Ergänzend wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässigen Berufungen der Klägerin und der Beklagten sind teilweise begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von Vergütungsdifferenzen für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.12.2012 iHv. € 7.543,57 brutto nebst Zinsen. Darüber hinaus kann sie von der Beklagten eine Entschädigung iHv. € 6.000,00 wegen Geschlechtsdiskriminierung beanspruchen. Der Auskunftsantrag ist unzulässig.

1. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Klägerin gegen die Beklagte wegen geschlechtsbezogener Entgeltdiskriminierung für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.12.2012 einen Anspruch auf Zahlung der Vergütungsdifferenzen zwischen dem tatsächlich gezahlten Lohn sowie sonstiger Vergütungsbestandteile (Weihnachts- und Urlaubsgeld, Anwesenheitsprämie) und der Vergütung hat, die die Beklagte in diesem Zeitraum an die männlichen Produktionsmitarbeiter gezahlt hat. Der Gesamtbetrag beläuft sich - was zweitinstanzlich rechnerisch unstreitig ist - auf € 7.543,57 brutto. Der Zinsanspruch beruht auf §§ 286 Abs. 1 S. 1, 288 Abs. 1 BGB. Die Beklagte befand sich aufgrund der Zahlungsaufforderung der Klägerin vom 09.11.2012 ab 12.12.2012 mit der Leistung in Verzug.

a) Die Beklagte hat den weiblichen Produktionsbeschäftigten im streitigen Zeitraum einen niedrigeren Stundenlohn, ein niedrigeres Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie eine niedrigere Anwesenheitsprämie gezahlt als den männlichen. Die niedrigere Entlohnung beruhte - unstreitig - allein auf dem Geschlecht. Diese unmittelbare geschlechtsbezogene Ungleichbehandlung beim Entgelt war nicht gerechtfertigt. Die Differenz zwischen dem Lohn für Frauen und Männer betrug im Jahr 2009 bei gleicher Tätigkeit € 1,22 pro Stunde, in den Jahren 2010, 2011 und 2012 € 1,14 pro Stunde. Die Benachteiligung beim Stundenlohn wirkte sich auf die Höhe des Weihnachts- und Urlaubsgeldes sowie der Anwesenheitsprämie aus, weil sich diese Leistungen nach einem Prozentsatz des Stundenlohns berechnen.

Aufgrund der geschlechtsbezogenen Ungleichbehandlung kann die Klägerin die geltend gemachten Differenzbeträge iHv. € 7.543,57 brutto verlangen. Alle in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen geben der unerlaubt benachteiligten Arbeitnehmerin einen Anspruch auf die vorenthaltene Leistung. Das gilt zunächst nach dem AGG. Die bei der Entgeltzahlung unerlaubt benachteiligte Arbeitnehmerin hat entsprechend der zugrunde liegenden Regelung - hier der individualrechtlichen Vereinbarung - einen Anspruch auf die vorenthaltene Leistung. Aus der Wertung in § 2 Abs. 1 Nr. 2 und § 8 Abs. 2 AGG ergibt sich, dass bei einer diesem Gesetz widersprechenden Diskriminierung eine Grundlage für Ansprüche auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeiten gegeben ist. Auch § 612 Abs. 3 BGB stellte, trotz seiner Formulierung als Verbotsnorm, eine Anspruchsgrundlage für die vorenthaltenen Entgeltbestandteile dar (vgl. BAG 20.08.2002 - 9 AZR 710/00 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 611 Teilzeit Nr. 39). Ebenso gibt der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz den benachteiligten Arbeitnehmerinnen einen Anspruch auf die Leistungen, die ihnen aufgrund ihres Geschlechts vorenthalten wurden (vgl. BAG 11.12.2007 - 3 AZR 249/06 - Rn. 45 mwN, AP AGG § 2 Nr. 1). Die Beseitigung der Diskriminierung für die Jahre 2009 bis 2012 kann vorliegend nur durch eine "Anpassung nach oben" erfolgen.

b) Entgegen der Ansicht der Beklagten sind die Ansprüche der Klägerin nicht nach § 15 Abs. 4 AGG verfallen. Nach dieser Vorschrift muss ein Schadensersatzanspruch nach § 15 Abs. 1 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden. Die Klägerin macht jedoch keinen Schadensersatz nach § 15 Abs. 1 AGG, sondern einen Erfüllungsanspruch auf die den Frauen vorenthaltenen Leistungen geltend. Sie verlangt eine Gleichbehandlung mit den männlichen Produktionsmitarbeitern, denen die Beklagte bei gleicher Tätigkeit aufgrund ihres Geschlechts bis zum 31.12.2012 eine höhere Vergütung gezahlt hat als den Frauen. Dieser Leistungsanspruch ist ein Erfüllungsanspruch und kein Schadensersatzanspruch. Für Ansprüche aus § 7 Abs. 1 AGG (vgl. BAG 25.02.2010 - 6 AZR 911/08 - Rn. 16 mwN, AP AGG § 3 Nr. 3) auf Erfüllung derjenigen Ansprüche, die der begünstigten Gruppe gewährt wurden, gilt § 15 Abs. 4 AGG nicht (vgl. BAG 30.11.2010 - 3 AZR 754/08 - Rn. 23, AP BetrAVG § 16 Nr. 72; BAG 24.09.2009 - 8 AZR 636/08 - Rn. 37, NZA 2010, 159; MüKoBGB/ Thüsing 6. Aufl. AGG § 15 Rn. 32; BeckOK ArbR/Roloff Stand 01.06.2014 AGG § 15 Rn. 12).

c) Die Erfüllungsansprüche der Klägerin für die Jahre von 2010 bis 2012 sind nicht verjährt, §§ 195, 199 Abs. 1, 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Die Klageschrift vom 29.01.2013 wurde der Beklagten am 06.02.2013 zugestellt. Für den auf 2009 entfallenden Teil des Anspruchs auf gleiches Arbeitsentgelt hat die Beklagte am 18.12.2012 wirksam auf die Einrede der Verjährung verzichtet. Für Ansprüche aus 2009 wäre die regelmäßige Verjährungsfrist frühestens am 31.12.2012 abgelaufen. Im Streitfall kann deshalb dahinstehen, ob der Klägerin ihre geschlechtsspezifische Diskriminierung beim Entgelt schon seit vielen Jahren iSd. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB positiv bekannt bzw. grob fahrlässig nicht bekannt gewesen ist, wie die Beklagte behauptet.

2. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Klägerin ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG zusteht, weil sie von der Beklagten wegen ihres Geschlechts beim Entgelt benachteiligt worden ist. Auf die Berufung der Klägerin ist der vom Arbeitsgericht festgesetzte Entschädigungsbetrag auf € 6.000,00 heraufzusetzen.

a) Die Beklagte hat die Klägerin wegen ihres Geschlechts jahrelang unmittelbar beim Entgelt benachteiligt und damit gegen das Verbot des § 7 Abs. 1 AGG iVm. § 1 AGG verstoßen. Die geringere Vergütung der Klägerin und einer Vielzahl weiterer weiblicher Produktionsbeschäftigten für gleiche oder gleichwertige Arbeit bis zum 31.12.2012 war nicht gerechtfertigt. Hierüber herrscht zwischen den Parteien kein Streit.

b) § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG räumt dem Gericht einen Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Höhe der Entschädigung ein. Bei der Höhe einer festzusetzenden Entschädigung ist zu berücksichtigen, dass sie nach § 15 Abs. 2 AGG angemessen sein muss. Sie muss einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz der aus dem Unionsrecht hergeleiteten Rechte gewährleisten. Die Härte der Sanktionen muss der Schwere des Verstoßes entsprechen, indem sie insb. eine wirklich abschreckende Wirkung gewährleistet, zugleich aber den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls - wie etwa die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns - und der Sanktionszweck der Entschädigungsnorm zu berücksichtigen (vgl. ua. BAG 22.05.2014 - 8 AZR 662/13 - Rn. 44 mwN, Juris).

Bei Anwendung dieser Grundsätze hält die Berufungskammer unter Würdigung aller Umstände des vorliegenden Falles eine Entschädigung iHv. € 6.000,00 für angemessen. Die Beklagte hat die Klägerin und eine Vielzahl weiterer Frauen bis 31.12.2012 jahrelang bei gleicher Tätigkeit wegen ihres Geschlechts geringer vergütet als Männer. Art, Schwere und Dauer der vorliegenden Benachteiligung gebieten es einen fühlbaren Entschädigungsbetrag festzusetzen, denn es handelte sich um eine unmittelbare Benachteiligung, die schwerer wiegt als eine bloß mittelbare (vgl. BAG 18.3.2010 - 8 AZR 1044/08 - Rn. 43, NZA 2010, 1129). Ferner ist von einem vorsätzlichen und nicht nur fahrlässigen Verhalten der Beklagten bei der Benachteiligung der Frauen aufgrund ihres Geschlechts auszugehen. Entgegen ihrer Ansicht vermag es die Beklagte nicht zu entlasten, dass die unterschiedliche Entlohnung von Frauen und Männern in ihrem Produktionsbetrieb nicht verdeckt erfolgt, sondern jederzeit "offen kommuniziert" worden sei. Die geschlechtsbezogene Ungleichbehandlung beim Entgelt, die die Beklagte bis 31.12.2012 fortgesetzt hat, war eklatant rechtswidrig. Dass die Ungleichbehandlung der Frauen nach dem Vorbringen der Beklagten in ihrem Betrieb offen zu Tage getreten sein soll, schmälert den Unwertgehalt der Diskriminierung nicht.

Die Höhe des Bruttomonatsentgelts der Klägerin ist für die Höhe der Entschädigung im Streitfall unerheblich. Das Bruttomonatsentgelt kann ein geeigneter Maßstab bei der Festlegung der Entschädigungshöhe im Zusammenhang mit Nichteinstellungen (vgl. § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG) oder Entlassungen (vgl. § 10 KSchG) sein. Die vorliegende Diskriminierung erfolgte jedoch im bestehenden Arbeitsverhältnis, so dass die Vergütungshöhe nicht zwingend Einfluss auf die Höhe der Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG haben muss (vgl. BAG 22.01.2009 - 8 AZR 906/07 - Rn. 84, AP AGG § 15 Nr. 1).

Nach der Wertung des Gesetzgebers stellen Benachteiligungen wegen des Geschlechts regelmäßig eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar (BAG 19.12.2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 38 mwN, NZA 2014, 372; KR/Treber 10. Aufl. § 15 AGG Rn. 27 mwN). Die Sanktion des § 15 Abs. 2 AGG soll im Kern gerade vor solchen Persönlichkeitsrechtsverletzungen schützen. Die im diskriminierenden Verhalten liegende Persönlichkeitsrechtsverletzung soll als solche unabhängig von den materiellen Ansprüchen sanktioniert werden. Im vorliegenden Fall ist es sachgerecht, die Höhe der Entschädigung vom durchschnittlichen Bruttomonatsentgelt der Klägerin abzukoppeln. Die Beklagte hat in ihrem Betrieb alle weiblichen Produktionsbeschäftigten mit einfacher Tätigkeit jahrelang wegen ihres Geschlechts geringer vergütet als die männlichen. Wenn auch die Vergütungsdifferenzen, ua. wegen der Arbeitszeiten, für jede Frau unterschiedlich hoch ausfallen, ist doch die mit der geschlechtsbezogenen Ungleichbehandlung verbundene Persönlichkeitsverletzung für jede im Produktionsbetrieb der Beklagten betroffene Frau gleich schlimm. Deshalb hält die Berufungskammer die Festsetzung eines einheitlichen Entschädigungsbetrags von € 6.000,00 für angemessen.

c) Die Klägerin hat den Entschädigungsanspruch mit Schreiben vom 09.11.2012 rechtzeitig innerhalb der zweimonatigen Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG geltend gemacht. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt. Vorliegend hat die Beklagte der Klägerin aufgrund ihres Geschlechts bis zum 31.12.2012 für gleiche Arbeit eine geringere Vergütung gezahlt als den männlichen Produktionsmitarbeitern. Damit lag ein Dauertatbestand vor, so dass die Ausschlussfrist erst mit dessen Beseitigung ab Jahresanfang 2013 begann. Wenn ein noch nicht abgeschlossener, länger währender Zustand vorliegt, beginnt die Ausschlussfrist nicht vor dessen Beendigung zu laufen (vgl. BAG 24.09.2009 - 8 AZR 705/08 - Rn. 60 mwN, AP AGG § 3 AGG Nr. 2).

Die Klägerin hat die Klagefrist nach § 61b Abs. 1 ArbGG gewahrt, weil die Klage auf Entschädigung innerhalb von drei Monaten nach der schriftlichen Geltendmachung des Anspruchs am 29.01.2013 beim Arbeitsgericht eingegangen und der Beklagten am 06.02.2013 zugestellt worden ist.

3. Die Auskunftsklage (Ziff. 4) ist unzulässig. Der Klägerin fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für den prozessual selbständigen Auskunftsanspruch, weil sie inzwischen Leistungsklage auf Zahlung der Vergütungsdifferenzen für die Zeit bis zum 31.12.2008 erhoben hat. Die Klägerin hat den Auskunftsantrag im Berufungsverfahren nicht für erledigt erklärt, obwohl sie der Auskunft - aus welchen Gründen auch immer - zur Bezifferung ihres Zahlungsantrags für die Zeit vor dem 01.01.2009 nicht mehr bedarf. Die Klägerin hat sich in der Lage gesehen, ihren Anspruch zu beziffern, obwohl sie die Auskunft der Beklagten mit Schreiben vom 06.11.2013 nicht für ausreichend erachtet. Dies spricht dafür, dass sie zur Durchsetzung des geltend gemachten Zahlungsanspruchs auf die begehrte Auskunft nicht zwingend angewiesen ist, so dass ein Rechtsschutzbedürfnis für die Auskunftsklage fehlt. Der von der Klägerin geltend gemachte Auskunftsanspruch dient nicht (mehr) der näheren Bestimmung eines noch nicht hinreichend bestimmten Leistungsbegehrens (vgl. BGH 29.03.2011 - VI ZR 117/10 - Rn. 8, NJW 2011, 1815).

Die Kostenentscheidung folgt für das Berufungsverfahren - bei einem Streitwert von € 15.064,05 - aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO und für das erstinstanzliche Verfahren - bei einem Streitwert von € 33.069,38 - aus § 92 Abs. 1 ZPO. Hinsichtlich der Kosten der ersten Instanz ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin dort mit weiteren Anträgen (Ziff. 3, Ziff. 5) rechtskräftig unterlegen ist, was sich auf die Kostenquote auswirkt. Dabei hat die Berufskammer den Streitwert der Abrechnungsklage (Ziff. 3) mit 5 % des Differenzlohns (laut Ziff. 1), den Streitwert der Auskunftsklage mit € 2.000,00 und den Streitwert der Klage auf zukünftige Leistung (Ziff. 5) gem. § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG auf der Grundlage der 36-fachen Differenz bewertet.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.



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