Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 10 Sa 6/13

Fristlose Kündigung wegen Arbeitszeitbetrug

Trägt ein Arbeitnehmer vorsätzlich eine höhere Arbeitszeit in seiner Zeitkarte ein, als er tatsächlich gearbeitet hat, so stellt dies einen schweren Misstrauensbruch dar.
Nicht anders liegt es, wenn ein Arbeitnehmer, der arbeitsvertraglich verpflichtet ist, die geleistete Arbeitszeit der ihm unterstellten Mitarbeiter zu kontrollieren und auf deren Zeiterfassungskarten mit seiner Unterschrift zu bestätigen, dass die Selbstaufzeichnungen zutreffen, vorsätzlich falsche Angaben macht. Auch im letzteren Fall kann eine fristlose Kündigung gerechtfertigt sein.

Im vorliegenden Fall führte ein Gewitter zu einem Stromausfall in der Radarstation, in der der gegen die fristlose Kündigung klagende Arbeitnehmer sowie zwei diesem unterstellte Techniker arbeiteten. Der Arbeitnehmer schickte die beiden Techniker mindestens 2 Stunden vor ihrem Schichtende nach Hause und bescheinigte ihnen einen vollen Arbeitstag.
Selbst wenn der Arbeitgeber gegenüber den Technikern zur Lohnzahlung wegen Annahmeverzugs verpflichtet ist, rechtfertige dies nicht das Verhalten des Arbeitnehmers -so das Gericht. Der Arbeitnehmer habe durch die falsche Dokumentation der Arbeitsstunden verhindert, dass die Arbeitgeberin in Kenntnis der tatsächlichen Umstände die Anspruchsvoraussetzungen prüft. Die fristlose Kündigung sei daher gerechtfertigt.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern

- Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 27. November 2012, Az.: 4 Ca 428/12, abgeändert und die Klage abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten zweitinstanzlich über die Wirksamkeit von zwei fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigungen der Beklagten vom 21.07.2012 und vom 28.07.2012.

Der 1962 geborene Kläger ist US-amerikanischer Staatsbürger. Er wurde von der Rechtsvorgängerin der Beklagten (Fa. I.) am 11.12.2006 als Radartechniker eingestellt. Am 01.10.2007 erfolgte seine Beförderung zum leitenden Radartechniker; sein Bruttomonatsgehalt betrug zuletzt € 5.760,00. Am 01.04.2011 ging das Arbeitsverhältnis im Wege eines Betriebsübergangs auf die Beklagte über. Mit Schreiben vom 06.07.2011 wies die Beklagte dem Kläger die Betreuung eines besonderen Projekts zu. Ob der Kläger (zunächst) damit einverstanden war, ist streitig. Mit Anwaltsschreiben vom 16.04.2012 verlangte er seine vertragsgemäße Beschäftigung. Nach außergerichtlichem Schriftwechsel beschäftigt ihn die Beklagte seit 01.06.2012 wieder in der Position des leitenden Radartechnikers. In der Zwischenzeit hatte der Techniker R. W. diese Aufgabe wahrgenommen.

Die Beklagte ist ein international tätiges Serviceunternehmen mit Sitz in den USA, das technische Dienste anbietet. In der Westpfalz stellt sie in Umsetzung von US-Regierungsaufträgen auf einer Militärbasis die technischen Rahmenbedingungen (Polygone-Radarstationen) für Luftkampfübungen zur Verfügung. Die Beklagte ist gegenüber dem US-Militär vertraglich verpflichtet, sämtliche Anlagen 24 Stunden am Tag - mit Ausnahme von Wochenenden und Feiertagen - einsatzbereit zu halten. Die Anlagen müssen in den Sommermonaten von 09:00 bis 17:00 Uhr und in den Wintermonaten von 09:00 bis 21:30 Uhr betrieben werden. An Freitagen werden die Anlagen in der Regel von 09:00 bis 12:00 Uhr betrieben. Außerhalb dieser Zeiten müssen der Ein- und Abschaltvorgang sowie jegliche Instandhaltungs- und Wartungsarbeiten durchgeführt werden.

Die Beklagte beschäftigt in ihrem Betrieb in P. 20 Arbeitnehmer; der Betriebsrat besteht aus einer Person. Die Radartechniker sind in zwei Schichten eingeteilt: die Tagschicht von 07:30 bis 16:00 Uhr, die Spätschicht von 13:00 bis 21:00 Uhr. Dem Kläger waren seit 01.06.2012 sieben Radartechniker unterstellt, darunter: C. M., T. C., V. F., R. W., D. J. und G. S.. Vorgesetzter des Klägers war der Betriebsleiter („Site Manager“) T. E., der mittlerweile in die USA zurückkehrt ist. Seit 01.08.2012 ist der Techniker R. W. neuer Betriebsleiter („Deputy Program Manager“).

Der Kläger hat am 05.07.2012 die ihm unterstellten Techniker J. und S., deren Schicht von 13:00 bis 21:00 Uhr dauerte, früher nach Hause entlassen, weil sie infolge eines Stromausfalls während eines Gewitters seiner Ansicht nach nicht mehr arbeiten konnten. Dies teilte er am Folgetag seinem damaligen Vorgesetzten T. E. mit. Die zwei Arbeitnehmer hatten auf ihren Zeiterfassungskarten für den 05.07.2012 („Time Cards“, Bl. 84-85), die der Kläger als deren Vorgesetzter geprüft und gegengezeichnet hat, einen vollen Arbeitstag von 8 Stunden aufgeschrieben, obwohl sie fast 3 Stunden vor dem Ende ihrer Arbeitszeit nach Hause gegangen sind. Im Sicherheitsprotokoll („Activity Security Checklist“, Bl. 86 d.A.) ist als Gehenszeit 18:15 Uhr eingetragen worden.

Nach Befragung der beiden Techniker J. und S. und Anhörung des Betriebsrats erklärte die Beklagte am 21.07.2012 die erste fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger, hilfsweise kündigte sie fristgerecht zum 30.09.2012.

Im Zuge der Aufklärung des Kündigungssachverhalts führte der Vorgesetzte des Klägers, T. E., mit sechs der sieben Techniker, die dem Kläger unterstellt waren, Gespräche. Diese berichteten ihm von einem Bereitschaftsschichtmodell („standby-shift“), das Mitte Juni 2012 in einem Meeting entwickelt worden sei. Der Kläger habe ihnen gestattet, den Arbeitsplatz früher zu verlassen, ohne die festgelegte Arbeitszeit zu erfüllen. Er habe sie angewiesen, sich auf telefonischen Abruf bereit zu halten, um erforderlichenfalls zum Arbeitsplatz zurückzukehren. Nach erneuter Anhörung des Betriebsrats (Bl. 44 d.A.) erklärte die Beklagte am 28.07.2012 eine zweite fristlose Kündigung, hilfsweise fristgerecht zum 30.09.2012.

Gegen beide Kündigungen wehrt sich der Kläger mit seiner am 25.07.2012 beim Arbeitsgericht eingegangenen und am 03.08.2012 erweiterten Klage. Den erstinstanzlich gestellten Weiterbeschäftigungsantrag, dem das Arbeitsgericht stattgegeben hatte, hat er mit Einwilligung der Beklagten in der Berufungsverhandlung zurückgenommen. Die weiteren fristlosen, hilfsweise fristgerechten Kündigungen der Beklagten vom 15.01.2013 (wg. Zutrittsverbots auf dem Betriebsgelände durch die US-Regierung) und vom 20.02.2013 (wg. Entzugs der „Security Clearance“) sind Streitgegenstand eines Folgeprozesses vor dem Arbeitsgericht Kaiserslautern (Az. 4 Ca 42/13).

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes, des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der erstinstanzlich gestellten Sachanträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 27.11.2012 (dort Seite 2 bis 7) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage gegen die Kündigungen vom 21.07.2012 und 28.07.2012 stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, beide Kündigungen seien iSd. § 626 Abs. 1 BGB rechtsunwirksam. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hätte der Ausspruch einer Abmahnung genügt. Es sei zu erwarten gewesen, dass sich der Kläger nach einer ausdrücklichen Klarstellung zur Handhabung der Arbeits- und Bereitschaftszeiten und nach Ausspruch einer Abmahnung in Zukunft vertragsgemäß verhalten hätte. Auch die hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigungen seien mangels vorheriger Abmahnung sozial ungerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 KSchG. Wegen der Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 7 bis 9 des erstinstanzlichen Urteils vom 27.11.2012 Bezug genommen.

Das Urteil ist der Beklagten am 21.12.2012 zugestellt worden. Sie hat mit am 03.01.2013 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 21.03.2013 verlängerten Begründungsfrist mit am 21.03.2013 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Die Beklagte macht geltend, das Arbeitsgericht habe der Kündigungsschutzklage zu Unrecht stattgegeben. Der Kläger habe den ihm unterstellten Technikern in einem Meeting im Juni 2012 angekündigt, sie in Zukunft häufiger vor Ende der Schicht zu entlassen. Er habe sie dahin instruiert, dass sie in einem solchen Fall erreichbar sein und sofort zum Arbeitsplatz zurückkehren müssten, wenn er sie anriefe. Wenn ihre Abwesenheit auffiele, sollten die Arbeitnehmer angeben, auf einem anderen Betriebsgelände (sog. „site“) tätig gewesen zu sein. Auf Nachfrage des Technikers M. habe der Kläger erklärt, dass auch an den Tagen, an denen sie infolge vorzeitiger Entlassung weniger arbeiteten, gleichwohl 8 Stunden als Arbeitszeit zu erfassen seien. Dem Kläger sei bekannt gewesen, dass er hierzu nicht befugt gewesen sei. Bei Übernahme der Funktion als leitender Radartechniker habe ihn sein damaliger Vorgesetzter T. E. darauf hingewiesen, dass er die ihm unterstellten Techniker ausschließlich an Freitagen, und auch dann nur mit seiner Zustimmung, früher entlassen dürfe. In den auf das Meeting folgenden Wochen habe der Kläger die Techniker beinahe täglich vor Ende der Arbeitsschicht entlassen. Kein Techniker sei jemals zurückgerufen worden. Das System sei erst im Juli 2012 aufgefallen, nachdem der Kläger am 05.07.2012 zwei Arbeitnehmer nach einem Stromausfall früher entlassen habe. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 21.03.2013 und vom 17.05.2013 Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich,

das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 27.11.2012, Az.: 4 Ca 428/12, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung vom 29.04.2013, auf die Bezug genommen wird, als zutreffend. Die Beklagte räume selbst ein, dass R. W., in der Zeit, als er die Leitungsfunktion ausgeübt habe, die ihm unterstellten Radartechniker, insbesondere an Freitagen, wenn keine Einsätze mehr mangels Durchführung von Übungsflügen zu erwarten gewesen seien, vor dem offiziellen Feierabend nach Hause geschickt habe. Nachdem er ab dem 01.06.2012 die Leitungsaufgabe wieder übernommen habe, sei ihm von den ihm unterstellten Radartechnikern - zu denen R. W. gehörte - ein Standby-Modell vorgeschlagen worden. Nach diesem Modell sei es so gewesen, dass die Techniker, wenn laut - täglich vorgelegtem - Flugplan der US-Air Force keine Flugübungen mehr stattgefunden hätten und auch keine sonstigen Wartungs- und Reparaturarbeiten zu erledigen gewesen seien, ca. 1 bis 2 Stunden vor dem offiziellen Arbeitsende die Kaserne verlassen konnten. Die Techniker hätten sich jedoch in Bereitschaft befunden, um beim Auftreten einer Störung auf telefonischen Abruf zu erscheinen. Es sei keinesfalls so gewesen, dass er den Mitarbeitern gestattet hätte, bereits Feierabend zu machen. Sie hätten sich in jedem Fall bis zum offiziellen Arbeitsende in Bereitschaft halten müssen, um im Störfall einsatzfähig zu sein.

Die Techniker hätten in dem Meeting darauf hingewiesen, dass sie bereits in den Wochen und Monaten zuvor - unter der Leitung von R. W. - ebenfalls an bestimmten Tagen vor dem Arbeitszeitende nach Hause hätten gehen dürfen, sich aber noch in Bereitschaft hätten halten müssen. Entgegen der Behauptung der Beklagten habe er das Modell nicht entwickelt und seinen Mitarbeitern vorgeschlagen. Es sei auch falsch, dass er die Mitarbeiter angewiesen habe, auf dem Arbeitszeitnachweis 8 Stunden einzutragen, wenn sie das Gelände bereits vorzeitig verlassen konnten. Die Mitarbeiter hätten dies - wie in den Monaten zuvor - so gehandhabt, weil sie sich ja bis zum offiziellen Arbeitsende in Bereitschaft befunden hätten.

Die Beklagte räume zumindest jetzt ein, dass eine solche Handhabung unter der Leitung von R. W. seit Januar 2012 ebenfalls bereits existiert habe. Die Abweichungen beliefen sich teilweise auf mehrere Stunden. Die sog. Activity Checklist dokumentiere lediglich, wenn ein Gebäude abgeschlossen werde; die Checklist sage jedoch nichts darüber aus, wann ein Mitarbeiter die H.-Kaserne verlassen haben, geschweige denn, ob er noch zu einem Einsatz nach O. oder B. gefahren sei.

Entgegen der Behauptung der Beklagten habe er die Einführung und auch die Durchführung dieses Standby-Modells zuvor mit dem damaligen Betriebsleiter T. E. besprochen. T. E. habe diesem Modell ausdrücklich zugestimmt.

Er habe auch für den 05.07.2012 gegenüber der Beklagten keine falschen Angaben zu den Zeiten gemacht, an denen er die beiden Radartechniker wegen des Gewitters nach Hause geschickt habe. Wegen des Stromausfalls infolge des Gewitters habe der Konverter nicht in Betrieb genommen, so dass die Radaranlage nicht habe weiter betrieben werden können. Nur deshalb habe er die beiden Techniker vor dem offiziellen Arbeitsende nach Hause geschickt.

Die Behauptung der Beklagten, er habe ihr einen finanziellen Schaden zugefügt, sei nicht nachvollziehbar. Es mache keinen Unterschied, ob sich der Techniker auf dem Kasernengelände oder zu Hause bereithalte, um eine evtl. auftretende Störung zu beseitigen. Die Radartechniker erhielten ohnehin ein festes Gehalt.

Das Arbeitsgericht habe zutreffend erkannt, dass der Ausspruch einer Abmahnung genügt hätte. Darüber hinaus sei auch der Vorrang der Änderungskündigung zu berücksichtigen. Als milderes Mittel hätte man ihm auch die Leitungsposition entziehen und ihn als Radartechniker weiterbeschäftigen können.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.  Die nach § 64 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und in ausreichender Weise begründet worden. Sie ist somit zulässig.

II.  Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 21.07.2012 mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden. Das Urteil des Arbeitsgerichts ist deshalb abzuändern und die Klage abzuweisen.

1. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts liegt ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB für die außerordentliche Kündigung vom 21.07.2012 vor. Der Beklagten war die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 30.09.2012 nicht zuzumuten.

a) In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, „an sich“ geeignet ist, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Dies gilt für einen vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch. Der Arbeitgeber muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit vertrauen können. Überträgt er den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und füllt ein Arbeitnehmer die dafür zur Verfügung gestellten Formulare wissentlich und vorsätzlich falsch aus, so stellt dies in aller Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch dar (BAG 09.06.2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 14 mwN, NZA 2011, 1027; LAG Rheinland-Pfalz 15.11.2012 - 10 Sa 270/12 - Rn. 22, Juris). Nicht anders zu bewerten ist es, wenn ein Vorgesetzter, der arbeitsvertraglich verpflichtet ist, die geleistete Arbeitszeit der ihm unterstellten Mitarbeiter zu kontrollieren und auf deren Zeiterfassungskarten („Time Cards“) mit seiner Unterschrift zu bestätigen, dass die Selbstaufzeichnungen zutreffen, vorsätzlich falsche Angaben macht. Der Arbeitnehmer verletzt damit in erheblicher Weise seine ihm gegenüber dem Arbeitgeber bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB).

b) Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass der Kläger am 05.07.2012, die ihm unterstellten Radartechniker D. J. und G. S., deren Schicht von 13:00 bis 21:00 Uhr dauerte, mindestens 2 Stunden vor ihrem Arbeitsende nach Hause entlassen hat. Ob er sie bereits um 18:15 Uhr - und damit 2,75 Stunden früher - entlassen hat, wofür die Eintragung im Sicherheitsprotokoll („Activity Security Checklist“) vom 05.07.2012 spricht, kann dahinstehen. Entscheidend ist, dass der Kläger als Vorgesetzter der beiden Techniker auf deren Zeiterfassungskarten („Time Cards“) mit seiner Unterschrift einen vollen Arbeitstag von 8 Stunden bestätigt hat, obwohl die Arbeitnehmer mindestens 2 Stunden weniger gearbeitet haben. Die Bestätigung ist vorsätzlich fehlerhaft, denn der Kläger wusste, dass er den zwei Technikern gestattet hatte, den Arbeitsplatz früher zu verlassen.

c) Die Gründe, die der Kläger zu seiner Rechtfertigung vorbringt, sind nicht geeignet, sein Verhalten - nämlich die Falschangabe der geleisteten Arbeitszeit der ihm unterstellten Mitarbeiter - zu entschuldigen.

Dabei kann dahinstehen, wie lange der Stromausfall andauerte, der durch das Gewitter am 05.07.2012 verursacht worden ist. Der Kläger war nicht befugt, die ihm unterstellten Techniker mindestens 2 Stunden vor Schichtende nach Hause zu schicken und ihnen gleichwohl eine Arbeitszeit von 8 Stunden zu bescheinigen. Selbst wenn er sich wegen des Stromausfalls für berechtigt gehalten haben sollte, die Techniker ohne Rücksprache mit seinem Vorgesetzten T. E. zu entlassen, weil nach seiner Einschätzung der Konverter bis zum Schichtende um 21:00 Uhr zur Vermeidung von Schäden an den Radaranlagen nicht mehr hätte eingeschaltet werden dürfen, hätte er jedenfalls auf den Zeiterfassungskarten dokumentieren müssen, dass die zwei Techniker vorzeitig gegangen sind. Er war nicht befugt, einen 8-stündigen Arbeitstag auf den „Time Cards“ zu bestätigen, obwohl dies nicht der Wahrheit entsprach.

Ob die zwei Radartechniker Vergütung für die Zeit beanspruchen konnten, in der sie sich nicht mehr auf dem Militärgelände aufhielten, hatte nicht der Kläger zu entscheiden. Er hatte als Vorgesetzter die tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten wahrheitsgemäß zu dokumentieren. Es entlastet den Kläger nicht, dass die Techniker für die wegen des Stromausfalls nicht geleistete Arbeit uU. Vergütung nach den Grundsätzen des Annahmeverzugs beanspruchen können, weil die Beklagte das Betriebsrisiko iSv. § 615 Satz 3 BGB zu tragen hat. Der Kläger hat durch die falsche Dokumentation der Arbeitsstunden verhindert, dass die Beklagte in Kenntnis der tatsächlichen Umstände die Anspruchsvoraussetzungen prüft.

Soweit sich der Kläger darauf beruft, dass der jetzige neue Betriebsleiter („Deputy Program Manager“) R. W. vor dem 01.06.2012 wie er verfahren sei, vermag ihn dies nicht zu entlasten. Die Beklagte hat entgegnet, dass diese Behauptung nicht zutreffend sei. Sie hat im Einzelnen vorgetragen, dass R. W. ausschließlich an Freitagen - und dann nur nach vorheriger Rücksprache und mit Zustimmung des Vorgesetzten T. E. - Techniker hin und wieder früher entlassen habe. In den Monaten vor der Wiedereinsetzung des Klägers in seine Funktion als leitender Radartechniker (ab 01.06.2012) hätten die Techniker das Betriebsgelände von montags bis donnerstags niemals vor Schichtende verlassen. Dies sei durch die Zeitangaben in den Sicherheitsprotokollen („Activity Security Checklists“) von Januar bis Mai 2012 (Bl. 185-189 d.A.) dokumentiert. Dabei habe die Spätschicht von Januar bis Mai 2012 montags bis donnerstags nicht nur bis 21:00 Uhr, sondern bis 23:00 Uhr gedauert. Diesen substantiierten Ausführungen der Beklagten ist der Kläger nicht entgegengetreten.

Die Ansicht des Klägers, die Beklagte habe eingeräumt, dass R. W. seit Januar 2012 die Mitarbeiter - teilweise mehrere Stunden - vor ihrem Arbeitszeitende nach Hause geschickt habe, ist nicht nachvollziehbar. Die Beklagte hat das Gegenteil vorgetragen. Sie hat ausgeführt, dass die Abweichungen zwischen Schichtende laut Sicherheitsprotokollen („Activity Security Checklists“) und tatsächlichem Arbeitsende teilweise mehrere Stunden betragen hätten, während der Kläger leitender Radartechniker gewesen sei.

Anders als vom Kläger behauptet, macht es einen Unterschied, ob sich der Radartechniker während seiner Arbeitszeit auf dem Kasernengelände oder zu Hause aufhält. Das Performance Work Statement (PWS) zu dem Polygone-Vertrag zwischen der Beklagten und der US-Regierung vom 30.09.2010 sieht vor, dass sich die Arbeitnehmer der Beklagten auf dem Betriebsgelände aufzuhalten haben. Nach Ziff. 2.8.4 PWS ist die Beklagte dazu verpflichtet, auch dann, wenn keine militärischen Übungen planmäßig angesetzt sind, erreichbar zu sein, um ggf. stattfindende Einsätze zu unterstützen. Ausweislich Ziffer 3.3.1. PWS muss die Beklagte ferner gewährleisten, dass ihre Techniker erreichbar sind, um innerhalb von 30 Minuten nach der Meldung auf einen technischen Ausfall reagieren zu können. In Ziffer 3.3.2. ist geregelt, dass die Beklagte planmäßige Wartungen außerhalb der Zeiten, zu denen die Anlagen für Flugübungen betriebsbereit sein müssen, durchzuführen hat. Der Kläger hat nicht in Abrede gestellt, dass ihm das PWS bekannt war. Es ist dem Kläger daher vorwerfbar, dass er die ihm unterstellten Techniker vor ihrem Arbeitsende nach Hause entlassen hat. Es war für ihn ohne weiteres erkennbar, dass es nicht im Interesse der Beklagten liegen kann, wenn der leitende Radartechniker ihre vertraglichen Verpflichtungen gegenüber der US-Air Force missachtet und damit den Vertrag gefährdet.

d) Die stets vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Klägers aus. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts war eine Abmahnung im Streitfall entbehrlich.

aa) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 16.12.2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24, NZA 2011, 571). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 10.06.2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 37 mwN, NZA 2010, 1227). Dies gilt grundsätzlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich.

bb) Eine Abmahnung war nach den Umständen des vorliegenden Falls entbehrlich. Die Vertragsverletzung war für den Kläger erkennbar. Eine Abmahnung war auch nicht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit erforderlich. Das Verhalten des Klägers hat das Vertrauen der Beklagten in eine künftig ordnungsgemäße Vertragserfüllung nachhaltig beeinträchtigt.

Eine Hinnahme des Fehlverhaltens durch die Beklagte war - auch für den Kläger erkennbar - offensichtlich ausgeschlossen. Der Kläger musste wissen, dass es die Beklagte nicht duldet, wenn er Zeiterfassungskarten („Time Cards“) in seiner Eigenschaft als Vorgesetzter gegenzeichnet, die falsche Arbeitszeitangaben enthalten. Eine Abmahnung als milderes Mittel um Vertragsstörungen zukünftig zu beseitigen, scheidet damit vorliegend aus.

cc) Entgegen der Ansicht des Klägers war die Beklagte nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Vorrang der Änderungskündigung) nicht verpflichtet, ihm die Leitungsposition zu entziehen und ihn als „einfachen“ Radartechniker weiter zu beschäftigen. Zwar muss der Arbeitgeber auch vor einer außerordentlichen Kündigung, die auf personen- oder verhaltensbedingte Gründe gestützt werden soll, dem Arbeitnehmer von sich aus einen anderen ihm zumutbaren freien Arbeitsplatz anbieten (BAG 27.09.1984 - 2 AZR 62/83 - unter B II 3 a der Gründe, NZA 1985, 455). Es kann dahinstehen, ob überhaupt ein Arbeitsplatz für einen Radartechniker frei war, denn die Weiterbeschäftigung des Klägers war der Beklagten angesichts der schweren Pflichtverletzung nicht zumutbar.

dd) Auch im Übrigen war es der Beklagten bei Abwägung der beiderseitigen Interessen angesichts der Schwere der Pflichtverletzung und des durch sie bewirkten Vertrauensverlusts nicht zuzumuten, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 30.09.2012 fortzusetzen.

Das betriebliche Interesse der Beklagten wiegt schwer. Die Beklagte hat dem Kläger vertraut und ihm Kontrollbefugnisse bei der Dokumentation der Arbeitszeit der ihm unterstellten Mitarbeiter übertragen. Durch die Falschangaben des Klägers wurde sie veranlasst, den ihm unterstellten Arbeitnehmern Vergütung für Zeiten zu zahlen, an denen sie nicht an ihrem Arbeitsplatz waren. Angesichts der Stellung des Klägers als leitender Radartechniker ist eine Wiederherstellung des Vertrauens ausgeschlossen. Die Beklagte ist darauf angewiesen, dass der Kläger als Vorgesetzter der ihm unterstellten Radartechniker deren Arbeitszeit korrekt auf den Zeiterfassungskarten bestätigt.

Die Belange der Beklagten werden durch die Dauer der Betriebszugehörigkeit von rund 5,5 Jahren und das Alter des Klägers von knapp 50 Jahren (im Kündigungszeitpunkt) nicht aufgewogen.

2. Die Beklagte hat die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Der kündigungsberechtigte Geschäftsführer der Beklagten hat unstreitig erst am 16.07.2012 Kenntnis von den Kündigungsgründen erlangt, die zum Ausspruch der ersten Kündigung vom 21.07.2012 geführt haben. Die fristlose Kündigung ist dem Kläger am 23.07.2012 - und damit rechtzeitig - zugegangen.

3. Die Kündigung ist nicht wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Nachdem der Kläger die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats in der Klageschrift pauschal mit Nichtwissen bestritten hatte, hat die Beklagte hierzu im Einzelnen unter Bezugnahme auf die schriftliche Anhörung vom 17.07.2012 vorgetragen. Der Kläger hätte nach § 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO im Einzelnen bezeichnen müssen, in welchen Punkten er die tatsächlichen Erklärungen des Arbeitgebers über die Betriebsratsanhörung für falsch oder die dem Betriebsrat mitgeteilten Tatsachen für unvollständig hält (vgl. BAG 27.09.2012 - 2 AZR 955/11 - Rn. 51 mwN, NZA 2013, 425). Hieran fehlt es, so dass der Vortrag der Beklagten gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gilt. Ein materieller Rechtsfehler ist angesichts der Schlüssigkeit des Vorbringens der Beklagten nicht zu erkennen (zum Erfordernis einer solchen Schlüssigkeitsprüfung vgl. BAG 24.05.2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 48 ff., NZA 2013, 137).

III.  Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz zu tragen, weil er in vollem Umfang unterlegen ist.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.



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