Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 4 Sa 512/15

Kein Streik auf dem Betriebsgelände

1. Das Hausrecht des Arbeitgebers ist im Arbeitskampf nicht durch das Streikrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG eingeschränkt. Der Arbeitgeber ist daher nicht verpflichtet, Streikmaßnahmen auf seinem Betriebsgelände zu dulden.
(Leitsatz des Gerichts)

(2.) Vorliegend kann dahinstehen, ob auch ein privater Hausrechtsinhaber wie die Beklagte im Einzelfall gehalten sein kann, sein Hausrecht "grundrechtsfreundlich" auszuüben (vgl. hierzu BAG v. 25.01.2005 - 1 AZR 657/03 - AP Nr. 123 zu Art. 9 GG). Die Beklagte ist nämlich zur Durchführung der Streikmaßnahmen (Mobilisierung von Arbeitnehmern zur Streikteilnahme) nicht auf die Nutzung des Betriebsgrundstücks der Klägerin angewiesen.
(Redaktioneller Orientierungssatz)

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 23.9.2015 - 11 Ca 1346/15 - wie folgt abgeändert:

Der Beklagten wird es untersagt, Streikmaßnahmen auf dem Betriebsgelände der Klägerin, dessen Grenzen anhand des Mietvertrages vom 13. Dezember 2011 nebst Anlage 1.1.1 ersichtlich sind, in der A-Straße, A-Stadt durchzuführen.

II. Der Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen diese Unterlassungspflicht ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 250.000,- €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollziehen an dem Vorsitzenden ihres Bundesvorstandes, angedroht.

III. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Berechtigung der Beklagten, auf dem Betriebsgelände der Klägerin Streikmaßnahmen durchzuführen.

Die nicht tarifgebundene Klägerin ist ein zur A.-Gruppe gehörendes Unternehmen mit Sitz in A-Stadt. Ihr Betriebsgelände befindet sich auf einer dort gelegenen, angemieteten Fläche von rund 185.000 m², deren Lage und Grenzen in einem Mietvertrag vom 13.12.2011 (Bl. 24 - 27 d.A.) und in einem Lageplan (Anlage 1.1.1 zum Mietvertrag, Bl. 30 d.A.) dargestellt sind. Nach Behauptung der beklagten Gewerkschaft - gestützt auf einen Grundbuchauszug (Bl. 279 - 284 d.A.) - stehen die betreffenden Grundstücke im Eigentum eines aus mehreren Gebietskörperschaften bestehenden Zweckverbandes.

Auf dem von der Klägerin angemieteten Betriebsgelände befinden sich sowohl Gebäude, in denen die Klägerin ihrem Unternehmensgegenstand, dem Versand von über das Internet bestellbaren Artikeln nachgeht, als auch größere Parkplatzflächen. Der Zugang zu den Gebäuden erfolgt zentral über einen Haupteingang, den sogenannten " B.-Tower". Die weitaus meisten der bei der Klägerin beschäftigten Arbeitnehmer nutzen für die Anfahrt zum Betriebsgelände ihre privaten Kraftfahrzeuge. Dabei fährt die Mehrzahl der Arbeitnehmer über eine parallel zum Betriebsgelände verlaufende Straße. Unmittelbar an diese Straße angrenzend befindet sich unweit der Einfahrt zum Betriebsgelände der Klägerin eine Bushaltestelle, die derzeit vom öffentlichen Personennahverkehr nicht bedient wird. In der Mitte der von der Straße aus gut sichtbaren Bushaltestelle befindet sich eine nicht genutzte Grünfläche.

An der Einfahrt zum Betriebsgelände der Klägerin befinden sich Schilder mit der Aufschrift: "Privatgrundstück - Unbefugten ist das Betreten und Befahren verboten!".

Zur Beschreibung der örtlichen Gegebenheiten im Einzelnen wird auf den das Betriebsgrundstück der Klägerin betreffenden Lageplan (Bl. 30 d.A.) sowie auf die Lichtbildaufnahmen der Bushaltestelle (Bl. 309 f. d.A.) verwiesen.

Seit April 2013 werden von der beklagten Gewerkschaft eine Vielzahl von in Deutschland ansässigen A.-Gesellschaften zur Erzwingung von Verhandlungen über Anerkennungstarifverträge bestreikt. Erstmals für den 16. und 17.12.2014 rief die Beklagte die Beschäftigten der Klägerin zum Streik auf. Am frühen Vormittag des 16.12.2014 postierten sich ein Streikleiter sowie insgesamt ca. 65 Streikende auf dem Betriebsgelände vor dem sog. " B.-Tower" und versuchten, (weitere) Mitarbeiter der Klägerin für den Streik zu gewinnen. Mit Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz vom 16.12.2014 (Az. 11 Ga 84/14) wurde der Beklagten im Wege einer einstweiligen Verfügung untersagt, am 16. und 17. Dezember 2014 Streikmaßnahmen auf dem Betriebsgelände der Klägerin durchzuführen. Für den 30.03. und 31.03.2015 rief die Beklagte erneut dazu auf, die Klägerin zu bestreiken. Am frühen Morgen des 30.03.2015 formierten sich wiederum auf dem Betriebsgelände der Klägerin vor dem " B.-Tower" Streikende und riefen die zur Arbeit eintreffenden Mitarbeiter zur Teilnahme am Streik auf. Die Klägerin erwirkte daraufhin eine erneute einstweilige Verfügung gegen die Beklagte, mit welcher dieser untersagt wurde, am 30. und 31.03.2015 Streikmaßnahmen auf dem Betriebsgelände durchzuführen (Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz vom 30.03.2015 - 7 Ga 18/15 -).

Die Klägerin hat erstinstanzlich im Wesentlichen geltend gemacht, die Beklagte sei nicht berechtigt, das Betriebsgelände zum Zwecke der Durchführung von Streikmaßnahmen zu betreten. Sie - die Klägerin - könne nicht dazu angehalten sein, der Beklagten ihr eigenes Betriebsgelände für Zwecke des Arbeitskampfes zur Verfügung zu stellen. Eine diesbezügliche Verpflichtung folge insbesondere nicht aus Art. 9 Abs. 3 GG, da sie kein Hoheitsträger sei und als juristische Person des Privatrechts keiner Grundrechtsbindung unterliege. Dies insbesondere deshalb, weil es sich bei ihrem Betriebsgelände nicht um eine der Öffentlichkeit zugängliche Fläche handele. Ein Grundrecht, welches die Beklagte berechtige, Streikmaßnahmen auf dem Betriebsgelände des Arbeitgebers durchzuführen, existiere nicht. Sie - die Klägerin - sei aus Art. 13 und Art. 14 GG berechtigt, die Beklagte von der Nutzung des Betriebsgeländes auszuschließen. Sie sei auch durch die Durchführung von Streikmaßnahmen bereits beeinträchtigt. So sei es in der Vergangenheit bei anderen Unternehmen der A.-Gruppe infolge von Streikmaßnahmen zu erheblichen Beeinträchtigungen von Betriebsabläufen gekommen, unter anderem durch die Blockade von Zufahrtswegen. Auch habe es Übergriffe auf nicht am Streik beteiligte Mitarbeiter gegeben. Auf dem Betriebsgelände anderer Unternehmen der A.-Gruppe seien durch Mitglieder der Beklagten unbefugt Graffiti-Zeichnungen angebracht worden. Die Beklagte sei bei ihren Streikmaßnahmen auch nicht auf die Nutzung des Betriebsgeländes angewiesen, sondern könne diese durchaus auch außerhalb des Betriebsgeländes, etwa an der Zufahrtstraße und der dort gelegenen Bushaltestelle, durchführen. Die Nutzung des Betriebsgrundstücks für Streikmaßnahmen sei daher auch unverhältnismäßig.

Die Klägerin hat beantragt,

1. es der Beklagten - unbeschadet des Rechts der Klägerin, die Rechtswidrigkeit einer Streikmaßnahme der Beklagten aus sonstigen Gründen geltend zu machen - zu untersagen, Streikmaßnahmen auf ihrem Betriebsgelände, dessen Grenzen anhand des Mietvertrages vom 13.11.2011 nebst Anlage 1.1.1 ersichtlich sind (Anlage K 3), in der A-Straße, A-Stadt durchzuführen;

hilfsweise,

es der Beklagten - unbeschadet des Rechts der Klägerin, die Rechtswidrigkeit einer Streikmaßnahme der Beklagten aus sonstigen Gründen geltend zu machen - zu untersagen, Arbeitnehmer der Klägerin zu Streikmaßnahmen zwecks Durchsetzung eines Anerkennungstarifvertrages (Anlage K 18) aufzurufen, sofern die Arbeitnehmer dazu aufgerufen sind, sich während der Arbeitsniederlegungen auf dem Betriebsgelände der Klägerin (A-Straße, A-Stadt), dessen Grenzen anhand des Mietvertrages vom 13. Dezember 2011 nebst Anlage 1.1.1 ersichtlich sind (Anlage K 3), aufzuhalten.

2. der Beklagten für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehende Unterlassungspflicht ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 250.000,00 EUR (in Worten: zweihundertfünfzigtausend Euro), ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollziehen an dem Vorsitzenden ihres Bundesvorstandes, anzudrohen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich im Wesentlichen geltend gemacht, die Klägerin habe keine Gründe dargetan, die ein grundsätzliches Verbot jeglicher Streikmaßnahmen auf ihrem Betriebsgelände rechtfertigen könnten. Eine Durchführung von Streikmaßnahmen auf der Zufahrtsstraße zum Betriebsgelände komme nicht in Betracht, da dies zu einer Verkehrsgefährdung führen würde. Sie - die Beklagte - sei darauf angewiesen, die Mitarbeiter der Klägerin direkt und persönlich anzusprechen; nur so könne sie die Arbeitnehmer der Klägerin vom Ziel des Streiks überzeugen. Das Hausrecht der Klägerin müsse daher hinter dem Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG zurückstehen.

Zur Darstellung aller weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 23.09.2015 (Bl. 312 - 317 d.A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 23.09.2015 abgewiesen. Hinsichtlich der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 7 - 15 dieses Urteils (= Bl. 317 - 325 d.A.) verwiesen.

Gegen das ihr am 26.10.2015 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 18.11.2015 Berufung eingelegt und diese am 22.12.2015 begründet.

Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, das erstinstanzliche Urteil sei aus mehreren Gründen fehlerhaft. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts handele es sich bei den Klageanträgen nicht um unbegründete Globalanträge. Das Arbeitsgericht habe auch die Grundsätze praktischer Konkordanz verkannt, indem es dem Grundrecht der Beklagten aus Art. 9 Abs. 3 GG ein übermäßiges Gewicht beigemessen und demgegenüber die Grundrechte des Arbeitgebers aus Art. 13 und Art. 14 GG gering gewichtet habe. Auch habe sich das Arbeitsgericht bei seiner Entscheidung nicht ausreichend mit der von ihr - der Klägerin - dargestellten Rechtsprechung des BAG und der Instanzgerichte auseinandergesetzt. Würde die Beklagte ihre Streikmaßnahmen an der Auffahrt zum Betriebsgelände durchführen, so wäre den Grundrechten beider Parteien optimal zur Wirkung verholfen. Auf diese Weise könnte die Beklagte ihre Streikmaßnahmen nahe am Betriebsgrundstück durchführen, ohne dabei jedoch zugleich die arbeitgeberseitigen Grundrechte zu tangieren. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass sich an der Zufahrtsstraße zum PKW-Parkplatz (unstreitig) eine Bushaltestelle-Ausbuchtung befinde, die derzeit von keinem Bus angefahren werde. Diese könne die Beklagte für ihre Arbeitskampfmaßnahmen problemlos nutzen.

Die Klägerin stellt folgende Anträge:

1) Das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 23. September 2015 (Az. 11 Ca 1346/15) wird abgeändert.

2) Der Beklagten wird es - unbeschadet des Rechts der Klägerin, die Rechtswidrigkeit einer Streikmaßnahme der Beklagten aus sonstigen Gründen geltend zu machen - untersagt, Streikmaßnahmen auf dem Betriebsgelände der Klägerin, dessen Grenzen anhand des Mietvertrages vom 13. Dezember 2011 nebst Anlage 1.1.1 ersichtlich sind (Anlage K 3), in der A-Straße, A-Stadt durchzuführen.

3) Hilfsweise zu Ziff. 2.: Der Beklagten wird es- unbeschadet des Rechts der Klägerin, die Rechtswidrigkeit einer Streikmaßnahme der Beklagten aus sonstigen Gründen geltend zu machen - untersagt, Streikmaßnahmen auf dem Betriebsgelände der Klägerin, dessen Grenzen anhand des Mietvertrages vom 13. Dezember 2011 nebst Anlage 1.1.1 ersichtlich sind (Anlage K 3), in der A-Straße, A-Stadt zwecks Durchsetzung eines Anerkennungstarifvertrages mit dem als Anlage K18 bezeichneten Inhalt durchzuführen.

4) Weiter hilfsweise zu Ziff. 2.: Der Beklagten wird es - unbeschadet des Rechts der Klägerin, die Rechtswidrigkeit einer Streikmaßnahme der Beklagten aus sonstigen Gründen geltend zu machen - während der Dauer der Tarifauseinandersetzung hinsichtlich eines Anerkennungstarifvertrages mit dem als Anlage K 18 bezeichneten Inhalt untersagt, Streikmaßnahmen auf dem Betriebsgelände der Klägerin, dessen Grenzen anhand des Mietvertrages vom 13. Dezember 2011 nebst Anlage 1.1.1 ersichtlich sind (Anlage K 3), in der A-Straße, A-Stadt zwecks Durchsetzung eines Anerkennungstarifvertrages mit dem als Anlage K 18 bezeichneten Inhalt durchzuführen.

5) Weiter hilfsweise zu Ziff. 2.: Der Beklagten wird es - unbeschadet des Rechts der Klägerin, die Rechtswidrigkeit einer konkreten Streikmaßnahme aus sonstigen Gründen geltend zu machen - untersagt, Streikmaßnahmen auf dem Betriebsgelände der Klägerin, dessen Grenzen anhand des Mietvertrages vom 13. Dezember 2011 nebst Anlage 1.1.1 ersichtlich sind (Anlage K3), in der A-Straße, A-Stadt zwecks Durchsetzung eines Anerkennungstarifvertrages mit dem als Anlage K18 bezeichneten Inhalt durchzuführen, soweit diese in einem Radius von 200 Metern oder weniger vor dem Haupteingang (sog. B.-Tower)stattfinden.

6) Weiter hilfsweise zu Ziff. 2.: Der Beklagten wird es - unbeschadet des Rechts der Klägerin, die Rechtswidrigkeit einer Streikmaßnahme der Beklagten aus sonstigen Gründen geltend zu machen - während der Dauer der Tarifauseinandersetzung hinsichtlich eines Anerkennungstarifvertrages mit dem als Anlage K 18 bezeichneten Inhalt untersagt, Streikmaßnahmen auf dem Betriebsgelände der Klägerin, dessen Grenzen anhand des Mietvertrages vom 13. Dezember 2011 nebst Anlage 1.1.1 ersichtlich sind (Anlage K 3), in der A-Straße, K. zwecks Durchsetzung eines Anerkennungstarifvertrages mit dem als Anlage K 18 bezeichneten Inhalt durchzuführen, soweit diese in einem Radius von 200 Metern oder weniger vor dem Haupteingang (sog. B.-Tower) stattfinden.

7) Weiter hilfsweise zu Ziff. 2.: Der Beklagten wird es - unbeschadet des Rechts der Klägerin, die Rechtswidrigkeit einer konkreten Streikmaßnahme aus sonstigen Gründen geltend zu machen - untersagt, Streikmaßnahmen auf dem Betriebsgelände der Klägerin, dessen Grenzen anhand des Mietvertrages vom 13. Dezember 2011 nebst Anlage 1.1.1 ersichtlich sind (Anlage K3), in der A-Straße, A-Stadt zwecks Durchsetzung eines Anerkennungstarifvertrages mit dem als Anlage K 18 bezeichneten Inhalt durchzuführen, solange die östlich der Parkflächen gelegene öffentliche Bushaltestelle, die durch eine gesonderte Einfahrt von der Straße "Am Autobahnkreuz" erreichbar ist, nicht durch den öffentlichen Personennahverkehr bedient wird.

8) Weiter hilfsweise zu Ziff. 2.: Der Beklagten wird es - unbeschadet des Rechts der Klägerin, die Rechtswidrigkeit einer Streikmaßnahme der Beklagten aus sonstigen Gründen geltend zu machen - während der Dauer der Tarifauseinandersetzung hinsichtlich eines Anerkennungstarifvertrages mit dem als Anlage K 18 bezeichneten Inhalt untersagt, Streikmaßnahmen auf dem Betriebsgelände der Klägerin, dessen Grenzen anhand des Mietvertrages vom 13. Dezember 2011 nebst Anlage 1.1.1 ersichtlich sind (Anlage K 3), in der A-Straße, A-Stadt zwecks Durchsetzung eines Anerkennungstarifvertrages mit dem als Anlage K 18 bezeichneten Inhalt durchzufuhren, solange die östlich der Parkflächen gelegene öffentliche Bushaltestelle, die durch eine gesonderte Einfahrt von der Straße „Am Autobahnkreuz" erreichbar ist, nicht durch den öffentlichen Personennahverkehr bedient wird.

9) Der Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehenden Unterlassungspflichten ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von € 250.000,00 (in Worten: zweihundertfünfzigtausend Euro), ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an dem Vorsitzenden ihres Bundesvorstandes, angedroht.

In der mündlichen Verhandlung vom 31.08.2016 hat die Klägerin erklärt, dass der in den Anträgen enthaltene Einschub "- unbeschadet des Rechts der Klägerin, die Rechtswidrigkeit einer konkreten Streikmaßnahme aus sonstigen Gründen geltend zu machen - " keine eigenständige Bedeutung habe.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderungsschrift vom 10.02.2016 (Bl. 412 - 416 d.A.), auf die Bezug genommen wird.

Zur Darstellung aller Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die in zweiter Instanz zu den Akten gereichten Schriftsätze sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 21.08.2016 (Bl. 461 ff d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässig Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

II.

Die Klage ist im Hauptantrag zulässig und begründet.

1. Der Hauptantrag ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt i.S.v. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Das Berufungsgericht folgt insoweit den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts unter I. der Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils (dort Seite 7 f. = Bl. 317 f. d.A.) und stellt dies gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest.

2. Die Klage ist auch begründet.

Die Klägerin hat gegen die beklagte Gewerkschaft nach § 862 Abs. 1 Satz 2 BGB Anspruch auf Unterlassung von Streikmaßnahmen auf dem gesamten Betriebsgelände, dessen Grenzen anhand des Mietvertrages vom 13.12.2011 (Bl. 24 - 27 d.A.) nebst der Anlage 1.1.1 zu diesem Mietvertrag (Bl. 30 d.A.) ersichtlich sind.

a) Die Klägerin ist Mieterin und Besitzerin des Betriebsgeländes. Diesen Besitz hat die Beklagte wiederholt gestört, indem sie, ohne hierzu berechtigt zu sein, Arbeitskampfmaßnahmen auf dem Gelände durchgeführt hat. Da sich die Klägerin hiergegen bereits mehrfach im Wege der Erwirkung einer einstweiligen Verfügung zur Wehr setzen musste und die Beklagte nach wie vor für sich das Recht in Anspruch nimmt, auf dem Betriebsgelände Streikmaßnahmen durchführen zu dürfen, besteht hinsichtlich der Störung auch zweifellos die nach § 861 Abs. 1 Satz 2 BGB erforderliche Wiederholungsgefahr.

b) Die Beklagte kann nicht nach § 863 BGB mit Erfolg einwenden, die Besitzstörung beruhe nicht auf verbotener Eigenmacht. Die Klägerin ist nämlich nicht nach der vorliegend allein in Betracht kommenden Rechtsgrundlage des Art. 9 Abs. 3 GG verpflichtet, Arbeitskampfmaßnahmen auf ihrem Betriebsgrundstück zu dulden.

Zwar unterfallen die Streikmaßnahmen der Beklagten dem Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG. Dieser ist nicht beschränkt auf solche Tätigkeiten, die für die Erhaltung und Sicherung des Bestandes der Koalition unerlässlich sind. Vielmehr erstreckt er sich auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen und umfasst insbesondere die Tarifautonomie, die im Zentrum der den Koalitionen eingeräumten Möglichkeiten zur Verfolgung ihrer Zwecke steht. Die Wahl der Mittel, mit denen die Koalitionen die Regelung der Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge zu erreichen versuchen und die sie hierzu für geeignet halten, gibt Art. 9 Abs. 3 GG nicht vor, sondern überlässt sie grundsätzlich den Koalitionen selbst. Arbeitskampfmaßnahmen, die auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichtet sind, werden jedenfalls insoweit von der Koalitionsfreiheit erfasst, als sie erforderlich sind, um eine funktionierende Tarifautonomie sicherzustellen (BAG v. 22.09.2009 - 1 AZR 972/08 - AP Nr. 174 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, m.w.N.).

Indem die Beklagte für ihre Arbeitskampfmaßnahmen das Besitzrecht der Klägerin an ihrem Betriebsgelände in Anspruch nimmt, kollidiert ihr Handeln jedoch mit deren Rechtsposition aus Art. 14 GG. Geraten grundrechtliche Gewährleistungen im Einzelfall miteinander in Konflikt, so ist grundsätzlich im Wege einer Güterabwägung nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz ein schonender Ausgleich der gegenläufigen, gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützten Interessen mit dem Ziel ihrer Optimierung herbeizuführen (BAG v. 20.11.2012 - 1 AZR 611/11 - AP Nr. 180 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, m.w.N.).

Die Anwendung dieses Grundsatzes führt vorliegend zu dem Ergebnis, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, die Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen auf ihrem Betriebsgelände zu dulden. Als Besitzerin des Geländes steht ihr diesbezüglich das Hausrecht zu (§§ 858 ff BGB). Dieses ermöglicht es seinem Inhaber, grundsätzlich frei darüber zu entscheiden, wem er den Zutritt zu der Örtlichkeit gestattet und wem er ihn verwehrt. Das schließt das Recht ein, den Zutritt nur zu bestimmten Zwecken zu erlauben. Das auf Besitz beruhende Hausrecht muss der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten gewerkschaftlichen Betätigungsfreiheit nicht weichen (BAG v. 22.09.2009 - 1 AZR 972/08 - AP Nr. 174 zu Art. 9 GG). Hinzu kommt, dass das Betriebsgelände zu den Betriebsmitteln der Klägerin zählt und diese nicht verpflichtet ist, an Arbeitskampfmaßnahmen der Gewerkschaft durch die Bereitstellung von Betriebsmitteln mitzuwirken. Die Mobilisierung von Arbeitnehmern zur Streikteilnahme ist Aufgabe der jeweiligen Koalition und ihrer Mitglieder. Vom Arbeitgeber kann nicht verlangt werden, hierzu eigene Betriebsmitteln zur Verfügung zu stellen (BAG v. 15.10.2013 - 1 ABR 31/12 - AP Nr. 181 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). Dies gilt vorliegend unabhängig davon, ob und inwieweit auch eine nur geringfügige Nutzung des Betriebsgeländes durch die Beklagte lediglich im Eingangsbereich des sog. " B.-Towers" das Interesse der Klägerin, den Mitarbeitern Parkraum zur Verfügung zu stellen und den streikunwilligen Arbeitnehmern den ungehinderten Zugang zum Betrieb zu gewährleisten, überhaupt beeinträchtigt. Entscheidend ist insoweit ausschließlich, dass die Nutzung zur Arbeitskampfzwecken erfolgen soll.

Es kann dahinstehen, ob auch ein privater Hausrechtsinhaber wie die Beklagte im Einzelfall gehalten sein kann, sein Hausrecht "grundrechtsfreundlich" auszuüben (vgl. hierzu BAG v. 25.01.2005 - 1 AZR 657/03 - AP Nr. 123 zu Art. 9 GG). Die Beklagte ist nämlich zur Durchführung der Streikmaßnahmen (Mobilisierung von Arbeitnehmern zur Streikteilnahme) nicht auf die Nutzung des Betriebsgrundstücks der Klägerin angewiesen. Sie hat vielmehr die Möglichkeit, die betreffenden Maßnahmen außerhalb des Betriebsgrundstücks der Klägerin, nämlich an der unweit der Einfahrt auf das Gelände gelegenen, stillgelegten Bushaltestelle durchzuführen, an welcher die Zufahrtsstraße vorbeiführt, die der weitaus größte Teil der Arbeitnehmer der Klägerin zur An- und Abreise mit dem PKW nutzt. Die Bushaltestelle ist, wie sich aus dem Lageplan (Bl. 30 d.A.) und den Lichtbildaufnahmen (Bl. 309 f d.A.) ergibt, im Hinblick auf ihre Lage, Größe und Beschaffenheit gut geeignet, um etwa durch Transparente auf sich aufmerksam zu machen und vorbeifahrende Arbeitnehmer zum Anhalten zu veranlassen, um diese sodann zur Streikteilname zu bewegen. Nichts anderes gilt, falls die Bushaltestelle in Zukunft wieder vom öffentlichen Personennahverkehr bedient wird. Da davon auszugehen ist, dass ein Teil der Arbeitnehmer der Klägerin dann mit dem Bus zur Arbeit anfahren und an der betreffenden Bushaltestelle aussteigen würde, würde dies die Möglichkeiten der Beklagten zur direkten Ansprache der betreffenden Arbeitnehmer sogar verbessern.

c) Der Begründetheit des Hauptantrages steht auch nicht entgegen, dass er als Globalantrag gefasst ist. Es sind nämlich keinerlei Umstände bzw. Konstellationen aufgezeigt oder ersichtlich, bei deren Vorliegen die Klägerin verpflichtet sein könnte, Arbeitskampfmaßnahmen auf ihrem Betriebsgelände zu dulden.

III.

Die Androhung der Ordnungsmittel für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungspflicht folgt aus § 890 Abs. 2 ZPO.

IV.

Nach alledem war der Klage unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Revision wurde nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.



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