Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 2 Sa 5/14

Kündigung per Einschreiben/Rückschein unwirksam, da Abholbenachrichtigung nicht gefunden

(1.) Zugegangen ist ein Einschreiben mit Rückschein erst mit der Aushändigung des Originalschreibens durch die Post. Auch wenn der Empfänger den Zugang des Einschreibens dadurch verzögert, dass er den Einschreibebrief nicht unverzüglich beim Postamt abholt, rechtfertigt dies noch nicht, einen anderen Zugangszeitpunkt, etwa den der frühestmöglichen Abholung des Einschreibebriefs, zu fingieren.
Geht etwa ein per Einschreiben versandtes Kündigungsschreiben an den Absender zurück, so unterliegt es seiner freien Entscheidung, ob er einen neuen Zustellungsversuch bewirken oder überhaupt von seiner Kündigungsabsicht Abstand nehmen will.

(2.) Der Empfänger einer Willenserklärung kann sich nach Treu und Glauben nicht auf den verspäteten Zugang der Willenserklärung berufen, wenn er die Zugangsverzögerung selbst zu vertreten hat. Er muss sich dann so behandeln lassen, als habe der Erklärende die entsprechenden Fristen gewahrt.
Wer aufgrund bestehender oder angebahnter vertraglicher Beziehungen mit dem Zugang rechterheblicher Erklärungen zu rechnen hat, muss geeignete Vorkehrungen treffen, dass ihn derartige Erklärungen auch erreichen. Aber auch bei schweren Sorgfaltsverstößen kann der Adressat nach Treu und Glauben regelmäßig nur dann so behandelt werden, als habe ihn die Willenserklärung erreicht, wenn der Erklärende alles Erforderliche und ihm Zumutbare getan hat, damit seine Erklärung den Adressaten erreichen konnte. Dazu gehört in der Regel, dass er nach Kenntnis von dem nicht erfolgten Zugang unverzüglich einen erneuten Versuch unternimmt, seine Erklärung derart in den Machtbereich des Empfängers zu bringen, dass diesem ohne weiteres eine Kenntnisnahme ihres Inhalts möglich ist.

Hier: Die vom Beklagten als Einschreiben mit Rückschein versandte Kündigung ist dem klagenden Arbeitnehmer nicht zugegangen und damit nicht wirksam geworden.
Vorliegend wurde lediglich ein Zettel mit Abholbenachrichtung in den Briefkasten des Arbeitnehmers eingeworfen während dieser sich im Urlaub befand. Weder seine Frau noch er selbst haben den Zettel daraufhin gefunden. Nachdem das Schreiben von der Post an den Absender zurückversandt worden ist, hat dieser keinen erneuten Zustellungsversuch unternommen.

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Schlussurteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 13.11.2013 - 11 Ca 459/13 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über einen Anspruch des Klägers auf Restlohn für den Monat Dezember 2012 und Urlaubsabgeltung.

Der Kläger wurde vom Beklagten nach dem schriftlichen Arbeitsvertrag der Parteien vom 31. Januar 2012 (Bl. 4 d. A.) ab 01. Februar 2012 als Augenoptiker-meister gegen ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 3.196,-- EUR eingestellt. Ziff. 6 des Arbeitsvertrages der Parteien lautet auszugsweise:

"Dem Arbeitnehmer steht ein Mindesturlaub von 30 Tagen bei Beschäftigung an sechs Tagen pro Woche zu."

Mit Schreiben vom 20. November 2012 (Bl. 5 d. A.) kündigte der Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2012. Im Kündigungsschreiben vom 20. November 2012 heißt es u. a.:

"Bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weist ihr Urlaubs- und Überstundenkonto einen Stand auf. Diesen Urlaubsanspruch erteile ich Ihnen, nach Absprache, während der Kündigungsfrist, wodurch sich Ihr letzter Arbeitstag auf den 31. Dezember 2012 datiert."

Der Kläger legte dem Beklagten ein ärztliches Attest vom 20. November 2012 (Bl. 21 d. A.) vor, nach dem er vom 21. November 2012 bis zum 30. November 2012 dienstunfähig erkrankt ist. Nachdem der Kläger am 23. November 2012 die Geschäftsräume aufsuchte, kam es deswegen am 26. November 2012 zu einer Unterredung mit dem Beklagten; die Einzelheiten und Hintergründe sind zwischen den Parteien streitig.

Am 01. Dezember 2012 (Samstag) stellte der Beklagte den Kläger für diesen Tag von der Erbringung der Arbeitsleistung frei. Vom 03. bis 08. Dezember 2012 (Montag bis Samstag) nahm der Kläger in Absprache mit dem Beklagten Urlaub und war daraufhin bis 09. Dezember 2012 in Österreich. Der Beklagte versandte am 07. Dezember 2012 (Einlieferungsbeleg vom 07.12.12 Bl. 67 d. A.) eine an den Kläger gerichtete außerordentliche Kündigung vom 06. Dezember 2012 (Bl. 19, 20 d. A.) als Einschreiben mit Rückschein. Am 22. Dezember 2012 erhielt der Beklagte dieses Einschreiben mit dem Vermerk "Nicht abgeholt" wieder zurück. Einen erneuten Zustellversuch unternahm der Beklagte nicht.

Mit seiner beim Arbeitsgericht Koblenz erhobenen Klage hat der Kläger - soweit für das Berufungsverfahren von Interesse - die arbeitsvertraglich vereinbarte Vergütung für den Monat Dezember 2012 in Höhe von 3.196,-- EUR brutto und die Abgeltung von 22 Tagen Resturlaub in Höhe von 2.343,66 EUR brutto geltend gemacht.

Der Kläger hat vorgetragen, nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liege aufgrund der unstreitig nicht erfolgten Übergabe des Einschreibens kein Zugang der Kündigungserklärung vor. Vorsorglich weise er darauf hin, dass weder er selbst noch seine Ehefrau eine Benachrichtigung der Post erhalten hätten. Eine Ankündigung der fristlosen Kündigung sei nicht erfolgt. Der Beklagte habe anlässlich seiner Freistellung am 01. Dezember 2012 erklärt, sein Rechtsanwalt prüfe derzeit die Möglichkeit einer fristlosen Kündigung. Für das Jahr 2012 ergebe sich aufgrund des elfmonatigen Bestands des Arbeitsverhältnisses ein Urlaubsanspruch von 27,5 Tagen, so dass ihm unter Berücksichtigung des von ihm in der Zeit vom 03. bis 08. Dezember 2012 genommenen Urlaubs noch 22 Tage Resturlaub zugestanden hätten, die abzugelten seien. Im Dezember 2012 habe er ab dem 10. Dezember 2012 aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 2012 gemäß der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 11. Dezember 2012 (Bl. 86 d. A.) keinen Urlaub mehr nehmen können.

Nachdem der Beklagte den vom Kläger geltend gemachten Vergütungsanspruch für den Monat Dezember 2012 anteilig für sieben Kalendertage in Höhe von 721,68 EUR brutto anerkannt hat, hat das Arbeitsgericht ein Teil-Anerkenntnisurteil vom 27. Juni 2013 erlassen, mit dem der Beklagte gemäß seinem Anerkenntnis verurteilt worden ist, an den Kläger 721,68 EUR brutto (anteilige Vergütung für Dezember 2012) nebst Zinsen zu zahlen. Im Kammertermin vom 13. November 2013 vor dem Arbeitsgericht hat der Kläger seinen Klageantrag entsprechend angepasst. Erstinstanzlich hat er neben der danach verbleibenden restlichen Vergütung für den Monat Dezember 2012 in Höhe von weiteren 2.474,32 EUR brutto und der begehrten Urlaubsabgeltung in Höhe von 2.343,66 EUR noch Überstundenvergütung in Höhe von 1.259,60 EUR brutto beansprucht (= insgesamt 6.077,58 EUR brutto).

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 6.077,58 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit 01. Januar 2013 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat erwidert, er habe dem Kläger in einem ausführlichen Gespräch den Sachverhalt der fristlosen Kündigung erklärt und diesen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die schriftliche fristlose Kündigung nunmehr zugestellt werde, was dann auch wie angekündigt geschehen sei. Der Postbote habe dem von ihm nicht angetroffenen Kläger einen Benachrichtigungsschein über den Einschreibebrief ordnungsgemäß in den Briefkasten gelegt. Damit sei die fristlose Kündigung vom 06. Dezember 2012 dem Kläger ordnungsgemäß zugestellt worden. In dem am 20. November 2012 geführten Gespräch sei vereinbart worden, dass möglicher Urlaub und mögliche Überstunden, deren Höhe nicht festgestanden habe, noch in der Kündigungszeit zu nehmen und abzufeiern seien, was auch im Kündigungsschreiben vom 20. November 2012 so formuliert sei. Der Kläger hätte also mögliche Urlaubsansprüche in dem restlichen Zeitraum des Monats November sowie auch insgesamt im Monat Dezember nehmen können und dürfen. Da er dies nicht getan habe, stehe ihm auch kein Urlaubsabgeltungsanspruch zu.

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin Jutta C.. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 13. November 2013 verwiesen. Sodann hat das Arbeitsgericht mit Schlussurteil vom 13. November 2013 - 11 Ca 459/13 - den Beklagten verurteilt, an den Kläger weitere 2.474,32 EUR brutto (restliche Vergütung für Dezember 2012) sowie Urlaubsabgeltung in Höhe von 2.343,66 EUR brutto zu zahlen, während es im Übrigen die Klage hinsichtlich der beanspruchten Überstundenvergütung abgewiesen hat; wegen der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des Schlussurteils (Bl. 156 - 162 d. A.) Bezug genommen.

Gegen das ihm am 04. Dezember 2013 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 06. Januar 2014, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am gleichen Tag (Montag) eingegangen, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 28. Januar 2014, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am 29. Januar 2014 eingegangen, begründet.

Er trägt vor, dem Kläger stehe das restliche Dezembergehalt in Höhe von 2.474,32 EUR brutto nicht zu, weil das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 06. Dezember 2012 am 07. Dezember 2012 wirksam gekündigt worden sei. Auch wenn das Kündigungsschreiben nicht in den Besitz des Klägers gelangt sei, müsse sich dieser im Rahmen der Zugangsfiktion so behandeln lassen, als wenn ihn das Kündigungsschreiben am 07. Dezember 2012 auch erreicht hätte. Der Kläger sei unmittelbar vor der schriftlichen Kündigung vom 06. Dezember 2012 in einem Gespräch ausdrücklich darüber informiert worden, dass er nunmehr die fristlose Kündigung erhalte. Der Kläger habe neben diesem Gespräch auch den Hinweis auf die Kündigung selbst bestätigt, indem er vorgetragen habe, dass er in Erwartung einer fristlosen Kündigung bereits das Arbeitsamt A-Stadt informiert habe. Das Arbeitsgericht habe nicht lediglich die Zeugin C. zu der Frage vernehmen dürfen, ob der Postbote einen Benachrichtigungsschein in den Briefkasten des Klägers geworfen habe. Vielmehr hätte das Arbeitsgericht auch seinem Vortrag und seinen Beweisangeboten für den von ihm behaupteten ordnungsgemäßen Einwurf des Benachrichtigungsscheins in den Briefkasten des Klägers nachgehen müssen. Falls die fristlose Kündigung per Einschreibebrief gemäß seinem Vortrag ordnungsgemäß zugestellt worden sei, d. h. durch Benachrichtigungsschein dem Kläger die Abholung mitgeteilt worden sei, müsse sich der Kläger so behandeln lassen, als wenn er die Kündigung erhalten habe. Der Kläger habe durch die vorherigen Gespräche auch gewusst, dass ihm eine solche Kündigung zugestellt werde, so dass die Zugangsfiktion gelte. Dem Kläger stehe auch nicht der Urlaubsabgeltungsanspruch in Höhe von 2.343,66 EUR brutto zu. Die Parteien hätten ausdrücklich eine Vereinbarung dahin getroffen, dass der Kläger mögliche Urlaubsansprüche oder mögliche Überstunden abfeiere. Die nach dem eigenen Vortrag des Klägers am 01. Dezember 2012 erfolgte Freistellung von der Arbeit müsse auf seinen Urlaubsanspruch angerechnet werden. Die getroffene Vereinbarung, dass der Urlaub abgefeiert werde, müsse jedoch weiterhin Gültigkeit haben. Im Falle eines unterstellten Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses bis zum 31. Dezember 2012 bleibe ausdrücklich bestritten, dass der Kläger krank gewesen sei. Bei dem erst ein halbes Jahr später in der Verhandlung am 26. Juni 2013 vom Kläger überreichten ärztlichen Attest vom 11. Dezember 2012 handele es sich um ein reines Gefälligkeitsattest, mit dem der Kläger die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung vom 20. November 2012, wonach der mögliche Urlaub abzufeiern sei, unterlaufen wolle. Abgesehen davon, dass schon Zweifel an der Verlässlichkeit des nicht aussagefähigen Attestes bestünden, weil aus dem Blickpunkt des 11. Dezember 2012 Dienstunfähigkeit bis haargenau zum 31. Dezember 2012 bestätigt werde, sei die Einlassung des Klägers in seinem Schriftsatz vom 06. Juni 2013 bezeichnend, in der er in Bezug auf den nicht angegebenen Grund der Dienstunfähigkeit und deren Dauer bis Ende Dezember darauf hingewiesen habe, dass er sich zunächst die Hand verbrüht hätte. Dem Kläger stünden aber auch dann keine Urlaubsabgeltungsansprüche zu, wenn das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 06. Dezember 2012 wirksam fristlos am 07. Dezember 2012 beendet worden sei, weil er sich dann die Möglichkeit zur Inanspruchnahme der Urlaubstage selbst genommen habe und insofern § 162 Abs. 2 BGB anwendbar sei.

Der Beklagte beantragt,

das Schlussurteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 13. November 2013 - 11 Ca 459/13 - abzuändern, soweit es der Klage stattgegeben hat, und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erwidert, die Kündigungserklärung vom 06. Dezember 2012 sei ihm weder zugestellt noch sonst zugegangen. Im Hinblick darauf, dass ihm jetzt zwei Fälle bekannt geworden seien, in denen Briefe an die Adresse "A-Straße 00" und die Adresse "T-Straße 00" jeweils im Kurzentrum in A-Stadt falsch zugestellt worden seien, gehe er inzwischen davon aus, dass möglicherweise das Schreiben einfach falsch eingeworfen worden sei. Soweit der Beklagte pauschal vorgetragen habe, zwischen den Parteien sei vereinbart worden, dass er mögliche Urlaubsansprüche und Überstunden "abfeiere", so sei dieser völlig unsubstantiierte Sachvortrag nicht einlassungsfähig und im Übrigen auch falsch, weil die Parteien zu keinem Zeitpunkt irgendetwas in dieser Richtung vereinbart hätten. Richtig sei vielmehr, dass der Beklagte ihm zugesagt hätte, dass er Urlaub abfeiern könne und Überstunden ausbezahlt bekäme. Eine entsprechende Vereinbarung bezüglich des Urlaubs sei indes nicht getroffen worden. Der Beklagte habe auch an keiner Stelle vorgetragen, an welchem Tag er angeblich Überstunden "abgefeiert" hätte und an welchem Tag er seinen Urlaubsanspruch genommen haben solle, zumal er vom 10. bis 31. Dezember 2012 dienstunfähig erkrankt gewesen sei. Seine Freistellung von der Arbeit am 01. Dezember 2012 führe weder zum Verlust des Vergütungsanspruches noch zu einer Anrechnung auf den Resturlaub. Eine Anrechnung auf den Urlaub hätte vorausgesetzt, dass zwischen den Parteien vereinbart worden sei, dass mit der Freistellung Urlaubsansprüche abgegolten werden sollten oder aber die Freistellung unwiderruflich bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses ausgesprochen werde, was vorliegend nicht erfolgt sei. Soweit der Beklagte bestritten habe, dass er krank gewesen sei, müsse er sich entgegenhalten lassen, dass die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Vermutung der Richtigkeit für sich und einen hohen Beweiswert habe. Der Arbeitgeber müsse einen Missbrauchsfall des Arbeitnehmers nachweisen, wozu der Beklagte nichts vorgetragen habe. Damit stehe fest, dass er krank gewesen sei und seinen Urlaub nicht habe nehmen können, so dass ihm der Urlaubsabgeltungsanspruch und der restliche Vergütungsanspruch zustehe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 Buchst. b ArbGG statthafte Berufung des Beklagten ist zulässig. Sie ist insbesondere form- sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO).

Die Berufung des Beklagten hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass dem Kläger ein Anspruch gegen den Beklagten auf die restliche Vergütung für den Monat Dezember 2012 in Höhe von weiteren 2.474,32 EUR brutto und Urlaubsabgeltung in Höhe von 2.343,66 EUR brutto zusteht.

I. Der Kläger hat gemäß § 611 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf die vereinbarte Vergütung für den Monat Dezember 2012, die sich unter Berücksichtigung des bereits durch das Teil-Anerkenntnisurteil vom 27. Juni 2013 zuerkannten Betrages in Höhe von 721,68 EUR brutto noch auf den danach verbleibenden Betrag von 2.474,32 EUR brutto beläuft (3.196,-- EUR brutto gemäß Ziff. 4 des Arbeitsvertrages abzüglich bereits zuerkannter 721,68 EUR brutto).

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht vorzeitig durch außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 06. Dezember 2012 beendet worden, weil diese Kündigungserklärung dem Kläger nicht zugegangen ist.

1. Zugegangen im Sinne des § 130 BGB ist eine Willenserklärung dann, wenn sie in den Bereich des Empfängers gelangt ist. Dies ist regelmäßig bei Einwurf in den Hausbriefkasten anzunehmen, da der Empfänger dann im Anschluss an die üblichen Zustellzeiten vom Inhalt der Willenserklärung Kenntnis nehmen kann. Bei der Versendung per Einschreiben steckt jedoch der Postbote nicht die Willenserklärung, sondern nur den Benachrichtigungszettel in den Hausbriefkasten. Durch den Benachrichtigungszettel wird der Empfänger lediglich in die Lage versetzt, das Einschreiben in seinen Machtbereich zu bringen. Die Niederlegung des Einschreibens bei der Post und die Benachrichtigung des Empfängers von der Niederlegung können deshalb den Zugang der Willenserklärung nicht ersetzen. Zugegangen ist das Einschreiben erst mit der Aushändigung des Originalschreibens durch die Post. Auch wenn der Empfänger den Zugang des Einschreibens dadurch verzögert, dass er den Einschreibebrief nicht unverzüglich beim Postamt abholt, rechtfertigt dies noch nicht, einen anderen Zugangszeitpunkt, etwa den der frühestmöglichen Abholung des Einschreibebriefs, zu fingieren. Bis zu ihrem Zugang bleibt der Absender Herr seiner Erklärung. Geht etwa das per Einschreiben versandte Kündigungsschreiben an den Absender zurück, so unterliegt es seiner freien Entscheidung, ob er einen neuen Zustellungsversuch bewirken oder überhaupt von seiner Kündigungsabsicht Abstand nehmen will. Es leuchtet nicht ein, durch eine Zugangsfiktion den Absender an seine ursprüngliche Erklärung schon zu binden, bevor diese den Adressaten erreicht hat. Auch im Falle der Zugangsverzögerung wird die Erklärung damit grundsätzlich nur wirksam, wenn der Erklärende nach der Kenntnis dessen, dass die Erklärung den Empfänger nicht erreicht hat, unverzüglich erneut den Zugang bewirkt (BAG 25. April 1996 - 2 AZR 13/95 - Rn. 16 und 17, NJW 1997, 146). Der Empfänger einer Willenserklärung kann sich nach Treu und Glauben nicht auf den verspäteten Zugang der Willenserklärung berufen, wenn er die Zugangsverzögerung selbst zu vertreten hat. Er muss sich dann so behandeln lassen, als habe der Erklärende die entsprechenden Fristen gewahrt. Wer aufgrund bestehender oder angebahnter vertraglicher Beziehungen mit dem Zugang rechterheblicher Erklärungen zu rechnen hat, muss geeignete Vorkehrungen treffen, dass ihn derartige Erklärungen auch erreichen. Tut er dies nicht, so wird darin vielfach ein Verstoß gegen die durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen oder den Abschluss eines Vertrages begründeten Sorgfaltspflichten gegenüber seinem Partner liegen. Auch bei schweren Sorgfaltsverstößen kann der Adressat nach Treu und Glauben regelmäßig aber nur dann so behandelt werden, als habe ihn die Willenserklärung erreicht, wenn der Erklärende alles Erforderliche und ihm Zumutbare getan hat, damit seine Erklärung den Adressaten erreichen konnte (BAG 22. September 2005 - 2 AZR 366/04 - Rn. 15, NZA 2006, 204). Dazu gehört in der Regel, dass er nach Kenntnis von dem nicht erfolgten Zugang unverzüglich einen erneuten Versuch unternimmt, seine Erklärung derart in den Machtbereich des Empfängers zu bringen, dass diesem ohne weiteres eine Kenntnisnahme ihres Inhalts möglich ist. Dies folgt daraus, dass eine empfangsbedürftige Willenserklärung Rechtsfolgen grundsätzlich erst dann auslöst, wenn sie zugegangen ist. Welcher Art dieser erneute Versuch des Erklärenden sein muss, hängt von den konkreten Umständen, wie den örtlichen Verhältnissen, dem bisherigen Verhalten des Adressaten, den Möglichkeiten des Erklärenden und auch von der Bedeutung der abgegebenen Erklärung ab und kann allgemein nicht entschieden werden. Ein wiederholter Zustellungsversuch des Erklärenden ist allerdings dann nicht mehr sinnvoll und deshalb entbehrlich, wenn der Empfänger die Annahme einer an ihn gerichteten schriftlichen Mitteilung grundlos verweigert, obwohl er mit dem Eingang rechtserheblicher Mitteilungen seines Vertrags- oder Verhandlungspartners rechnen muss. Gleiches wird zu gelten haben, wenn der Adressat den Zugang der Erklärung arglistig vereitelt (BGH 26. November 1997 - VIII ZR 22/97 - Rn. 18, NJW 1998, 976).

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die außerordentliche Kündigung vom 06. Dezember 2012 dem Kläger nicht zugegangen. Auch wenn man zugunsten des Beklagten unterstellt, dass der Postbote einen Benachrichtigungszettel in den Briefkasten des Klägers eingeworfen hat, ist hierdurch der Zugang der Kündigungserklärung nicht bewirkt worden. Einen weiteren Zustellversuch hat der Beklagte unstreitig nicht unternommen, so dass das Kündigungsschreiben zu keinem Zeitpunkt dem Kläger zugegangen ist.

Entgegen der Ansicht des Beklagten muss sich der Kläger nicht aufgrund einer Zugangsfiktion so behandeln lassen, als wenn das Kündigungsschreiben ihn am 07. Dezember 2012 auch erreicht hätte. Der Kläger hat die Annahme des Einschreibebriefes nicht verweigert. Im Streitfall kann auch nicht angenommen werden, dass ein erneuter Zustellversuch wegen einer dem Kläger vorzuwerfenden arglistigen Zugangsvereitelung nicht mehr sinnvoll gewesen wäre. Auch wenn man zugunsten des Beklagten davon ausgeht, dass der Postbote den Benachrichtigungszettel in den Briefkasten des zu dieser Zeit urlaubsabwesenden Klägers eingeworfen hat, lässt sich nicht ausschließen, dass der Kläger gleichwohl von dem Benachrichtigungsschein tatsächlich keine Kenntnis erlangt hat. Die vom Arbeitsgericht vernommene Zeugin C., die Ehefrau des Klägers, hat ausgesagt, dass sie am Freitag, den 07. Dezember 2012, morgens zum Besuch ihrer Mutter die Wohnung verlassen und nach ihrer Rückkehr am Samstag, den 08. Dezember 2012, den Briefkasten geleert habe, aber keine Benachrichtigung im Briefkasten gewesen sei. Danach lässt sich jedenfalls nicht feststellen, dass der Kläger von seiner Ehefrau über den Benachrichtigungszettel tatsächlich in Kenntnis gesetzt worden ist. Unabhängig davon hätte der Beklagte unter den vorliegenden Umständen nach den Grundsätzen von Treu und Glauben aus seiner nicht zugegangenen Willenserklärung ihm günstige Rechtsfolgen nur dann ableiten können, wenn er seinerseits alles Erforderliche und ihm Zumutbare getan hätte, damit seine Kündigungserklärung den Kläger auch tatsächlich erreicht. Im Hinblick darauf, dass der Beklagte den umständlichen Weg des Einschreibens mit Rückschein gewählt hat, obwohl sich der Kläger absprachegemäß im Urlaub befand und eine einfache Zustellung des Kündigungsschreibens jederzeit ohne - im Vergleich zum Einschreiben mit Rückschein - größeren Aufwand möglich gewesen wäre, zumal sich der Wohnort des Klägers und das Geschäft des Beklagten in derselben Stadt befinden, hätte er zumindest einen erneuten Zustellversuch unternehmen müssen. Bis zu ihrem Zugang bleibt der Absender Herr seiner Erklärung. Geht das per Einschreiben versandte Kündigungsschreiben - wie hier - an den Absender zurück, so unterliegt es seiner freien Entscheidung, ob er einen erneuten Zustellversuch bewirken oder überhaupt von seiner Kündigungsabsicht Abstand nehmen will. Im Hinblick darauf, dass der Beklagte auch nach Kenntniserlangung davon, dass seine Kündigungserklärung den Kläger nicht erreicht hat, nicht mehr erneut den Zugang bewirkt bzw. einen erneuten Zustellversuch unternommen hat, ist das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht vorzeitig vor dem 31. Dezember 2012 beendet worden.

II. Weiterhin hat der Kläger gegen den Beklagten gemäß § 7 Abs. 4 BurlG einen Urlaubsabgeltungsanspruch in Höhe von 2.343,66 EUR brutto.

Nach Ziff. 6 des Arbeitsvertrages der Parteien steht dem Kläger ein Urlaubsanspruch von 30 Tagen bei Beschäftigung an sechs Tagen pro Woche zu. Im Hinblick darauf, dass sein Arbeitsverhältnis nach dem Arbeitsvertrag erst am 01. Februar 2012 begonnen hat, ist der Kläger lediglich von einem anteiligen Urlaubsanspruch von 28 Tagen für das Jahr 2012 ausgegangen (30 x 11/12 = 27,5 = aufgerundet gem. § 5 Abs. 2 BUrlG 28 Tage) und hat nach Abzug des absprachegemäß in Anspruch genommenen Urlaubs von sechs Tagen die Abgeltung des danach noch verbleibenden Resturlaubs (22 Tage) geltend gemacht.

Im Kündigungsschreiben hat der Beklagte zwar ausgeführt, dass das Urlaubs- und Überstundenkonto bis zum Ablauf der Kündigungsfrist einen "Stand" aufweise und er "diesen Urlaubsanspruch" dem Kläger "nach Absprache" während der Kündigungsfrist erteile. Mit Ausnahme des absprachegemäß in der Zeit vom 03. bis 08. Dezember 2012 genommenen Urlaubs von sechs Werktagen konnte der Kläger aber seinen Resturlaub nicht mehr in Anspruch nehmen, weil er nach den von ihm vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen vom 20. November 2012 in der Zeit vom 21. November bis 30. November 2012 und vom 11. Dezember 2012 in der Zeit vom 10. Dezember bis 31. Dezember 2012 arbeitsunfähig erkrankt war. In der Regel führt der Arbeitnehmer den Beweis der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Einer solchen Bescheinigung kommt ein hoher Beweiswert zu. Der Tatrichter kann normalerweise den Beweis, dass eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorliegt, als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine solche Bescheinigung vorlegt (st. Rspr., vgl. BAG 26. Februar 2003 - 5 AZR 112/02 - Rn. 33, BAGE 105, 171). Bezweifelt der Arbeitgeber die attestierte Arbeitsunfähigkeit, dann muss er die Umstände, die gegen die Arbeitsunfähigkeit sprechen, näher darlegen und ggf. beweisen, um die Beweiskraft des Attestes zu erschüttern (BAG 17. Juni 2003 - 2 AZR 123/02 - Rn. 29, NZA 2004, 564). Besondere Umstände, die den Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttern könnten, hat der Beklagte nicht dargelegt. Allein der Umstand, dass der Kläger die ärztliche Bescheinigung vom 11. Dezember 2012 erst im vorliegenden Verfahren vorgelegt hat und darin die krankheitsbedingte Dienstunfähigkeit des Klägers genau bis zum 31. Dezember 2012 bescheinigt wird, begründet noch keine ernsthaften Zweifel daran, dass der Kläger gemäß der vorgelegten Bescheinigung arbeitsunfähig erkrankt war. Hinreichende Anhaltspunkte für seine Annahme, das ärztliche Attest sei ein reines Gefälligkeitsattest, hat der Beklagte nicht vorgetragen. Mangels Erschütterung des Beweiswertes der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ist im Streitfall davon auszugehen, dass der Kläger aufgrund seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit den ihm noch zustehenden Resturlaub bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 2012 nicht mehr nehmen konnte.

Soweit der Kläger am 01. Dezember 2012 von der Arbeitsleistung freigestellt worden ist, liegt darin entgegen der Ansicht des Beklagten keine Urlaubsbewilligung. Die erklärte Arbeitsbefreiung muss hinreichend deutlich erkennen lassen, dass eine Befreiung von der Arbeitspflicht zur Erfüllung des Anspruchs auf Urlaub gewährt wird; sonst kann nicht festgestellt werden, ob der Arbeitgeber als Schuldner des Urlaubsanspruchs die geschuldete Leistung bewirken will (§ 362 Abs. 1 BGB) oder als Gläubiger der Arbeitsleistung auf deren Annahme gemäß § 615 S. 1 BGB verzichtet (BAG 20. Januar 2009 - 9 AZR 650/07 - Rn. 24, juris). Danach führt die bloße Freistellung des Klägers am 01. Dezember 2012 anlässlich der gegen ihn wegen des angeführten Vorfalls erhobenen Vorwürfe nicht dazu, dass dieser Tag auf den Urlaubsanspruch des Klägers anzurechnen ist. Unabhängig davon beläuft sich die die dem Kläger zustehende Urlaubsabgeltung selbst bei Zugrundelegung von 21 Urlaubstagen jedenfalls auf den geltend gemachten Betrag von 2.343,66 EUR brutto. Die Parteien sind bei dem in Ziff. 6 des Arbeitsvertrages vereinbarten Urlaubsanspruch von einer Beschäftigung an sechs Tagen pro Woche ausgegangen. Im Hinblick darauf, dass bei einer 6-Tage-Woche bezogen auf einen Monat nicht von 30, sondern von 26 anfallenden Arbeits- bzw. Urlaubstagen auszugehen ist (6 Tage x 13 Wochen : 3 Monate), würde sich auch bei einem Resturlaubsanspruch von 21 Urlaubstagen bei richtiger Berechnung immer noch der Klageanspruch auf Urlaubsabgeltung in zumindest der beantragten Höhe errechnen (Bruttomonatsentgelt i.H.v. 3.196,-- EUR : 26 x 21 Urlaubstage = 2.581,38 EUR). Jedenfalls die auf ein Kalenderjahr bezogene Urlaubsabgeltungsforderung in einer bestimmten Höhe ist nämlich als einheitlicher Streitgegenstand mit den lediglich unselbständigen "Rechnungsposten" der offenen Urlaubstage und des hierfür anzusetzenden Entgelts zu verstehen. Bei solch einem einheitlichen Streitgegenstand darf das erkennende Gericht grundsätzlich die einzelnen Posten der Höhe nach verschieben, sofern die Endsumme nicht überschritten wird (§ 308 Abs. 1 ZPO, BAG 22. Oktober 2009 - 8 AZR 865/08 - Rn. 30, NZA-RR 2010, 565). Aus dem bei einer 6-Tage-Woche richtigen Rechenansatz (vgl. hierzu BAG 22. Oktober 2009 - 8 AZR 865/08 - Rn. 29, NZA-RR 2010, 565) folgt auch für 21 abzugeltende Urlaubstage zumindest die nach dem Klageantrag geforderte Endsumme von 2.343,66 EUR brutto (3.196,-- EUR brutto x 3 Monate : 13 Wochen : 6 Tage x 21 Tage = 2.581,38 EUR).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.



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