Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 5 Sa 420/14

Kündigung wegen außerdienstlichem Betrugsversuch zu Lasten des Arbeitgebers

(1.) Auch die erhebliche Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht kann eine Kündigung sozial rechtfertigen. Zu den Nebenpflichten zählt insbesondere die Pflicht zur Rücksicht auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers.

(2.) Das außerdienstliche Verhalten des Arbeitnehmers beeinträchtigt die berechtigten Interessen des Arbeitgebers, wenn es negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat. Davon wiederum ist typischerweise auszugehen, wenn der Arbeitnehmer in seiner Freizeit in Bereicherungsabsicht das dem Arbeitgeber zuzurechnende Vermögen unmittelbar vorsätzlich schädigt oder doch gefährdet. Keinen Unterschied macht es demnach, ob ein außerdienstlicher Betrug durch den Arbeitnehmer vollendet oder nur versucht wird.

Der im vorliegenden Fall gegen die Kündigung klagende Arbeitnehmer wurde als Elektriker beschäftigt. Im Betrieb des Arbeitgebers wird Mineralwasser vertrieben. Der Kläger erwarb illegal Etiketten des Mineralwassers und beklebte damit in seiner Freizeit pfandfreie Flaschen, um diese anschließend gegen Pfand abzugeben. Nachdem er den Pfandautomaten bereits mit derartigen Flaschen befüllt und einen Bon für mind. 8,00 € ausgedruckt hatte, bemerkte der Ladeninhaber den Betrug. Nachdem der Arbeitgeber hiervon erfahren hatte, kündigte er das Arbeitsverhältnis ordentlich.
Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist die Kündigung wirksam. Der Arbeitnehmer habe schwerwiegend gegen seine Rücksichtnahmepflichten verstoßen, indem er einen Betrug versucht habe, durch den das Vermögen seines Arbeitgebers zumindest gefährdet wurde. Angesichts der verantwortungsvollen Position des Arbeitnehmers - mit Zugang zu den Etiketten - wiege die Pflichtverletzung umso schwerer. Einer Abmahnung habe es nicht bedurft. Auch die beanstandungslose Betriebszugehörigkeit von ca. 12 Jahren sowie Unterhaltspflichten für seine Ehefrau und ein Kind stünden der Kündigung nicht entgegen.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 13. März 2014, Az. 7 Ca 1897/13, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Arbeitgeberkündigung vom 07.05. zum 30.09.2013.

Der Kläger (geb. 1977, verheiratet, ein Kind) war seit 09.07.2001 bei der Beklagten als Elektriker zu einem Bruttomonatslohn von zuletzt € 2.791,50 beschäftigt. Die Beklagte, die ua. die Mineralwassermarke X. vertreibt, beschäftigt in ihrer in C-Stadt ca. 280 Arbeitnehmer; es besteht ein Betriebsrat.

Der Kläger befüllte in seiner Freizeit Anfang April 2013 beim Discounter Y. in B-Stadt einen Leergutautomaten mit pfandfreien Plastikflaschen. Diese Flaschen hatte er zuvor mit X.-Etiketten, die das Pfandkennzeichen (DPG-Logo/Strichcode) aufweisen, beklebt. Durch diese Manipulation wollte er ein Pfand von 25 Cent pro Flasche erlangen. Der Kläger entnahm dem Automaten einen ausgedruckten Pfandbon, den er an der Kasse nicht mehr einlösen konnte, weil Personal des Discounters auf seine Täuschungshandlung aufmerksam geworden war. Der Kläger händigte dem Filialleiter, der die Polizei herbeirief, auf dessen Verlangen den Pfandbon aus. 

Am 10.04.2013 führte der Betriebsleiter der Beklagten mit dem Kläger ein Personalgespräch, an dem ua. der Betriebsratsvorsitzende teilnahm. Ob der Kläger im Verlauf dieses Gesprächs erklärt hat, ihm sei Pfand iHv. € 20,- ausgezahlt worden, ist streitig. Mit Schreiben vom 22.04.2013, das - auszugsweise - folgenden Wortlaut hat, hörte die Beklagte den Betriebsrat an:

"Wir beabsichtigen dem Arbeitnehmer Herrn A.

wohnhaft ...

geboren 1977

verheiratet, 1 Kind

bei uns beschäftigt seit 09.07.2001

zuletzt bei uns tätig als Mitarbeiter in der Instandhaltung, Elektrowerkstatt Schwerbehinderung: keine

Kündigungsfrist: vier Monate zum Ende eines Kalendermonats

 

eine außerordentliche fristlose, hilfsweise ordentliche fristgerechte Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen auszusprechen.

Die Kündigung ist aus folgenden Gründen erforderlich:

Herr A. hat sich laut eigener Aussage X.-Etiketten von einem Bekannten in Polen besorgt.

Diese Etiketten hat Herr A. auf "Nicht-Pfand-Flaschen" mit Tesafilm befestigt und in den Pfandautomat eines Discounters in B-Stadt eingelöst. Lt. seiner Aussage hat er dadurch Pfand in Höhe von ca. 20 € ausgezahlt bekommen.

Die Kameraüberwachung im Discounter hat Herrn A. aufgezeichnet. Mit diesem Foto wurde Herr A. zu dem Vorfall am 10.04.2013 um ca. 15:10 Uhr von der Polizei befragt und hat auch in darauffolgenden Gespräch mit dem Betriebsleiter Herrn W., dem Leiter Instandhaltung Herrn V., dem Betriebsratsvorsitzenden Herrn F. und der Personalreferentin Frau Fa. den Betrug nochmal zugegeben.

...

Herr A. hat Pfandbetrug begangen.

Herr A. hat mit gefälschten Flaschen, welche er manuell mit APO-Etiketten versehen hat, beim Y. Markt Pfand ausbezahlt bekommen. Dieses Pfand wird über die Etiketten dem Produzenten zugeordnet und von diesem wieder eingefordert.

Wir sehen daher keine Aussicht auf eine vertrauensvolle Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Herrn A., da aus unserer Sicht weiteres Fehlverhalten zu befürchten ist. Das arbeitgeberseitigen Interesse an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses wiegt damit deutlich schwerer als das Interesse Herrn A., weiter zu beschäftigt. Dies gilt auch in Anbetracht seiner durchaus anerkennenswerten langen Unternehmenszugehörigkeit.

Das Vertrauensverhältnis zu Herrn A. ist zerstört. Diese Kündigung stützt sich auf die erwiesene Tat sowie hilfsweise auf den Verdacht der Tat.

..."

Mit Schreiben vom 07.05.2013, zugestellt am 08.05.2013, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 30.09.2013. Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner am 24.05.2013 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage. Im Termin vom 21.11.2013 erklärte die Beklagte vor dem Arbeitsgericht, dass sie aus der außerordentlichen Kündigung keine Rechte herleite.

Das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen Diebstahls (Az. 2030 Js 25588/13) hat die Staatsanwaltschaft Koblenz am 17.06.2013 gem. § 153 StPO eingestellt.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestands und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 13.03.2014 (dort Seite 2 bis 7) Bezug genommen.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 07.05.2013 nicht beendet worden ist,

die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zur rechtskräftigen Beendigung des vorliegenden Rechtsstreits zu den bisherigen Bedingungen als Elektriker in der Elektrowerkstatt im Bereich Instandhaltung weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht Koblenz hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme die Klage abgewiesen und zur Begründung - zusammengefasst - ausgeführt, die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 07.05.2013 sei aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt. Der Kläger habe bei seiner Anhörung am 10.04.2013 erklärt, die manipulierten Nicht-Pfandflaschen in den Leergutautomaten des Discounters eingeworfen und dafür einen Pfanderlös von ca. € 20,- erzielt zu haben. Zwar habe der Kläger den Pfandbon tatsächlich nicht eingelöst, jedoch stehe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen fest, dass er im Gespräch vom 10.04.2013 erklärt habe, er habe sich etwa € 20,- Pfand auszahlen lassen. Der Kündigungsvorwurf betreffe zwar ein außerdienstliches Verhalten. Da der Kläger X.-Etiketten zur Tatbegehung verwendet habe, sei jedoch der Bezug zum Arbeitsverhältnis und dessen Vertrauensgrundlage gegeben. Es könne den Kläger nicht entlasten, dass es nicht zu einem vollendeten Pfandbetrug gekommen sei, weil er den Versuch nicht freiwillig abgebrochen habe. Bereits der Versuch, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu Lasten der Beklagten zu verschaffen, stelle einen nachhaltigen Eingriff in das Vertrauensverhältnis der Parteien dar.

Vor Ausspruch der Kündigung sei keine Abmahnung erforderlich gewesen. Der Kläger habe sich nach seiner Einlassung die X.-Etiketten von einem Bekannten in Polen besorgt. Er habe eine nicht unerhebliche kriminelle Energie aufgewandt, um - was er einräume - einen Pfandbon im Wert von ca. € 8,- zu erhalten, denn dafür habe er mehr als 30 Nicht-Pfandflaschen präparieren müssen. Die Interessenabwägung falle zu Gunsten der Beklagten aus. Die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist wahre die Interessen des Klägers hinreichend. Die Wirksamkeit der Kündigung scheitere auch nicht an § 102 Abs. 1 BetrVG, weil die Beklagte den Betriebsrat ordnungsgemäß angehört habe. Wegen weiterer Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 8 bis 18 des erstinstanzlichen Urteils vom 13.03.2014 Bezug genommen.

Gegen das am 11.07.2014 zugestellte Urteil hat der Kläger mit am 15.07.2014 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 19.08.2014 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Der Kläger macht geltend, die Kündigung sei gem. § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam. Die Beklagte habe dem Betriebsrat seine Sozialdaten nicht vollständig mitgeteilt. Sie sei verpflichtet gewesen, dem Betriebsrat nicht nur mitzuteilen, dass er "1 Kind" habe, sondern auch das Alter seines Kindes. Darüber hinaus hätte die Beklagte dem Betriebsrat auch seine tatsächlich ausgeübte Tätigkeit mitteilen müssen. Die Information des Betriebsrats, ihm sei € 20,- Pfand ausgezahlt worden, sei objektiv falsch. Dies habe er zu keiner Zeit ausgesagt, weil es nicht den Tatsachen entspreche. Außerdem sei dem Betriebsrat fehlerhaft mitgeteilt worden, dass sich der Vorfall im Discounter am 10.04.2013, statt am 02.04.2013 ereignet habe. Schließlich fehle auch die Mitteilung, dass es lediglich um den Verdacht eines Pfandbetrugs gehe. Die Beklagte habe vielmehr ausgeführt, dass er einen Pfandbetrug begangen habe. Die Anhörung sei insb. deshalb fehlerhaft, weil die Beklagte dem Betriebsrat nicht mitgeteilt habe, weshalb sein außerdienstliches Fehlverhalten, das sich nicht unmittelbar gegen seine Arbeitgeberin, sondern - aus Sicht eines objektiven Beobachters - ausschließlich gegen den Discounter gerichtet habe, das Vertrauen in seine Pflichterfüllung bei seiner Tätigkeit als Betriebselektriker zerstört haben soll.

Die Kündigung sei nicht gem. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Er habe zwar X.-Etiketten als Mittel zum Pfandbetrug benutzt. Er habe der Beklagten jedoch keinen Schaden zugefügt, weil er kein Pfandgeld erhalten habe und die Beklagte mit keiner Rückforderung belastet worden sei. Hinzu komme, dass er den versuchten Pfandbetrug nicht mit seinen Arbeitsmitteln begangen habe. Es sei auch zu bestreiten, dass bei dem DPG-Pfandsystem überhaupt eine Belastung der Beklagten erfolgt wäre. Er habe den im Discounter erhaltenen Pfandbon im Wert von € 8,- nicht eingelöst, sondern dem Filialleiter freiwillig übergeben, der an der Kasse auf ihn gewartet habe, nachdem ein Mitarbeiter bei der Kontrolle des Pfandautomaten den Einwurf der manipulierten Flaschen festgestellt hatte. Als Reaktion auf sein Verhalten hätte eine Abmahnung ausgereicht. Das Besorgen der X.-Etiketten sei nicht darauf gerichtet gewesen, den eigenen Arbeitgeber zu schädigen. Die Interessenabwägung sei fehlerhaft. Die Beklagte könne sich nicht auf einen gravierenden Vertrauensverlust berufen. Eine Wiederholungsgefahr sei nicht erkennbar. Bei seiner Anhörung am 10.04.2013 sei er nicht vernehmungsfähig gewesen. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 13.08.2014 Bezug genommen.

Der Kläger beantragt zweitinstanzlich,

das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 13.03.2014, Az. 7 Ca 1897/13, abzuändern und

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 07.05.2013 beendet worden ist,

die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Ab-schluss des Rechtsstreits zu unveränderten Bedingungen als Elektriker in der Elektrowerkstatt im Bereich Instandhaltung weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 24.09.2014, auf die Bezug genommen wird, als zutreffend.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.  Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und inhaltlich ausreichend begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

II.  In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend erkannt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 07.05. mit Ablauf des 30.09.2013 aufgelöst worden ist.

1. Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 07.05.2013 ist aus Gründen im Verhalten des Klägers iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial gerechtfertigt.

a) Eine Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 2 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers „bedingt“, wenn dieser seine Vertragspflichten erheblich - in der Regel schuldhaft - verletzt hat und eine dauerhafte störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten ist. Dann kann dem Risiko künftiger Störungen nur durch die - fristgemäße - Beendigung des Arbeitsverhältnisses begegnet werden. Das wiederum ist nicht der Fall, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken. Im Vergleich mit einer fristgemäßen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere Versetzung und Abmahnung in Betracht. Ein kündigungsrelevantes Verhalten liegt nicht nur dann vor, wenn der Arbeitnehmer eine Hauptpflicht aus dem Arbeitsverhältnis verletzt hat. Auch die erhebliche Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht kann eine Kündigung sozial rechtfertigen. Eine Nebenpflicht kann auch durch eine außerdienstliche Straftat verletzt werden (vgl. BAG 10.04.2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 13 mwN, 11.07.2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 20 mwN; jeweils Juris).

Der Kläger verkennt, dass ein Arbeitnehmer auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet ist, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Durch ein rechtswidriges außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers werden berechtigte Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigt, wenn es negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat. Dies gilt auch für eine außerdienstlich begangene Straftat. Der Arbeitnehmer verstößt mit einer solchen Tat gegen seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB, wenn sie einen Bezug zu seinen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen oder zu seiner Tätigkeit hat und dadurch berechtigte Interessen des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer verletzt werden (vgl. BAG 10.04.2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 14 mwN, aaO).

b) Der Kläger hat durch den versuchten Pfandbetrug, den er Anfang April 2013 mit Pfand-Etiketten der Getränkemarke seiner Arbeitgeberin verübt hat, seine gegenüber der Beklagten bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) erheblich verletzt.

Es ist unstreitig, dass der Kläger Anfang April 2013 beim Discounter Y. in B-Stadt einen Leergutautomaten mit pfandfreien Plastikflaschen befüllte. Diese Flaschen hatte er zuvor mit X.-Etiketten, die das Pfandkennzeichen (DPG-Logo/Strichcode) aufweisen, beklebt. Durch diese Manipulation wollte er ein Pfand von 25 Cent pro Flasche erlangen. Der Kläger entnahm dem Automaten einen ausgedruckten Pfandbon, den er an der Kasse nicht mehr einlösen konnte, weil Personal des Discounters auf seine Täuschungshandlung aufmerksam geworden war. Der Kläger händigte dem Filialleiter, der alsdann die Polizei herbeirief, auf dessen Verlangen den Pfandbon aus.

Das Verhalten des Klägers ist, was die Befüllung des Leergutautomaten mit Nicht-Pfandflaschen, die er zuvor mit X.-Etiketten beklebt hatte, um dadurch ein Pfand von 25 Cent pro Flasche zu erlangen, unstreitig. Es ist auch unstreitig, dass der Kläger den Automaten mit über 30 präparierten Flaschen befüllt hat, und dass ein Pfandbon im Wert von wenigstens € 8,- ausgedruckt worden ist, den er nach seinem Tatplan an der Kasse einlösen wollte.

Soweit der Kläger vorbringt, er habe mit der Manipulation jedenfalls nicht die Beklagte selbst schädigen wollen, übersieht er, dass seiner Pflichtverletzung auch dann erhebliches Gewicht zukommt, wenn er darauf vertraut haben sollte, ein Schaden würde letztlich nicht bei der Beklagten, sondern (nur) beim Discounter Y. eintreten. Dass auch dies nicht im Interesse der Beklagten liegen konnte, die die Mineralwassermarke vertreibt, war für den Kläger ohne Weiteres erkennbar.

Entgegen der Ansicht des Klägers steht der schwerwiegenden Pflichtverletzung nicht entgegen, dass er den Pfandbetrug außerhalb des Betriebs in seiner Freizeit bei einem Discounter verübt hat. Der Kläger war auch insoweit verpflichtet, auf die berechtigten Interessen der Beklagten Rücksicht zu nehmen (§ 241 Abs. 2 BGB). Der Kläger verkennt, dass die Verletzung der Pflicht zur Rücksichtnahme den Arbeitgeber zur Kündigung berechtigt, wenn das außerdienstliche Verhalten negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat. Davon ist typischerweise auszugehen, wenn der Arbeitnehmer - wie hier der Kläger - in seiner Freizeit in Bereicherungsabsicht das dem Unternehmen zuzurechnende Vermögen des Arbeitgebers unmittelbar vorsätzlich schädigt oder doch gefährdet (vgl. BAG 16.12.2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 22 mwN, NZA 2011, 571).

Deshalb entlastet es den Kläger entgegen seiner Ansicht nicht, dass seine Tat - mit Nähe zum Erfolgseintritt - im Versuchsstadium steckengeblieben ist. Der Kläger ist nicht freiwillig von der weiteren Ausführung der Tat zurückgetreten, vielmehr musste er den bereits ausgedruckten Pfandbon dem Filialleiter des Discounters aushändigen, nachdem seine Manipulation an den Nicht-Pfandflaschen entdeckt worden ist.

Ob der Pfandbon, den der Kläger nicht mehr einlösen konnte, einen Wert von € 8,- oder von € 20,- hatte ist unwichtig. Der Kläger handelte planvoll und mit hoher krimineller Energie. Wie das Arbeitsgericht zutreffend gewürdigt hat, musste er sich illegal X.-Etiketten verschaffen, die er sich nach seinen Angaben in Polen besorgt haben will. Er hat mind. 32 Nicht-Pfandflaschen manipuliert, um die Straftat zu verüben.

c) Die Kündigung der Beklagten ist nicht unwirksam, weil der Kläger vor ihrem Ausspruch nicht wirksam angehört worden ist. Es ist unerheblich, ob die pauschale Behauptung des Klägers zutrifft, er sei bei seiner Anhörung am 10.04.2013 "praktisch nicht vernehmungsfähig" gewesen, wofür nicht das Geringste spricht. Die Anhörung des Arbeitnehmers vor einer Kündigung ist - außer bei der Verdachtskündigung - de lege lata keine Wirksamkeitsvoraussetzung. Zwar hat das Arbeitsgericht die Kündigung unter dem Gesichtspunkt einer Verdachtskündigung gewürdigt, es liegt jedoch eine nachweisliche Pflichtverletzung des Klägers als Kündigungsgrund vor. Was der Kläger im Personalgespräch vom 10.04.2014 erklärt hat, ist nicht entscheidungserheblich.

d) Die Pflichtverletzung des Klägers ist von solchem Gewicht, dass sie auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und aller Umstände des vorliegenden Falls zum Überwiegen des berechtigten Interesses der Beklagten führen, das Arbeitsverhältnis unter Einhalten der ordentlichen Kündigungsfrist zu beenden.

aa) Eine Abmahnung war nach den Umständen des Falls entbehrlich. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. BAG 25.11.07.2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 21 mwN, Juris).

Im vorliegenden Fall bedurfte es zur Klarstellung der vertraglichen Pflichten keiner Abmahnung. Es war für den Kläger erkennbar, dass er in seiner Freizeit keine X.-Etiketten verwenden darf, um damit eine Straftat zu verüben. Dass er sich die Etiketten illegal - nach seinen Angaben von einem Bekannten in Polen - besorgt hat, spricht nicht gegen ein mangelndes Unrechtsbewusstsein. Eine Abmahnung war auch nicht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit erforderlich. Das Verhalten des Klägers hat das Vertrauen der Beklagten in eine künftig ordnungsgemäße Vertragserfüllung nachhaltig beeinträchtigt, weil er Etiketten ihrer Mineralwassermarke X. zur Verübung einer Straftat verwendet hat.

bb) Im Rahmen der Interessenabwägung im engeren Sinn berücksichtigt die Kammer zu Gunsten des Klägers seine Unterhaltspflichten für seine Ehefrau und ein Kind. Zu Gunsten des Klägers fällt auch seine beanstandungsfreie Betriebszugehörigkeit seit 2001 ins Gewicht. Gleichwohl ist das Interesse der Beklagten trotz der Erstmaligkeit des Vorfalls unter Beachtung des Gewichts der in Rede stehenden Pflichtverletzung höher zu bewerten. Ein Festhalten am Arbeitsverhältnis ist von der Beklagten nicht zu verlangen. Der Kläger hat als Mitarbeiter der Instandhaltung jederzeit Zugang zu allen Bereichen des Betriebs, auch zum Etikettenlager. Die Beklagte muss sich auf die Integrität dieser Mitarbeiter verlassen können, die sie nicht ständig kontrollieren und überwachen kann. Durch sein Verhalten zerstörte der Kläger das notwendige Vertrauen in seine Zuverlässigkeit und Redlichkeit.

2. Die Beklagte hat die ordentliche Kündigungsfrist von vier Monaten zum Ende eines Kalendermonats eingehalten. Die Kündigung vom 07.05. zum 30.09.2013 wahrt diese Frist.

3. Die Kündigung vom 07.05.2013 ist nicht wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam.

Die Beklagte hat den Betriebsrat ordnungsgemäß unterrichtet. Sie hat ihm die Personalien des Klägers, die Beschäftigungsdauer, die Kündigungsart sowie die Kündigungsgründe mitgeteilt. Sie hat deutlich gemacht, dass der Grund für die beabsichtigte Kündigung darin liegt, dass der Kläger Nicht-Pfandflaschen mit X.-Etiketten beklebt hat, um in einem Discounter einen Pfandbetrug zu verüben. Danach hat die Beklagte den Betriebsrat über alle Umstände unterrichtet, die aus ihrer Sicht für den Kündigungsentschluss relevant waren.

Entgegen der Ansicht der Berufung war die Anhörung des Betriebsrats nicht deshalb fehlerhaft, weil die Beklagte im Anhörungsschreiben zu den Unterhaltspflichten des Klägers "verheiratet, 1 Kind" angegeben hat. Das Alter eines Kindes muss dem Betriebsrat nicht mitgeteilt werden. Da ihm - wenn überhaupt - nur die Unterhaltspflichten mitgeteilt werden müssen, versteht sich bei der Angabe "1 Kind" von selbst, dass dieses auch unterhaltsberechtigt ist. Entgegen der Ansicht des Klägers genügt es auch, dass die Beklagte dem Betriebsrat im Rahmen der Anhörung seine ausgeübte Tätigkeit wie folgt beschrieben hat: "zuletzt bei uns tätig als Mitarbeiter in der Instandhaltung, Elektrowerkstatt".

Für den Kündigungsentschluss der Beklagten war wesentlich, dass der Kläger für die Verübung der außerdienstlichen Straftat X.-Etiketten, also der Mineralwassermarke seiner Arbeitgeberin, für die er tätig ist, verwendet hat. Es war aus der subjektiven Sicht der Beklagten - aber auch bei verständiger Würdigung objektiv - irrelevant, dass der Pfandbetrug wegen Aufdeckung der Tat im Versuchsstadium steckengeblieben ist, so dass der Kläger den ausgedruckten Pfandbon nicht mehr zu Geld machen konnte. Auch die offensichtlich falsche Datumsangabe des Tattages ist unschädlich. Die ordentliche Kündigung unterliegt nicht der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB, so dass es keine Rolle spielt, ob der Kläger die Tat am 02.04. oder am 10.04.2013 in einem Discounter in B-Stadt verübt hat. Am 10.04.2013 fand das Personalgespräch mit dem Kläger in Anwesenheit des Betriebsratsvorsitzenden statt.

Die Beklagte hat den Betriebsrat auch mit dem Hinweis auf einen Pfanderlös iHv. € 20,-, den der Kläger wegen Aufdeckung der Tat tatsächlich nicht erzielt hat, nicht subjektiv falsch unterrichtet. Wie bereits ausgeführt, ist gleichgültig, dass der Betrug im Versuchsstadium (vgl. §§ 263 Abs. 2, 23 Abs. 1 StGB) steckengeblieben ist. Es ist auch unwesentlich, ob der Leergutautomat einen Pfandbon im Wert von ca. € 8,- oder € 20,- ausgedruckt hat. Der Kläger hatte nach seinem Vorbringen noch weitere Flaschen präpariert, den bereits begonnenen Einwurf am Leergutautomaten jedoch abgebrochen, weil ein Mitarbeiter des Discounters erschienen ist. Es ist unmaßgeblich, ob der versuchte Pfandbetrug zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden der Beklagten geführt hat (vgl. BAG 21.06.2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 17 mwN - NZA 2012, 1025). Maßgeblich ist vielmehr die Verletzung der Pflicht zur Rücksichtnahme durch die Verwendung der X.-Etiketten.

Auch die Rüge des Klägers, die Beklagte habe den Betriebsrat nicht ausreichend darüber informiert, weshalb er aus ihrer Sicht durch sein außerdienstliches Fehlverhalten die Basis für eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit bei einer Tätigkeit als Betriebselektriker zerstört habe, geht fehl. Aus dem Anhörungsschreiben geht eindeutig hervor, dass die Verwendung der X.-Etiketten, die sich der Kläger nach seiner Aussage von einem Bekannten in Polen besorgt habe, das Vertrauen der Beklagten in seine Zuverlässigkeit erschüttert hat.

4. Der Kläger hat nach den Grundsätzen des Beschlusses des Großen Senats vom 27.02.1985 (BAG GS 1/84 - AP BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 14) keinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens. Es besteht vielmehr ein schutzwürdiges Interesse der Beklagten, den Kläger im Verlauf des Rechtsstreits nicht zu beschäftigen, weil die ordentliche Kündigung vom 07.05. zum 30.09.2013 wirksam ist.

III.  Der Kläger hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.



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