Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 8 Sa 363/14

Kündigung wegen privater Termine im Firmenterminkalender - Arbeitszeitbetrug

1. Gibt ein Arbeitnehmer im Voraus eine ganztägige Dienstreise für die Zeiterfassung an und leistet an diesem Tag tatsächlich mehrere Stunden Hilfe bei einer Sportveranstaltung, ist dieses Verhalten an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen.

2. Bei einer Einsicht in als privat markierte Einträge im elektronischen Kalender des Arbeitnehmers ist die Rechtmäßigkeit des Eingriffs nach § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG zu überprüfen. Eine in Anwesenheit des Arbeitnehmers durchgeführte Kontrolle des Kalenders ist regelmäßig das mildere Mittel zur Aufklärung eines Arbeitszeitbetrugs.

3. Aufgrund der anzustellenden Güterabwägung unter Berücksichtigung der Art und Weise des Verstoßes gegen § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG kann sich auch bei einer unverhältnismäßigen Kontrolle von als privat markierten Einträgen im elektronischen Kalender eine Verwertbarkeit des unstreitig gewordenen Sachverhalts ergeben.
(Leitsätze des Gerichts)

(4.) Grundsätzlich bedarf es vor dem Ausspruch einer Kündigung einer Abmahnung. Dieser bedarf es nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten ist oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist.

(5.) Überträgt der Arbeitgeber den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und füllt ein Arbeitnehmer die dafür zur Verfügung gestellten Formulare wissentlich und vorsätzlich falsch aus, stellt dies in der Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch dar.

(6.) Ein schwerer Vertrauensmissbrauch zwischen Führungskraft und Arbeitgeber kann im Einzelfall eine außerordentlich Kündigung rechtfertigen, da zwischen ihnen ein uneingeschränktes Vertrauensverhältnis unabdingbar ist. Darüberhinaus besitzt eine Führungskraft gegenüber den ihr zugewiesenen Mitarbeitern eine Vorbildfunktion.

(7.) Erlangt eine Partei Kenntnis von einer von ihr behaupteten Tatsache auf rechtswidrige Arte und Weise, ist diese nicht notwendig prozessual unverwertbar. Ein Verbot der prozessualen Verwertbarkeit besteht, wenn der Schutzzweck der bei der Informationsgewinnung verletzten Norm einer gerichtlichen Verwertung zwingend entgegensteht.

Der Arbeitgeber der Klägerin hat Einsicht in einen gemischt genutzten Terminkalender der Klägerin genommen, Ungereimtheiten in der Dokumentation ihrer Arbeitszeit festgestellt (Klägerin war nicht beruflich veranlasst betriebsabwesend sondern privat) und ihr daraufhin gekündigt. Die Klägerin geht gegen diese Kündigung vor, da sie der Ansicht ist, der Arbeitgeber habe durch die Einsicht gegen das Bundesdatenschutzgesetz verstoßen. Die zuvor von der Klägerin unterschriebene Einverständniserklärung gäbe dem Arbeitgeber keinen „Freibrief“ ihr gesamtes Notebook zu überprüfen.

Tenor

I.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 12.02.2014 - AZ: 1 Ca 1719/13 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung vom 30. September 2013 sowie einer zuvor ausgesprochenen ordentlichen Kündigung vom 13. September 2013.

Die 1967 geborene, verheiratete und einem Kind gegenüber unterhaltsverpflichtete Klägerin ist seit dem 01. Oktober 2007 (Arbeitsvertrag vom 31. Mai 2007, Anlage K1, Bl. 4 ff. d. A.) bei der Beklagten zuletzt als „Head of C. Analytics“ angestellt. Der monatliche Bruttoverdienst, der 13-mal im Jahr gezahlt wird, betrug zuletzt 6.377,00 EUR. Darüber hinaus erzielte die Klägerin im Jahr 2012 einen Bonus von 23.990,00 EUR. Die Beklagte beschäftigt über 600 Mitarbeiter.

Als Leiterin des analytischen Labors trug die Klägerin Verantwortung für zuletzt 38 Beschäftigte, davon 3 Fachbereichsleiter und 7 Gruppenleiter. Sie war verpflichtet, ihre Arbeitszeiten im System der Beklagten zu erfassen bzw. entsprechende Formulare auszufüllen.

Am 22. Juli 2013 gingen beim Betriebsrat zwei Beschwerden von Mitarbeitern vom 19. Juli 2013 (Anlagen 7 und 8, Bl. 139 ff. und Bl. 143 ff. d. A.) ein. Der Betriebsrat erhielt weiter eine Stellungnahme einer Praxis für Psychotherapie vom 23. Juli 2013 (Anlage 9, Bl. 150 f. d. A.), in der er über eine auffällige Zunahme psychischer Überlastungssymptome der Arbeitnehmer im analytischen Labor C. informiert wird. Mit Schreiben vom 25. Juli 2013 (Anlage 10, Bl. 152 ff. d. A.) an die Geschäftsleitung stellte der Betriebsrat wegen Verstößen nach § 75 BetrVG gem. § 104 BetrVG den Antrag, gegen die Klägerin und zwei weitere Führungskräfte einschneidende personelle Maßnahmen bis hin zur Trennung zu ergreifen, da diese Personen ungeeignet und nicht in der Lage seien, Menschen zu führen und dem Betrieb in der Gesamtdarstellung nach außen und innen schadeten. Gegenüber den zwei weiteren Führungskräften, die der Klägerin unterstanden, wurden sodann Abmahnungen ausgesprochen. Gegenüber der Klägerin wurde nach Anhörung des Betriebsrats mit Schreiben vom 12. September 2013 (Anlage 14, Bl. 162 d. A.), der seine Zustimmung zu der beabsichtigten Kündigung erklärte, eine Kündigung mit Schreiben vom 13. September 2013 zum 31. März 2014 ausgesprochen.

Wegen der Kündigung hat die Klägerin am 20. September 2013 beim Arbeitsgericht eine Kündigungsschutzklage eingereicht. Während des laufenden Verfahrens sprach die Beklagte mit Schreiben vom 30. September 2013, der Klägerin am selben Tag zugegangen, eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung aus. Diese stützt sie darauf, dass die Klägerin im Zusammenhang mit dem Besuch einer Messe vom 03. bis 05. Juni 2013, am 28. Juni 2013, am 24. April 2013 und 07. Juni 2013 falsche Arbeitsaufzeichnungen getätigt habe. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 04. Oktober 2013 bei Gericht eingegangenen Klageerweiterung.

Im Zeitkonto der Klägerin (Anlage K 9, Bl. 354 ff. d. A.) ist ein Zeitminus im Januar 2013 von 1,48 Stunden, im Februar von 13,11 Stunden, im März von 13,50 Stunden, im April von 7,08 Stunden und im Mai von 1,57 Stunden ausgewiesen. Im Juni 2013 ist ein Zeitplus von 7,36 Stunden aufgeführt.

In einer Zeitmeldung vom 16. Mai 2013 (Anlage K 13, Bl. 383 d. A.) hatte die Klägerin folgende Angaben gemacht:

"Grund           

von - bis

von - bis

Std.

 

HO

6.5.13 - 6.5.13

13:30 - 18:00

4:30

Homeoffice

HO

7.5.13 - 7.5.13

13:30 - 18:00

4:30

Homeoffice

HO

8.5.13 - 8.5.13

08:30 - 18:00

9:30

Homeoffice

Der zeitverantwortlichen Mitarbeiterin fiel die fehlende Unterschrift des Vorgesetzten der Klägerin auf und sie legte die Meldung dem Vorgesetzten vor, der diese unterschrieb.

Die Zeiterfassung der Klägerin (Anlage K 9, Bl. 360 d. A.) weist im Juni 2013 u.a. folgende Einträge auf:

 

Kommt
Zeit

Geht
Zeit

Soll
Stnd

Ist
Stnd

Abw.
+

Abw.
-

Normal-
stunden

Gleitzeit

03.06.

08:18

10:45

7,30

14,27

4,27

 

2,12

2,30

DG

10:45

*23:30

 

 

 

 

DG 7,48*

 

04.06.

 

 

7,30

7,30

 

 

DT 7,30

 

05.06.

DB*08:00

*20:30

7,30

11,45

1,45

 

DG 10,00

2,30

 

 

 

 

 

 

 

 

12.06.

 

 

7,30

7,30

 

 

L1 7,30*

 

13.06.

 

 

7,30

7,30

 

 

L1 7,30*

 

 

 

 

 

 

 

 

 

14.06.

08:02
*13:30

12:39
*18:00

7,30

8,43

 

 

8,43

1,13

 

 

 

 

 

 

 

 

28.06.

 

 

7,30

7,30

 

 

DT 7,30

 

 

Über eine Workflowmeldung hat die Klägerin für den 03. bis 05. Juni 2013 ihrem Vorgesetzten einen Dienstreiseantrag zur Zustimmung vorgelegt. Am 03. Juni 2013 zwischen 08.18 Uhr und 10.45 Uhr war die Klägerin im Hause der Beklagten. Gegen ca. 15.00 Uhr hat sie in einer Werkstatt in M./Main einen Reifenwechsel an ihrem Privatfahrzeug vornehmen lassen. Im Anschluss ist sie weiter nach F. gefahren. Sie hat dort an der Messe "Free From Food 2013" teilgenommen, die am 04. und 05. Juni 2013 jeweils von 10.00 Uhr bis 17.00 stattgefunden hat.

Nach Rückkehr von der Messe hat die Klägerin am 10. Juni 2013 ein Formular mit folgender Zeitmeldung zur manuellen Erfassung/Korrektur vergütungspflichtiger bzw. anrechenbarer Zeiten bei Gleitzeit (Anlage 39, Bl. 482 d.A.) ausgefüllt:

 

von - bis

von - bis

Std.

 

DG

3.6.13 - 3.6.13

10:45 - 23:30

12:45

Anreise F.

DG

5.6.13 - 5.6.13

08:00 - 20:30

12:30

Rückreise F.

HO

6.6.13 - 6.6.13

13:30 - 19:00

5:30

HO

Das Formular listet unter "Fehl-/Korrekturgrund" zu verwendende Kürzel auf. Als Fall der ganztägigen Abwesenheit sind u.a. "DT Dienstreise" und "L1 Lehrg./Schul./Sem." und als Fall der stundenweise Abwesenheit "DG Dienstgang" aufgeführt.

An einer Messe am 12. und 13. Juni 2013 haben fünf Mitarbeiter teilgenommen. Für die anderen vier Mitarbeiter hat die Beklagte jeweils einen Antrag zur Teilnahme an einer Weiterbildungsveranstaltung und die jeweiligen Zeitkonten mit dem Eintrag "L1 7,30 Normalstunden" (Anlage 42, Bl. 487 ff. d. A.) vorgelegt. Die Klägerin hat eine Zeitmeldung vom 17. Juni 2013 (Anlage 43, Bl. 495 d. A.) wie folgt ausgefüllt:

 

von - bis

von - bis

Std.

 

DG

12.6.13 - 12.6.13

05:30 - 19:30

14:00

Anreise H.

DG

13.6.13 - 13.6.13

08:00 - 20:00

12:00

Rückreise H.

HO

14.6.13 - 14.6.13

13:30 - 18:00

4:30

HO

Im Zeitkonto der Klägerin wurde durch die Zeitbeauftragten für den 12. sowie 13. Juni 2013 lediglich der Eintrag "L1 7,30 Normalstunden" (Anlage K 9, Bl. 360 d. A.) vorgenommen.

In Bezug auf ein Dialektikseminar im Jahr 2012 hatte die Klägerin einen Antrag (Anlage 4, Bl. 132 f. d. A.) zur Teilnahme an einer Weiterbildungsveranstaltung gestellt. Für einen Mitarbeiter ihrer Abteilung hat die Klägerin am 13. Juni 2012 (Anlage 20, Bl. 173 d. A.) einen Antrag zur Teilnahme an einer Weiterbildungsveranstaltung in Bezug auf eine Messe durch Unterschriftsleistung befürwortet.

In der Rahmenvereinbarung über Gleitzeit (Anlage 40, Bl. 483 ff d. A.) heißt es zum Geltungsbereich, dass außertariflich angestellte Mitarbeiter grundsätzlich an der Gleitzeit teilnehmen, für sie jedoch Sonderregelungen gelten. Zu Punkt 2.2. - Kernarbeitszeit - heißt es:

"Während der Kernarbeitszeiten

Montag - Donnerstag                     8.30 Uhr - 15.00 Uhr

Freitag                                              8.30 Uhr - 12.00 Uhr

sind alle Mitarbeiter zur Anwesenheit verpflichtet."

Ziff. 3.3 - Dienstreisen - der BV Gleitzeit (Anlage 16, Bl. 168 d. A.) lautet:

"a)

Für stundenweise Dienstreisen wird der tatsächliche Zeitaufwand gutgeschrieben, begrenzt auf insgesamt maximal 10 Stunden für den gesamten Arbeitstag unter Berücksichtigung der tatsächlichen, anrechenbaren Arbeitszeit.

b)

Für eintägige Dienstreisen wird der tatsächliche Zeitaufwand gutgeschrieben, begrenzt auf maximal 10 Stunden für den gesamten Arbeitstag.

c)

Bei mehrtätigen Dienstreisen wird für den Anreisetag und den Rückreisetag (Werktage Montag - Freitag) der tatsächliche Zeitaufwand gutgeschrieben, begrenzt auf insgesamt maximal 10 Stunden für den gesamten Arbeitstag. Die übrigen Reisetage (Werktage Montag - Freitag) werden mit der Soll-Arbeitszeit gem. Punkt 2.6 gutgeschrieben.

Erfolgt bei mehrtätigen Dienstreisen die Anreise bzw. Rückreise an einem Samstag, Sonntag oder Feiertag, so wird der nachfolgende bzw. vorhergehende Arbeitstag als Reisetag analog der vorstehenden Regelung behandelt."

Unter "Auslegungen / Erläuterungen zur Betriebsvereinbarung Gleitzeit vom 19.12.2003, Stand 01.08.2006" (Anlage 17, Bl. 169 d. A.) heißt es:

"Problemkreis: Allgemein

Besuch von Messen und Ausstellungen

Der Besuch von Messen und Ausstellungen, auf denen wir nicht als Aussteller auftreten und die Mitarbeiter nicht als Standbesatzung tätig sind, der somit also vorrangig der Information dient, gilt als Weiterbildung im Sinne der BV Gleitzeit mit der Folge, dass hierfür bei ganztägiger Abwesenheit die Soll-Arbeitszeit (7,50 Stunden) dem Gleitzeitkonto gutgeschrieben wird."

In der BV Weiterbildung ist unter Punkt 4 - Teilnahme an betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen - (Anlage 18, Bl. 170 d. A.) u.a. geregelt:

"Reisezeiten außerhalb der Arbeitszeit im Zusammenhang mit Weiterbildungsmaßnahmen sind nicht als Arbeitszeit zu vergüten."

Unter Sonderregelung 1 - Außertarifliche Mitarbeiter - der Betriebsvereinbarung Gleitzeit (Anlage BK 1, Bl. 633 d. A.) heißt es:

"…

Tätigkeit, Aufgabenstellung und - umfang außertariflich angestellter Mitarbeiter sind in besonderem Maße über das Aufgabengebiet definiert. Insofern ist der für tarifliche Mitarbeiter gültige Zeitfaktor für diesen Personenkreis kein vorrangiges Kriterium; maßgeblich ist die Erfüllung des Aufgabenspektrums.

Außertariflich angestellte Mitarbeiter können grundsätzlich an der Gleitzeit teilnehmen. Für sie gelten jedoch die Regelungen über die Inanspruchnahme ganzer Gleitzeittage gemäß Ziffer I 3.5 nicht bzw. nur in abgewandelter Form.

…"

Am 28. Juni 2013 hat die Klägerin am Vormittag an einer Sitzung des IHK-Prüfungsausschusses teilgenommen. Sie hat für diesen Tag einen Dienstreisetag gemeldet, der mit 7,5 Stunden im Zeitkonto gutgeschrieben wurde.

Am 12. September 2013 erhielt der Personalleiter der Beklagten einen Hinweis darauf, dass die Klägerin am 03. Juni 2013 nicht direkt nach F. gefahren sei, sondern einen Umweg gemacht habe, um in einer Werkstatt in M./Main die Winterreifen ihres Privat-Pkws zu wechseln. Am 16. September 2013 erreichte der Personalleiter von seinem Urlaubsort aus telefonisch den Werkstattleiter in M., der den Besuch der Klägerin am 03. Juni 2013 gegen 15.00 Uhr in seiner Werkstatt bestätigte.

In Bezug auf ihre Arbeitszeiten und ihre diesbezügliche Dokumentation für den 03. bis 05. Juni 2013 sowie für den 28. Juni 2013 wurde die Klägerin mit Schreiben vom 23. September 2013 (Anlage 21, Bl. 174 ff. d. A.) angehört. Sie hat hierzu unter dem 25. September 2013 (Anlage 22, Bl. 181 ff. d. A.) Stellung genommen.

Mit Schreiben vom 26. September 2013 (Anlage 23, Bl. 184 ff. d. A.), dem die Stellungnahme der Klägerin beigefügt war, hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung an. Nach seiner Sitzung am selben Tag hat der Betriebsrat der beabsichtigen fristlosen Kündigung zugestimmt (Anlage 24, Bl. 188 d. A.).

Nach Ausspruch der Kündigung vom 30. September 2013 und Zugang bei der Klägerin am selben Tag wurde der Betriebsrat mit Schreiben vom 30. September 2013 (Anlage 26, Bl. 193 d. A.) darüber informiert, dass der Personalleiter beabsichtige, die auf dem der Klägerin zur Verfügung gestellten und ihm von ihr am 22. August 2013 übergebenen Notebook und/oder die im Sicherungsbereich der IT vorhandenen Dateien und Eintragungen, Schriftverkehr in Lotus Notes und auch den Terminkalender in Lotus Notes zu überprüfen. Der Betriebsrat wurde um Mitteilung von Bedenken oder Einwendungen bis 04. Oktober 2013 gegeben. Der Betriebsrat hat unter dem 01. Oktober 2013 (Anlage 27, Bl. 194 d. A.) mitgeteilt, dass er keinen Wiederspruch gegen die Überprüfung des Notebooks erhebe.

Bei der Beklagten gibt es eine Rahmenbetriebsvereinbarung zur Planung, Einführung, Anwendung und Änderung von Datenverarbeitungssystemen vom 29. März 2011 (Anlage 4 zum Schriftsatz vom 31. Oktober 2014, Bl. 683 ff. d. A.). Dort heißt es u.A.:

 “Ist es im begründeten Einzelfall erforderlich, personenbezogene Auswertungen zu erstellen, die zur Leistungs- und/oder Verhaltensüberwachung eingesetzt werden sollen, so ist der Betriebsrat zu informieren. In unzulässiger Weise erlangte Verhaltens- oder Leistungsdaten finden zur Begründung personeller Einzelmaßnahmen keine Berücksichtigung. Personelle Maßnahmen, die sich darauf begründen, sind unwirksam.“

Nach einer Richtlinie zur Nutzung betrieblicher IT-Komponenten (Anlage 25, Bl. 189, 191 d. A.) ist jegliche private Nutzung von Internet- und E-Mail-Diensten der Beklagten untersagt. Mit Unterschrift vom 14. Mai 2008 (vgl. Bl. 192 d. A.) hat sich die Klägerin zur Einhaltung der Bedingungen der Richtlinie verpflichtet und sich mit der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten im Rahmen der betrieblichen Internet- und E-Mail-Nutzung am Arbeitsplatz einverstanden erklärt.

Es wurde das dienstliche Notebook der Klägerin untersucht und es wurden dabei folgende als "privat" markierte Einträge der Klägerin in ihrem Lotus Notes Kalender vorgefunden:

- 24. April 2013 (Anlage 29, d. A.) 9:00 - 15:00 M. - Beschreibung: 10 - 12 Uhr Fr. L.

- 03. Juni 2013 (Anlage 28, Bl. 195 d. A.) 14:15 bis 15:15 Reifenwechsel L. - Beschreibung: 15 Uhr

- 07. Juni 2013 (Anlage 31, Bl. 198 d. A.) 8:00 - 12:00 Bundesjugendspiele

- 07. Juni 2013 (Anlage 30, Bl. 197 d. A.) 14:00 - 17:00 M. - Beschreibung: 14:30 - 15:30

Aus der Zeiterfassung ergibt sich, dass die Klägerin im Voraus einen Dienstreisetag - DT - für den 24. April 2013 sowie den 07. Juni 2013 angegeben hat. Sie war an diesen Tagen nicht im Betrieb.

Die Beklagte hat im Berufungsverfahren noch einen als "privat" markierten Eintrag im Kalender für den 07. Juni 2013 (Anlage 2 zum Schriftsatz vom 31. Oktober 2014, Bl. 676 d. A.) "Podiumsdiskussion 17:00 - 21:00, Kulturzentrum B. - Beschreibung: 18 Uhr" vorgelegt.

Die Klägerin hat unter Hinweis auf die Widerrechtlichkeit der Überprüfung des Notebooks vorsorglich hierzu vorgetragen. Sie hat am 07. Juni 2013 von 08.00 Uhr bis 12.00 Uhr tatsächlich bei den Bundesjugendspielen in der Grundschule ihrer Tochter geholfen. Sie ist dort Schulelternsprecherin.

Unter "Auslegungen/Erläuterungen zur Betriebsvereinbarung Gleitzeit vom 19.12.2003, Stand 01.08.2006" (Anlage K 11, Bl. 377 d. A.) heißt es:

"Problemkreis: Allgemein

Ehrenamtliche Tätigkeit

Ehrenamtliche Tätigkeiten liegen derzeit in vielfältiger Weise vor, so z.B.:

- ehrenamtlicher Richter in der Arbeitsgerichtsbarkeit

- ehrenamtlicher Richter in der Sozialgerichtsbarkeit

- ehrenamtliche Mitarbeit in den Selbstverwaltungsorganen und Ausschüssen der BKK Dr. O.

- ehrenamtliche Mitarbeit in den Selbstverwaltungsorganen und Ausschüssen der Rentenversicherungsträger

- ehrenamtliche Mitarbeit in den Selbstverwaltungsorganen und Ausschüssen der Berufsgenossenschaft Chemische Industrie

- ehrenamtliche Mitarbeit im Industriegruppen-Ausschuss der IG BCE.

Grundsätzlich besteht für solche ehrenamtlichen Tätigkeiten in der Regel kein Vergütungsanspruch, somit auch kein Anspruch auf Zeitgutschriften.

Da aber andererseits die ehrenamtliche Tätigkeit in bestimmten Gremien grundsätzlich begrüßt wird, werden bis auf weiteres für die genannten ehrenamtlichen Tätigkeiten in bestimmtem Umfang Zeitgutschriften vorgenommen, ohne dass dies allerdings präjudizierende Wirkung hat:

a)

Tätigkeiten in den Selbstverwaltungsorganen und Ausschüssen der BKK Dr. O. werden analog der Regelungen für Dienstreisen (Ziffer 3.3) behandelt.

b)

Die übrigen genannten ehrenamtlichen Tätigkeiten werden analog der Regelungen für ganztägige Abwesenheit (Ziffer 3.1) bzw. stundenweise Abwesenheit (Ziffer 3.2 a) behandelt, begrenzt auf die Sollarbeitszeit für den gesamten Arbeitstag unter Berücksichtigung der tatsächlichen, anrechenbaren Arbeitszeit."

Eine Mitarbeiterin der Klägerin hat am 20. September 2012 eine E-Mail des Personalleiters erhalten, die wie folgt lautet:

"Aus der gesellschaftspolitischen Verantwortlichkeit des Einzelnen heraus, aber auch um Firmen- und Gruppeninteressen zu wahren, zu vertreten und nach besten Kräften auszubauen, wird das persönliche Engagement von Mitarbeitern in staatstragenden Parteien, Organisationen der Sozialpartner, Verbänden, Vereinen, öffentlichen Institutionen und anderen demokratischen Zusammenschlüssen begrüßt und gefördert."

Am 29. August 2011 war die Klägerin zur Leiterin einer Außenstelle des "W. R." ernannt worden.

Mit Schreiben vom 03. Dezember 2013 (Anlage 33, Bl. 200 f. d. A.) hat die Beklagte den Betriebsrat im Hinblick auf ein beabsichtigtes Nachschieben von Kündigungsgründen in Bezug auf die Arbeitszeit und Angaben zur Arbeitszeit der Klägerin in Bezug auf den 28. Juni 2013, den 24. April 201 sowie den 07. Juni 2013 in Ergänzung ihrer Anhörung vom 26. September 2013 angehört. U.a. heißt es dort zum 07. Juni 2013:

"Interessantes zusätzliches Detail in diesem Zusammenhang:

Im Kalender ist am Vormittag von 8-12 Uhr „Bundesjugendspiele“ eingetragen (Anlage 5). Frau Dr. A. ist bzw. war zu diesem Zeitpunkt Schulelternsprecherin der Grundschule …; ihre Tochter… besucht/besuchte diese Schule.“

Der Betriebsrat teilte unter dem 10. Dezember 2013 (Anlage 34, Bl. 202 d. A.) mit, er komme nach eingehender Beratung zu keinem anderen Ergebnis als demjenigen im Anhörungsverfahren vom 26. September 2013, vielmehr sehe er sich nach den weiteren Informationen in seiner dort getroffenen Entscheidung bestätigt.

Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen:

Nach der Anwesenheitszeit im Büro am 03. Juni 2013 zwischen 08.18 Uhr und 10.45 sei sie nach Hause gefahren, um das Reisegepäck zu holen. Zwischen 11.15 Uhr und 13.30 Uhr habe sie in ihrem Homeoffice an einer dienstlichen Übersetzung gearbeitet. Nach einer Mittagspause sei sie um ca. 14.15 Uhr Richtung F. gefahren. Gegen ca. 15.00 Uhr habe sie in einer Werkstatt in M./Main dann einen Reifenwechsel an ihrem Privatfahrzeug vornehmen lassen. Dies sei aus Sicherheitsgründen erfolgt, da sie aufgrund ihres stark ausgeprägten Verantwortungsgefühls und als verantwortungsvolle Führungskraft das Risiko eines Wegeunfalls habe minimieren wollen. Da die Sommerreifen in M. eingelagert gewesen seien, sei der Umweg nicht zu vermeiden gewesen. Wegen eines schweren Unfalls auf der Autobahn sei sie dann erst gegen 23.30 Uhr in F. angekommen. Der Einfachheit halber habe sie die Zeit für die gesamte Anreise auf dem Zettel für die Zeiterfassung eingetragen. Dabei habe sie zu keinem Zeitpunkt den Vorsatz gehabt, den Arbeitgeber über ihre Arbeitszeit zu täuschen; vielmehr sei sie davon ausgegangen, dass die Mitarbeiter der Zeiterfassung die entsprechenden Korrekturen im System vornehmen und die korrekten Zeitguthaben erfassen würden.

Zudem gehe sie davon aus, dass für den Zeitraum vom 03. bis 05. Juni 2013 die erforderlichen Anträge vorlägen. Für sie sei nicht erklärlich, warum sie von ihrem üblichen System und dem von der Beklagten vorgegebenen Schema abgewichen sein sollte. Sie sei bei der Beantragung der Reisen und Reisemeldungen für die Messe am 04./05. Juni 2013 sowie 12./13. Juni 2013 identisch vorgegangen. Darüber hinaus sei es nicht möglich, in das Zeiterfassungssystem Unterbrechungen zu privaten Zwecken, z.B. den Reifenwechsel, einzugeben. Zudem habe sie vor dem Hintergrund ihres Zeitguthabens keine Notwendigkeit gesehen, eine Stunde der Abwesenheit für private Zwecke angeben zu müssen. Sie sei sich zwar nunmehr bewusst, dass dies kein exakt korrektes Verhalten darstelle, da sie jedoch in keiner bösen Absicht gehandelt habe, sei ein diesbezüglicher Vorsatz auszuschließen.

Am 28. Juni 2013 habe sie im Anschluss an die IHK-Versammlung tatsächlich noch kurz mit einzelnen Mitgliedern des Prüfungsausschusses und danach noch mit der weiteren Teilnehmerin der Beklagten gesprochen. Danach sei sie in ihr privates Home-Office zurückgekehrt. In ihrer Stellungnahme vom 25. September 2013, für die sie nur die kurze Frist vom 24. bis zum 26. September 2013 bekommen habe, habe sie mangels Zugangs zu den Zeiterfassungsdaten bzw. zu ihrem Notebook zu den Vorwürfen nur aus dem Gedächtnis antworten können.

Soweit die Beklagte nach Zugang der zweiten Kündigung ihr Notebook durchsucht habe, werde deren Berechtigung hierzu bestritten. Die Termine bei der Agentur in W., wie auch andere Termine, habe sie häufig mit "privat" markiert, um diese aus dienstlichen Vertraulichkeitsgründen für die allgemeine Ansicht zu blocken, nicht aber weil diese Termine tatsächlich privat gewesen seien.

Auch am 24. April 2013 habe es sich um einen dienstlichen Termin gehandelt, der inkl. Vor- und Nachbereitung mehr als 7,5 Std. gedauert habe. Entsprechendes gelte für die weiteren Eintragungen betreffend die Agentur in W.

In Bezug auf den 07. Juni 2013 sei zu berücksichtigen, dass im Konzern der Beklagten das Ehrenamt großgeschrieben werde. Ihre Vorgesetzten hätten es regelmäßig gern gesehen, dass sie sich ehrenamtlich, wie etwa für den W.  R., engagiert habe. Ausweislich der Erläuterungen zur Betriebsvereinbarung Gleitzeit würden Mitarbeiter, die sich ehrenamtlich engagierten, von der Beklagten unterstützt; z.B. durch Zeitgutschriften oder unbezahlter Freistellung. Auch wenn sie daher die Möglichkeit gehabt habe, sich für ihre Tätigkeiten im W. R. analog zu den ehrenamtlichen Richtern in der Zeiterfassung freistellen zu lassen bzw. Zeitgutschriften zu erhalten, habe sie dies nie in Anspruch genommen, sondern ihr ehrenamtliches Engagement regelmäßig in ihrer Freizeit durchgeführt. Im Rahmen ihrer ehrenamtlichen Tätigkeiten habe sie auch die Betreuung als Riegenführer bei den Bundesjugendspielen gesehen. Nach einer Mittagspause sei sie dann nach W. zur Agentur weiter gefahren und habe danach noch bis ca. 22.00 Uhr im Home-Office gearbeitet.

Ihre Home-Office Zeiten habe sie mit ihrem Vorgesetzen abgesprochen. Im Übrigen habe sie als außertarifliche Mitarbeiterin täglich nicht nur 7,5 Stunden, sondern entsprechend den betrieblichen Notwendigkeiten regelmäßig mehr gearbeitet, auch frühmorgens, abends und am Wochenende von zu Hause aus.

Bereits nach ihrem eigenen Vortrag habe die Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten, insbesondere die gebotene Aufklärung nicht mit der gebotenen Eile durchgeführt.

Die Klägerin hat beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 13. September 2013 nicht zum 31. März 2014 aufgelöst worden ist.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten zum 30. September 2013 noch durch die ordentliche Kündigung zum 31. März 2014 aufgelöst worden ist.

Hilfsweise:

Im Falle des Obsiegens wird die Beklagte verurteilt, die Klägerin zu den bisherigen Bedingungen als Head of C. Analytics oder auf einem anderen angemessenen gleichwertigen Arbeitsplatz über den 31. März 2014 hinaus weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen:

Nach Erhalt des Hinweises am 12. September 2013 hätten die Nachforschungen des Personalleiters ergeben, dass die Klägerin ihre Arbeitszeiten nicht korrekt erfasst habe. Die Zeitmeldung vom 10. Juni 2013 - ohne Unterschrift des Vorgesetzten - habe sie direkt bei der ihr unterstellten Zeitbeauftragten zur Erfassung im System eingereicht. Ihr Verhalten verstoße in mehrfacher Hinsicht gegen betriebliche Regelungen. Nach Abschnitt 3.3 der Betriebsvereinbarung „Gleitzeit“ stellten Besuche u.a. von Messen keine Dienstreisen, sondern Weiterbildungsmaßnahmen dar. Dies mit der Folge, dass hierfür bei ganztägiger Abwesenheit die Soll-Arbeitszeit (7,5 Std.) dem Gleitzeitkonto gutgeschrieben werde. Außerdem sei darauf zu verweisen, dass in der Betriebsvereinbarung „Weiterbildung“ in Abschnitt 4. Abs. 6 geregelt sei, dass Reisezeiten außerhalb der Arbeitszeit nicht zu vergüten seien. Die Teilnahme an einer Weiterbildungsmaßnahme bedürfe eines Antrags, der schriftliche Genehmigung der Geschäftsleitung sowie einer Anmeldung hierzu. Diese Praxis sei der Klägerin auch bekannt, wie ihr Antrag für ein Dialektik-Seminar zeige. Durch die fehlerhafte Bezeichnung des Messebesuchs als „Dienstgang“ habe sich die Klägerin somit ein unzulässiges Zeitguthaben gutschreiben lassen. Im Falle eines Dienstganges hätte die Klägerin die ihr auch tatsächlich gutgeschrieben bis zu 10 Std. (2 Std. 12 Min. Arbeitszeit plus 7 Std. 48 Min. „Dienstgang“) ansetzen dürfen. Demgegenüber hätte sich die Klägerin bei einer Weiterbildung richtigerweise für den Anreisetag über ihre Arbeitszeit von 08.18 Uhr bis 10.45 Uhr hinaus keine Reisezeit gutschreiben lassen dürfen. Entsprechend verhalte es sich mit dem Abreisetag am 05.06.2013. Somit habe sich die Klägerin eine ungerechtfertigte Zeitgutschrift von zusammen 10 Std. 18 Minuten erschlichen, was bei dem Gehalt der Klägerin einer unberechtigten Vergütung von ca. 380 € entspreche. Den offensichtlichen Fehler einer über 10 Stunden hinausgehenden Zeitgutschrift für den 03. und 05. Juni 2013 habe der Zeitbeauftragte selbstverständlich erkannt und auf die zulässigen 10 Stunden beschränkt. Indes habe er keinerlei Veranlassung gehabt anzunehmen, dass die erfahrene Klägerin den Unterschied zwischen „Dienstgang“ und „Weiterbildungsmaßnahme“ nicht kenne. Es sei daher von einer wissentlichen und vorsätzlichen Erschleichung eines Freizeitguthabens auszugehen. Soweit die Klägerin am 03. Juni 2013 überhaupt nicht vom Werk aus nach F. gefahren sei, sondern in M. am Main gegen 15.00 Uhr einen Reifenwechsel an ihrem Privatfahrzeug habe durchführen lassen, sei die Angabe „Dienstgang“ nicht gerechtfertigt. Ungeklärt bleibe zudem die Zeit zwischen Verlassen des Werksgeländes um ca. 10.45 Uhr bis zum Eintreffen in der Werkstatt, da man für diese Wegstrecke nur ca. 1 Std. benötige. Der Klägerin habe wissentlich für eine dienstlich nicht begründbare Abwesenheit die Verrichtung einer dienstlichen Aufgabe vorgetäuscht. Jedenfalls bestehe der dahin gehende dringende Verdacht.

Unzutreffend sei die Behauptung der Klägerin, es sei nicht möglich in das Zeiterfassungssystem Unterbrechungen zu privaten Zwecken einzugeben. Selbstverständlich hätten die Mitarbeiter, so auch die Klägerin, die Möglichkeit, über eine „Geht-Buchung“ bei Verlassen des Werkes oder durch nachträgliche Zeitmeldungen private Verrichtungen im Zeitkonto erfassen zu lassen. Während der Kernzeit sei sie dazu sogar verpflichtet.

Die ordentliche Kündigung vom 13. September 2013 sei sozial gerechtfertigt, da die Klägerin spätestens ab dem Jahr 2010 als Hauptverursacherin und Hauptverantwortliche für eine signifikante Beeinträchtigung und Verschlechterung des Arbeitsklimas in der von ihr geführten Abteilung verantwortlich gewesen sei. Im Interesse des Unternehmens, des Arbeits- und Betriebsklimas sowie im Rahmen der Fürsorgepflicht für die Abteilung habe sie sich entschieden, der Klägerin zu kündigen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die fristlose Kündigung der Beklagten vom 30. September 2013 sei wirksam. Die Klägerin habe für den 07. Juni 2013 in der Zeiterfassung für den gesamten Tag (7,5 Stunden.) "Dienstreise“ angegeben, tatsächlich aber von 08.00 Uhr bis 12.00 Uhr einen privaten Termin als Riegenführerin bei den Bundesjugendspielen in der Schule ihrer Tochter wahrgenommen. Da die Klägerin gewusst habe, dass es sich dabei nicht um eine dienstliche Verrichtung handle, habe sie vorsätzlich eine Falscheintragung im Zeiterfassungssystem vorgenommen. Die Beklagte sei berechtigt gewesen, das Notebook der Klägerin einzusehen. Den Beschäftigten sei gemäß der Richtlinie zur Nutzung betrieblicher IT-Komponenten die private Nutzung des Notebooks untersagt gewesen und zudem habe sich die Klägerin mit der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung ihrer personenbezogenen Daten im Rahmen der betrieblichen Internet- und E-Mail-Nutzung am Arbeitsplatz ausdrücklich einverstanden erklärt. Der Betriebsrat habe nach Unterrichtung gegen das beabsichtigte Vorgehen der Beklagten keine Einwände erhoben. Soweit die Klägerin sich darauf berufe, dass im Konzern der Beklagten das Ehrenamt großgeschrieben werde und es ihre Vorgesetzten regelmäßig gern gesehen hätten, dass sie sich ehrenamtlich engagiere, sei ihr Vorbringen bereits unsubstantiiert und damit unbeachtlich. Zudem gehe der Hinweis der Klägerin auf die Erläuterungen zur Betriebsvereinbarung Gleitzeit völlig fehl. Aus dieser ergebe sich gerade kein Vergütungs- oder auch nur Freizeitanspruch der Klägerin und schon gar nicht das Recht, ihre Arbeitszeit falsch zu dokumentieren. Dort sei ausdrücklich geregelt, dass grundsätzlich für ehrenamtliche Tätigkeiten kein Vergütungsanspruch und damit auch kein Anspruch auf Zeitgutschriften bestehe. Im Vergleich zu den in der Erläuterungen angesprochen Tätigkeiten sei nicht ersichtlich, dass die Teilnahme der Klägerin an schulischen Veranstaltungen ihrer Tochter überhaupt den vorgenannten Tätigkeiten i.S. eines Ehrenamtes unterliegen würde. Hiervon habe auch die Klägerin nicht ausgehen können. Es sei nicht verständlich, wie die intelligente und geschäftserfahrene Klägerin, noch dazu als Führungskraft, davon hätte ausgehen können, die genannten Regelungen würden, zudem noch ohne eine Rücksprache mit den Vorgesetzten, die von ihr vorgenommene Falschangabe bei der Arbeitszeiterfassung rechtfertigen können. Es habe keiner vorherigen Abmahnung bedurft. Die Klägerin habe sich auch noch im Kammertermin hartnäckig der Erkenntnis verschlossen, dass es nicht darauf ankomme, ob sie in anderen Fällen ggf. von ihr geleistete Überstunden nicht dokumentiert habe, sondern darauf, dass der Arbeitgeber auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit seiner Mitarbeiter vertrauen können müsse. Ihre Erklärung, sie wäre nach einem Hinweis selbstverständlich sofort ordentlich und genauer mit der Zeiterfassung umgegangen, habe nur einen eingeschränkten Erkenntniswert, da jeder Arbeitnehmer in der nunmehrigen Situation der Klägerin so argumentieren würde. Dies gelte insbesondere, weil sich die Klägerin uneinsichtig und „beratungsresistent“ gezeigt habe. Die Interessenabwägung führe vorliegend zu keinem anderen Ergebnis. Neben der nicht allzu langen Beschäftigungsdauer der Klägerin seien die Unterhaltsverpflichtung und das für eine solche Position noch relativ junge Lebensalter der Klägerin zu berücksichtigen gewesen. Unter Berücksichtigung auch der Ungereimtheiten in der Arbeitszeiterfassung insbesondere für den 03. Juni 2013 (Reifenwechsel), sei die Kammer zu der Überzeugung gekommen, dass das Interesse der Beklagten an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses dasjenige der Klägerin an dessen Fortsetzung überwiege. Dabei seien auch die hervorgehobene Führungsposition der Klägerin, für die ein uneingeschränktes Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien Voraussetzung sei sowie die Vorbildfunktion der Klägerin gegenüber den ihr unterstellten Mitarbeitern und die Uneinsichtigkeit der Klägerin in Betracht gezogen worden. Der Betriebsrat sei ausweislich der von der Beklagten vorgelegten Unterlagen nachträglich ordnungsgemäß zu den nachgeschobenen Kündigungsgründen angehört worden. Bezüglich des Kündigungsgrundes beständen auch keine Bedenken an der Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB.

Das Urteil ist der Klägerin am 07. Mai 2014 zugestellt worden ist. Die Klägerin hat hiergegen mit am 10. Juni 2014 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 10. Juni 2014 Berufung eingelegt und diese durch am 03. Juli 2014 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 02. Juli 2014 begründet.

Die Klägerin trägt vor:

Die Beklagte habe durch die Einsicht in ihren gemischt genutzten Terminkalender gegen das Bundesdatenschutzgesetz verstoßen. Um Termine, insbesondere auch geschäftliche Termine, gut koordinieren zu können, bleibe es nicht aus, private Termine ebenfalls in den Terminkalender einzutragen. Damit handle es sich nicht automatisch um eine private Nutzung des Notebooks. Es gebe insbesondere durch ihre Einverständniserklärung keinen Freibrief für die Beklagte, ihr gesamten Notebook zu checken. Die Beklagte habe ihr keine Möglichkeit zur Beteiligung an der Aufklärung in Bezug auf den 07. Juni 2013 gegeben. Die Beklagte hätte sie zumindest informieren müssen, dass das Notebook an dieser Stelle eingesehen werde.

Sie habe ihre ehrenamtliche Tätigkeit als Riegenführerin bei den Bundesjugendspielen in Kenntnis der Betriebsvereinbarung Gleitzeit mit den Regelungen zu Zeitgutschriften hinsichtlich des Ehrenamts als "Dienstreise" eingetragen. Die Bundesjugendspiele hätten nicht durchgeführt werden können, wenn die Schule nicht auf ehrenamtliche Unterstützung der Eltern hätte zurückgreifen können. Sie sei der Ansicht gewesen, dass ihre ehrenamtliche Tätigkeit bei der Beklagten als Arbeitszeit gewertet werde. Im Konzern der Beklagten werde das Ehrenamt hochgeschrieben und ihre Vorgesetzten hätten es regelmäßig gern gesehen, dass sie sich ehrenamtlich engagiere. Dies tue sie im W. R. - die Konzernleitung sei im W. R. ebenfalls tätig - sowie in der Schule ihrer Tochter als Elternbeirat. Sie habe daher keine vorsätzliche Falscheintragung vorgenommen. Eintragungen der Arbeitszeiten würden bei der Beklagten durch Mitarbeiter der Personalabteilung überprüft und weiterdokumentiert. Gegebenenfalls würden bei Unstimmigkeiten Korrekturen vorgenommen. Dies sei in ihrem Fall nicht erfolgt. In einem Gespräch mit dem Personalleiter habe sie erfahren, dass ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten zu den von der Beklagten und der O.-Gruppe geförderten ehrenamtlichen Tätigkeiten gehörten. Entsprechend seien ihr Zeitgutschriften gewährt und Arbeitssouveränität zugestanden worden. Eine Abmahnung hätte ihr die fehlerhafte Auslegung der Betriebsvereinbarung aufzeigen können. Sie wäre in der Folge einer Abmahnung selbstverständlich ordentlich und genauer mit der Zeiterfassung umgegangen.

Sie habe im Vorhinein gewusst, dass sie am 07. Juni 2013 den ganzen Tag abwesend sein würde und deswegen einen Dienstreisetag eingegeben. Sie habe auch gewusst, dass sie im Anschluss dann noch Home-Office machen würde. Durch ihre Angabe sei nach außen hin klar gewesen, dass sie an diesem Tag nicht im Betrieb anwesend sei. Regelmäßige Rücksprachen mit ihrem Vorgesetzten zu ihrem Arbeitsgebiet oder gar ihrer Zeiterfassung seien bei der Beklagten nicht an der Tagesordnung gewesen. Sie habe bei der Beklagten funktionsbezogen und nicht zeitbezogen gearbeitet. Sie habe sich nicht an die Kernzeiten gehalten gesehen, sondern regelmäßig darüber hinaus gearbeitet. Sie habe nicht regelmäßig Aufzeichnungen zur Zeiterfassung erstellt, wenn sie nach Dienstschluss weitere Arbeiten in ihrem Homeoffice erledigt habe. Indem die Beklagte ihr Laptop und Blackberry zur Verfügung gestellt habe, sei ihr ein Arbeiten außerhalb der Räumlichkeiten der Beklagten ermöglicht worden. Die Beklagte müsse sich ein Mitverschulden des Vorgesetzten anrechnen lassen. Dieser habe zwar behauptet, Home-Office sei nicht mit ihm abgesprochen worden und die Zeitmeldung von Mai 2013 habe ihn überrascht, allerdings habe er auch eingeräumt, das Thema nicht diskutiert oder angemahnt zu haben.

Die Podiumsdiskussion am 07. Juni 2013 sei von 18.00 auf 20.00 Uhr verschoben worden und sie habe lediglich an der tatsächlichen Diskussion teilgenommen, um anschließend an der Website der Beklagten mit Herrn S. weiterzuarbeiten. Sie habe also nach dem Besuch der Agentur M. Home-Office durchgeführt und dieses im Anschluss an die Diskussion fortgeführt. Am 10. Juni 2014 habe sie die Übersetzung ihrer Kollegin übergeben.

Was ihre Angaben zu dem Messebesuch ab dem 03. Juni 2013 angehe, so sei sie meistens auf Dienstreisen gewesen und selten auf Lehrgängen bzw. Messebesuchen. Deswegen habe sie grundsätzlich Dienstreise eingetragen als Kürzel. Für sie sei das so gewesen: "Ich bin unterwegs, das ist eine Dienstreise", und so habe sie das dann auch angegeben. Sie habe sich mit der Unterscheidung Weiterbildung und Dienstreise in Bezug auf ihre eigene Abrechnung nie detailliert auseinandergesetzt. Es sei im Vorhinein nicht möglich gewesen, in Bezug auf die automatische Zeiterfassung eine Weiterbildung anzugeben. Bei der Workflowmeldung in Bezug auf die Messe habe sie "Dienstreise" und "Messe" gemeldet.

Im Hinblick auf den 28. Juni 2013 habe ihr bei ihrer ersten Stellungnahme im Rahmen der Anhörung der Laptop nicht zur Verfügung gestanden. Sie habe dann im Nachhinein eigene Aufzeichnungen gesichtet und sich dann besser zusammensuchen können, welche Tätigkeiten sie erbracht habe. So sei es gekommen, dass sie erst später die Angabe gemacht habe, sie habe nach dem Termin bei der Handelskammer Home-Office gemacht.

Bei der Interessenabwägung seien ihre Betriebszugehörigkeit von 6 Jahren, ihr Alter von 46 Jahren sowie die Unterhaltspflicht gegenüber einem schwer erkrankten Kind zu berücksichtigen.

Bei einer vage auf "Unregelmäßigkeiten" gestützten außerordentlichen Kündigung werde durch das Nachschieben von Kündigungsgründen lange Zeit nach deren Ausspruch Tür und Tor für Missbrauch geöffnet und die Zweiwochenfrist ad absurdum geführt.

Die Betriebsratsanhörung sei fehlerhaft. Sie enthalte keinen Hinweis darauf, dass sie am 07. Juni 2013 in der Zeit von 8 bis 12 Uhr tatsächlich bei den Bundesjugendspielen gewesen sei und dennoch in ihrer Zeiterfassung eine Arbeitszeitgutschrift eingetragen habe.

Die Klägerin beantragt:

1.

Das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 12. Februar 2014, 1 Ca 1719/13, wird abgeändert.

2.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten zum 30. September 2013 noch durch die ordentliche Kündigung zum 31. März 2014 aufgelöst worden ist.

3.

Im Falle des Obsiegens wird die Beklagte verurteilt, die Klägerin zu den bisherigen Bedingungen als Head of C. Analytics oder auf einem anderen angemessenen gleichwertigen Arbeitsplatz über den 30. September 2013 hinaus weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung mit Schriftsatz vom 05. August 2014 sowie des weiteren Schriftsatzes vom 31. Oktober 2014, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 599 ff., 643 ff. d. A.). Ergänzend zu ihrem Vorbingen in der ersten Instanz führt sie aus, die Einsichtnahme in den Kalender sei durch die Einwilligungserklärung der Klägerin vom 14. Mai 2008 gedeckt. Zudem handle es sich bei der Rahmenbetriebsvereinbarung EDV um eine vorrangige Erlaubnisnorm iSv. § 4 Abs. 1 BDSG. Auch die Privatnutzung des elektronischen Kalenders sei verboten gewesen. Die Klägerin habe wegen der von vornherein eingeschränkten Vertraulichkeit der Privatnutzung damit rechnen müssen, dass Eintragungen in einem Prozess gegen sie verwendet werden könnten.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A. Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Die nach § 64 ArbGG statthafte Berufung ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 517, 519 f. ZPO form- und fristgerecht eingelegt und in ausreichender Weise begründet worden.

B. In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 30. September 2013 ist wirksam und hat das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien mit ihrem Zugang aufgelöst. Der Weiterbeschäftigungsantrag fällt daher nicht zur Entscheidung an.

I. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 30. September 2013 ist wirksam.

1. Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liegt vor.

a) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, juris).

b) Das Verhalten der Klägerin rechtfertigt an sich eine außerordentliche Kündigung.

Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Dies gilt für einen vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch. Der Arbeitgeber muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit der am Gleitzeitmodell teilnehmenden Arbeitnehmer vertrauen können. Überträgt er den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und füllt ein Arbeitnehmer die dafür zur Verfügung gestellten Formulare wissentlich und vorsätzlich falsch aus, so stellt dies in aller Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch dar. Nicht anders zu bewerten ist es, wenn der Arbeitnehmer verpflichtet ist, die geleistete Arbeitszeit mit Hilfe des Arbeitsplatzrechners in einer elektronischen Zeiterfassung zu dokumentieren, und er hierbei vorsätzlich falsche Angaben macht. Der Arbeitnehmer verletzt damit in erheblicher Weise seine ihm gegenüber dem Arbeitgeber bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme, § 241 Abs. 2 BGB (vgl. BAG 09. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 14, juris).

aa) In Bezug auf den Messebesuch vom 03. bis 05. Juni 2013 hat die Klägerin zwar auf Grund ihrer fehlerhaften Angabe "Dienstgang" statt "Weiterbildung" für den An- und Abreisetag Zeitgutschriften für 10 statt für 7,5 Stunden erhalten können. Jedoch handelt es sich bei einem Messebesuch nicht klassischerweise um eine Weiterbildungsveranstaltung. Es ist auch nicht ersichtlich, dass derartige Veranstaltungen für die Klägerin derart an der Tagesordnung waren, dass eine versehentliche Meldung als Dienstreise/Dienstgang ausgeschlossen werden kann. Bei dem privaten Reifenwechsel am 03. Juni 2013 handelt es sich um eine Unregelmäßigkeit. Allerdings führt die seitens der Klägerin insgesamt in Folge einer Verkehrsstörung erhebliche Anreisezeit dazu, dass die unterlassene Meldung des privaten Schlenkers zum Reifenwechsel nicht als so gravierend gesehen wird, dass eine Abmahnung entbehrlich gewesen wäre.

bb) Eine die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung der Klägerin liegt nach dem unstreitigen Sachverhalt aber in Bezug auf den 07. Juni 2013 vor. Die Klägerin hat durch ihre Angabe "Dienstreise" für die Zeiterfassung für den 07. Juni 2013 eine ganztägige Dienstreise vorgetäuscht. Die Klägerin hat vorgespiegelt, beruflich veranlasst betriebsabwesend zu sein und zu arbeiten, während sie sich bei einer Sportveranstaltung an der Schule ihrer Tochter aufhielt. Der Klägerin wurden aufgrund dieser Falschdeklaration 7,5 vergütungspflichtige Stunden gutgeschrieben. Ein solches Vorgehen stellt einen schweren Vertrauensbruch dar.

Für den 07. Juni 2013 hat die Klägerin im Voraus eine ganztägige Dienstreise - Kürzel "DT" angegeben. Tatsächlich hatte die Klägerin vor, an dem als Dienstreise-Tag gemeldeten Arbeitstag von 8:00 bis 12:00 Uhr bei den Bundesjugendspielen in der Grundschule ihrer Tochter zu helfen und hat dies auch getan. Die Klägerin beruft sich darauf, danach einen geplanten dienstlichen Besprechungstermin bei der Agentur M. von 14:00 bis 17:00 Uhr wahrgenommen zu haben. Lediglich in Bezug auf einen solchen Termin wäre die Angabe "Dienstreise" korrekt und eine entsprechende Vergütung für drei Stunden gerechtfertigt gewesen. Für jedenfalls 4,5 Stunden hat die Klägerin durch die im Vorfeld getätigte falsche Angabe einer Dienstreise eine Zeitgutschrift erhalten, obwohl tatsächlich während dieser 4,5 Stunden keine Dienstreise anstand. Die Klägerin hat vorsätzlich eine falsche Angabe gemacht.

aaa) Die Klägerin beruft sich ohne Erfolg darauf, sie habe in Kenntnis der Betriebsvereinbarung Gleitzeit mit der Regelung von Zeitgutschriften hinsichtlich des Ehrenamts ihre Tätigkeit als Riegenführerin als Dienstreise eingetragen.

(1) Eine Tätigkeit als Riegenführerin bei den Bundesjugendspielen ist keine vergütungspflichtige Zeit im Sinne der Betriebsvereinbarung Gleitzeit vom 19. Dezember 2003, die in bestimmtem Umfang Zeitgutschriften für ehrenamtliche Tätigkeiten vorsieht.

Es geht nach der Betriebsvereinbarung um ehrenamtliche Tätigkeiten als Richter in der Arbeitsgerichtsbarkeit und Sozialgerichtsbarkeit, in den Selbstverwaltungsorganen und Ausschüssen der BKK Dr. O., der Rentenversicherungsträger und der Berufsgenossenschaft Chemische Industrie sowie um ehrenamtliche Mitarbeit im Industriegruppen-Ausschuss der IG BCE.

Die Tätigkeit als Schulelternbeirat gehört nicht zu den genannten ehrenamtlichen Tätigkeiten.

 (2) Die Klägerin beruft sich auch ohne Erfolg darauf, sie habe die Tätigkeit jedenfalls als Ehrenamt im Sinne der Betriebsvereinbarung verstanden und damit nicht vorsätzlich gehandelt.

Auf einen unverschuldeten Rechtsirrtum kann sich die Klägerin nicht berufen. Sie musste bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt davon ausgehen, dass die Beklagte eine Tätigkeit als Riegenführerin bei den Bundesjugendspielen nicht vergüten wollte. An die zu beachtenden Sorgfaltspflichten sind strenge Maßstäbe anzulegen. Es reicht nicht aus, dass sich die betreffende Partei ihre eigene Rechtsauffassung nach sorgfältiger Prüfung und sachgemäßer Beratung gebildet hat. Unverschuldet ist ein Rechtsirrtum nur, wenn sie mit einem Unterliegen im Rechtsstreit nicht zu rechnen brauchte (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 34, juris).

Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Klägerin hat aus einem privaten Anlass heraus eine ehrenamtliche Tätigkeit als Elternbeirat in der Schule ihrer Tochter übernommen. Nach den Auslegungen/Erläuterungen zur Betriebsvereinbarung Gleitzeit sind vergütungsrechtlich privilegiert ehrenamtliche Tätigkeiten in der Justiz sowie in Selbstverwaltungsorgangen und Ausschüssen, welche die Beklagte betreffen und bei denen ein Interesse an Repräsentanz durch Mitarbeiter der Beklagten besteht. Es geht nicht darum jegliche ehrenamtliche Tätigkeit einer vergütungspflichtigen Arbeitszeit gleichzustellen. Dies ergibt sich eindeutig aus den Regelungen. Es ist auch sonst kein Grund ersichtlich, aus dem eine ehrenamtlich Tätigkeit, welche die Klägerin ohne Bezug zu ihrem Arbeitgeber aus einem privaten Anlass heraus übernimmt, von ihrem Arbeitgeber finanziert werden sollte. Ein unverschuldeter Rechtsirrtum der Klägerin kommt daher nicht in Betracht. Hinzu kommt, dass ein Einsatz der Klägerin als Riegenführerin bei den Bundesjugendspielen auch nicht Teil ihres Amtes als Elternbeirat ist.

 (3) Die Klägerin führt an, in einem Gespräch mit dem Personalleiter habe sie erfahren, dass ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten zu den von der Beklagten und der O.-Gruppe geförderten ehrenamtlichen Tätigkeiten gehörten. Entsprechend seien ihr Zeitgutschriften gewährt und Arbeitssouveränität zugestanden worden. Es ist nicht ersichtlich, dass diese pauschal behaupteten Aussagen des Personalleiters sich überhaupt auf die ehrenamtliche Tätigkeit der Klägerin als Elternbeirat bezogen haben sollen. Insoweit hat die Klägerin selbst wiederholt betont, dass ihre Tätigkeit für den W. R. in besonderem Maße durch die Beklagte begrüßt worden sei. Jedenfalls war der Einsatz der Klägerin als Riegenführerin bei den Bundesjugendspielen nicht durch ihr Amt vorgegeben, sondern beruhte auf ihrer persönlichen Entscheidung, ihre Zeit hierfür zur Verfügung zu stellen. Dabei musste ihr klar sein, dass es dabei um eigene Freizeit und nicht um von ihrem Arbeitgeber zu vergütende Arbeitszeit ging.

Auch die von der Klägerin vorgelegte E-Mail des Personalleiters vom 20. September 2012 führt nicht zu einer anderen Wertung. Zwar wird dort ausgeführt, dass das persönliche Engagement von Mitarbeitern in staatstragenden Parteien, Organisationen der Sozialpartner, Verbänden, Vereinen, öffentlichen Institutionen und anderen demokratischen Zusammenschlüssen begrüßt und gefördert werde. Dass persönliches Engagement ohne eine Rücksprache mit der Personalabteilung als Dienstreise deklariert werden könne und die Beklagte dieses persönliche Engagement mit dem Stundenlohn des Mitarbeiters vergüten wolle, ist dieser Erklärung nicht zu entnehmen.

bbb) Die Klägerin erklärt im Hinblick auf den 07. Juni 2013 weiter, sie habe im Vorhinein gewusst, dass sie den ganzen Tag abwesend sein würde und habe deswegen Dienstreisetag eingegeben. Sie habe auch gewusst, dass sie im Anschluss dann noch Home-Office machen würde. Durch ihre Angabe sei dann nach außen hin klar gewesen, dass sie an diesem Tag nicht im Betrieb anwesend sein werde.

Unabhängig davon, ob durch ihre Angabe eines Dienstreisetags auch eine Abwesenheit nach außen dokumentiert wird, dient die Angabe im Rahmen der Zeiterfassung der Abrechnung. Die Klägerin hat hierdurch eine Gutschrift von 7,5 Stunden ausgelöst, obwohl eine Dienstreise nach ihren Angaben nur im Umfang von 3 Stunden vorlag. Sie hat damit eine relevante vergütungsrechtlich bedeutsame Erklärung abgegeben.

ccc) Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin darauf, die fehlenden Stunden am Vormittag seien durch Home-Office am Abend ausgeglichen worden.

 (1) Die Klägerin hatte keine Vertrauensarbeitszeit, sondern hat in Gleitzeit gearbeitet. Die vergütungspflichtigen Zeiten wurden genau nachgehalten. Im Arbeitszeitkonto der Klägerin wurden die Arbeitszeiten im Betrieb sowie zu vergütende Zeiten außerhalb des Betriebes jeweils konkret erfasst und Korrekturen wurden unter Verwendung ausdifferenzierter Kürzel etwa "DG - Dienstgang", "DT Dienstreise Tage", "L1 - Lehrgang" eingepflegt. Entsprechend gab es ein Formular zur Zeitmeldung, das genaue Angaben zu den Korrekturzeiten unter Verwendung dieser Kürzel vorsah. Das Dokumentationssystem der Beklagten war was diese inhaltliche Seite angeht ausgefeilt. Auch das Verfahren der Dokumentation war bürokratisch. Bei Zeitmeldungen zur manuellen Erfassung/Korrektur vergütungspflichtiger Zeiten war neben den Angaben zur Zeit und dem Fehl- bzw. Korrekturgrund die Unterschrift des Mitarbeiters selbst, seines Vorgesetzten sowie des für die Erfassung zuständigen Zeitbeauftragten vorgesehen. Dies belegt, dass eine korrekte Arbeitszeiterfassung für die Beklagte eine grundlegende Bedeutung hatte.

Nichts anderes ergibt sich aus der Sonderregelung 1 - Außertarifliche Mitarbeiter - der Betriebsvereinbarung. Dort ist geregelt, dass der für tarifliche Mitarbeiter gültige Zeitfaktor für diesen Personenkreis kein vorrangiges Kriterium ist, sondern maßgeblich die Erfüllung des Aufgabenspektrums ist. Allerdings können nach der Regelung außertariflich angestellte Mitarbeiter grundsätzlich an der Gleitzeit teilnehmen. Dies hat die Klägerin getan. Damit galten für sie dann auch die strengen Regelungen zur Arbeitszeiterfassung.

 (2) Selbst wenn die Klägerin an dem Tag tatsächlich noch 4,5 Stunden im Homeoffice gearbeitet haben sollte, durfte sie nicht annehmen, dass entgegen den betrieblichen Regelungen zu korrekter Arbeitszeiterfassung die Gutschrift von zu vergütenden Stunden durch eine Falschdeklaration bewirkt werden dürfte. Die Klägerin hatte auch eine Kernzeit von 8.30 bis 15.00 Uhr einzuhalten. Sie hat mit der Angabe "Dienstreise" vorgespiegelt, beruflich veranlasst betriebsabwesend zu sein und zu arbeiten, während sie sich bei einer Sportveranstaltung an der Schule ihrer Tochter aufhielt.

 (3) Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, die Beklagte müsse sich in Bezug auf genommene Freiheiten beim Home-Office ein Mitverschulden ihres Vorgesetzten anrechnen lassen. Dieser habe zwar behauptet, Home-Office sei nicht mit ihm abgesprochen worden und die Zeitmeldung habe ihn überrascht, jedoch habe er eingeräumt, das Thema im Anschluss an die Unterzeichnung der Home-Office-Zeiten im Mai 2013 auch nicht diskutiert oder angemahnt zu haben.

Auch wenn der Vorgesetzte kommentarlos durch Abzeichnung der Home-Office-Tage im Mai 2013 diese Art der zu vergütenden Arbeitsleistung kurz vor dem 07. Juni 2013 toleriert hat, durfte die Klägerin aus dieser neuen Entwicklung nicht schließen, dass die Gutschrift von vergütungspflichtigen Stunden dann auch noch durch eine Falschdeklaration bewirkt werden dürfte.

 (4) Hinzu kommt, dass auch nicht nachvollziehbar ist, wie die Klägerin am 07. Juni 2013 nach einem Termin bei der Agentur bis 17.00 Uhr und bei einer Teilnahme an einer Podiumsdiskussion, die nach ihren Angaben um 20.00 Uhr begann, bis 22.00 Uhr noch 4,5 Stunden gearbeitet haben kann.

ddd) Die von der Klägerin angeführte Überprüfung von Arbeitszeitmeldungen der Mitarbeiter durch die Personalabteilung und Korrektur bei Unstimmigkeiten hat die Klägerin mit ihrer Angabe "Dienstreise" gerade umgangen. Sie hat nicht offen angegeben, dass sie Hilfe bei den Bundesjugendspielen leisten wolle und hierfür Vergütung begehre.

cc) Eine falsche Dokumentation liegt auch im Hinblick auf den 28. Juni 2013 vor. Die Klägerin hatte zuvor für diesen Tag einen Dienstgang mit 7,5 vergütungspflichtigen Stunden angegeben. Tatsächlich war die Besprechung beim IHK-Prüfungsausschuss bereits am Vormittag beendet. Unterstellt, die Klägerin hätte im Nachgang Homeoffice gemacht, läge dennoch - zumindest - eine Falschdeklaration in Bezug auf den Grund für die Inanspruchnahme von Vergütung vor.

c) Die außerordentliche Kündigung ist auch unter Berücksichtigung der weiteren Umstände des Streitfalls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen der Parteien gerechtfertigt.

Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24, juris). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist. Dies gilt grundsätzlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich (BAG 09. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 18, juris).

aa) Eine Abmahnung war nach den Umständen des Falls entbehrlich. Es bedurfte keiner Klarstellung der vertraglichen Pflichten. Eine Hinnahme der Falschdeklaration insbesondere für den 07. Juni 2013 war durch die Beklagte offensichtlich - auch für die Klägerin erkennbar - ausgeschlossen.

Die Klägerin hat vorgespiegelt, beruflich veranlasst betriebsabwesend zu sein und zu arbeiten, während sie sich bei einer Sportveranstaltung an der Schule ihrer Tochter aufhielt. Mit dieser Falschdeklaration hat sie die Gutschrift von 4,5 vergütungspflichtige Stunden bewirkt. Die für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauensgrundlage erscheint angesichts dessen auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht mehr wiederherstellbar. Das Arbeitsgericht hat zu Recht auf auch auf die hervorgehobene Führungsposition der Klägerin verwiesen, für die ein uneingeschränktes Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien Voraussetzung ist. Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit sind hierfür unabdingbar. Eine Falschdeklaration zur Arbeitszeit ist unvereinbar mit diesem der Klägerin verliehenen Status. Die Klägerin hatte als Führungskraft Personalverantwortung für 38 Mitarbeiter und nahm insoweit selbst Arbeitgeberfunktionen wahr. Ihre Aufgabe war der effektive Einsatz der Mitarbeiter und eine optimale Nutzung von deren Arbeitszeit. Sofern sie in ihrer Funktion selbst keine Vertrauensarbeitszeit hatte, sondern wie andere Mitarbeiter am Gleitzeitsystem teilnahm, hatte sie eine Vorbildfunktion und es oblag ihr eine besondere Verantwortung, einen korrekten Umgang mit Arbeitszeit zu demonstrieren. Das Gewicht der Pflichtverletzung wird durch diese Vorbildfunktion der Klägerin noch verstärkt. Eine Hinnahme des vorsätzlichen Fehlverhaltens durch die Beklagte war - auch für die Klägerin erkennbar - aufgrund der Schwere ihrer Pflichtverletzung unabhängig von einer Wiederholungsgefahr ausgeschlossen.

bb) Die fristlose Kündigung ist auch unter Einbeziehung der Interessen beider Vertragsteile gerechtfertigt. Der Beklagten war selbst die Einhaltung der - sechsmonatigen - Kündigungsfrist unzumutbar. Bei einer zu berücksichtigenden nicht allzu langen Beschäftigungsdauer von 6 Jahren, einem Alter der Klägerin von 46 Jahren sowie ihrer Unterhaltspflicht gegenüber einem Kind - auch angesichts einer von der Klägerin behaupteten Erkrankung des Kindes - ist unter Beachtung des Gewichts der in Rede stehenden Pflichtverletzung von einem überwiegenden Interesse der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses auszugehen. Auch wenn nachweisbar nur ein Fall der Vortäuschung einer ganztägigen Dienstreise bei tatsächlich privater Aktivität vorliegt, kommt diesem Verstoß angesichts der Führungs- und Vorbildfunktion der Klägerin ein eine so gravierende Bedeutung zu, dass der Beklagten jegliche Weiterbeschäftigung der Klägerin nicht zuzumuten ist.

d) Der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung steht nicht entgegen, dass die Beklagte durch Einsicht in den Lotus-Notes-Kalender und die als "privat" markierten Einträge von der Mitwirkung der Klägerin an den Bundesjugendspielen Kenntnis erlangt hat.

aa) Die Beklagte hat anlässlich der Einsichtnahme in den Kalender nicht gegen die Rahmenvereinbarung EDV vom 29. März 2011 verstoßen. Dem Betriebsrat wurde mit Schreiben vom 30. September 2013 die Möglichkeit zur Stellungnahme zu der beabsichtigten Maßnahme gegeben. Der Betriebsrat hat ausdrücklich keinen Widerspruch erhoben. Soweit in der Betriebsvereinbarung auf eine Leistungs- und Verhaltensüberwachung im begründeten Einzelfall Bezug genommen wird sowie auf in unzulässiger Weise erlangte Verhaltens- oder Leistungsdaten, ist hiermit kein gegenüber § 32 BDSG geänderter Prüfungsmaßstab verbunden. Maßgeblich ist damit auch insoweit eine Überprüfung der Maßnahme anhand des BDSG.

bb) Die Einsicht in den elektronischen Kalender war vorliegend zwar nicht verhältnismäßig iSd. § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG. Aufgrund der anzustellenden Güterabwägung unter Berücksichtigung der Art und Weise des Verstoßes gegen § 32 BDSG ergibt sich vorliegend jedoch eine Verwertbarkeit des unstreitig gewordenen Sachverhalts in Bezug auf den 07. Juni 2013.

Das BDSG regelt, in welchem Umfang im Anwendungsbereich des Gesetzes Eingriffe in dieses Recht zulässig sind. Dies stellt § 1 BDSG ausdrücklich klar. Liegt keine Einwilligung des Betroffenen vor, ist die Datenverarbeitung nach dem Gesamtkonzept des BDSG nur zulässig, wenn eine verfassungsgemäße Rechtsvorschrift diese erlaubt. Fehlt es an der danach erforderlichen Ermächtigungsgrundlage oder liegen deren Voraussetzungen nicht vor, ist die Erhebung, Verarbeitung und/oder Nutzung personenbezogener Daten verboten. Dieser das deutsche Datenschutzrecht prägende Grundsatz ist in § 4 Abs. 1 BDSG kodifiziert (BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 546/12 - Rn. 22, juris).

aaa) Eine Einwilligung der Klägerin in die Einsicht in den Kalender lag nicht vor. Die Vorgaben zur Einwilligung nach § 4a Abs. 1 BDSG sehen vor, dass auf den vorgesehenen Zweck der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung hinzuweisen ist. Soweit sich die Klägerin mit Unterschrift vom 14. Mai 2008 mit der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten im Rahmen der betrieblichen Internet- und E-Mail-Nutzung am Arbeitsplatz einverstanden erklärt hat, reicht diese pauschale Erklärung nicht, um konkret eine Einwilligung in die Einsicht des Kalenders, der es erlaubt, Einträge als "privat" zu markieren, anzunehmen.

bbb) Gemäß § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach dessen Begründung für seine Durchführung oder Beendigung erforderlich ist. Nach Abs. 1 S. 2 der Regelung dürfen zur Aufdeckung von Straftaten personenbezogene Daten eines Beschäftigten nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten am Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind.

 (1) Zum Zeitpunkt der Einsicht in den Kalender bestand der durch objektive Tatsachen begründeter Verdacht gegen die Klägerin, im Fall der Angabe von Dienstreisen/Dienstgängen tatsächlich nicht oder nicht in dem angegebenen Umfang dienstlich tätig gewesen zu sein. Diese Tatsachen wurden auch jedenfalls in der Anhörung des Betriebsrats vom 26. September 2013 iSd. § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG dokumentiert.

 (2) Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, aufgrund eines Verbots der Privatnutzung des Kalenders habe sie ohnehin ein Einsichtsrecht in auch als "privat" markierte Einträge gehabt.

Der Klägerin ist zuzugeben, dass zur Koordination dienstlicher Termine oft auch die Dokumentation privater Termine erforderlich ist. Dies gilt umso mehr, wenn wie im Fall der Klägerin auch Dienstreisen mit Übernachtungen anfallen. Das Führen von zwei Kalendern wäre lebensfremd. Insbesondere aufgrund der Möglichkeit, Termine als "privat" in dem Kalender zu markieren, hätte es eines gesonderten Hinweises bedurft, dass es sich hierbei um eine verbotene Privatnutzung handelt. Zudem können sich auch Termine wie ein Treffen mit dem Betriebsrat oder Betriebsarzt berechtigterweise hinter einem als "privat" maskierten Termin verbergen (vgl. Wedde, Computer und Arbeit 2008, 27 [28]).

 (3) Die Einsichtnahme in den Kalender war zwar das einzig verbliebene Mittel, Unregelmäßigkeiten in Bezug auf die Arbeitszeiterfassung der Klägerin aufzuklären. Bei der Art und Weise der Einsichtnahme hätten vorliegend allerdings mildere Mittel zur Verfügung gestanden. So erhöht die Heimlichkeit einer Maßnahme typischerweise das Gewicht der Freiheitsbeeinträchtigung. Eine in Anwesenheit des Arbeitnehmers durchgeführte Kontrolle ist gegenüber einer heimlichen Durchsuchung das mildere Mittel (vgl. BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 546/12 - Rn. 31, juris). Ebenso führt etwa die Ermöglichung der Teilnahme des Datenschutzbeauftragten an der Kontrollmaßnahme zu einer Abmilderung (vgl. Fülbier/Splittgerber, NJW 2012, 1995, 2000). Die Klägerin hätte etwa, wäre ihre Anwesenheit ermöglicht worden, durch die Einräumung der Wahrnehmung privater Termine eine Einsicht in bestimmte Eintragungen abwenden können.

cc) Der Umstand, dass eine Partei die Kenntnis der von ihr behaupteten Tatsachen auf rechtswidrige Weise erlangt hat, führt nicht notwendig zu einem Verbot von deren prozessualer Verwertung. Falls die betreffenden Tatsachen von der Gegenseite nicht bestritten werden, also unstreitig geworden sind, besteht ein solches Verbot nur, wenn der Schutzzweck der bei der Informationsgewinnung verletzten Norm einer gerichtlichen Verwertung der Information zwecks Vermeidung eines Eingriffs in höherrangige Rechtspositionen dieser Partei zwingend entgegensteht (vgl. BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 29 ff., juris).

Danach besteht im Streitfall kein Verwertungsverbot.

aaa) Die Klägerin hat in die prozessuale Verwertung der durch Einsicht in den Kalender ermittelten Tatsachen nicht eingewilligt. Sie hat auch nicht die Unzulässigkeit der Sachverhaltsermittlung gerügt und deshalb die Einlassung verweigert (vgl. zu diesem prozessualen Vorgehen: Natter, Mannheimer Arbeitsrechtstag 2012, Prozessuale Folgen unerlaubten Datenumgangs, S. 152). Sie hat vielmehr unter Hinweis auf die Widerrechtlichkeit der Überprüfung des Notebooks vorsorglich hierzu vorgetragen.

bbb) Vorliegend steht nicht die Berechtigung der Beklagten zur Einsicht in den Kalender an sich in Frage. Der Verstoß gegen § 32 BDSG ist darin zu sehen, dass das "Wie" der Maßnahme milder hätte gestaltet werden können. Betroffen war bei der Einsicht in den gemischt dienstlich und privat genutzten Kalender nicht der absolut geschützte Kernbereich privater Lebensgestaltung, sondern der nur relativ geschützte Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Auch wenn die Möglichkeit bestand, Einträge im Kalender als "privat" zu markieren, musste die Klägerin doch von vornherein damit rechnen, dass etwa in Fällen ihrer Erkrankung oder anderweitigen Verhinderung Einsicht in den Kalender genommen wird, um etwa Schäden der Beklagten durch Versäumung wichtiger Termine abzuwenden.

Die Eingriffsintensität wird daher vorliegend nicht so hoch bewertet, dass eine Berücksichtigung des unstreitigen Sachverhalts hier zu unterbleiben hätte, zumal es vorliegend um eine Aufklärungsmaßnahme im Hinblick auf den Verdacht eines gravierenden Verstoßes in Form eines Arbeitszeitbetrugs ging.

2. § 626 Abs. 2 S. 1 BGB steht der Berücksichtigung nachgeschobener Tatsachen nicht entgegen. Neu bekannt gewordene, bei Kündigungsausspruch objektiv aber bereits gegebene Gründe können noch nach Ablauf der Zweiwochenfrist in den Prozess eingeführt werden (BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 102/12 - Rn. 25, juris). Die Kündigung vom 30. September 2013 wurde ursprünglich innerhalb der Zweiwochenfrist erklärt. Am 12. September 2013 erhielt der Personalleiter der Beklagten den Hinweis auf den privaten Reifenwechsel der Klägerin am 03. Juni 2013, am 16. September 2013 erreichte der Personalleiter von seinem Urlaubsort aus telefonisch den Werkstattleiter in M., der den Besuch der Klägerin am 03. Juni 2013 gegen 15.00 Uhr in seiner Werkstatt bestätigte. Ab diesem Zeitpunkt lief die Zweiwochenfrist und wurde mit dem Zugang der Kündigung am 30. September 2013 eingehalten. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gilt nach dem Wortlaut der Bestimmung allein für die Ausübung des Kündigungsrechts. Ist die Kündigung als solche rechtzeitig erklärt, schließt § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB ein Nachschieben nachträglich bekannt gewordener Gründe nicht aus (BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 102/12 - Rn. 33, juris).

3. Das Nachschieben des Sachverhaltskomplexes bzgl. des 07. Juni 2013 scheitert auch nicht an § 102 Abs. 1 BetrVG. Der Betriebsrat ist auch vor dem Nachschieben von Kündigungsgründen, die dem Arbeitgeber erst nach Ausspruch der Kündigung bekanntgeworden sind, anzuhören. Die Beklagte hat den Sachverhalt erst nach Anhörung des Betriebsrates mit Schreiben vom 03. Dezember 2013 und dessen Stellungnahme vom 10. Dezember 2013 in den Prozess eingeführt. Die Betriebsratsanhörung ist auch nicht fehlerhaft. Die Beklagte hat den Inhalt des Kalendereintrags wiedergegeben und hinreichend deutlich gemacht, dass sie davon ausgehe, dass die Klägerin tatsächlich bei den Bundesjugendspielen an der Schule ihrer Tochter zugegen war, obwohl im Zeitkonto ein kompletter Dienstreisetag eingetragen war und dass sie auch hierauf ihre Kündigung stützen wolle.

II. Der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung fällt als uneigentlicher Hilfsantrag nicht zur Entscheidung an.

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Eine Zulassung der Revision war veranlasst, weil hierfür die gesetzliche Voraussetzung des § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG im Hinblick auf die Frage des Datenschutzes beim Zugriff auf als "privat" markierte Einträge in elektronischen Terminkalendern vorliegt.



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