Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 9 Sa 231/12

Nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage bei verlorengegangener E-Mail

(1.) War ein Arbeitnehmer nach erfolgter Kündigung trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert, eine Kündigungsschutzklage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung zu erheben, so ist auf seinen Antrag die Klage nachträglich zuzulassen. Die jeweiligen Hinderungsgründe sind glaubhaft zu machen. (§5 Abs.1 und 2 KSchG)
Glaubhaftmachung ist eine Beweisführung, die dem Gericht einen geringeren Grad von Wahrscheinlichkeit gegenüber der Überzeugungsbildung bei einem Vollbeweis abverlangt. Die Hinderungsgründe, die der rechtzeitigen Klageerhebung entgegengestanden haben sollen, sind also nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachzuweisen.
Hier: Beauftragt eine Arbeitnehmerin einen Rechtsanwalt per E-Mail mit der Erhebung einer Kündigungsschutzklage, so ist ihr nicht vorzuwerfen, dass sie keine Eingangsbenachrichtigung gefordert hat ("... nicht über leichtes Verschulden hinausgehend ..."). Gibt die Arbeitnehmerin und der Rechtsanwalt eine eidesstattliche Versicherung darüber ab, dass die versendete E-Mail dem Rechtsanwalt nicht zuging, und ist aus weiterem E-Mail-Kontakt zum Rechtsanwalt zu entnehmen, dass die Arbeitnehmerin vom Zugang der Beauftragungs-Mail ausging, so ist die Verhinderung glaubhaft gemacht.

(2.) Grundsätzlich obliegt dem Kündigenden für die in Anspruch genommenen Kündigungsgründe die Darlegungs- und Beweislast. Soweit sich allerdings der Arbeitnehmer auf einen Sachverhalt beruft, der das behauptete Verhalten als nicht rechtswidrig erscheinen lässt, ist er gehalten, diesen konkret darzulegen und in dieser Weise den Kündigungssachverhalt unter genauer Angabe der Gründe zu bestreiten.
Hier: Wird der Arbeitnehmerin vorgeworfen Schecks für eigene Zwecke eingelöst zu haben, so kann sich die Arbeitnehmerin nicht schon dadurch entlasten, dass sie behauptet, die Geldbeträge nach Einlösung wieder abgehoben und an den Arbeitgeber ausgezahlt zu haben.
(Redaktionelle Orientierungssätze)

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz -Auswärtige Kammern Bad Kreuznach- vom 25.04.2012, Az.: 7 Ca 1084/11, abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Frage der nachträglichen Zulassung einer Kündigungsschutzklage sowie über die Wirksamkeit der seitens des Beklagten ausgesprochenen außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung vom 11.11.2011.

Die Klägerin war seit dem Jahr 2002 bei dem Beklagten, der eine Fahrschule betreibt, als Angestellte zu einem Bruttomonatsentgelt von 600,00 EUR beschäftigt. Ihr oblag u. a. die Durchführung von Buchungen bei eingehenden Zahlungen. Der Beklagte beschäftigt nicht mehr als 10 Mitarbeiter.

Mit Schreiben vom 11.11.2011, der Klägerin am 12.11.2011 zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich. Mit ihrer erst am 19.12.2011 beim Arbeitsgericht Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - eingegangenen Klage begehrte die Klägerin die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage sowie die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 11.11.2011 nicht beendet, sondern erst durch die ordentliche Kündigung des Beklagten mit Ablauf des 29.02.2012 beendet worden ist. Zur Begründung der Kündigung hat der Beklagte erstinstanzlich behauptet, die Klägerin habe zumindest in drei Fällen Bargeld vereinnahmt, ohne die diesbezüglichen Beträge in der Kasse oder dem Firmenkonto zu buchen. Die Klägerin habe diese Beträge für sich selbst verwendet.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts sowie des wechselseitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 25.04.2012, Az: 7 Ca 1084/11 (Bl. 70 ff. d. A.). Durch das genannte Urteil hat das Arbeitsgericht unter nachträglicher Zulassung der Kündigungsschutzklage der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht - zusammengefasst ausgeführt:

Die Klage sei nachträglich zuzulassen, da die Klägerin trotz Anwendung ihrer nach Lage der Umstände zumutbaren Sorgfalt verhindert gewesen sei, die Klage innerhalb von drei Wochen zu erheben. Es sei glaubhaft gemacht, dass sie ihren Prozessbevollmächtigten aufgrund einer seinerzeit im Raum stehenden Ankündigung der fristlosen Kündigung bereits am 10.11.2011 mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen beauftragt hat und versucht hat, die fristlose Kündigung nach deren Zugang am 12.11.2011 an ihren Prozessbevollmächtigten unter Angabe der zutreffenden E-Mail-Adresse zu übersenden. Ebenso sei glaubhaft gemacht, dass diese E-Mail niemals in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klägerin eingegangen sei. Da ebenfalls glaubhaft gemacht sei, dass die Klägerin keine Benachrichtigung über den Nichtzugang der E-Mail erhalten habe, habe diese davon ausgehen können, dass das Kündigungsschreiben nebst begleitendem Text der E-Mail bei ihrem Prozessbevollmächtigten auch eingegangen sei. Hierfür spreche auch, dass der Inhalt ihrer weiteren E-Mail vom 12.12.2011 (Bl. 10 d. A.) zeige, dass die Klägerin davon ausgegangen sei, dass ihr Prozessbevollmächtigter die Kündigung erhalten und wie bereits vor Zugang der Kündigung mit diesem besprochen, rechtliche Schritte eingeleitet habe. Ihr sei auch nicht vorwerfbar, dass sie keine Lesebestätigung angefordert habe.

Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 11.11.2011 mit sofortiger Wirkung beendet worden. Der Beklagte habe die diesbezüglichen Vorwürfe nicht hinreichend substantiiert dargelegt (wird ausgeführt).

Das genannte Urteil ist dem Beklagten am 14.05.2012 zugestellt worden. Er hat hiergegen mit einem am 16.05.2012 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der mit Beschluss vom 16.07.2012 bis zum 27.07.2012 verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit Schriftsatz vom 27.07.2012, beim Landesarbeitsgericht am gleichen Tag eingegangen, begründet.

Zur Begründung macht der Beklagte mit dem genannten Schriftsatz, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 104 ff. d. A.), im Wesentlichen geltend:

Die Klägerin habe in erheblichem Umfang vereinnahmtes Bargeld für sich verwendet, so Beträge von 605,00 EUR und 625,00 EUR, die ihr in bar am 03. bzw. 17.08.2011 übergeben worden seien. Auch für die Fahrausbildung der Frau F. gezahlte Beträge in der Größenordnung von 700,00 EUR bis 800,00 EUR habe die Klägerin ohne Verbuchung vereinnahmt.

Das Arbeitsgericht habe die Klage auch zu Unrecht nachträglich zugelassen. Wäre die E-Mail der Klägerin tatsächlich nicht bei ihrem Prozessbevollmächtigten angekommen, hätte die Klägerin technisch zwingend eine Benachrichtigung über die Nichtzustellbarkeit erhalten müssen. Der Klägerin sei auch vorwerfbar, dass sie keine Lesebestätigung angefordert und erst nach Ablauf der Klageerhebungsfrist bei ihrem Prozessbevollmächtigten nachgefragt habe.

Zur Begründung der Kündigung beruft sich der Beklagte zudem auf folgende, zwischen den Parteien unstreitige Sachverhalte:

Der vom Beklagten mit der Beitreibung offener Forderungen beauftragte Rechtsanwalt konnte in drei Fällen Forderungen realisieren. Über die vereinnahmten Beträge wurden Schecks ausgestellt und postalisch an den Beklagten weitergeleitet. In drei Fällen wurden Schecks durch die Klägerin in Empfang genommen und auf ihr gehörende Konten eingezahlt. So erfolgte im Juli 2005 eine Scheckeinlösung durch die Klägerin auf ein ihr gehöriges Konto über einen Betrag in Höhe von 647,29 EUR. Im Mai 2009 erfolgte durch die Klägerin eine Scheckeinlösung über 400,00 EUR. Am 20.08.2009 wurde von der Klägerin ein Scheck über 136,30 EUR eingereicht.

Der Beklagte erlangte über die Tatsache der Einreichung der Schecks auf eigene Konten der Klägerin Kenntnis aufgrund einer entsprechenden Recherchemitteilung des mit dem Inkasso beauftragten Rechtsanwalts vom 14.05.2012.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 25.04.2012, Az: 7 Ca 1084/11, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung mit Schriftsatz vom 07.09.2012 und macht im Wesentlichen geltend:

Die Parteien seien privat eng befreundet gewesen. Es habe eine enge Verflechtung zwischen dem Fahrschulbetrieb und ihrem Privatleben gegeben. Sie habe einerseits ein äußerst niedrigen Lohn erhalten, andererseits habe der Beklagte ihr wiederholt Sachen geschenkt und sie habe auf Kosten des Beklagten tanken können. Es habe beim Beklagten einen stark uneinheitlichen Umgang mit eingehenden Zahlungen gegeben. Dieser habe in erheblichem Umfang Barzahlungen an die bei ihm angestellten Fahrlehrer, die offiziell oft nur auf Geringfügigkeitsbasis angemeldet gewesen seien, erbracht. Deutlich darüber hinausgehende Entgeltzahlungen und weitere Zusatzzahlungen seien regelmäßig bar an die Fahrlehrer ausgezahlt worden. Auch habe der Beklagte selbst in erheblichem Umfang Barentnahmen vorgenommen. Es treffe zu, dass die Klägerin drei Fällen eingehende Schecks auf eines ihrer Privatkonten eingelöst habe. Dies sei auf Veranlassung des Beklagten geschehen, der sich das Geld nachfolgend von der Klägerin wieder habe auszahlen lassen, um wieder Geld für Barzahlungen oder Barentnahmen zu haben. Teilweise habe sie das Geld auch zur Ersetzung eigener Auslagen behalten sollen. Sie habe zu keinem Zeitpunkt Bargeld oder Scheckzahlungen unterschlagen.

Seit der Beklagte die Kündigung nunmehr auch auf die Scheckeinlösungen stütze, sei sein Sachvortrag verspätet. Dies ergebe sich bereits aus einem außergerichtlichen Schreiben des Bevollmächtigten des Beklagten vom 05.12.2011, in welchem die Klägerin aufgefordert wurde, aufzuklären, auf welches Konto sie Schecks eingelöst habe.

 

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Das Rechtsmittel ist an sich statthaft. Die Berufung wurde auch form- und fristgerecht eingelegt und -auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen entsprechend- begründet.

II.

Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Die streitgegenständliche außerordentliche Kündigung ist rechtswirksam und hat das Arbeitsverhältnis mit ihrem Zugang beendet.

1. Die außerordentliche Kündigung des Beklagten gilt allerdings nicht bereits nach § 13 Abs. 1 Satz 2, § 7, § 4 KSchG wegen Versäumung der Klagefrist des § 4 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die verspätet erhobene Kündigungsschutzklage der Klägerin nach § 5 Abs. 1 KSchG nachträglich zuzulassen war.

Die Klägerin hat fristgerecht im Sinne des § 5 Abs. 3 KSchG Umstände glaubhaft gemacht, die die nachträgliche Zulassung nach § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG rechtfertigen. Die Berufungskammer folgt insoweit der Begründung des angefochtenen Urteils und stellt dies hiermit fest.

Das Berufungsvorbringen veranlasst lediglich folgende Ausführungen:

§ 5 Abs. 2 KSchG fordert nur die Glaubhaftmachung. Glaubhaftmachung ist eine Beweisführung, die dem Gericht einen geringeren Grad von Wahrscheinlichkeit gegenüber der Überzeugungsbildung bei einem Vollbeweis abverlangt. Die Hinderungsgründe, die der rechtzeitigen Klageerhebung entgegengestanden haben sollen, sind also nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachzuweisen.

Durch entsprechende eidesstattliche Versicherungen der Klägerin und ihres Prozessbevollmächtigten ist glaubhaft gemacht, dass die Klägerin aufgrund der Kündigungsandrohung des Beklagten mit Schreiben seines jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 7.11.2011 am 10.11.2011 ihren Prozessbevollmächtigten aufgesucht und diesen mit der Wahrnehmung ihrer Interessen im Hinblick auf eine zu erwartende Kündigung beauftragt hat. Ebenfalls ist glaubhaft gemacht, dass die Klägerin an ihren Bevollmächtigten eine EMail am 14.11.2011 versandt hat und auf diesem Wege versucht hat, ihren Prozessbevollmächtigten über die tatsächlich erfolgte Kündigung durch Übermittlung des Kündigungsschreibens per PDF-Datei zu unterrichten. Hierfür spricht auch, dass die Klägerin mit Mail vom 12.12.2011 bei ihrem Bevollmächtigten nachfragte, „wie es sich jetzt mit der Kündigung verhält“. Schließlich ist glaubhaft gemacht, dass bei dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin diese Mail nicht einging. Da die Kommunikation per EMail mittlerweile üblich ist und in der Regel funktioniert, konnte die Klägerin diesen Übertragungsweg zur Information ihres Bevollmächtigten zur Veranlassung der Klage nutzen, ohne sich einem über ein leichtes Verschulden hinausgehenden Verschuldensvorwurf ausgesetzt zu sehen. Soweit die Beklagte behauptet, wenn tatsächlich eine EMail verschickt worden und nicht auf dem Posteingangsserver ihres Bevollmächtigten angelangt wäre, wäre es zu einer entsprechenden non-delivery-notification (Bounce-Message) gekommen und sich hierfür auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens beruft, wurde ein solches Gutachten weder erst-, noch zweitinstanzlich vorgelegt. Das Gericht darf aber nur Beweismittel verwerten, die in der mündlichen Verhandlung sofort verfügbar sind, § 294 Abs. 2 ZPO. Die Beweisaufnahme muss sofort erfolgen können. Ein angebotenes Sachverständigengutachten muss spätestens in der mündlichen Verhandlung vorgelegt werden (KR-KSchG, aaO., Rz. 179). Zudem ist darauf hinzuweisen, dass technisch nicht auszuschließen ist, dass zwar eine Bounce-Message erfolgt, diese aber aufgrund von Sicherheitseinrichtungen desjenigen, an den diese Message gerichtet ist, gelöscht oder jedenfalls nicht in dem normalen Posteingangsordner abgelegt wird.

2. Das angefochtene Urteil war aber abzuändern und die Klage abzuweisen, weil es dem Beklagten im Berufungsverfahren gelungen ist, Gründe darzulegen, die einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses darstellen.

a) Der Beklagte hat dargelegt, dass ihm erst nach Zugang der außerordentlichen Kündigung bei der Klägerin bekannt geworden ist, dass die Klägerin im Juli 2005, Mai 2009 und August 2009 für den Beklagten bestimmte Schecks über 647,29 EUR, 400,- EUR und 136,30 EUR nicht einem Konto des Beklagten hat gutschreiben lassen, sondern diese Schecks von der Klägerin jeweils auf ein ihr gehöriges Konto eingereicht wurden. Dies hat die Klägerin eingeräumt.

b) Soweit die Klägerin mit ihrer Berufungserwiderung lediglich geltend macht, dies sei auf Veranlassung des Beklagten geschehen, der sich das Geld nachfolgend von der Klägerin habe auszahlen lassen, um wieder Geld für Barzahlungen oder Barentnahmen zu haben bzw. habe die Klägerin das Geld teilweise zur Ersetzung eigener Auslagen behalten sollen, ist ihr Sachvortrag nicht ausreichend substantiiert.

Grundsätzlich obliegt dem Kündigenden für die in Anspruch genommenen Kündigungsgründe die Darlegungs- und Beweislast. Soweit sich allerdings der Arbeitnehmer auf einen Sachverhalt beruft, der das behauptete Verhalten als nicht rechtswidrig erscheinen lässt, ist er nach § 138 Abs. 2 ZPO gehalten, diesen konkret darzulegen und in dieser Weise den Kündigungssachverhalt unter genauer Angabe der Gründe zu bestreiten (vgl. nur KR-KSchG/Fischermeier, aaO., § 626 BGB Rz. 382 mwN). Nur dies ermöglicht es dem Kündigenden, die Angaben zu überprüfen und -falls sie sich nach seinen Ermittlungen als unzutreffend herausstellen- Beweis anzutreten.

Diesen Anforderungen wird der Sachvortrag der Klägerin nicht gerecht. Es wäre ihr etwa anhand der Kontounterlagen möglich nachzuvollziehen, wann sie etwa Barabhebungen in entsprechender Höhe vorgenommen haben will, um das Geld an den Beklagten weiter zu reichen. Ebenso wenig lässt sich dem Sachvortrag der Klägerin auch nur ansatzweise entnehmen, welche Auslagen in welchem Umfang sie für den Beklagten getätigt haben will, deren Ersatz die Scheckbeträge gedient haben sollen.

c) Der Beklagte war weder prozessual, noch aus sonstigen Gründen gehindert, diese neuen Kündigungssachverhalte im Berufungsverfahren geltend zu machen.

aa) Der Beklagte hat ohne dass dem die Klägerin entgegengetreten ist dargelegt, dass ihm die entsprechenden Rechercheergebnisse erst am 14.5.2012, also nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils bekannt geworden sind. Er hat sie sodann mit seiner Berufungsbegründung geltend gemacht. Eine Zurückweisung unter dem Gesichtspunkt der Verspätung (§ 67 ArbGG) scheidet aus. Die Einlösung der genannten Schecks durch die Klägerin auf ein ihr gehöriges Konto ist zudem unstreitig. Es handelt sich damit um neue, prozessual nach § 64 Abs. 6 ArbGG, § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zu berücksichtigende Tatsachen.

bb) Ebenso wenig stehen der Geltendmachung dieser nachgeschobenen Gründe kündigungsrechtliche Erwägungen entgegen. Gründe, die bei Zugang der Kündigung objektiv bereits vorlagen, dem Kündigenden aber unbekannt waren und erst später bekannt werden, können jedenfalls dann, wenn -wie vorliegend- kein Betriebsrat besteht, ohne Einschränkungen nachgeschoben werden (vgl. etwa BAG 11.3.1999 -2 AZR 51/98- RzK I 10g Nr 10; KR-KSchG, aaO, § 626 Rz. 180 mwN).

d) Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer geltend gemacht hat, bereits in einem außergerichtlichen Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Beklagten vom 5.12.2011 werde auf Schecks verwiesen, deren Einlösung auf Konten des Beklagten nicht feststellbar sei (vgl. Sitzungsniederschrift vom 14.9.2012, Bl. 151 d.A.), ergibt sich hieraus auch keine Versäumung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB. Aus diesem Schreiben wird vielmehr deutlich, dass der Beklagte noch keine sichere Kenntnis davon hatte, auf welche Konten Schecks gutgeschrieben wurden. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt aber erst, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis vom Kündigungssachverhalt hat, die ihm die Entscheidung ermöglicht, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht (etwa BAG 17.3.2005 -2 AZR 245/04- EzA § 626 BGB 2002 Nr 9). Für den Kündigungssachverhalt maßgeblich ist aber gerade die Einlösung der Schecks über ein Konto der Klägerin. Diesbezüglich hat der Beklagte aber unbestritten mit der Berufung dargelegt, dass ihm die Kenntnis hiervon erst durch Übermittlung des Schreibens des mit dem Inkasso beauftragten Rechtsanwalts vom 14.5.2012 vermittelt wurde.

e) Die Einlösung der genannten Schecks auf einem eigenen Konto der Klägerin stellt unabhängig von der eventuellen strafrechtlichen Wertung dieses Verhaltens einen an sich zur außerordentlichen Kündigung berechtigenden Grund dar.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (etwa BAG 10.6.2010 -2 AZR 541/09- EzA § 626 BGB 2002 Nr 32) sowie auch des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz (etwa 14. Februar 2007 - 9 Sa 292/06 -; 18. Oktober 2005 - 5 Sa 341/05 -), dass zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht kommen.

Wie ausgeführt, hat die Klägerin nur pauschal und damit prozessual nicht ausreichend behauptet, sie habe die Schecks auf Geheiß des Beklagten auf eigene Konten eingelöst. Die Berufungskammer muss deshalb davon ausgehen, dass die Klägerin die Schecks eigenmächtig eingelöst und die gutgeschriebenen Beträge nicht an den Beklagten oder auf dessen Weisung an Dritte oder sich selbst ausgezahlt hat.

f) Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gerechtfertigt.

aa) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Zu berücksichtigen sind regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind.

bb) Die Pflichtverstöße der Klägerin wiegen schwer. Dem Beklagten drohte hierdurch ein erheblicher Schaden. Ohne eigeninitiative Nachprüfung wäre der Beklagte davon ausgegangen, dass die anwaltlichen Beitreibungsversuche hinsichtlich der Kunden, über deren Zahlungen Schecks ausgestellt wurden, erfolglos waren. Die Klägerin hat auch vorsätzlich gehandelt. Das Arbeitsverhältnis bestand zwar bereits seit dem Jahr 2002, war also von nicht unerheblicher Dauer. Ausweislich der Scheckeinreichung im Jahre 2005 war es aber bereits nach relativ kurzem Bestand durch eine Pflichtverletzung der Klägerin gestört.

Eine Abmahnung als milderes Mittel scheidet aus. Zwar ist eine Abmahnung auch bei Störungen im sog. Vertrauensbereich bei Pflichtverletzungen gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers nicht grundsätzlich entbehrlich. Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aber dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist.

Bei den auf Veranlassung der Klägerin ihrem Konto gutgeschriebenen Beträgen handelt es sich um höhere Beträge. Deren Vereinnahmung stellt eine so schwerwiegende Pflichtverletzung dar, dass eine Hinnahme durch den Beklagten offensichtlich ausschied. Dies musste auch der Klägerin bewusst sein.

Ebenso scheidet als milderes Mittel nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch eine ordentliche Kündigung aus. Angesichts der Schwere der Pflichtverletzung und der Anzahl der zu Tage getretenen Fälle über einen längeren Zeitraum sowie unter Berücksichtigung dessen, dass die Klägerin unstreitig u.a. auch zur Entgegennahme von Bargeld für die Fahrschule zuständig war, ohne dass eine ständige Kontrollmöglichkeit des Beklagten besteht, war es dem Beklagten nicht zumutbar, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Frist einer ordentlichen Kündigung, also noch über 2 Monate fortzusetzen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Ein Revisionszulassungsgrund nach § 72 Abs. 2 ArbGG besteht nicht.



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