Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 9 Sa 223/12

Projektbefristung erfordert Prognose; Abgrenzung zu gesetzlich vorgegebener Daueraufgabe

Die Befristung eines Arbeitsvertrags kann nicht auf § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG gestützt werden, wenn der vom Arbeitgeber zur Begründung angeführte Bedarf an der Arbeitsleistung tatsächlich nicht nur vorübergehend, sondern objektiv dauerhaft besteht. Nicht nur vorübergehend ist ein Arbeitskräftebedarf, der sich hinsichtlich solcher Tätigkeiten ergibt, die im Rahmen des verfolgten Betriebszwecks dauerhaft wahrgenommen werden oder zu deren Wahrnehmung eine Verpflichtung besteht.
Hier: Das von einem Jobcenter verfolgte Projekt "Bürgerarbeit" - genauer: die Aktivierungsphase dieses Projekts - lässt sich nicht ausreichend deutlich von den dem Jobcenter gesetzlich vorgegebenen Daueraufgaben (Arbeitsvermittlung) abgrenzen.

Eine Befristung wegen eines nur vorübergehenden betrieblichen Bedarfs an der Arbeitsleistung setzt voraus, dass im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist, dass nach dem vorgesehenen Vertragsende für die Beschäftigung des befristet eingestellten Arbeitnehmers in dem Betrieb kein dauerhafter Bedarf mehr besteht. Hierüber hat der Arbeitgeber bei Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags eine Prognose zu erstellen, der konkrete Anhaltspunkte zugrunde liegen müssen. Die tatsächlichen Grundlagen für die Prognose über den nur vorübergehend bestehenden Arbeitskräftebedarf hat der Arbeitgeber im Prozess darzulegen.
Hier: Keine ausreichende Darlegung

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 29.03.2012, Az.: 6 Ca 824/11 abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund Befristungsabrede gemäß Arbeitsvertrag vom 27.12.2010 mit dem 31.12.2011 sein Ende gefunden hat.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Für die Beklagte wird die Revision zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis aufgrund der Befristungsabrede im Arbeitsvertrag vom 27.12.2010 mit dem 31.12.2011 seine Beendigung gefunden hat.

Die Klägerin ist seit dem 06.08.2009 bei der Beklagten im Jobcenter X als Arbeitsvermittlerin (U 25/Ü 25) im Bereich SGB II bei einem zuletzt erzielten Bruttomonatsgehalt in Höhe von 3.123,93 € beschäftigt.

Die Klägerin war zunächst vom 06.08.2009 bis zum 31.07.2010 auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 06.08.2009 (Bl. 5 ff. d. A.) angestellt. Mit Änderungsvereinbarung vom 12.04.2010 wurde die Klägerin bis zum 31.12.2010 weiterbeschäftigt. Unter dem 27.12.2010 schlossen die Parteien sodann den hier streitgegenständlichen Arbeitsvertrag (Bl. 14 ff. d. A.), der eine befristete Beschäftigung der Klägerin bis zum 31.12.2011 vorsieht. Nach dem von den Parteien ebenfalls unterzeichneten "Vermerk zum befristeten Arbeitsvertrag" wurde die Klägerin weiterhin als Arbeitsvermittlerin (U 25/Ü 25) im Bereich SGB II im Jobcenter X eingesetzt. Als Befristungsgrund verweist der genannte Vermerk auf einen vorübergehenden betrieblichen Bedarf i. S. d. § 14 Abs. 1 Nr. 1 TzBfG. Nach dem genannten Vermerk wird die Befristung darauf gestützt, dass das Jobcenter X mit insgesamt 50 Bürgerarbeitsplätzen und vorgelagerten 250 Aktivierungen am Bundesprogramm "Bürgerarbeit" beteiligt ist. Nach dem Vermerk war im Zeitraum 15.07.2010 bis 31.12.2011 zusätzlich zum ursprünglichen Aufgabenspektrum im Rahmen einer sogenannten Aktivierungsphase ein zusätzlicher Arbeitskräftebedarf abzudecken. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den genannten Vermerk (Bl. 16 f. d. A.) Bezug genommen.

Bei der sogenannten "Bürgerarbeit" handelt es sich um ein durch das zuständige Bundesministerium und mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds gefördertes Programm. Einzelheiten ergeben sich aus den "Fragen und Antworten zur Durchführung von Modellprojekten " "Bürgerarbeit" sowie "Leitfaden zur Bürgerarbeit (Beschäftigungsphase im Modellprojekt "Bürgerarbeit")" (Bl. 73 ff., 249 ff. d. A.). Im Mittelpunkt stand dabei die sogenannte mindestens 6-monatige Aktivierungsphase, in welcher durch intensivierte Betreuung von schwer vermittelbaren Arbeitslosen erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen eine Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt erreicht werden sollte. Sofern dies nicht gelang, konnten Personen in sogenannte "Bürgerarbeit" vermittelt werden. Es handelt sich hierbei um eine Beschäftigung bei Arbeitgebern, durch welche zusätzliche und im öffentlichen Interesse liegende Arbeiten erledigt werden. Die Förderung bestand darin, den Arbeitgebern, die Bürgerarbeitsplätze zur Verfügung stellen, Zuwendungen zur Tragung der Lohnkosten und Sozialversicherungsabgaben zukommen zu lassen. Zur Teilnahme an diesem Modell konnten sich Grundsicherungsstellen bewerben. So bewarb sich auch die Arbeitsgemeinschaft Job-Börse X gemäß ihrem Konzept "X integriert in Arbeit - das Konzept zur Realisierung der Bürgerarbeit im Zuständigkeitsbereich der Job-Börse X". Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das genannte Konzept gem. Bl. 55 ff. d. A. Bezug genommen.

Mit ihrer am 16.12.2011 beim Arbeitsgericht Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - eingegangenen Klage begehrte die Klägerin die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund der Befristungsabrede gem. Arbeitsvertrag vom 27.12.2010 nicht mit Ablauf des 31.12.2011 sein Ende finden wird.

Hinsichtlich des wechselseitigen Sachvortrags der Parteien erster Instanz wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 29.03.2012, Az.: 6 Ca 824/11 (Bl. 107 ff. d. A.).

Durch das genannte Urteil hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung - zusammengefasst - ausgeführt:

Für die Befristung bestehe ein sachlicher Grund des nur vorübergehenden betrieblichen Bedarfs an der Arbeitsleistung i. S. d. § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG. Die Beschäftigung eines Arbeitnehmers in einem Projekt erfülle diesen Sachgrund, da ein Beschäftigungsbedarf nur für die Dauer des Projekts bestehe. Das Projekt Bürgerarbeit stelle sich als abgrenzbare Zusatzaufgaben gegenüber den von der Beklagten wahrzunehmenden Daueraufgaben dar. Dies ergebe sich daraus, dass es sich um ein zeitlich begrenztes Projekt mit gesonderten Anforderungen gehandelt habe. Die Beklagte habe entsprechend ihrem Vermerk zum Arbeitsvertrag vom 27.12.2010 zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses berechtigter Weise von der Prognose eines nur vorübergehenden, zeitlich begrenzten zusätzlichen Beschäftigungsbedarfs ausgehen können. Dieser ergebe sich insbesondere aus der zeitlichen Begrenzung der letzten Aktivierungsphase von 6 Monaten im Zeitraum 01.07. bis 31.12.2011.

Das genannte Urteil ist der Klägerin am 27.04.2012 zugestellt worden. Sie hat hiergegen mit einem am 11.05.2012 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 22.06.2012, beim Landesarbeitsgericht am gleichen Tag eingegangen, begründet.

Nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes sowie des weiteren Schriftsatzes vom 31.10.2012, auf die jeweils ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 136 ff., 274 ff. d. A.), macht die Klägerin zur Begründung ihres Rechtsmittels im Wesentlichen geltend:

Da vorrangiges Ziel des Projekts Bürgerarbeit die Eingliederung von Arbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt sei, handele es sich bei den Maßnahmen in der sogenannten Aktivierungsphase um Daueraufgaben, die die Beklagte gesetzlich wahrzunehmen habe. Die Aktivierungsphase habe nach dem Projekt auch nicht bis zum 31.12.2011 abgeschlossen sein müssen; vielmehr hätten die Aktivierungen nur bis zum 31.12.2011 mit einer dann folgenden Dauer von 6 Monaten beginnen müssen. Ferner sei nach der Projektplanung auch nach Abschluss der Aktivierungsphase ein erhöhter Betreuungsaufwand vorgesehen. Da die Zuwendungen nicht für die Aufgaben im Rahmen der sogenannten Aktivierungsphase hätten verwendet werden können, liege auch keine Drittmittelfinanzierung vor.

Ein abgrenzbarer vorübergehender personeller Mehrbedarf habe tatsächlich nicht bestanden: als Vermittler seien beim Jobcenter einschließlich der Klägerin vor deren Einsatz 7 Vermittler beschäftigt gewesen; nach Betrauung der Klägerin mit den Aufgaben im Rahmen der Aktivierungsphase sei es zu keiner Neueinstellung gekommen. Auch nach Beginn der Aktivierungsphase sei mithin die Mitarbeiterzahl unverändert geblieben.

Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens vom 29.03.2012 - Az.: 6 Ca 824/11 - festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund Befristungsabrede gemäß Arbeitsvertrag vom 27.12.2010 mit dem 31.12.2011 sein Ende gefunden hat.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung mit Schriftsatz vom 21.08.2012 und weiterem Schriftsatz vom 19.10.2012, auf die jeweils ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 221 ff., 240 ff. d. A.), als zutreffend.

Sie macht im Wesentlichen geltend:

Durch das Projekt Bürgerarbeit sei ein von den Daueraufgaben abgrenzbarer zusätzlicher Aufgabenbereich entstanden. Diese Aufgabe habe darin bestanden, die für die Teilnahme an der Bürgerarbeit geeigneten Hilfesuchenden auszuwählen, intensiv zu betreuen und die Unterstützungsgelder für die Arbeitgeber zu berechnen und an das B-Amt zur Abrechnung und Auszahlung weiterzugeben. Bei Abschluss des streitgegenständlichen Arbeitsvertrages sei die Beklagte von der Prognose ausgegangen, mindestens 50 Langzeitarbeitslose durch intensive Betreuung zu aktivieren. Gerade für diese Aktivierungsphase sei die Klägerin befristet für den damit verbundenen Zusatzaufwand eingestellt worden. Der Umfang des zusätzlichen Arbeitskräftebedarfs ergebe sich zutreffend aus dem Vermerk zum Arbeitsvertrag vom 27.12.2010. Durch die Beschäftigung der Klägerin habe sich die Beklagte auch an den im Vermerk zutreffend berechneten personellen Mehrbedarf gehalten und diesen nicht überschritten. In der Aktivierungsphase sei die sogenannte Mindestkontaktdichte erhöht gewesen. Insbesondere hätten sich im Projekt Bürgerarbeit überwiegend Kunden ab der Profillage "Förderprofil" befunden. Die normale Förderung beschränke sich auf eine Vorsprache alle zwei bis drei Monate. Im Rahmen der Aktivierungsphase des Projekts "Bürgerarbeit" hätten diese Kunden aber jeden Monat zu einem Gespräch kontaktiert werden sollen. Die Beklagte sei zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses davon ausgegangen, dass die Bürgerarbeitsplätze spätestens zum 01.01.2012 eingerichtet und erstmalig besetzt sein müssten. Daraus sei die Notwendigkeit entstanden, bis zum 31.12.2011 durch mehr Personaleinsatz Kunden zu aktivieren. Für danach ggf. erfolgenden Nachbesetzungen wieder frei werdender Bürgerarbeitsplätze sei hingegen das vorhandene Stammpersonal ausreichend gewesen. Mit dem bestehenden Personal gemäß Bedarfsplanung auf der Grundlage des maßgeblichen Betreuungsschlüssels seien Zusatzprojekte nicht zu bewältigen. Wo durch Sonderprojekte zusätzliche Aufgaben entstünden, könne dies nur von zusätzlichen Mitarbeitern geleistet werden, die zielgerichtet für die einzelnen Aufgaben/Projekte befristet eingestellt werden müssten. Es habe sich auch um ein zeitlich befristetes Projekt gehandelt. Dies ergebe sich mittelbar auch aus der nur befristet gewährten Sozialversicherungsfreiheit (§ 420 SGB III).

Auch im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung ist zulässig. Das Rechtsmittel ist an sich statthaft. Die Berufung wurde auch form- und fristgerecht eingelegt und -auch inhaltlich ausreichend- begründet.

II. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Die Klage ist begründet. Die streitgegenständliche Befristung im zuletzt maßgeblichen Arbeitsvertrag der Parteien vom 27.10.2010 ist weder als sog. Projektbefristung gem. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG, noch aus einem sonstigen Grund sachlich gerechtfertigt.

1. Die Klage ist zulässig. Für die Befristungskontrollklage besteht nach § 17 Satz 1 TzBfG das erforderliche Feststellungsinteresse. Dem steht nicht entgegen, dass die Klage bereits vor Befristungsablauf erhoben wurde. An der alsbaldigen Klärung der Frage, ob eine Befristung wirksam ist, besteht in der Regel bereits vor dem vereinbarten Vertragsende ein rechtliches Interesse der Parteien. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich der Arbeitgeber - wie im Streitfall - auf die Wirksamkeit der Befristung beruft. Dementsprechend wird die materiell-rechtliche Klagefrist des § 17 Satz 1 TzBfG auch durch die Erhebung einer Klage vor dem Ablauf der vereinbarten Vertragslaufzeit gewahrt (vgl. etwa BAG 23.6.2010 -7 AZR 1021/08- EzA § 620 BGB 2002 Altersgrenze Nr 8).

2. Ein sachlicher Grund im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG besteht nicht. Dieser Sachgrund besteht nur dann, wenn der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung nur vorübergehend besteht.

a) Der vorübergehende betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung kann auf unterschiedlichen Sachverhalten beruhen. Er kann sich zB aus dem Umstand ergeben, dass für einen begrenzten Zeitraum in dem Betrieb oder der Dienststelle zusätzliche Arbeiten anfallen, die mit dem Stammpersonal allein nicht erledigt werden können, oder daraus, dass sich der Arbeitskräftebedarf künftig verringern wird - etwa wegen der Inbetriebnahme einer neuen technischen Anlage. Der vorübergehende Bedarf an der Arbeitsleistung kann auf einer zeitweise übernommenen Sonderaufgabe beruhen oder auf einer im Bereich der Daueraufgaben des Arbeitgebers vorübergehend angestiegenen Arbeitsmenge, für deren Erledigung das vorhandene Stammpersonal nicht ausreicht. Die Befristung eines Arbeitsvertrags kann dagegen nicht auf § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG gestützt werden, wenn der vom Arbeitgeber zur Begründung angeführte Bedarf an der Arbeitsleistung tatsächlich nicht nur vorübergehend, sondern objektiv dauerhaft besteht. Nicht nur vorübergehend ist demgemäß ein Arbeitskräftebedarf, der sich hinsichtlich solcher Tätigkeiten ergibt, die im Rahmen des verfolgten Betriebszwecks dauerhaft wahrgenommen werden oder zu deren Wahrnehmung eine Verpflichtung besteht. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut der Vorschrift, sondern auch aus den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 und der inkorporierten EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge vom 18. März 1999, deren Umsetzung die befristungsrechtlichen Vorschriften des TzBfG dienen. § 5 Nr. 1 Buchst. a der Rahmenvereinbarung steht der Anwendung einer Regelung nationalen Rechts, die den Abschluss aufeinander folgender befristeter Arbeitsverträge zur Deckung eines zeitweiligen Bedarfs gestattet, entgegen, wenn der Bedarf nicht nur zeitweilig, sondern ständig und auf Dauer besteht (BAG 17.3.2010 -7 AZR 640/08- EzA § 14 TzBfG Nr 63 unter Hinweis auf EuGH 23. April 2009 - C-378/07 bis C-380/07 - [Angelidaki] Rn. 103).

b) Eine Befristung wegen eines nur vorübergehenden betrieblichen Bedarfs an der Arbeitsleistung setzt voraus, dass im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist, dass nach dem vorgesehenen Vertragsende für die Beschäftigung des befristet eingestellten Arbeitnehmers in dem Betrieb kein dauerhafter Bedarf mehr besteht. Hierüber hat der Arbeitgeber bei Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags eine Prognose zu erstellen, der konkrete Anhaltspunkte zugrunde liegen müssen. Die Prognose ist Teil des Sachgrunds für die Befristung. Die tatsächlichen Grundlagen für die Prognose über den nur vorübergehend bestehenden Arbeitskräftebedarf hat der Arbeitgeber im Prozess darzulegen. Wird die Befristung auf einen zusätzlichen Arbeitskräftebedarf im Bereich der Daueraufgaben gestützt, hat der Arbeitgeber darzutun, aufgrund welcher Umstände bei Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags davon auszugehen war, dass künftig nach Ablauf der mit dem befristet beschäftigten Arbeitnehmer vereinbarten Vertragslaufzeit das zu erwartende Arbeitspensum mit dem vorhandenen Stammpersonal würde erledigt werden können (BAG 17.3.2010,aaO). Die allgemeine Unsicherheit über die zukünftig bestehenden Beschäftigungsmöglichkeiten rechtfertigt die Befristung nicht. Sie gehört zum unternehmerischen Risiko des Arbeitgebers, das er nicht durch Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags auf die Arbeitnehmer abwälzen kann (BAG 9.3.2011 -7 AZR 728/09- EzA § 14 TzBfG Nr 76).

3. Gemessen an diesen Grundsätzen lag der Befristungsgrund des nur vorübergehenden betrieblichen Bedarfs an der Arbeitsleistung nicht vor.

a) Die von der Beklagten zur Begründung eines nur vorübergehenden Arbeitskräftebedarfs in den Vordergrund gestellten zusätzlichen Aufgaben im Rahmen der sog. Aktivierungsphase des Konzepts Bürgerarbeit lassen sich zum einen schon nicht ausreichend konkret von den von der Beklagten wahrzunehmenden Daueraufgaben abgrenzen. Die Klägerin war im Rahmen des Konzepts Bürgerarbeit eingesetzt als Arbeitsvermittlerin. Sie hat damit an der Durchführung der Arbeitsvermittlung als der Aufgabe mitgewirkt, deren Wahrnehmung der Beklagten als zentrale, gesetzlich vorgegebene Daueraufgabe obliegt. Die im Rahmen der sog. Aktivierung anfallenden Aufgaben, so wie sie auf Seiten 6-8 des Konzepts (Bl. 55 ff. d.A.) beschrieben werden, unterscheiden sich inhaltlich nicht von den Aufgaben, die die Beklagte nach §§ 1, 2, 14 ff SGB II iVm. § 35 ff. SGB III wahrzunehmen hat. Auch das Ziel der Aktivierungsphase ist kein anderes als das der im Übrigen wahrzunehmenden Arbeitsvermittlung. Wie sich bereits aus der „Einleitung“ der Konzeptbeschreibung ergibt, ist primäres Ziel der Konzeption die Vermittlung der zu aktivierenden Kunden in den ersten Arbeitsmarkt. Die eigentliche Bürgerarbeit kommt erst dann zum Tragen, wenn die dem Einsatz in Bürgerarbeit vorausgeschalteten Maßnahmen nicht zu einem Vermittlungserfolg auf dem ersten Arbeitsmarkt geführt haben.

b) Ebenso wenig hat die Beklagte ausreichend nachvollziehbar dargelegt, dass bei Abschluss des streitgegenständlichen Arbeitsvertrages in tatsächlicher Hinsicht die Prognose gerechtfertigt war, dass nach dem vorgesehenen Vertragsende für die Beschäftigung der Klägerin kein dauerhafter Bedarf mehr bestehen würde. Dies ist mit dem von ihr vorgelegten „Konzept zur Realisierung der Bürgerarbeit“ nicht in Einklang zu bringen. Im Vordergrund dieses Konzepts steht nicht die Besetzung der sog. Bürgerarbeitsplätze. Im Gegenteil ist die Besetzung derartiger Plätze nur der letzte Schritt, der nach Möglichkeit durch Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt vermieden werden soll. Im Vordergrund stehen die einer eventuellen Bürgerarbeit vorausgehenden Schritte und Maßnahmen der sog. Aktivierung. Mit diesen aber soll nicht einer momentanen, vorübergehenden Situation Rechnung getragen werden, sondern vielmehr die im Bereich der Beklagten nach eigener Schilderung bestehende überdurchschnittlich hohe strukturelle Arbeitslosigkeit (vgl. Konzept, II. „Ausgangssituation“, Bl. 56 f. d.A.) „signifikant“ (so unter I, „Einleitung“ des Konzepts, Bl. 55 d.A.). gesenkt werden, wozu der Einsatz weiterer innovativer Instrumente als erforderlich angesehen wird (vgl. Bl. 57 d.A.). Aufgrund welcher Tatsachen die Beklagte davon ausgehen konnte, dieses Konzept einer verstärkten Förderung (im Vorfeld der eigentlichen Bürgerarbeit) werde nach Ablauf der Befristung nicht fortgesetzt werden, ist nicht dargelegt. Auch nach den „Fragen und Antworten zur Durchführung von Modellprojekten „Bürgerarbeit““ des Bundesministeriums für Arbeit vom 13.12.2011, Seite 4 (Bl. 76 d.A.), steht im Mittelpunkt der „Bürgerarbeit“ nicht die befristet subventionierte Tätigkeit auf einem Bürgerarbeitsplatz, sondern „ die mindestens sechsmonatige Aktivierungsphase, durch die ein möglichst hoher Anteil arbeitsloser erwerbsfähiger Hilfebedürftiger in den allgemeinen Arbeitsmarkt integriert werden sollen. Diese Aktivierungsphase ihrerseits, die demnach das Kernstück des Projekts bilden soll, ist aber gerade nicht mit zusätzlichen, zeitlich befristeten Mittel finanziell gefördert (vgl. S. 11 der genannten „Fragen und Antworten“, Bl. 88 d.A.).

c) Auch soweit die Beklagte geltend macht, bei prognostischer Betrachtung sei von einem erhöhten Arbeitskräftebedarf innerhalb der Daueraufgabe der Arbeitsvermittlung auszugehen gewesen, da nach dem Konzept der entsprechende Kreis der Kunden intensiver und mit höherer Betreuungsdichte und mit einem intensiveren Kontaktdichtekonzept anzusprechen gewesen sei, ergibt sich keine andere Beurteilung.

Die Beklagte macht insoweit geltend, dass hierdurch mit dem üblichen Personaleinsatz die geforderte höhere Kontaktdichte nicht umzusetzen gewesen wäre.
Zunächst ist die von der Beklagten insoweit insbesondere im „Vermerk zum befristeten Arbeitsvertrag“ angestellte Berechnung schon deshalb nicht aussagekräftig, weil sie nicht erkennen lässt, dass hierbei in Rechnung gestellt wurde, dass die in der Aktivierung verstärkt zu betreuenden Kunden Personen sein sollten, die ohnehin bereits zum Kundenbestand gehörten, für die deshalb der „normale“ Betreuungsanfall rechnerisch entfiel. Hinzu kommt, dass die Klägerin im Berufungsverfahren -ohne dass dem die Beklagte entgegengetreten wäre- dargelegt hat, dass die Gesamtmitarbeiterzahl der Arbeitsvermittler vor Beginn der Aktivierungsphase und nach Einsatz der Klägerin im Bereich der Aktivierung ab dem 1.1.2011 unverändert geblieben ist. Wenn -wovon nicht auszugehen ist- eine teilweise zeitliche Nicht-Auslastung im Rahmen der Vermittlungstätigkeit vor Beginn der Aktivierungsphase unterstellt wird, ist nicht nachvollziehbar, dass trotz behaupteten, abgrenzbaren Arbeitskräftemehrbedarfs die Gesamtanzahl der im Bereich Vermittlung eingesetzten Arbeitnehmer unverändert geblieben ist, nachdem die Klägerin seit Beginn ihrer Beschäftigung ab 6.8.2009 als Arbeitsvermittlerin eingesetzt war.

4. Anderweitige sachliche Gründe, die die Befristung im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 TzBfG rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Zulassung der Revision erfolgt nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG , auch im Hinblick auf eine Vielzahl betroffener Verfahren.



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