Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Beschluss vom - Az: 5 Ta 49/16

Rückzahlung von PKH: Ungünstige Steuerklasse erhöht Raten nicht

(1.) Zur Berechnung der Raten, die nach Gewährung von Prozesskostenhilfe von einem Prozessbeteiligten zurückzuzahlen sind, sind zunächst "auf das Einkommen entrichtete Steuern" vom Bruttolohn abzuziehen (§ 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 ZPO, § 82 Abs. 2 SGB XII). Aufgrund des in dieser Bestimmung enthaltenen sog. Tatsächlichkeitsprinzips sind die entrichteten einkommensbezogenen Steuern grundsätzlich in der tatsächlich geleisteten Höhe abzusetzen.

(2.) Zwar schließt das Gebot des vollen Abzugs gezahlter Steuern nicht aus, dass es im Einzelfall gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen kann, wenn eine PKH-Partei ihr monatliches Nettoeinkommen in manipulativer Weise verringert. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein Steuerklassenwechsel rechtsmissbräuchlich sein kann, wenn für die Ausübung des dem Bürger generell zustehenden Steuerklassenwahlrechts keine wirtschaftlich nachvollziehbaren und schützenswerten Gründe vorliegen. Dies gilt auch, wenn es um die Benachteiligung der Staatskasse geht.

(3.) Die Wahl der Steuerklasse V indiziert nicht per se einen Rechtsmissbrauch, der im Rahmen des PKH- Nachprüfungsverfahrens die fiktive Berechnung eines höheren Nettolohns nach Steuerklasse IV gebieten würde. (Hier: Keine Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch)

Tenor

1.    Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 9. März 2016, Az. 3 Ca 195/13, teilweise abgeändert und die von der Klägerin monatlich zu zahlende Rate auf 15,00 EUR festgesetzt.

Im Übrigen verbleibt es bei den Anordnungen im angefochtenen Beschluss.

2.    Die weitergehende sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

3.    Die Gerichtsgebühr wird auf die Hälfte ermäßigt.

4.    Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I. Die Klägerin wendet sich gegen die Anordnung von Ratenzahlungen im Rahmen des PKH-Nachprüfungsverfahrens.

Die Klägerin war bei der Beklagten zu einem Bruttomonatslohn von zuletzt 1.200,00 EUR als Küchenhilfe beschäftigt. Das Arbeitsgericht bewilligte ihr mit Beschlüssen vom 12.03.2013 und 23.05.2013 für mehrere Zahlungsanträge Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten ohne Ratenzahlungsanordnung. Die Klägerin bezog damals Arbeitslosengeld iHv. 463,50 EUR monatlich; ihr Ehemann erzielte bei einem Bruttomonatslohn iHv. 1.850,00 EUR einen Nettoverdienst iHv. 1.238,52 EUR.

Im Rahmen des PKH-Nachprüfungsverfahrens, das der Rechtspfleger im November 2015 einleitete, gab die Klägerin an, dass sie ab dem 01.10.2015 ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen sei. Ausweislich der vorgelegten Abrechnungen (zuletzt für Januar 2016) erzielt sie bei einem Bruttomonatslohn iHv. 2.053,80 EUR einen Nettolohn iHv. 1.167,48 EUR (Steuerklasse V). Der Bruttomonatslohn ihres Ehemanns beträgt unverändert 1.850,00 EUR. Die Klägerin ist Mutter eines im Jahr 2003 geborenen Kindes. Sie ist Miteigentümerin einer selbstgenutzten Eigentumswohnung (Wohnfläche 80 m²), die das Ehepaar mit Kreditraten iHv. 468,88 EUR monatlich finanziert.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 09.03.2016 eine Zahlungsbestimmung dahingehend getroffen, dass die Klägerin ab 15.04.2016 monatliche Raten iHv. 95,00 EUR an die Landeskasse zu zahlen hat. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Berechnung ein fiktives Arbeitseinkommen der Klägerin iHv. 1.409,12 EUR netto nach Steuerklasse IV zu Grunde zu legen sei. Bei der Wahl einer ungünstigen Steuerklasse (hier Steuerklasse V) müsse sich die PKH-Partei den Ausgleichsanspruch gegen den Ehegatten anrechnen lassen, weil die Wahl der Steuerklasse nicht zu Lasten der Solidargemeinschaft getroffen werden dürfe. Daher sei folgende Berechnung anzustellen:

Einkünfte EUR

Nettoeinkommen (fiktiv, StKl. IV)  1.409,12

Kindergeld  190,00

Freibeträge

Erwerbstätige  213,00

Partei  468,00

Kind  309,00

Wohnkosten

Heizkosten (hälftig)  105,00

Wasser- und Abwasserkosten (hälftig)  9,00

Immobilienkredit (hälftig)  234,44

Ergebnis

anrechenbares Einkommen (abgerundet)  260,00

PKH-Rate (altes Recht)  95,00

Die monatlichen Raten iHv. 223,49 EUR zur Tilgung eines Konsumentenkredits bei der Santanderbank könnten ebenso wie die Beiträge für eine Lebensversicherung iHv. 29,97 EUR nicht abgezogen werden, weil sie nach den vorgelegten Unterlagen nur den Ehemann beträfen.

Gegen den ihr am 10.03.2016 zugestellten Beschluss hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 10.03.2016, beim Arbeitsgericht am gleichen Tag eingegangen, sofortige Beschwerde eingelegt. Sie strebt den Fortfall der Ratenzahlungsanordnung an. Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 17.03.2016 nicht abgeholfen und die Sache dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II. Die sofortige Beschwerde der Klägerin hat in der Sache teilweise Erfolg. Die vom Arbeitsgericht festgesetzten Raten iHv. 95,00 EUR sind zu hoch bemessen. Die monatlichen Raten sind auf 15,00 EUR herabzusetzen.

1. Nach § 120 Abs. 4 Satz 1 ZPO aF kann das Gericht die Entscheidung über die zu leistenden Zahlungen ändern, wenn sich die für die Prozesskostenhilfe maßgebenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich verbessert haben. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Klägerin verfügt ausweislich der vorgelegten Lohnabrechnungen seit Oktober 2015 über einen monatlichen Nettolohn iHv. EUR 1.167,48 (nach Steuerklasse V). Sie ist daher in der Lage, monatliche Raten iHv. 15,00 EUR an die Landeskasse zu leisten. Im Einzelnen ist von folgenden Beträgen auszugehen:

Einkünfte EUR

Nettoeinkommen (tatsächlich, StKl. V)  1.167,48

Kindergeld  190,00

Freibeträge

Erwerbstätige  213,00

Partei  468,00

Kind  309,00

Wohnkosten

Heizkosten (hälftig)  105,00

Wasser- und Abwasserkosten (hälftig)  9,00

Immobilienkredit (hälftig)  234,44

Ergebnis

anrechenbares Einkommen (abgerundet)  19,00

PKH-Rate (Tabelle zu § 115 Abs. 2 ZPO aF)  15,00

2. Das Arbeitsgericht hat bei der Ermittlung der Einkünfte der Klägerin aus dem Arbeitsverhältnis zu Unrecht die Steuern nicht in der tatsächlich geleisteten Höhe (nach Steuerklasse V) abgezogen, sondern ein fiktives Nettoeinkommen (nach der Steuerklasse IV) berechnet. Diese - abweichend von den gesetzlichen Vorschriften erfolgte - Berechnungsweise führte zu einer fiktiven Erhöhung des monatlichen Einkommens der Klägerin um 241,64 EUR. Das ist falsch.

Nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 ZPO sind die in § 82 Abs. 2 SGB XII bezeichneten Beträge vom Einkommen abzusetzen. Damit finden die im Sozialhilferecht geltenden Einkommensberechnungsregeln auch im PKH-Verfahren Anwendung. Nach dem Wortlaut des § 82 Abs. 2 Nr. 1 SGB XII sind "auf das Einkommen entrichtete Steuern" vom Bruttolohn abzuziehen. Aufgrund des in dieser Bestimmung enthaltenen sog. Tatsächlichkeitsprinzips sind die entrichteten einkommensbezogenen Steuern grundsätzlich in der tatsächlich geleisteten Höhe abzusetzen (vgl. BVerwG 11.10.2012 - 5 C 22/11 - Rn. 23 mwN, zu § 93 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII).

Zwar schließt das Gebot des vollen Abzugs gezahlter Steuern nicht aus, dass es im Einzelfall gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen kann, wenn eine PKH-Partei ihr monatliches Nettoeinkommen in manipulativer Weise verringert. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein Steuerklassenwechsel rechtsmissbräuchlich sein kann, wenn für die Ausübung des dem Bürger generell zustehenden Steuerklassenwahlrechts keine wirtschaftlich nachvollziehbaren und schützenswerten Gründe vorliegen (vgl. BVerwG 11.10.2012 - 5 C 22/11 - Rn. 26 mwN; BAG 13.06.2006 - 9 AZR 423/05 - Rn. 14 mwN; BGH 03.07.2008 - IX ZB 65/07 - Rn. 5). Dies gilt auch, wenn es um die Benachteiligung der Staatskasse geht.

Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts indiziert die Wahl der Steuerklasse V nicht per se einen Rechtsmissbrauch, der im Rahmen des PKH- Nachprüfungsverfahrens die fiktive Berechnung eines höheren Nettolohns nach Steuerklasse IV gebieten würde. Das Gesetz knüpft an den tatsächlichen Steuerabzug an. In einer Entscheidung zum Lohnsteuerklassenwechsel hat das Bundessozialgericht darauf hingewiesen, dass Gestaltungsmöglichkeiten, die der Gesetzgeber den Bürgern "sehenden Auges" überlassen hat, nicht im Nachhinein von den Rechtsanwendern aus Gründen einer angenommenen "rechtsethischen Funktion des Rechts" begrenzt werden können (so ausdrücklich BSG 25.06.2009 - B 10 EG 3/08 R - Rn. 28). Die vom Arbeitsgericht zitierten Entscheidungen (BGH 04.10.2005 – VII ZB 26/05; OLG Frankfurt 12.02.1999 - 6 UF 167/98) sind auf die vorliegende Fallgestaltung nicht übertragbar. Die Urteile betreffen Sachverhalte, in denen ein Steuerklassenwechsel zur Benachteiligung zivilrechtlicher Gläubiger vorgenommen worden war. Hier ist noch nicht einmal ein Steuerklassenwechsel erfolgt.

Im vorliegenden Fall hat das Arbeitsgericht keinerlei Umstände festgestellt, die den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs zum Nachteil der Staatskasse ("Steuer zahlenden Solidargemeinschaft") begründen könnten. Solche sind auch sonst nicht ersichtlich. Im Gegenteil: Ausweislich der im PKH-Verfahren vorgelegten Bewilligungsbescheide der Bundesagentur für Arbeit vom 03.08.2013 und vom 29.10.2014 war die Klägerin bereits in den Jahren 2013 und 2014 in der Steuerklasse V eingereiht. Diese Steuerklasse wurde der Ermittlung der Höhe des Arbeitslosengeldes der Klägerin zu Grunde gelegt. Die Klägerin hat keine Steuerklasse gewechselt. Der neue Arbeitsvertrag der Klägerin ab 01.10.2015 war zunächst bis zum 06.01.2016 (Mutterschutzvertretung) befristet. Er wurde erst später bis Juli 2017 zur Elternzeitvertretung verlängert. Es machte daher Sinn, dass die Ehegatten die gewählte Steuerklassenkombination III/V beibehalten haben, damit sie unterjährig über ausreichende Liquidität verfügen. Schließlich muss der Ehemann mit seinen Einkünften noch einen Kredit bedienen (siehe unter 3.). Die Beibehaltung der Steuerklasse V kann bei dieser Sachlage nicht dem Verdikt des Rechtsmissbrauchs unterworfen werden.

3. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die monatlichen Raten iHv. 223,49 EUR zur Tilgung eines Konsumentenkredits bei der Santanderbank ebenso wie die Beiträge für eine Lebensversicherung iHv. 29,97 EUR nicht als besondere Belastungen vom Einkommen der Klägerin abzuziehen sind, weil sie nach den vorgelegten Unterlagen nur den Ehemann betreffen. Für die Behauptung der Klägerin, der Kredit mit einem Sollsaldo von € 7.254,00 am 15.12.2013 sei zur Finanzierung der erforderlichen Erneuerung der Einbauküche aufgenommen worden, fehlt jedweder Beleg. Die Klägerin hat weder den Darlehensvertrag noch den Küchenkaufvertrag vorgelegt. Sie hat auch das Kaufdatum der Küche nicht angegeben, so dass nicht geprüft werden kann, ob die Darlehensverpflichtung in Kenntnis der bestehenden Prozesskostenhilfeschuld eingegangen worden ist (vgl. Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz 24.08.2015 - 6 Ta 91/15 - Rn. 15). Es bedarf deshalb auch keiner Entscheidung, ob der Kauf einer Einbauküche im Preissegment von rund € 7.000,00 für eine angemessene Lebensführung notwendig war.

III. Die Ermäßigung der Beschwerdegebühr folgt aus dem Gebührentatbestand Nr. 8614 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet, § 127 Abs. 4 ZPO.

Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde fehlte es unter Beachtung von §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG an einem gesetzlich begründeten Anlass. Diese Entscheidung ist daher nicht anfechtbar.



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