Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 4 Sa 52/15

Schadensersatz wegen nicht-gewährtem Urlaub

(1.) Der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers wandelt sich in einen Schadensersatzanspruch um, der auf Gewährung von Ersatzurlaub als Naturalrestitution gerichtet ist, wenn der Arbeitgeber den rechtzeitig verlangten Urlaub nicht gewährt und der Urlaub aufgrund seiner Befristung verfällt.

(2.) Das rechtzeitige Verlangen des Urlaubs ist entbehrlich, wenn aufgrund einer vorformulierten Vertragsklausel ersichtlich ist, dass der Arbeitgeber ernsthaft und endgültig keinen Urlaub gewähren wird. (Hier: "... es besteht kein Anspruch auf bezahlten Urlaub.")

(3.) Der Schadensersatzanspruch kann auch dann entstehen, wenn der Arbeitgeber versäumt, eine geschäftsunerfahrene Arbeitnehmerin darüber aufzuklären, dass sie einen Urlaubsanspruch hat.

(4.) Dieser Schadensersatzanspruch unterliegt nicht der gesetzlichen Befristung gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG.

(5.) Kann der als Schadensersatz geschuldete Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden, ist der Arbeitnehmer in Geld zu entschädigen (§ 251 Abs. 1 BGB).

Im vorliegenden Fall verlangt die Klägerin Schadensersatz für nicht-gewährten Urlaub. Mit dem Beklagten schloss sie 2008 einen Arbeitsvertrag, in dessen AGB der Urlaubsanspruch der Klägerin ausgeschlossen wurde. Bis zum Jahr 2014 erhielt die Klägerin keinen Urlaub; sie selbst dachte, sie habe keinen Anspruch. Die vorliegende Zahlungsklage hat vor dem Arbeitsgericht wie auch dem Landesarbeitsgericht Erfolg, soweit die Klägerin Schadensersatz für die Jahre 2011 bis 2013 verlangt. Der Anspruch aus dem Jahr 2010 sei bereits verjährt.

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserlautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 11.12.2014, Az: 6 Ca 446/14, werden zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat 77 % und die Klägerin 23 % der Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen auf Zahlung von Urlaubsabgeltung gerichteten Schadensersatzanspruch der Klägerin.

Die Klägerin war bei dem Beklagten vom 01.04.2008 bis zum 15.04.2014 als geringfügig Beschäftigte tätig. Sie arbeitete jeweils von montags bis freitags und erhielt zuletzt eine vertragsgemäße Arbeitsvergütung von 450,00 EUR netto monatlich.

Der von der Beklagten vorformulierte Arbeitsvertrag der Parteien vom 01.04.2008 enthält in § 2 u.a. folgende Bestimmung:

"…Die Vertragspartner sind sich darüber einig, dass die Vergütung entsprechend den Vorschriften des § 40a Einkommenssteuergesetz erfolgen soll und somit ein Anspruch auf bezahlten Urlaub nicht besteht."

Die Klägerin hat während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses keinen bezahlten Urlaub erhalten.

Mit ihrer am 07.08.2014 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat die Klägerin den Beklagten auf Abgeltung von insgesamt 101 Urlaubstagen für die Jahre 2010 bis 2014 mit einem Gesamtbetrag von 1.515,00 EUR netto in Anspruch genommen. Bezüglich der Zusammensetzung dieses Betrages wird auf die Klageschrift vom 05.08.2014 (dort Seite 2 = Bl. 2 d. A.) Bezug genommen. Die Beklagte zahlte nach Klageerhebung den auf das Urlaubsjahr 2014 entfallenden Teilbetrag an die Klägerin aus, so dass diese ihre Klage insoweit nicht mehr weiterverfolgt hat.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen streitigen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 11.12.2014 (Bl. 35 bis 38 d. A.).

Die Klägerin hat (zuletzt) beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 1.410,00 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.08.2014 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 11.12.2014 in Höhe von 1.080,00 EUR netto nebst Zinsen stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht in den Entscheidungsgründen seines Urteils im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe gegen den Beklagten einen Schadensersatzanspruch in Höhe des Abgeltungsanspruchs für den ihr in den Jahren 2011, 2012 und 2013 nicht gewährten Urlaub. Der diesbezügliche Schadensersatzanspruch für das Jahr 2010 sei jedoch verjährt. Zur Darstellung der Entscheidungsgründe im Einzelnen wird auf Bl. 5 bis 9 des erstinstanzlichen Urteils (= Bl. 38 bis 42 d. A.) verwiesen.

Gegen das ihr am 20.01.2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10.02.2015 Berufung eingelegt und diese am 19.03.2015 begründet. Die Klägerin hat am 11.03.2015 Anschlussberufung eingelegt.

Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts führe die im Arbeitsvertrag verwendete Klausel, wonach der Klägerin im Hinblick auf § 40 a EStG kein Urlausanspruch zustehe, nicht dazu, dass der Klägerin bezüglich der verfallenen Urlaubsansprüche ein Schadensersatzanspruch zustehe. Die Verwendung der zweifellos rechtsunwirksamen Vertragsklausel habe lediglich zur Folge, dass die gesetzlichen Vorschriften anzuwenden seien. Die Klägerin sei daher gehalten gewesen, ihre Urlaubsansprüche jeweils rechtzeitig geltend zu machen. Sie - die Beklagte - habe bei Vertragsschluss insoweit einem Rechtsirrtum unterlegen, als sie gemeint habe, in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen bestehe kein Urlaubsanspruch.

Zur Darstellung aller Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf deren Berufungsbegründungsschrift vom 19.03.2015 (Bl. 74 bis 77 d. A.) Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt,

1. das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen,

2. die Anschlussberufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

1. die Berufung der Beklagten zurückzuweisen,

2. das erstinstanzliche Urteil teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, über den bereits zugesprochenen Betrag von 1.080,00 EUR hinaus weitere 330,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.08.2014 zu zahlen.

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil soweit der Klage stattgegeben wurde nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 29.04.2015 (Bl. 86 f. d. A.), auf die Bezug genommen wird. Zur Begründung ihrer Anschlussberufung macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts sei der geltend gemachte Schadensersatzanspruch nicht insoweit zum Teil verjährt, als er auf die Nichtgewährung von Urlaub im Jahr 2010 gestützt werde. Auch diesbezüglich sei nämlich zu berücksichtigen, dass die Beklagte ihr im Arbeitsvertrag mitgeteilt habe, dass ein Urlaubsanspruch nicht bestehe. Sie - die Klägerin - sei daher davon ausgegangen, sie habe keinen Urlaubsanspruch. Erst infolge der Konsultierung ihres Rechtsanwalts am 06.05.2014 habe sie Kenntnis von der tatsächlichen Rechtslage erlangt.

Wegen aller Einzelheiten des Vorbringens der Klägerin zur Begründung ihrer Anschlussberufung wird auf deren Schriftsatz vom 10.03.2015 (Bl. 65 f. d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.  Sowohl die statthafte Berufung der Beklagten als auch die statthafte Berufung der Klägerin sind form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Die beiden hiernach insgesamt zulässigen Rechtsmittel haben in der Sache jedoch keinen Erfolg.

II. 

1. Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht in Höhe von 1.080,00 EUR netto stattgegeben.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch in Höhe des erstinstanzlich ausgeurteilten Betrages.

Der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers wandelt sich in einen Schadensersatzanspruch um, der auf Gewährung von Ersatzurlaub als Naturalrestitution gerichtet ist, wenn der Arbeitgeber den rechtzeitig verlangten Urlaub nicht gewährt und der Urlaub aufgrund seiner Befristung verfällt (§ 275 Abs. 1, Abs. 4, § 280 Abs. 1,     § 283 Satz 1, § 286 Abs. 1 Satz 1, § 249 Abs. 1 BGB). Dieser Schadensersatzanspruch unterliegt nicht der gesetzlichen Befristung gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG. Kann der als Schadensersatz geschuldete Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden, ist der Arbeitnehmer gemäß § 251 Abs. 1 BGB in Geld zu entschädigen (BAG v. 11.04.2006 - 9 AZR 523/05 - AP Nr. 28 zu § 7 BUrlG Übertragung; BAG v. 15.09.2011 - 8 AZR 846/09 - AP Nr. 10 zu § 280 BGB).

Danach steht der Klägerin gegen die Beklagte aus dem beendeten Arbeitsverhältnis ein Schadensersatzanspruch in Form einer Geldentschädigung wegen der Nichterfüllung ihrer Urlaubsansprüche aus den Jahren 2011, 2012 und 2013 zu. Die Beklagte befand sich im Zeitpunkt des Verfalls des jeweiligen Urlaubsanspruchs in Verzug (§ 286 BGB). Dem steht im vorliegenden Fall nicht entgegen, dass die Klägerin während des Arbeitsverhältnisses ihre Urlaubsansprüche nicht geltend gemacht hat. Die Beklagte hat nämlich bereits bei Vertragsschluss durch die Verwendung des in § 2 des von ihr vorformulierten Arbeitsvertrages, wonach ein Urlaubsanspruch gemäß § 40 a EStG nicht bestehen solle, jegliche Gewährung von Urlaub von vornherein ernsthaft und endgültig verweigert (§ 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB). Damit hat die Beklagte deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie nicht bereit sei, Urlaubsansprüche zu erfüllen. Einer Geltendmachung der Urlaubsansprüche durch die Klägerin bzw. einer entsprechenden Mahnung, um die Beklagte in Verzug zu setzen, bedurfte es daher nicht.

Der Schadensersatzanspruch der Klägerin resultiert darüber hinaus auch aus § 280 Abs. 1 BGB i. V. mit §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB, da die Beklagte der geschäftsunerfahrenen Klägerin, die nach ihrem unbestritten gebliebenen Sachvortrag erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses über die tatsächliche Rechtslage aufgeklärt wurde, durch die in § 2 des Arbeitsvertrages enthaltene Klausel vorspiegelte, es bestünden keinerlei Urlaubsansprüche und sie dadurch davon abhielt, Urlaub in Anspruch zu nehmen. Die Beklagte hat damit die Klägerin über das Bestehen von Urlaubsansprüchen getäuscht und zugleich in schwerwiegender Weise ihre Aufklärungspflichten verletzt. Dabei kann offen bleiben, ob die Behauptung der Beklagten zutrifft, sie sei insoweit selbst einem Rechtsirrtum unterlegen, weil sie davon ausgegangen sei, in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen bestehe kein Anspruch auf Urlaubsgewährung. Die Beklagte trifft diesbezüglich zumindest der Vorwurf der Fahrlässigkeit (§ 276 Abs. 2 BGB), welche sie gemäß § 276 Abs. 1 BGB zu vertreten hat.

Die Klage ist auch - bezogen auf die Urlaubsansprüche der Klägerin aus den Jahren 2011, 2012 und 2013 - jedenfalls in Höhe des erstinstanzlich ausgeurteilten Betrages begründet. Zwar belief sich der gesetzliche Urlaubsanspruch der Klägerin nicht, wie ihrer Berechnung zugrunde gelegt, auf jährlich 24, sondern auf lediglich 20 Urlaubstage, da ihre Arbeitszeit auf 5 Werktage pro Woche verteilt war (vgl. Gallner in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 15. Auflage, § 3 BUrlG, Rz, 8, m. w. N.). Demgegenüber ist die Klägerin bei ihrer Berechnung jedoch zu ihrem eigenen Nachteil davon ausgegangen, dass ein Urlaubstag mit lediglich 1/30 der Monatsvergütung zu bewerten sei. Richtigerweise beläuft sich vorliegend die auf einen Urlaubstag entfallende Vergütung in Anwendung des § 11 BUrlG auf 20,77 EUR netto (450,00 EUR netto x 3 Monate : 65 Arbeitstage). Hieraus resultiert für insgesamt 60 Urlaubstage aus den Jahren 2011, 20122 und 2013 an sich ein Schadensersatzanspruch von 1.246,20 EUR netto, wobei der Klage jedoch für den betreffenden Zeitraum (2011 bis 2013) gemäß § 308 Abs. 1 ZPO nur in Höhe des insoweit geltend gemachten Betrages von 1.080,00 EUR netto stattgegeben werden konnte.

Der Zinsanspruch der Klägerin folgt aus den §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.

III.  Die Anschlussberufung der Klägerin ist ebenfalls nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht insoweit abgewiesen, als sie auch eine Entschädigung für den im Kalenderjahr 2010 entstandenen und verfallenen Urlaubsanspruch der Klägerin umfasst. Der auf das Jahr 2010 bezogene Schadensersatzanspruch der Klägerin ist, worauf sich die Beklagte bereits erstinstanzlich ausdrücklich berufen hat, seit dem Ablauf des 31.12.2013 verjährt (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB).

Das Berufungsgericht folgt insoweit den Ausführungen des Arbeitsgerichts unter I. 2. a) der Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils und stellt dies gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Lediglich ergänzend ist klarzustellen, dass der Rechtsirrtum der Klägerin bezüglich des Bestehens eines Urlaubsanspruchs und eines daraus vorliegend resultierenden Schadensersatzanspruchs den Beginn der Verjährungsfrist nicht gehindert hat (vgl. Palandt, BGB, 74. Auflage, § 199, Rz. 27, m. N. a. d. R.).

IV.  Nach alledem waren sowohl die Berufung der Beklagten als auch die Anschlussberufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.



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