Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 2 Sa 144/12

Schlüssigkeit der Klage - Arbeitgebereigenschaft

Eine Klage ist schlüssig, wenn der Tatsachenvortrag seine Richtigkeit unterstellt, geeignet ist, den Klageantrag sachlich zu rechtfertigen. Dabei ist auch dem Kläger ungünstiges Klagevorbringen zu berücksichtigen.
Tatsachenvortrag der beklagten Partei (hier: Betriebsübergang habe stattgefunden) kann der klagenden Partei dann zur Begründetheit verhelfen, wenn die klagende Partei diesen Tatsachenvortrag sich zumindest hilfsweise zu eigen macht.
(Redaktionelle Orientierungssätze)

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 15.02.2012 - 4 Ca 1409/11 - teilweise abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten zu 1. vom 26.10.2011 nicht aufgelöst wurde.
Der Weiterbeschäftigungsanspruch wird zurückgewiesen.
Die weitere Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin ¼, der Beklagten ¾ auferlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über das Bestehen sowie die Beendigung eines zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses.

Die Klägerin ist am 29.01.1960 geboren, verheiratet und 2 Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Zunächst war sie aufgrund Arbeitsvertrages vom 05.12.2000 ab dem 01.01.2001 befristet bei der Beklagten zu 1) (Fa. E.) als Bekleidungsingenieurin im Verkauf beschäftigt. Es schloss sich an ein Arbeitsvertrag vom 26.06.2002 mit der Fa. A., die erstinstanzlich als Beklagte zu 2) geführt wurde. Sie wurde als Bekleidungsingenieurin eingestellt, eine Probezeit wegen der befristeten Beschäftigung vom 01.01. bis 30.06.2002 entfiel.

Die Klägerin und die Fa. W. schlossen am 30.08.2004 einen Aufhebungsvertrag. Der zwischen ihnen abgeschlossene Arbeitsvertrag wurde einvernehmlich mit Wirkung zum 31.08.2004 beendet. Durch Einstellungsvertrag vom 31.08.2004 begründete die Klägerin und die Beklagte zu 1) erneut ein Arbeitsverhältnis. In diesem Vertrag ist der Arbeitsbereich der Klägerin beschrieben mit " alle anfallenden Arbeiten im Verkauf " (Auftragsannahme, /- Bearbeitung / - Nachfassung, Kunden-akquise u. ä.). Auf eine Probezeit wurde wiederum verzichtet. Die Klägerin erzielte zuletzt ein Bruttoeinkommen von ca. 1.850,-- EUR.

Die Fa. W. ist eine in A-Stadt ansässige Gesellschaft, deren Kerngeschäft sich ausweislich des Internetauftrags auf die Produktion und Vermarktung von gewebten elastischen und unelastischen Bändern erstreckt. Die beklagte Fa. D. war als Lohnfertiger für die Beklagte zu 2) tätig. Geschäftsführer der Beklagten ist die Ehefrau des Geschäftsführers der Fa. A., Frau A. W. Beide Gesellschaften sind in einem Gebäudekomplex in A-Stadt untergebracht und beschäftigen beide jeweils regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer.

In der Vergangenheit wurde bei der Beklagten zu 1) Kurzarbeit angemeldet und durchgeführt. Am 26.08.2011 ereignete sich eine Unwetterkatastrophe im Bereich B. Das genutzte Gebäude erlitt einen Hagelschaden mit Beschädigung von Webmaschinen.

Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 26.01.2011 das nach ihrer Ansicht mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis zum 31.05.2012. Mit Schreiben vom gleichen Tage kündigte die Fa. W. das Arbeitsverhältnis der Klägerin ebenfalls zum 31.05.2012 aufgrund äußerster Vorsicht, wobei sie im Kündigungsschreiben die Auffassung vertrat, das Arbeitsverhältnis der Klägerin sei auf die Beklagte im Wege des Betriebsüberganges übergegangen.

Beide Kündigungen hat die Klägerin mit Kündigungsschutzklagen angegriffen. Die zunächst getrennt geführten Verfahren wurden nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 27.01.2012 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 15.02.2012 erschienen die beiden Beklagten erster Instanz trotz ordnungsgemäßer Terminsladung nicht. Das Arbeitsgericht erließ daher ein Teil-Versäumnis- und Endurteil, wobei den gegenüber der Beklagten zu 2) (Fa. W.) gerichteten Anträgen entsprochen wurde.

Die gegen die Beklagte zu 1) gerichtete Klage wurde im Wege des unechten Versäumnis-Urteils abgewiesen. Das Arbeitsgericht führte aus, die Klägerin habe auf explizite Nachfrage des Gerichts erklärt, es bestünde insgesamt nur ein Arbeitsverhältnis und zwar mit der Beklagten zu 2). Lediglich hilfsweise habe sie den Vortrag der Beklagten zu 1) bezüglich eines übergegangenen Arbeitsverhältnisses für sich zu eigen gemacht.

Da die Klägerin die Existenz nur eine der Arbeitsverhältnisse behauptet habe, sei die gegen die Beklagte zu 1) gerichtete Klage insgesamt mangels schlüssigen Vortrages hinsichtlich des Bestehens eines weiteren Arbeitsverhältnisses zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1) abzuweisen. Sowohl die erhobene Kündigungsschutzklage als auch der Weiterbeschäftigungs- und Zeugnisantrag setzten zu ihrer Begründetheit ein Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten voraus.

Das Urteil wurde der Klägerin am 27.02.2012 zugestellt. Am 23.03.2012 hat sie hiergegen Berufung eingelegt und ihre Berufung, nachdem die Berufungsbegründungsfrist durch Beschluss vom 20.04.2012 bis zum 29.05.2012 verlängert worden war, mit an diesem Tag eingegangenem Schriftsatz begründet.

Die Klägerin rügt, das Arbeitsgericht hätte den hilfsweise sich zu eigen gemachten Sachvortrag über den Bestand eines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten berücksichtigen müssen. Im übrigen gehe sie jetzt mit einem Arbeitsvertrag mit der Beklagten aus, die von ihr im Jahre 2004 unterzeichneten Erklärung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Fa. W. und die Neubegründung eines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten seien ihr bis dato nicht mehr erinnerlich gewesen.

Materiellrechtlich sei die Kündigungsschutzklage begründet. Die Beklagte könne sich auf dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung im Betrieb entgegenstehen, nicht berufen.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 15.02.2012 abzuändern und
festzustellen, dass das zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1) bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche betriebsbedingte Kündigung vom 26.10.2011, zugegangen am 26.10.2011, sein Ende findet;
die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an die Klägerin als Bekleidungsingenieurin im Verkauf bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag weiter zu beschäftigen;
hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1) die Beklagte zu 1) zu verurteilen, der Klägerin ein Endzeugnis über die Art und Dauer der Beschäftigung im Arbeitsverhältnis zu erteilen, das sich auch auf Führung und Leistung erstreckt und sowohl in der zusammenfassenden Leistungsbeurteilung, als auch in der zusammenfassenden Beurteilung des Sozialverhaltens mit der Gesamtnote "Gut" in Abänderung des mit Schreiben vom 08.03.2012 übermittelten Zeugnisses endet.
der Beklagten zu 1) die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Die Berufung sei nicht zulässig. Die Klägerin lege nicht dar, weswegen das klageabweisende unechte Versäumnis-Urteil unzutreffend sei.

Im übrigen dürfe die Klägerin nicht einfach ihren Sachvortrag betreffend der Arbeitgebereigenschaft auswechseln. Die wirtschaftliche Bedeutung des vorliegenden Verfahrens sei deutlich geringer als im üblichen Kündigungsschutzverfahren. Die Beklagte lege die Firma zum 31.07.2012 still. Die Klägerin habe mittlerweile eine neue Beschäftigung gefunden. Die Beklagte nimmt Bezug auf ihren erstinstanzlichen Tatsachenvortrag, dass die Kündigung der Klägerin aufgrund Auftragsrückganges erforderlich gewesen sei. Man habe sich entschlossen, künftig keine Kundenakquise mehr durchzuführen. Damit sei der Beschäftigungsbedarf der Klägerin auch im Hinblick auf die Teilstilllegung des Betriebes infolge Beschädigung der Webmaschinen entfallen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des umfangreichen Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen. Weiter wird verwiesen auf die Feststellungen zum Sitzungsprotokoll vom 12.07.2012.

 

Entscheidungsgründe

I.  Die Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit zulässig (§§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG, i. V. m. § 520 ZPO).

Die Zulässigkeit des Rechtsmittels ist nicht deshalb infrage zu stellen, weil die Klägerin sich nicht mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandergesetzt hätte. Die Klägerin hat in ihrer Berufungsbegründung dargelegt, dass das Arbeitsgericht ihren hilfsweise gehaltenen Sachvortrag über eine behauptete Betriebsnachfolge hätte berücksichtigen müssen und deshalb die Klageabweisung im Versäumnis-Urteil als unschlüssig nicht zutreffend sei. Dies ist eine ausreichende Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils, auch wenn die Klägerin missverständlicherweise ausführt, formal gesehen sei die Entscheidung des Arbeitsgerichts richtig.

II.  Die Berufung ist auch zum überwiegenden Teil begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung der Beklagten vom 26.10.2011 zum 31.05.2011 nicht beendet worden. Diese Kündigung ist sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam.

Dieser Feststellung steht nicht entgegen, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien möglicherweise noch als zweifelhaft anzusehen ist.

Im Berufungsverfahren hat die Klägerin den von der Beklagten behaupteten Sachvortrag bestätigt, dass mit der Beklagten Fa. D. ein Arbeitsverhältnis begründet wurde. Entsprechende Dokumente (Arbeitsvertrag vom 31.08.2004) liegen vor. Gleichzeitig liegen die Dokumente über die Beendigung des Arbeitsvertrages mit der Fa. W. vom 30.08.2004 in den Gerichtsakten vor. Damit musste die Berufungskammer von einem bestehenden Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1) (Fa. D.) ausgehen.

Im übrigen war die Entscheidung des Arbeitsgerichts, im Wege des unechten Versäumnis-Urteils die "unschlüssige" Klage der Klägerin abzuweisen, nicht zutreffend.

Eine Klage ist schlüssig, wenn der Tatsachenvortrag seine Richtigkeit unterstellt, geeignet ist, den Klageantrag sachlich zu rechtfertigen. Dabei ist auch dem Kläger ungünstiges Klagevorbringen zu berücksichtigen. Tatsachenvortrag der beklagten Partei kann der klagenden Partei dann zur Begründetheit verhelfen, wenn die klagende Partei diesen Tatsachenvortrag sich zumindest hilfsweise zu eigen macht (vgl. Zöller/ Greger, ZPO, 29. Auflage, vor § 253 ZPO Rand-Nr. 23).

Die Klägerin hat erstinstanzlich vor Erlass des Versäumnis-Urteils ausdrücklich sich den Vortrag der Beklagten hilfsweise zu eigen gemacht, ein Betriebsübergang habe stattgefunden und mithin bestehe auch die Arbeitgebereigenschaft der Beklagten. Diesen Sachvortrag konnte das Arbeitsgericht nicht ohne weiteres unberücksichtigt lassen, sondern hätte es bei Erlass des Versäumnis-Urteils berücksichtigen müssen. Offensichtlich hat das Arbeitsgericht die verschiedene prozessuale Stellung von einfachen Streitgenossen, der Beklagten zu 1) und der Fa. W. nicht hinreichend berücksichtigt. Es ist nicht denknotwendigerweise ausgeschlossen, dass mit beiden Beklagten Arbeitsverhältnisse bestanden, das Arbeitsverhältnis mit einer Partei schließt also ein bestehendes Arbeitsverhältnis mit der anderen Partei nicht notwendigerweise aus. Auch wirken etwaige rechtskräftige Entscheidungen im Verhältnis der Klägerin zur Beklagten zu 1) und zur Beklagten zu 2) nicht im Rechtsverhältnis mit den jeweils nicht an diesen Rechtsstreitigkeiten als notwendige Streitgenossen beteiligten Parteien.
Da die Klägerin somit erstinstanzlich bereits das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten zu 1), in Übereinstimmung mit deren Vortrag im Berufungsverfahren behauptet hat, ist ihr jetziger Vortrag im Berufungsverfahren, mit der Beklagten zu 1) habe im Zeitpunkt der Kündigung ein Arbeitsverhältnis bestanden, kein neuer Sachvortrag, der entweder eine Nichtberücksichtigung dieses Vortrags zur Folge hätte oder entsprechende Kostenregelungen.

Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung zum 31.05.2011 nicht beendet worden. Die Kündigung ist deswegen nicht als sozial gerechtfertigt anzusehen, weil die Beklagte zwar außerbetriebliche Entwicklungen behauptet hat, jedoch nicht dargelegt hat, wie diese (unterstellt) konkret bezeichneten außerbetrieblichen Entwicklungen Auswirkungen auf den Bedarf der klägerischen Arbeitsleistung gehabt hätten.

Ausweislich des Vertrages war der Tätigkeitsbereich der Klägerin beschrieben als Bekleidungsingenieurin mit allen anfallenden Arbeiten im Verkauf: Auftragsannahme, Auftragsbearbeitung, Auftragsnachfassung, Kundenakquisitation u. ä. Inwieweit durch außerbetriebliche Umstände ein Tätigkeitsbedarf für diese konkret bezeichneten Tätigkeiten entfallen ist, hat die Beklagte nicht dargelegt. Die Auswirkungen auf den Arbeitsplatz der Klägerin sind in keiner Weise erkennbar. Selbst wenn ein Teil der Webmaschinen nicht mehr produziert, ist nicht ersichtlich, in welchem Umfang sich Arbeiten im Verkauf, der Auftragsannahme, der Bearbeitung der Nachfassung und der Kundenakquisitation vermindert hätten. Konkrete Auswirkungen auf den von der Klägerin inngehabten Arbeitsplatz sind von der Beklagten nicht dargelegt worden, so dass allein aus der Behauptung, es habe ein Auftragsrückgang vorgelegen, nicht geschlossen werden kann, der Bedarf für die künftige Weiterbeschäftigung der Klägerin über den 31.05.2011 hinaus sei entfallen. Nur eine derartige Darlegung hätte eine soziale Rechtfertigung der ausgesprochenen Kündigung aus dringenden betrieblichen Erfordernissen bedingen können.

Unabhängig hiervon ist allerdings, ob die durch die mittlerweile von der Beklagten vorgetragene Betriebsschließung der Bedarf der Klägerin für die künftige Weiterbeschäftigung entfallen ist. Die nach der Kündigung ausgesprochene Stilllegungsentscheidung kann die bereits vorher ausgesprochene betriebsbedingte Kündigung nicht sozial rechtfertigen.

Da zwischen den Parteien allerdings in der mündlichen Verhandlung unstreitig gestellt wurde, dass die Beklagte weitere betrieblich veranlasste Kündigungen ausgesprochen hat, deren zeitlicher Ablauf allesamt vor der letzten mündlichen Verhandlung waren, hat die Klägerin keinen tatsächlichen Anspruch auf Weiterbeschäftigung über den Kündigungszeitpunkt hinaus, weil das Arbeitsverhältnis unter Umständen durch die nachfolgend ausgesprochenen ordentlichen Kündigungen beendet sein kann.

Demgemäß war wie geschehen zu entscheiden und der Klage der Klägerin nur teilweise stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt §§ 92 Abs. 2 ZPO. Gründe für eine Zulassung der Revision bestehen angesichts der Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht.



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