Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 10 Sa 335/12

Tarifvertraglicher Anspruch auf Aufhebungsvertrag - Kontrahierungszwang

Enthält ein Tarifsozialplan eine Regelung, wonach ein Arbeitnehmer seinen Austrittswunsch beim Arbeitgeber anmelden kann mit der Folge, dass ein Aufhebungsvertrag gegen Zahlung einer Abfindung geschlossen wird, so begründet dies noch keinen Kontrahierungszwang. Der Arbeitgeber kann also frei entscheiden, ob er dem Wunsch des Arbeitnehmers nachkommt und mit diesem einen Aufhebungsvertrag abschließt.
Auch ein Klauselzusatz, wonach der Arbeitnehmer "in vollem Umfang anspruchsberechtigt im Sinne des Tarifsozialplans ist", ändert an dieser Auslegung nichts.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 29. Mai 2012, Az.: 11 Ca 4549/11, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ein Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags gegen Zahlung einer Sozialplanabfindung zu unterbreiten.

Die 1958 geborene Klägerin ist seit dem 01.03.1991 bei der Beklagten als Mitarbeiterin Lager und Versand zu einem Bruttomonatsentgelt von € 1.670,00 angestellt. Sie ist Mitglied der Gewerkschaft ver.di. Seit einem Arbeitsunfall war die Klägerin vom 02.07.2009 bis 31.08.2012 ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Am 03.09.2012 nahm sie ihre Arbeit wieder auf. Seither wird sie am Standort B. auf einem Arbeitsplatz in der Packerei im Werbedruck beschäftigt.

Im Krankheitszeitraum der Klägerin ging das Lager der Beklagten zum 01.01.2012 im Wege eines Teilbetriebsübergangs auf eine Dienstleistungsgesellschaft über. Die Beklagte hatte am 13.07.2011 wegen der Betriebsänderung mit der Bezeichnung „Neuausrichtung Logistik und Umsetzung des Projekts Optima“ mit der Gewerkschaft ver.di einen Tarifsozialplan (TSP) geschlossen, der - auszugsweise - wie folgt lautet:

㤠1 Geltungsbereich
1. Persönlich
Dieser Tarifsozialplan gilt für alle Mitarbeiter der C., deren Arbeitsplatz aufgrund einer Maßnahme infolge der Betriebsänderung „Neuausrichtung Logistik und Umsetzung des Projekts Optima“ wegfällt oder sich ändert.
Er gilt jedoch nicht für:
...
Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis aufgrund eines Beendigungstatbestandes (z.B. Eigenkündigung, Kündigung oder Aufhebungsvertrag) endet, der vor Abschluss dieses Tarifsozialplans und vor dem 01.04.2011 gesetzt wurde, es sei denn, der Mitarbeiter wäre von der Betriebsänderung betroffen gewesen und die Beendigung wäre aus Anlass der Betriebsänderung erfolgt,
...

2. Sachlich
Der Tarifsozialplan gilt für alle Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der in Ziffer 1. beschriebenen Betriebsänderung stehen.

            ...
§ 5 Beendigung von Arbeitsverhältnissen
Mitarbeiter, die aufgrund der Betriebsänderung ausscheiden, haben Anspruch auf eine Gesamtabfindung. Diese besteht aus einem Grundabfindungsbetrag, einer individuell zu berechnenden Abfindung und ggf. aus einem Zuschlag.
...

§ 6 Ausscheiden auf arbeitnehmerseitigen Wunsch
Die von der Betriebsänderung betroffenen Mitarbeiter können bei der Personalleitung ab sofort ihren Austrittswunsch anmelden. Sie sind in vollem Umfang anspruchsberechtigt im Sinne dieses Tarifsozialplans.

...

§ 8 Ringtausch
Bietet ein Mitarbeiter zum Zwecke der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses mit einem anderen Mitarbeiter an, dass sein Arbeitsverhältnis ersatzweise beendet wird, so stimmt das Unternehmen der Beendigung dieses Arbeitsverhältnisses zu, sofern die Weiterbeschäftigung dieses Mitarbeiters insbesondere wegen seiner Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen nicht im berechtigten betrieblichen Interesse liegt.
Ein derartiger Austausch darf aber hinsichtlich der dann zu zahlenden Abfindung maximal zu einer Verdoppelung der ursprünglich geschuldeten Abfindung, weiter unter Beachtung der Höchstgrenzen der § 10 KSchG, führen. Weiterhin setzt ein solcher Anspruch voraus, dass die Mitarbeiter fachlich untereinander vergleichbar sind und/oder jedenfalls das der Betriebsänderung zu Grunde liegende Organisationskonzept auch nach einem derartigen „Ringtausch“ aufrechterhalten werden kann.
...“


Die Klägerin, die bis zu ihrem Arbeitsunfall im Jahr 2009 im Lager beschäftigt war, teilte der Beklagten mit Schreiben vom 30.09.2011 mit, das sie eine Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses auf der Grundlage des TSP wünsche. Sie ist der Ansicht, die Beklagte sei gemäß § 6 TSP verpflichtet, ihrem Austrittswunsch zu entsprechen, da sie von der Betriebsänderung betroffen sei. Ihr Arbeitsplatz im Bereich Lager und Versand sei weggefallen.

Mit ihrer am 21.12.2011 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage machte sie die Zahlung einer Sozialplanabfindung iHv. € 29.776,54 brutto (€ 5.000,00 Grundbetrag zzgl. € 1.837,00 x 20,75 Jahre x 0,65 individueller Betrag) geltend. Klageerweiternd verlangte sie den Abschluss eines Aufhebungsvertrags.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 29.05.2012 (dort Seite 2-7 = Bl. 49-54 d.A.) Bezug genommen.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihr Angebot auf Beendigung des Arbeitsverhältnisses vom 30.09.2011 anzunehmen,
die Beklagte zu verurteilen, an sie € 29.776,54 brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 29.05.2012 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin unterfalle nicht dem persönlichen Geltungsbereich des TSP, denn ihr Arbeitsplatz sei nicht von der Betriebsänderung betroffen worden. Die Klägerin habe bei Inkrafttreten des TSP am 13.07.2011 keinen Arbeitsplatz mehr besessen, nachdem sie über zwei Jahre erkrankt gewesen sei. Von der Schließung des Lagers in Betzdorf sei sie weder aktuell belastet noch persönlich betroffen worden. Zudem erfülle die Klägerin nicht die Voraussetzungen des § 6 TSP. Sie habe zwar iSd. § 6 Satz 1 TSP ihren Austrittswunsch an die Beklagte herangetragen. Die Beklagte verhalte sich jedoch nicht unbillig iSd. § 315 BGB, wenn sie der Klägerin kein Ausscheidensangebot nach § 6 Satz 2 iVm. § 5 TSP unterbreite. Im Arbeitsvertrag sei eine Beschäftigung der Klägerin als Mitarbeiterin im Bereich Lager und Versand sowie ein weites Direktionsrecht der Beklagten vereinbart worden. Es sei denkbar, dass die Beklagte die Klägerin nach ihrer Genesung am Standort B. mit gewerblichen Tätigkeiten im Versand oder in vergleichbarer Wertigkeit beschäftigen könne. Wegen weiterer Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 8 bis 16 des erstinstanzlichen Urteils vom 29.05.2012 (Bl. 55- 63 d.A.) Bezug genommen.

Das genannte Urteil ist der Klägerin am 04.07.2012 zugestellt worden. Sie hat mit am 19.07.2012 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 04.10.2012 verlängerten Begründungsfrist mit am 04.10.2012 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Sie ist der Ansicht, das Arbeitsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass sie nicht dem persönlichen Geltungsbereich des TSP unterfalle. Der Arbeitsplatz im Lager, auf dem sie vor ihrer krankheitsbedingten Fehlzeit vertragsgemäß beschäftigt worden sei, sei weggefallen. Sie sei trotz ihrer langandauernden Erkrankung bei Schließung des Lagers in B. bzw. bei Abschluss des Sozialplans von der Betriebsänderung betroffen gewesen, weil ihr die Beklagte nach ihrer Genesung keinen Arbeitsplatz im Bereich Lager oder Versand zuweisen könne. Die Beklagte müsse sich mit ihrem Austrittswunsch einverstanden erklären. In § 6 TSP sei ein Kontrahierungszwang normiert worden. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Inhalt des Schriftsatzes der Klägerin vom 04.10.2012 (Bl. 82-85 d.A.) Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt zweitinstanzlich,
das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 29.05.2012, 11 Ca 4549/11, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr gegenüber ein Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags zu erklären, der sich nach den Bedingungen der §§ 5, 6 des Tarifsozialplans zwischen der Beklagten und der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di vom 13.07.2011 richtet und die Zahlung einer Abfindung in Höhe von € 29.776,54 brutto sowie die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.09.2011 zum Gegenstand hat.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 13.11.2012 (Bl. 98-107 d.A.), auf die Bezug genommen wird, als im Ergebnis zutreffend. Die Klägerin unterfalle nicht dem persönlichen Geltungsbereich des TSP, denn ihr Arbeitsplatz sei aufgrund der Dauererkrankung längst anderweitig besetzt gewesen, als die Betriebsänderung umgesetzt worden sei. Somit sei der Arbeitsplatz der Klägerin nicht „infolge der Betriebsänderung“ weggefallen. Die Weiterbeschäftigung der Klägerin ab dem 03.09.2012 - nach dreijähriger Erkrankung - auf einem Arbeitsplatz in der Packerei im Werbedruck am Standort B. beweise, dass sie von der Betriebsänderung nicht betroffen gewesen sei, da sie (die Beklagte) die Arbeitskraft der Klägerin weiterhin benötige. Eine Pflicht zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags ergebe sich nicht aus § 6 TSP. Nach seinem Wortlaut habe § 6 TSP keinen anspruchsbegründenden Charakter. Sie sei nicht verpflichtet, den Austrittswünschen aller Mitarbeiter zu entsprechen. Ein Kontrahierungszwang bestehe nicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die erst- und zweitinstanzlich eingereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf den Inhalt der Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.  Die nach § 64 ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und in ausreichender Weise begründet worden. Sie ist somit zulässig.

Die Umformulierung des Klageantrags in der Berufungsinstanz begegnet keinen Bedenken. Mit ihren Klageanträgen geht es der Klägerin ersichtlich in beiden Instanzen darum, zu klären, ob die Beklagte nach den Bestimmungen des Tarifsozialplans zwischen der Beklagten und der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di vom 13.07.2011 (TSP) verpflichtet ist, mit ihr einen Aufhebungsvertrag gegen Zahlung einer Sozialplanabfindung zu schließen. Die in der geänderten Antragstellung im Berufungsverfahren liegende Klageänderung ist nach § 533 ZPO zulässig. Sie ist sachdienlich iSd. § 533 Ziff. 1 ZPO. Die Entscheidung über den geänderten Antrag ist auch aufgrund der Tatsachen möglich, die von der Berufungskammer ohnehin in Anwendung des § 529 ZPO zu berücksichtigen sind.

II.  In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht als unbegründet abgewiesen. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, der Klägerin ein Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrags zum 30.09.2011 zu unterbreiten, das sich nach den Bedingungen der §§ 5, 6 TSP richtet und die Zahlung einer Abfindung iHv. € 29.776,54 brutto zum Gegenstand hat.

1. Der zweitinstanzliche Antrag ist zulässig. Er ist auf die Verurteilung der Beklagten zur Abgabe eines Angebots zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags gerichtet. Er ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Klägerin hat den Inhalt des anzubietenden Aufhebungsvertrags ausreichend konkretisiert. Das sieht die Beklagte nicht anders. Der Zeitpunkt der Wirkung der Abgabe des Angebots
- der 30.09.2011 - ist genannt. Die wesentlichen Vertragsbestandteile der Abfindung in Höhe von € 29.776,54 brutto sind bezeichnet. Die übrigen Bedingungen ergeben sich aus dem Tarifsozialplan vom 13.07.2011.

Für die erstrebte Verurteilung zur Abgabe eines Angebots auf Abschluss eines Aufhebungsvertrags besteht ein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin auch die Möglichkeit gehabt hätte, selbst ein Vertragsangebot abzugeben und auf dessen Annahme durch die Beklagte zu klagen (BAG 09.02.2011 - 7 AZR 91/10 - Rn. 23, Juris; 13.06.2002 - 7 AZR 738/10 - Rn. 18-24, Juris). Es ist anerkannt, dass der Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet sein kann, gegenüber dem Arbeitnehmer eine Willenserklärung zum Abschluss eines Vertragsangebots abzugeben (LAG Hessen 15.04.2011 - 3 Sa 1846/10 - Rn. 54, Juris, mwN.).

2. Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass ihr die Beklagte den Abschluss eines Aufhebungsvertrags zum 30.09.2011 gegen Zahlung einer Abfindung anbietet. Für das Klagebegehren gibt es keine Rechtsgrundlage.

Als einzige Anspruchsgrundlage für einen solchen Anspruch kann § 6 TSP herangezogen werden, der kraft beiderseitiger Tarifbindung zwischen den Parteien gilt. Nach dieser tarifvertraglichen Regelung können die von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer bei der Personalleitung ihren Austrittswunsch anmelden (Satz 1). Sie sind in vollem Umfang anspruchsberechtigt im Sinne dieses Tarifsozialplans (Satz 2).

Wie die Auslegung des § 6 TSP - ua. in einer systematischen Zusammenschau mit anderen Bestimmungen im Tarifsozialplan - ergibt, haben die Tarifvertragsparteien keine Pflicht der Beklagten geregelt, einem austrittswilligen Arbeitnehmer, eine Vertragsauflösung anzubieten.

Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt nach der ständigen Rechtsprechung des BAG den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm sind mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist stets abzustellen, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien, wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und gesetzeskonformen Regelung führt (BAG 15.05.2012 - 7 AZR 785/10 - Rn. 21, Juris, mwN).

Hiervon ausgehend, ist in § 6 TSP entgegen der Ansicht der Berufung kein Kontrahierungszwang der Beklagten geregelt worden. Die Klägerin hat zwar mit Schreiben vom 30.11.2011 ihren Austrittswunsch gemäß § 6 Satz 1 TSP angemeldet. Daraus folgt jedoch keine Pflicht der Beklagten, ihr eine Vertragsauflösung anzubieten. Bereits nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist die „Anmeldung eines Austrittswunsches“ nicht rechtsverbindlich. § 6 TSP regelt nicht, dass der Mitarbeiter den wunschgemäßen Austritt verlangen oder gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Aufhebung des Arbeitsvertrags geltend machen kann. Vielmehr ist nach dem eindeutigen Tarifwortlaut, von dem bei der Tarifauslegung vorrangig auszugehen ist, von einem Austrittswunsch die Rede. Ob die Beklagte mit einem Mitarbeiter, der seinen Austrittswunsch angemeldet hat, einen Aufhebungsvertrag schließt, kann sie frei entscheiden. Es besteht nach dem Wortlaut keine Verpflichtung, dem Wunsch zu entsprechen.

Das Auslegungsergebnis wird durch einen Vergleich mit der Regelung in § 8 TSP bekräftigt, der bei einem sog. Ringtausch im Gegensatz zu § 6 TSP ausdrücklich einen Anspruch des austrittswilligen Mitarbeiters auf Zustimmung der Beklagten zu der Vertragsauflösung normiert. Hier verwenden die Tarifvertragsparteien - anders als in § 6 TSP - die juristischen Begriffe „Angebot“ und „Zustimmung“. § 8 Abs. 2 TSP enthält ein Ablehnungsrecht der Beklagten aus Kostengründen. Die beim Ringtausch zu zahlende Abfindung darf sich maximal verdoppeln. Die Beklagte kann einen Ringtausch ablehnen, wenn die Weiterbeschäftigung des tauschwilligen Arbeitnehmers in ihrem berechtigten betrieblichen Interesse liegt oder wenn der Tausch für sie mit einer unverhältnismäßigen Kostenbelastung verbunden ist. Da entsprechende Ablehnungsrechte in § 6 TSP fehlen, kann nicht gewollt sein, dass die Beklagte jedem angemeldeten Austrittswunsch gegen Zahlung einer Abfindung, die sich nach § 5 TSP berechnet, entsprechen müsste, selbst wenn eine zumutbare Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Mitarbeiter besteht.

Ein Kontrahierungszwang folgt nicht aus § 6 Satz 2 TSP. Satz 2 soll sicherstellen, dass die Anzeige eines Austrittswunschs vor Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung bzw. vor Abschluss eines Aufhebungsvertrags einen nach anderen Bestimmungen des TSP bestehenden Anspruch nicht ausschließt. Er begründet jedoch keine Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung eines Arbeitsvertrags. § 6 TSP lässt der Beklagten die Entscheidungsfreiheit, ihre Zustimmung zum angemeldeten Austrittswunsch zu erklären oder zu verweigern. Sie ist nicht verpflichtet, den Antrag eines Arbeitnehmers auf Austritt allein deshalb anzunehmen, weil dieser es wünscht.

Dieses Auslegungsergebnis wird schließlich auch durch den sich aus dem Gesamtzusammenhang des Tarifsozialplans ergebenden Regelungszweck bestätigt. Dieser besteht darin, die wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen bzw. zu mildern, die den Arbeitnehmern entstehen, die ihren Arbeitsplatz wegen der Betriebsänderung verlieren. Das entspricht der in § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG beschriebenen Funktion eines Sozialplans. Für den hier zwischen der Gewerkschaft ver.di und der Beklagten abgeschlossenen TSP gilt nichts anderes. Die Klägerin hat ihren Arbeitsplatz nicht verloren, weil sie im Betrieb weiterbeschäftigt werden kann.

3. Der Klägerin steht auch kein Anspruch auf Abschluss eines Aufhebungsvertrags gegen Zahlung einer Sozialplanabfindung aus dem Gesichtspunkt des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes zu.

Die Klägerin hat in diesem Zusammenhang erstinstanzlich pauschal behauptet, dass die Beklagte in den übrigen Fällen, in denen Mitarbeiter gemäß § 6 TSP ihren Austrittwunsch angemeldet hätten, mit diesen Mitarbeitern Gespräche geführt und anschließend die Arbeitsverhältnisse mit ihnen einvernehmlich beendet habe. Nach Bestreiten durch die Beklagte wäre es allerdings Sache der Klägerin gewesen, ihre diesbezüglichen Behauptungen unter Beweisantritt zu konkretisieren. Dies ist nicht geschehen. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin ihren Vortrag nicht weiter vertieft.

Im Übrigen ist für die Berufungskammer auch nicht ersichtlich, dass die Weigerung der Beklagten, dem Austrittswunsch der langandauernd erkrankten Klägerin zu entsprechen, nur vorgeschoben war, um die Abfindungszahlung zu vermeiden. Für die Klägerin besteht am Standort B. eine zumutbare Weiterbeschäftigungsmöglichkeit. Dies ergibt sich schon daraus, dass sie seit ihrer Genesung ab 03.09.2012 auf einem Arbeitsplatz in der Packerei im Werbedruck beschäftigt wird.

III.  Nach alledem ist die Berufung der Klägerin mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.



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