Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 3 Sa 148/12

"Unkündbarkeit" - Erfordernis einer Auslauffrist

Einem Arbeitnehmer, der aufgrund tarifvertraglicher Regelung nur außerordentlich kündbar ist, muss für den Fall der (außerordentlichen) Kündigung eine der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist eingeräumt werden, wenn bei unterstellter ordentlicher Kündbarkeit im konkreten Fall (hier: wiederholtes Fernbleiben von der Arbeit) nur die Kündigung nach Fristablauf zulässig wäre.
(Redaktioneller Orientierungssatz)

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 08.02.2012 - 4 Ca 2401/11 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung.

Der am 4. April 1961 geborene Kläger absolvierte zunächst ab 1. September 1977 seine Ausbildung zum Forstwirt bei der Beklagten und war dann bei ihr seit 1. Oktober 1980 als Arbeiter beschäftigt. Seit dem 1. Juli 1993 wurde er im Bauhof der Beklagten eingesetzt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) Anwendung.

Mit Schreiben vom 29. August 2003 (Bl. 52 d.A.) wurde der Kläger von Seiten der Beklagten auf sein unentschuldigtes Fehlen am 25. und 26. August 2003 hingewiesen. Mit Schreiben vom 19. Dezember 2006 (Bl. 56, 57 d.A.) erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung, weil er am 18. Dezember 2006 unentschuldigt nicht zur Arbeit erschienen war. In dem Abmahnungsschreiben heißt es u.a.:

„Bis auf weiteres ordnen wir darüber hinaus nach § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz an, dass ab sofort jede Arbeitsunfähigkeit durch Sie bereits ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit durch eine entsprechende Bescheinigung nachzuweisen ist (Attestpflicht). Sollten Sie kurzfristig aus anderen Gründen verhindert sein, die Arbeit aufzunehmen oder auszuführen, müssen Sie sich bis spätestens 7:30 Uhr dieses Tages beim Bauhofbetriebsleiter, sofern dieser nicht erreichbar ist, bei dem zuständigen Vorarbeiter oder dem Personalservice der Verbandsgemeinde melden und sich entsprechend erklären, ob sie Urlaub in Anspruch nehmen oder Überstunden abfeiern möchten.“

Am 15. Juni 2009 verließ der Kläger seinen Arbeitsplatz unentschuldigt vor Arbeitsende, woraufhin er von Seiten der Beklagten mit Schreiben vom 29. Juni 2009 (Bl. 65 d.A.) eine entsprechende Abmahnung erhielt. In der Zeit vom 12. bis 14. Juli 2010 blieb der Kläger unentschuldigt der Arbeit fern. Deswegen erteilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 27. Juli 2010 (Bl. 49 d.A.) eine Abmahnung. Mit einem weiteren Schreiben vom gleichen Tag erhielt der Kläger eine Abmahnung wegen Verletzung der Anzeigepflicht am 8. Juli 2010 (Bl. 50 d.A.).

Am 30. und 31. Mai sowie am 1. Juni 2011 erschien der Kläger nicht zur Arbeit. Darüber informierte der Bauhofleiter und Vorgesetzte des Klägers, Herr K., am 6. Juni 2011 den Personalservice der Verbandsgemeindeverwaltung A-Stadt. Daraufhin leitete der Leiter des Personalservice der Verbandsgemeindeverwaltung, Herr Z., mit Schreiben vom 14. Juni 2011 (Bl. 74 d.A.) die Anhörung des bei der Beklagten gebildeten Personalrats ein und teilte diesem mit, dass beabsichtigt sei, dem Kläger mit sofortiger Wirkung außerordentlich zu kündigen. Zur Begründung der beabsichtigten außerordentlichen fristlosen Kündigung des Klägers heißt es im Anhörungsschreiben:

"Herr C. wurde bereits mit Schreiben vom 27.07.2010 abgemahnt, weil er unentschuldigt nicht zur Arbeit erschienen ist. Am 30. und 31.05.2011 ist Herr C. wiederum ohne Entschuldigung nicht zur Arbeit erschienen. Aufgrund dieser erneuten Arbeitspflichtverletzung ist die Kündigung beabsichtigt.

Im Rückblick auf die vergangenen Jahre sind wiederholt hartnäckige und uneinsichtige Pflichtverletzungen zu verzeichnen."


Am 16. Juni 2011 informierte Herr Z. den Stadtbürgermeister der Beklagten erstmals über den Kündigungssachverhalt.

Mit Schreiben vom 17. Juni 2011 (Bl. 4 d.A.), dem Kläger am gleichen Tag zugegangen, kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. Hiergegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 6. Juli 2011, beim Arbeitsgericht Koblenz am 7. Juli 2011 eingegangen, Kündigungsschutzklage erhoben. Weiterhin hat er seine Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits zu den bisherigen Bedingungen als Beschäftigter im Bauhof verlangt.

Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, die außerordentliche Kündigung der Beklagten sei unwirksam, weil die von der Beklagten angeführten Gründe nicht zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen würden. Am 30. Mai 2011 sei er nicht zur Arbeit erschienen, weil er davon ausgegangen sei, den bereits am 27. Mai 2011 ausgefüllten grünen Stundenausgleichszettel für den 30. und 31. Mai 2011 an der betriebsüblichen Stelle im Betriebsbüro (Holzkästchen) eingeworfen zu haben. Am 27. Mai 2011 sei er jedoch von seiner Mutter wegen eines Stromausfalls bei ihr im Haus angerufen worden und habe sodann überstürzt die Arbeitsstelle verlassen. Erst als er am 30. Mai 2011 von seinem Arbeitskollegen telefonisch auf sein Fernbleiben von der Arbeit angesprochen worden sei, habe er bemerkt, dass sich der von ihm ausgefüllte Stundenausgleichszettel noch in seiner Stundenmappe befunden habe, den er dann noch im Verlaufe des gleichen Tages dort vorgefunden und in das Holzkästchen des Betriebsbüros gelegt habe. Aus den Schreiben der Beklagten vom 29. August 2003 und 19. Dezember 2006 gehe hervor, dass bei der Beklagten die Übung geherrscht habe, relativ kurzfristig oder auch im Nachhinein Arbeitsstunden abzufeiern bzw. Urlaub zu nehmen. Am 1. Juni 2011 habe er sich durch Schmerzen im Schulterbereich beeinträchtigt gefühlt. Er habe deshalb bereits um 7:24 Uhr seinen Vorgesetzten angerufen und ihn darüber unterrichtet, dass er nicht am Arbeitsplatz erscheine und davon absehe, für den einen Tag den Arzt aufzusuchen und sich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen zu lassen. Vielmehr solle ihm der Vorgesetzte für diesen Tag Urlaub eintragen, weil er sowieso nach dem Feiertag am 2. Juni 2011 ab 3. Juni 2011 bis zum 27. Juni 2011 seinen ihm bereits genehmigten Jahresurlaub antrete. Der Vorgesetzte habe nicht widersprochen und ihn insbesondere nicht aufgefordert, am Arbeitsplatz zu erscheinen. Die von der Beklagten ausgesprochenen Abmahnungen könnten mangels Beteiligung des Personalrates nicht zur Stützung der Kündigung herangezogen werden und enthielten auch nicht die absolute Androhung für ihn, dass er im Wiederholungsfalle mit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung rechnen müsse. Die von einer unzuständigen Person eingeleitete Anhörung sei zudem nicht ausreichend substantiiert gewesen, um die außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. In der Anhörung habe die Beklagte nicht erwähnt, dass er für den 30. und 31. Mai 2011 einen Überstundenausgleichszettel abgegeben habe. Im Übrigen sei das ihm vorgeworfene Nichterscheinen zur Arbeit am 1. Juni 2011 in der Anhörung nicht aufgeführt worden. Weiterhin sei die Kündigung nicht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB ausgesprochen worden. Jedenfalls sei nicht ersichtlich, weshalb der Beklagten es nicht zumutbar gewesen sein solle, die Kündigung mit einer der fiktiven Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist im Hinblick auf seine tarifvertragliche Unkündbarkeit auszusprechen und ihn noch weiterzubeschäftigen. Eine entsprechende Umdeutung sei nicht möglich, weil dazu gerade keine Anhörung des Personalrates erfolgt sei.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung vom 17. Juni 2011 nicht aufgelöst wurde,
die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits zu den bisherigen Bedingungen als Beschäftigter im Bauhof weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie hat erwidert, die außerordentliche fristlose Kündigung sei erfolgt, weil der Kläger am 30. und 31. Mai 2011 unentschuldigt nicht am Arbeitsplatz erschienen sei. Am 1. Juni 2011 habe der Kläger Herrn K. erst um 11:00 Uhr angerufen und ihm mitgeteilt, dass er an diesem Tag frei machen wolle und sich im Laufe des Tages im Büro melden werde, woraufhin er an diesem Tag jedoch nicht mehr erschienen sei. Entgegen der Darstellung des Klägers hätte er sich einen geplanten Überstundenausgleich oder Urlaub vorher von ihr bzw. dem Vorgesetzten genehmigen lassen müssen. Der Antrag auf Überstundenausgleich dürfe zwar in den Briefkasten an der Bürotür eingelegt werden, wenn der Vorgesetzte nicht im Büro anwesend sei. Darüber hinaus sei aber insbesondere erforderlich, den Vorgesetzten telefonisch über den Überstundenausgleich nicht nur zu informieren, sondern auch vorab zu fragen, ob dieser möglich sei und genehmigt werde. Zudem sei der Kläger gemäß der Anweisung in der Abmahnung vom 19. Dezember 2006 verpflichtet gewesen, den Grund für das Fernbleiben mitzuteilen. Der Kläger habe den vorgeschriebenen Weg nicht eingehalten und sich vor seiner Abwesenheit am 30. und 31. Mai 2011 sowie am 1. Juni 2011 weder Überstundenausgleich noch Urlaub genehmigen lassen. Damit habe der Kläger wiederholt unentschuldigt an seinem Arbeitsplatz gefehlt, obwohl er deswegen bereits zuvor mit Schreiben vom 27. Juli 2010 abgemahnt worden sei. Auch über die Kündigungs- und Abmahnungssachverhalte hinaus sei das Arbeitsverhältnis seit vielen Jahren nicht mehr beanstandungsfrei gewesen; wegen der diesbezüglichen Ausführungen der Beklagten wird auf ihren Schriftsatz vom 21. Juli 2011 (unter Ziffer III, S. 3 u. 4 = Bl. 45, 46 d.A.) und ihren ergänzenden Vortrag im Schriftsatz vom 12. Dezember 2011 verwiesen. Die Warnfunktion der Abmahnung bleibe auch bei einem formellen Mangel bestehen. Zu einer Kündigung mit einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist habe für sie keinerlei Veranlassung bestanden. Mit dem Ausspruch der Kündigung am 17. Juni 2011 sei die Zweiwochenfrist gemäß § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Der Personalrat sei vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angehört worden. Dem Personalratsvorsitzenden seien aus eigenem Erleben als Kollege des Klägers die genauen Umstände seiner Pflichtverletzungen und auch der Vorgang vom 1. Juni 2011 bekannt gewesen. Im Anschluss an die Sitzung des Personalrates am 17. Juni 2011 habe der Personalratsvorsitzende Herrn Z. darüber informiert, dass der Personalrat die beabsichtigte Kündigung des Klägers zur Kenntnis genommen habe und keine weiteren Maßnahmen vorgesehen seien. Dabei habe dieser auch das als Anlage 20 zu ihrem Schriftsatz vom 21. Juli 2011 vorgelegte Schreiben ohne Datum (Bl. 75 d.A.) ausgehändigt. Erst nach Erhalt der Mitteilung durch den Personalrat sei das Kündigungsschreiben dem Kläger noch am selben Tag übergeben worden. Es habe eine Absprache zwischen dem Stadtbürgermeister und dem Personalservice der Verbandsgemeindeverwaltung A-Stadt gegeben, nach der im Hinblick auf die häufigen Pflichtverletzungen des Klägers die Mitarbeiter des Personalservice die erforderlichen und vorbereitenden Handlungen hätten treffen sollen. Daraus resultiere das Anhörungsschreiben vom 14. Juni 2011 an den Personalrat vor der beabsichtigten Kündigung des Klägers.

Mit Urteil vom 8. Februar 2012 - 4 Ca 2401/11 - hat das Arbeitsgericht Koblenz der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, dass die Kündigung mangels ordnungsgemäßer Beteiligung des Personalrats unwirksam sei. Der Personalreferent der Verbandsgemeinde, Herr Z., habe nicht im Namen der Verbandsgemeindeverwaltung die Anhörung des Personalrats zur Kündigung des Klägers einleiten dürfen. Im Hinblick darauf, dass der Briefkopf des Anhörungsschreibens vom 14. Juni 2011 die Bezeichnung "Verbandsgemeindeverwaltung A-Stadt" trage, habe der Personalreferent nicht erkennbar für die Beklagte gehandelt. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidung wird auf das Urteil des Arbeitsgerichts Bezug genommen.

Gegen das ihr am 27. Februar 2012 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 26. März 2012, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am gleichen Tag eingegangen, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 24. April 2012, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am 25. April 2012 eingegangen, begründet.

Die Beklagte trägt vor, das Arbeitsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass die Kündigung aufgrund formeller Mängel im Bereich der Personalratsbeteiligung unwirksam sei. Unmittelbar nach der Sitzung des Personalrats am 17. Juni 2011 habe das Personalratsmitglied R. H. im Auftrag des Personalratsvorsitzenden den Beteiligungsbogen mit der darauf vermerkten Stellungnahme gegen 9:15 Uhr dem Leiter des Personalservice, Herrn Z., in dessen Dienstzimmer im Rathaus übergeben. Daraufhin habe Herr Z. den Stadtbürgermeister informiert und sei mit der sofortigen Fertigung eines Kündigungsschreibens beauftragt worden. Herr Z. habe unverzüglich das Kündigungsschreiben gefertigt und dem Stadtbürgermeister zur Unterschrift vorgelegt. Mit der Einleitung des Anhörungsverfahrens zur Beteiligung des Personalrats vor Ausspruch der Kündigung des Klägers sei Herr Z. vom Stadtbürgermeister ausdrücklich und mündlich beauftragt worden. Wegen der ehrenamtlichen Tätigkeit des Stadtbürgermeisters und der erheblichen Zahl der personalvertretungsrechtlichen Beteiligungsverfahren sei es bei ihr gängige Praxis, dass der Leiter des Personalservice die Beteiligungsverfahren in der hier geübten Form einleite, nachdem er jeweils mündlich oder fernmündlich den Auftrag im Gespräch mit dem Stadtbürgermeister erhalte. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts führe es nicht zur Unwirksamkeit einer Kündigung, wenn das Verfahren zur Beteiligung des Personalrats nicht durch den Dienststellenleiter selbst, sondern durch einen nicht zuständigen Vertreter eingeleitet worden sei, wenn der Personalrat den Fehler nicht gerügt, sondern zu der beabsichtigten Kündigung abschließend Stellung genommen habe. Aufgrund der langjährigen Zusammenarbeit sei den Beteiligten und insbesondere den Personalratsmitgliedern bekannt, wer in welcher Funktion tätig sei, welche Tätigkeiten er ausübe und für wen er handele. Insbesondere sei den Personalratsmitgliedern bekannt, dass der Personalreferent im Namen der Stadt handele, wenn er ein Beteiligungsverfahren bei ihrem Personalrat einleite. Hinzu komme, dass der Vorsitzende des Personalrats und drei von vier Personalratsmitgliedern Mitarbeiter ihres Bauhofes seien. Aus eigenem Erleben und aus den Gesprächen innerhalb des Bauhofs hätten diese das Verhalten des Klägers und die Vorfälle gekannt, die bis dahin zu Ermahnungen, Abmahnungen und zuletzt zur Kündigung geführt hätten. In Anbetracht der langjährig praktizierten Verfahrensweise zwischen den Beteiligten, die einander persönlich kennen würden und die sich über die Funktion der Beteiligten untereinander völlig im Klaren seien, könne ihrer Auffassung nach die Wirksamkeit des Mitwirkungsverfahrens und der Kündigung nicht daran scheitern, dass die Verbandsgemeinde im Absenderfeld des Anschreibens an den Personalrat erscheine. Verfüge der Personalrat bei Einleitung des Mitwirkungsverfahrens bereits über den erforderlichen Kenntnisstand, um über die konkret beabsichtigte Kündigung eine Stellungnahme abgeben zu können, bedürfe es keiner weiteren Darlegung der Kündigungsgründe durch den Arbeitgeber mehr. Der Personalrat sei damit ordnungsgemäß beteiligt worden, so dass die Kündigungsschutzklage abzuweisen sei.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 8. Februar 2012 - 4 Ca 2401/11 -
abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er erwidert, das tatsächliche Vorbringen der Beklagten zur Personalratsanhörung in der Berufungsinstanz stehe in Widerspruch zu ihrem Vorbringen vor dem Arbeitsgericht. Im Hinblick auf die von der Beklagten geschilderten widersprüchlichen Abläufe werde bestritten, dass überhaupt eine körperliche Übergabe des Beteiligungsbogens im Auftrage des Personalratsvorsitzenden erfolgt sei und am 17. Juni 2011 eine Personalratssitzung unter Beteiligung aller Personalratsmitglieder stattgefunden habe. Für die Einleitung des Beteiligungsverfahrens mit Schreiben vom 14. Juni 2011 sei Herr Z. auch nicht ausdrücklich und mündlich vom Stadtbürgermeister beauftragt worden. Ausweislich des Vermerks von Herrn Z. in seiner Personalakte habe zur aktuellen Verhaltenssituation erstmals am 16. Juni 2011 und nicht zu einem früheren Zeitpunkt ein Gespräch zwischen Herrn Z. und dem Stadtbürgermeister stattgefunden. Selbst wenn der Vorsitzende des Personalrates und drei weitere Personalratsmitglieder Mitarbeiter des Bauhofes der Beklagten seien, erfordere die Personalratsanhörung immer noch so konkrete Darlegungen über seine Fehlverhaltensweisen und den Inhalt vorausgegangener Abmahnungen, dass auch das Personalratsmitglied, welches keine eigenen Erkenntnisse habe, in die Lage versetzt sei, sich darüber ein Bild machen zu können. Diese Voraussetzungen seien nach dem Anhörungsschreiben vom 14. Juni 2012 nicht erfüllt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 Buchst. b und c ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist form- sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. 519, 520 ZPO).

Die auch ansonsten zulässige Berufung der Beklagten hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die zulässige Klage ist begründet.

I.   Der gegen die außerordentliche fristlose Kündigung vom 17. Juni 2012 gerichtete
Kündigungsschutzantrag zu 1) ist begründet.

Zwar scheitert die Wirksamkeit der streitigen Kündigung nach Maßgabe der von der Beklagten angeführten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 27. Februar 1997 - 2 AZR 513/96 - NZA 1998, 193) nicht zwangsläufig schon daran, dass das Verfahren zur Beteiligung des Personalrats nicht durch den Bürgermeister, sondern durch den Personalreferenten der Verbandsgemeinde eingeleitet wurde.

Die außerordentliche fristlose Kündigung vom 17. Juni 2011 ist aber rechtsunwirksam, weil die hierfür erforderlichen Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB nicht vorliegen. Nach der vorzunehmenden Interessenabwägung kann der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem ordentlich unkündbaren Kläger zumindest bis zum Ablauf der "fiktiven" Kündigungsfrist noch zugemutet werden. Eine Umdeutung in eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist kommt bereits mangels Durchführung des entsprechenden Beteiligungsverfahrens der Personalvertretung nicht in Betracht.

1. Gemäß § 34 Abs. 2 TVöD konnte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers, der im Kündigungszeitpunkt das 40. Lebensjahr vollendet hatte und länger als 15 Jahre bei ihr beschäftigt war, nur aus einem wichtigen Grund kündigen. Mit dem Begriff des "wichtigen Grundes" knüpft die tarifvertragliche Bestimmung an die gesetzliche Regelung des § 626 Abs. 1 BGB an, die das Vorliegen eines solchen Grundes voraussetzt (BAG 26. November 2009 - 2 AZR 272/08 - Rn. 12, NZA 2010, 628). Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Die Prüfung, ob ein gegebener Lebenssachverhalt einen wichtigen Grund in diesem Sinne darstellt, vollzieht sich zweistufig. Zunächst ist zu prüfen, ob der betreffende Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Grund "an sich" geeignet ist. Ist dies der Fall, ist sodann zu prüfen, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., vgl. BAG 26. November 2009 - 2 AZR 272/08 - Rn. 21, NZA 2010, 628).

2. Im Streitfall ist das von der Beklagten als Kündigungsgrund herangezogene unentschuldigte Fehlen des Klägers am 30. und 31. Mai sowie 1. Juni 2011 zwar "an sich" geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Die Wirksamkeit der von der Beklagten ausgesprochenen fristlosen Kündigung scheitert aber daran, dass ihr nach der vorzunehmenden Interessenabwägung die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem ordentlich unkündbaren Kläger zumindest bis zum Ablauf der "fiktiven" Kündigungsfrist noch zugemutet werden kann.

a) Das unentschuldigte Fehlen des Arbeitnehmers für die Dauer eines ganzen Arbeitstages ohne ausreichende Information des Arbeitgebers ist im Wiederholungsfall nach einschlägiger Abmahnung je nach den Umständen an sich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu begründen. Dabei obliegt es dem Arbeitgeber regelmäßig nicht, Betriebsablaufstörungen infolge des unentschuldigten Fehlens des Arbeitnehmers und der nicht erfolgten Benachrichtigung konkret darzulegen. Solche Betriebsablaufsstörungen sind mit einem derartigen Fehlverhalten des Arbeitnehmers üblicherweise verbunden. Handelt es sich um gleichartige Verfehlungen (Verspätungen, unentschuldigtes Fehlen), so ist auch hinsichtlich der nach § 626 Abs. 2 BGB verfristeten Kündigungsgründe zu prüfen, ob sie unterstützend zur Rechtfertigung der Kündigung herangezogen werden können; dies ist dann der Fall, wenn die früheren Vorgänge mit den innerhalb der Ausschlussfrist bekannt gewordenen in einem so engen sachlichen Zusammenhang stehen, dass die neuen Vorgänge ein weiteres und letztes Glied in der Kette der Ereignisse bilden, die zum Anlass der Kündigung genommen worden sind. Abgemahnte Verhaltensmängel behalten dann rechtliche Bedeutung, wenn später weitere erhebliche Umstände eintreten oder bekannt werden, insbesondere der Arbeitnehmer weitere gleichartige Pflichtverletzungen begeht. Zur Erfüllung der Warnfunktion ist dabei eine formell wirksame Abmahnung nicht erforderlich (BAG 15. März 2001 - 2 AZR 147/00 - Rn. 15, EzA BGB § 626 Nr. 185).
Die Beklagte hat die von ihr ausgesprochene fristlose Kündigung darauf gestützt, dass der Kläger am 30. und 31. Mai 2011 sowie 1. Juni 2011 unentschuldigt an seinem Arbeitsplatz gefehlt habe, obwohl er deswegen bereits zuvor mit Schreiben vom 27. Juli 2010 abgemahnt worden sei. Dieser Kündigungsvorwurf ist nach Maßgabe der vorstehenden Grundsätze zur Rechtfertigung einer außerordentlichen Kündigung "an sich" geeignet.

b) Fristlos kann aber einem tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer nach § 626 BGB nur gekündigt werden, wenn dem Arbeitgeber bei einem vergleichbaren kündbaren Arbeitnehmer dessen Weiterbeschäftigung nicht einmal bis zum Ablauf der einschlägigen ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar wäre (BAG 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - Rn. 45, NZA 2000, 421; 15. November 2001 - 2 AZR 605/00 - Rn. 21, AP BGB § 626 Nr. 175; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 34, NZA 2006, 977). Nur so kann der Wertungswiderspruch verhindert werden, dass sonst der tariflich unkündbare Arbeitnehmer allein wegen seines besonderen Schutzes benachteiligt würde. Ist danach eine fristlose Kündigung gegenüber dem tariflich unkündbaren Arbeitnehmer ausgeschlossen, so ist in den Fällen, in denen bei einem kündbaren Arbeitnehmer nur eine ordentliche Kündigung in Betracht käme, weiter zu prüfen, ob bei dem tariflich unkündbaren Arbeitnehmer mit Rücksicht auf die lange Bindungsdauer die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung unter Gewährung einer Auslauffrist vorliegen. Stellt sich bei dieser Prüfung heraus, dass dem Arbeitgeber wegen der "Unkündbarkeit" des Arbeitnehmers dessen Weiterbeschäftigung bis zum Pensionsalter unzumutbar ist, bei unterstellter Kündbarkeit dagegen nur eine fristgerechte Kündigung zulässig wäre, muss dem Arbeitnehmer eine der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist eingeräumt werden. Es würde dem Sinn und Zweck des tariflichen Alterskündigungsschutzes widersprechen, dem altersgesicherten Arbeitnehmer eine der fiktiven Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist zu verweigern, wenn einem vergleichbaren Arbeitnehmer ohne gesteigerten Kündigungsschutz bei (theoretisch) gleichem Kündigungssachverhalt - und Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - nur fristgerecht gekündigt werden könnte (BAG 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - Rn. 45, NZA 2000, 421).

Bei Abwägung der beiderseitigen Interessen unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Falls war der Beklagte im Zeitpunkt der Kündigung vom 17. Juni 2011 zumindest eine Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum Ablauf der einschlägigen ordentlichen Kündigungsfrist von 6 Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres (§ 34 Abs. 1 Satz 2 TVöD), d.h. bis zum 31. Dezember 2011 noch zumutbar.

Zwar hatte die Beklagte dem Kläger zuvor bereits drei einschlägige Abmahnungen vom 19. Dezember 2006, 29. Juni 2009 und 27. Juli 2010 erteilt. Zugunsten des Klägers fällt aber neben seinem Lebensalter von 50 Jahren im Kündigungszeitpunkt vor allem seine lange Beschäftigungsdauer ins Gewicht, die sich - auch ohne Berücksichtigung der ab 1. September 1977 bei der Beklagten absolvierten Ausbildung - bereits auf mehr als 30 Jahre belaufen hat und damit die Beschäftigungszeit, die die Tarifvertragsparteien in § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD neben der Vollendung des 40. Lebensjahrs zur Begründung des besonderen tariflichen Kündigungsschutzes vorausgesetzt haben, um mehr als das Doppelte übersteigt. Abgesehen von den beanstandeten Pflichtverletzungen, die die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 21. Juli 2011 aufgeführt hat, ist mangels anderer Anhaltspunkte davon auszugehen, dass der Kläger ansonsten über viele Jahre seine Arbeitsleistung beanstandungsfrei erbracht hat. Das unentschuldigte Fehlen des Klägers an drei Tagen in der Zeit vom 30. Mai bis 1. Juni 2011 ist auch unter Berücksichtigung der vorangegangenen Abmahnungen sowie Ermahnungen aus den vergangenen Jahren nach Art, Schwere und Ausmaß des (Gesamt-)Fehlverhaltens sowie den damit verbundenen Folgen nicht als derart gravierend zu bewerten, das der Beklagten bei Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht einmal eine nur vorübergehende Fortsetzung des seit mehr als 30 Jahren bestehenden Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 31. Dezember 2011 zugemutet werden kann. Vielmehr erscheint auch vor dem Hintergrund des Gewichts, der zeitlichen Abfolge und Häufigkeit der zuvor aufgetretenen einschlägigen Pflichtverstöße mit Rücksicht auf die lange Bindungsdauer zumindest eine außerordentliche Kündigung mit einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist als zumutbare Reaktionsmöglichkeit der Beklagten auf die dem Kläger vorgeworfenen Pflichtverletzungen.

3. Eine Umdeutung in eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist kommt im Streitfall schon mangels Durchführung des entsprechenden Beteiligungsverfahrens der Personalvertretung nicht in Betracht (vgl. BAG 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 33, NZA 2006, 977; BAG 15. November 2001 - 2 AZR 605/00 - Rn. 23, AP BGB § 626 Nr. 175). Ausweislich des Anhörungsschreibens vom 14. Juni 2011 ist der Personalrat nur zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Klägers mit sofortiger Wirkung beteiligt worden, so dass eine Umdeutung der unwirksamen fristlosen Kündigung in eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist nicht möglich ist.

Im Streitfall kann daher dahingestellt bleiben, ob und inwieweit der Personalrat auf der Grundlage des Anhörungsschreibens vom 14. Juni 2011 ordnungsgemäß angehört worden war, insbesondere welche kündigungsrechtlichen Auswirkungen damit verbunden sein können, dass die beabsichtigte fristlose Kündigung gegenüber dem Personalrat nur auf das unentschuldigte Fehlen des Klägers am 30. und 31. Mai 2011 nach vorangegangener Abmahnung vom 27. Juli 2010 gestützt worden ist, während im Übrigen nur allgemein auf bereits in den vergangenen Jahren zu verzeichnende Pflichtverletzungen verwiesen wurde.

II.  Der Weiterbeschäftigungsantrag zu 2) ist ebenfalls begründet.

Die Beklagte ist gemäß den vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG 24. Februar 1985 - GS 1/84 - NZA 1985, 702) entwickelten Grundsätzen verpflichtet, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits zu den bisherigen Bedingungen als Arbeiter im Bauhof weiterzubeschäftigen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Eine Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.



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