Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 9 Sa 52/12

Urlaubsabgeltung - keine 15-monatige Frist

Die Einführung einer Verfallsfrist für Urlaubsansprüche von Arbeitnehmern, die mehrere Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähig erkrankt waren, durch richterliche Rechtsfortbildung ist nicht möglich.
(Leitsatz des Gerichts)

Das LAG Rheinland-Pfalz schließt sich in dieser Entscheidung nicht der Ansicht anderer Landesarbeitsgerichte (u.a. LAG Hessen 07.02.2012, 19 Sa 818/11, LAG Baden-Württemberg 21.12.2011, 10 Sa 19/11) an, welche eine 15-monatige Verfallfrist annehmen. Diese Frist lasse sich durch die gebotene europarechtskonforme Auslegung des Bundesurlaubsgesetzes begründen. Denn in einer Entscheidung (C-214/10, "KHS") des Europäischen Gerichtshof habe dieser eine 15-monatige Frist als ausreichend angesehen.
(Redaktionelle Zusammenfassung)

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz -Auswärtige Kammern Bad Kreuznach- vom 27.10.2011, Az.: 5 Ca 405/11 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 02.01.1989 als Prokurist in der Funktion des Marktbereichsleiters zuletzt gegen 8.711 EUR brutto monatlich beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund gerichtlichen Vergleichs mit dem 31.3.2011.

Unter Einschluss eines Zusatzurlaubs für schwerbehinderte Menschen stand dem Kläger ein jährlicher Urlaubsanspruch von 36 Arbeitstagen zu. Der Kläger war auf Grund Erkrankung seit 2006 nicht mehr in der Lage, Urlaub zu nehmen. Es errechnete sich ein ursprünglicher Urlaubsanspruch für den genannten Zeitraum von insgesamt 189 Tagen. Die Beklagte nahm eine Abgeltung von 54 Tagen vor. Der Kläger begehrt die Abgeltung von restlichen 135 Tagen, was rechnerisch unstreitig einem Betrag von 55.999,35 EUR brutto entspricht.

Gemäß § 6 Ziff. 1 des Arbeitsvertrages der Parteien richtet sich der Urlaubsanspruch des Prokuristen nach den Bestimmungen des jeweils geltenden Manteltarifvertrags für die Volksbanken und Raiffeisenbanken sowie die genossenschaftlichen Zentralbanken. Gemäß § 6 Ziff. 3 des Arbeitsvertrages ist der Urlaub bis spätestens 31.03. des folgenden Kalenderjahres zu gewähren und in Anspruch zu nehmen. Bis zu diesem Termin nicht in Anspruch genommener Urlaub verfällt. Eine Abgeltung nicht in Anspruch genommenen Urlaubs findet nicht statt.

§ 15 des auf das Anstellungsverhältnis anzuwendenden Manteltarifvertrages für die Volksbanken und Raiffeisenbanken in der Fassung vom 05.06.2008 (im Folgenden: Tarifvertrag) regelt den Erholungsurlaub wie folgt:

 „§ 15

Erholungsurlaub

1. Der Erholungsurlaub wird für das laufende Kalenderjahr gewährt. Er beträgt - unabhängig von individuellen Arbeitszeitschwankungen - 30 Arbeitstage.

Als Arbeitstage gelten alle Werktage mit Ausnahme der Sonnabende.

2. Schwerbehinderte haben Anspruch auf einen Zusatzurlaub von sechs Arbeitstagen im Jahr.

3. Im Verlauf des Kalenderjahres eintretende oder ausscheidende Arbeitnehmer erhalten für jeden Beschäftigungsmonat, in dem sie mindestens 15 Kalendertage dem Betrieb angehört haben, 1/12 des vollen Jahresurlaubs, aufgerundet auf volle Arbeitstage.

4. Der Erholungsurlaub soll unter möglichster Berücksichtigung der Wünsche jedes einzelnen Arbeitnehmers, der Familienverhältnisse und der Schulferien erteilt werden.

Er soll in größere Abschnitte aufgeteilt werden, von denen einer mindestens drei Wochen umfasst.

5. Arbeitnehmern im ungekündigten Arbeitsverhältnis können im Dezember in begründeten Fällen bis zu fünf Urlaubstage im Vorgriff auf das Folgejahr gewährt werden.

6. Kann der Erholungsurlaub nicht mehr vor dem Ausscheiden gewährt werden, so ist er durch Zahlung eines entsprechenden Gehaltsteils (ein 1/21 des Monatsgehalts für jeden Arbeitstag) abzugelten.

7. Aus anderen Gründen darf der Erholungsurlaub nicht durch Zahlung abgegolten werden.

Während des Erholungsurlaubs darf der Arbeitnehmer keine dem Urlaubszweck widersprechende Erwerbstätigkeit leisten. Handelt er dieser Bestimmung zuwider, so entfällt der Anspruch auf Gehaltszahlung für diese Urlaubstage. Bereits gezahlte Gehaltsbezüge sind zurück zu erstatten.

8. Das Fernbleiben infolge Krankheit darf nicht auf den Erholungsurlaub angerechnet werden.

9.Günstigere gesetzliche Regelungen bleiben unberührt. „

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts sowie des wechselseitigen Sachvortrags erster Instanz wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz vom 27.10.2011, At. 5 Ca 405/11 (Bl. 94 ff.d.A.).

Durch das genannte Urteil hat das Arbeitsgericht die Beklagte verurteilt, an den Kläger 55.999,35 EUR brutto nebst gesetzlicher Verzugszinsen seit dem 1.4.2011 zu zahlen.

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht -zusammengefasst- ausgeführt:

Ein über den gesetzlichen Urlaubsanspruch hinausgehender Urlaubsanspruch sei nicht in Anwendung arbeits- oder tarifvertraglicher Regelungen verfallen. Weder der Arbeitsvertrag, noch der Tarifvertrag enthielten eine eigenständige, zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen Urlaubsansprüchen unterscheidende Regelung. Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten sei der Urlaubsabgeltungsanspruch auch nicht auf die dem Arbeitsvertragsende vorangegangenen 18 Monate beschränkt. Zwar könne eine derartige Beschränkung entsprechend dem Schlussantrag der Generalanwältin vom 7.7.2011 in dem Verfahren EuGH, C-214/10 (KHS), europarechtlich zulässig sein, es fehle aber an einer nationalen Norm, die einen entsprechenden Verfall des Urlaubs anordne. Der Jahresurlaub für die Jahre 2006 und 2007 sei auch nicht verjährt, da eine Fälligkeit des Urlaubsanspruchs mangels dessen Erfüllbarkeit aufgrund der Erkrankung nicht eingetreten sei. Die tarifliche Verfallfrist sei gewahrt.

Das genannte Urteil ist der Beklagten am 27.12.2011 zugestellt worden. Sie hat hiergegen mit einem am 25.1.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der mit Beschluss vom 27.2.2011 bis zum 27.3.2011 verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit Schriftsatz vom 23.3.2011, beim Landesarbeitsgericht am gleichen Tag eingegangen, begründet.

Nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 135 ff.d.A.), macht die Beklagte im Wesentlichen geltend:

Aufgrund der Entscheidung des EuGH vom 22.11.2011 (KHS, C-214/10) sei es europarechtlich zulässig, national einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten vorzusehen, nach dessen Ablauf der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlösche. Diese neuen Vorgaben müssten in § 7 Abs. 3 BUrlG integriert werden, um zu einer größtmöglichen Respektierung des in § 7 Abs. 3 BUrlG zum Ausdruck kommenden Willens des nationalen Gesetzgebers zu gelangen. Die Beklagte macht sich insoweit die Begründung im Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 21.12.2011, Az. 10 Sa 19/11, zu eigen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgericht Mainz -Auswärtige Kammern Bad Kreuznach- vom 27.10.2011, Az. 5 Ca 405/11, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung mit Schriftsatz vom 30.4.2012, auf den Bezug genommen wird (Bl. 170 ff. d.A.), als rechtlich zutreffend und macht insbesondere geltend, die Einführung einer Verfallsfrist durch eine richterliche Rechtsfortbildung sei vom Wortlaut des § 7 Abs. 3 BUrlG nicht gedeckt und verstoße gegen das Gewaltungsteilungsprinzip.

 

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Das Rechtsmittel ist an sich statthaft. Die Berufung wurde auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet.

II.

In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg. Die Berufungskammer folgt der Begründung des angefochtenen Urteils und nimmt hierauf Bezug. Die Ausführungen im Berufungsverfahren veranlassen folgende Ausführungen:

1. Streitgegenständlich sind Urlaubsabgeltungsansprüche des Klägers für den Zeitraum der Jahre 2006-2008 und des Zeitraums Januar bis einschließlich September 2009. Die Beklagte hat 54 Urlaubstage abgegolten und sich im laufenden Verfahren auf die ihrer Ansicht nach zutreffende Auffassung berufen, derzufolge im Anschluss an das Urteil des EuGH vom 22.11.2011 (C-214/10, EzA Richtlinie 2003/88 EG-Vertrag 1999 Nr 7) von einer 15-monatigen Frist nach Ende des jeweiligen Urlaubsjahres auszugehen sei, nach deren Ablauf nicht genommener Urlaub des jeweiligen Jahres verfalle. Damit hat sie verdeutlicht, dass sich die von ihr vorgenommene Abgeltung von 54 Urlaubstagen auf die Tage beziehen, die auf die von ihr in Ansatz gebrachte18-Monatsfrist entfallen.

2. Zutreffend ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass den Abgeltungsansprüchen, soweit ihnen Urlaubsansprüche zugrunde liegen, die den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigen, die Regelungen des Arbeitsvertrags und des Tarifvertrags nicht entgegenstehen und auch Verjährung oder tariflicher Verfall nicht eingetreten ist. Auf die diesbezügliche Begründung (I. 1., 3 und II der Gründe) des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.

3. Zu Recht ist das Arbeitsgericht auch davon ausgegangen, dass eine zeitliche Begrenzung im Sinne einer 18 Monatsfrist rechtlich nicht zulässig ist.

a) Nach der geänderten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (grundlegend BAG v. 24.3.2009 - 9 AZR 983/07 - NZA 2009, 538) verfällt der Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Voll- oder Teilurlaubs nicht, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums erkrankt und deshalb arbeitsunfähig ist. § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG ist im Verhältnis zu privaten Arbeitgebern nach den Vorgaben des Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2003/88/EG unionsrechtskonform fortzubilden.

Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 22. November 2011 (- C-214/10 - KHS- Rn. 28, 44, NZA 2011, 1333) die Rechtsgrundsätze, die er in der Rechtssache Schultz-Hoff aufgestellt hat, „nuanciert“. Er geht nunmehr davon aus, Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie stehe einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten nicht entgegen, die die Möglichkeit eines langfristig arbeitsunfähigen Arbeitnehmers, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln, dadurch einschränken, dass sie einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten vorsehen, nach dessen Ablauf der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlischt. Das Bundesarbeitsgericht (13.12.2011 -9 AZR 399/10- NZA 2012, 514) hat offengelassen, ob es im Hinblick auf diese nuancierte Rechtsprechung des EuGH geboten ist, die mit Urteil vom 24.3.1999 (aaO.) vorgenommene europarechtskonforme Auslegung bzw. Fortbildung des BurlG auf das europarechtlich gebotene Mindestmaß zu reduzieren.

b) Ob eine derartige Reduzierung möglich und geboten ist, wird kontrovers beurteilt (dafür etwa LAG Baden-Württemberg 21.12.2011 -10 Sa 19/11-, juris; LAG Niedersachsen 29.03.2012 -7 Sa 662/11-, juris; LAG Sachsen 22.03.2012 -9 Sa 321/11-, juris; LAG Hessen 07.02.2012 -19 Sa 818/11-, juris; anderer Auffassung etwa: LAG Hessen 07.12.2010 -19 Sa 939/10-; LAG Düsseldorf 25.02.2011 -9 Sa 258/10-).

c) Obwohl für eine derartige Reduzierung angesichts des in § 7 Abs. 3 BUrlG zum Ausdruck kommenden Willen des nationalen Gesetzgebers erhebliche Gründe sprechen (vgl. ausführlich LAG Baden-Württemberg 21.12.2011, aaO.), ist sie rechtlich nicht möglich.

Wie der EuGH im genannten Urteil „KHS“ ausgeführt hat, ist der Urlaubsanspruch im Primärrecht der Union verankert und findet seine Grundlage in Art. 31 EU-GRCharta. Die Grundrechte der EU-GRCharta sind seit dem Vertrag von Lissabon verbindlicher Teil des Primärrechts (Art.6 EUV).

Stehen nationale Bestimmungen mit dem Primärrecht nicht in Einklang, folgt hieraus unmittelbar die Nicht-Anwendbarkeit der nationalen Norm. Im Gegensatz zu Fallkonstellationen, in denen es darum geht, trotz nicht gegebener unmittelbarer Wirkung von Richtlinien gegenüber Privaten die Wirkung des Gemeinschaftsrechts durch die Gerichte sicherzustellen, was ggfs. mit den Mitteln der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung oder Reduktion des Anwendungsbereichs nationaler Normen zu erfolgen hat (vgl. etwa BAG 24.03.2009 -9 AZR 983/07-, aaO. mwN.), da ein Richtlinienverstoß nicht die Unanwendbarkeit entgegenstehender nationaler Normen zeitigt, ist bei einem Verstoß nationaler Normen gegen primäres Gemeinschaftsrecht die Rechtsfolge der Unanwendbarkeit selbst unionsrechtlich vorgegeben (vgl. etwa EuGH 22.11. 2005 - C-144/04 - Mangold). Hieraus folgt, dass eine unionsrechtskonforme Auslegung oder Rechtsfortbildung des nationalen Rechts nicht mehr vertretbar ist (Stiebert/Pötters, EuZW 2011, 960, 961). Die Statuierung einer europarechtlich zulässigen Verfallsfrist durch eine erneute richterliche Rechtsfortbildung oder Reduktion der europarechtskonformen Rechtsfortbildung im Urteil des BAG vom 24.3.2009 (- 9 AZR 983/07-, aaO.) würde nicht mehr zur Durchsetzung der Geltung europarechtlicher Vorgaben, sondern zur Beschränkung derselben auf ein zulässiges Maß, also letztlich zur Beschränkung einer europarechtlich zunächst vorgegebenen Rechtsfolge erfolgen. Dies ist zur Herstellung der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts nicht erforderlich.

Die Entscheidung, welche Konsequenzen aus der Nicht-Anwendbarkeit des § 7 Abs. 3 BUrlG gezogen werden, soweit hieraus ein Verfall von Urlaubsansprüchen (und damit Abgeltungsansprüchen) bei durchgängig bestehender Arbeitsunfähigkeit resultiert, ist vielfältigen Ausgestaltungen zugänglich. Ob eine Verfallsregelung innerhalb des gemeinschaftsrechtlich Zulässigen getroffen wird und welche Verfallsfrist hierbei ggfs. vorgesehen ist, muss unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben.

III.

Die Berufung war daher mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen. Die Revisionszulassung erfolgte nach § 72 Abs. 2 Nr. 1, 2 ArbGG.



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