Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Beschluss vom - Az: 1 TaBV 24/15

Wahl der Schwerbehindertenvertretung: Bewusst unter Beaobachtung

Hat der Wahlvorstand für die Wahl der Hauptschwerbehindertenvertretung schriftliche Stimmabgabe beschlossen, führt ein Verstoß gegen das Gebot unbeobachteter Kennzeichnung der Stimmzettel nicht zur Ungültigkeit der abgegebenen Stimmen, wenn die Wahlberechtigten sich bewusst und in freier Entscheidung in die Situation begeben haben, die eine Beobachtung ermöglichte.
(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

1.    Die Beschwerde der Beteiligten zu 4 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 17.4.2015, Az.: 8 BV 12/15, wird zurückgewiesen.

2.    Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Wahl zur Hauptschwerbehindertenvertretung. Die Beteiligten zu 1) bis 3) sind Schwerbehindertenvertreter. Die Beteiligte zu 4) ist die aus der Wahl hervorgegangene Hauptschwerbehindertenvertretung

Der Wahlvorstand der Dienststelle U. der alliierten Streitkräfte, dessen Vorsitzender Herr J. R. war, erließ unter dem 12.5.2015 ein Wahlausschreiben für die Wahl der Hauptschwerbehindertenvertretung (Bl. 11 f. d.A.). Der Wahlvorstand beschloss dabei schriftliche Stimmabgabe. Als letzter Tag des Eingangs der schriftlichen Stimmabgaben wurde der 30.3.2015, 12.00 Uhr bestimmt. Das Wählerverzeichnis (Bl. 54 d.A.) weist 7 Wahlberechtigte aus. Die Anschrift der Beteiligten zu 3 ist dort hinsichtlich der Hausnummer (8 statt 7) unzutreffend angegeben. Der Wahlvorstand beschloss, das Wahlausschreiben an folgenden Stellen auszuhängen:

-       Flugplatz S. (Kantine)

-       Flugplatz R. (Kantine)

-       Depot G. (Kantine D. sowie Kantine De.)

-       K. Kaserne K. (Schwarzes Brett der Schwerbehindertenvertretung)

-       US-Liegenschaft E. (Schwarzes Brett im Gebäude XX).

Am 26.03.2015 gingen die Beteiligten zu 1) bis 3) und Frau C. in das Wahlbüro, das sie verschlossen vorfanden. Es wurde dann von dem Wahlvorstand R. geöffnet. Die Antragsteller 1) bis 3) füllten ihre Wahlzettel offen und gemeinsam an einem Tisch dort aus. Drei weitere Umschläge mit Wahlstimmen waren zu diesem Zeitpunkt schon abgegeben. Da die Gummierung der Umschläge der Antragsteller 1) bis 3) und von Frau C. defekt waren, wurden sie mit Tesafilm zugeklebt und von Herrn R. in die Wahlurne geworfen.

Herr R. unterrichtete in der Folge hierüber die weiteren Mitglieder des Wahlvorstandes. Mit Beschluss vom 30.3.2015 (Bl. 55 d.A.) fasste der Wahlvorstand folgenden Beschluss:

"Der Wahlvorstand hat beschlossen diese Wahlunterlagen für ungültig zu erklären, da keine geheime Wahl stattgefunden hat, bzw. die Stimmzettel nicht unbeobachtet persönlich ausgefüllt wurden. Die Wahlberechtigten haben somit gegen die Wahlordnung verstoßen".

In Vollzug dieses Beschlusses wurden die Stimmen der Beteiligten zu 1-3 sowie der Frau C. bei der Auszählung der Stimmen und Feststellung des Wahlergebnisses am 30.3.l2015 (Bl. 56) nicht berücksichtigt.

Mit dem 9.4.2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag der Beteiligten zu 1-3 machen diese die Unwirksamkeit der Wahl geltend. Sie haben die Anfechtung neben der Nichtberücksichtigung der genannten Stimmen im Wesentlichen darauf gestützt, dass ihrer Ansicht nach das Wahlausschreiben nicht ordnungsgemäß ausgehangen worden sei, insbesondere sei auch ein Aushang im Bereich der 3 km vom Flugplatz und seiner Kantine entfernten Liegenschaft „C.“ unterblieben.

Wegen weiterer Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten erster Instanz wird ergänzend Bezug genommen auf den Beschluss des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 14.7.2015 -8 BV 12/15- (Bl. 78 ff. d.A.). Mit dem genannten Beschluss hat das Arbeitsgericht die Wahl zur Hauptschwerbehindertenvertetung für ungültig erklärt.

Der Beschluss ist der Hauptschwerbehindertenvertretung über ihren Verfahrensbevollmächtigten am 10.8.2015 zugestellt worden. Sie hat hiergegen mit einem am 26.8.2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und diese mit einem am (Montag, den) 12.10.2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangen Schriftsatz begründet.

Zur Begründung ihrer auf Zurückweisung des Anfechtungsantrags gerichteten Beschwerde macht die Hauptschwerbehindertenvertetung nach Maßgabe der Beschwerdebegründung, auf die Bezug genommen wird, (Bl. 113 ff. d.A.) zusammengefasst geltend:

Gemessen am Maßstab des § 5 Abs. 2 SchwbVWO sei der Aushang des Wahlausschreibens ausreichend auch für Arbeitnehmer der Einheit „C.“ erfolgt (wird ausgeführt). Die gemäß Beschluss des Wahlvorstandes vom 30.3.2015 erfolgte Nicht-Berücksichtigung der Stimmen der Beteiligten zu 1-3 und der Frau C. sei zu recht erfolgt, da diese eklatant und offen gegen den Grundsatz der Geheimheit der Wahl verstoßen hätten. Angesichts der offenen Ankündigung, auf eine geheime Wahl verzichten zu wollen, habe es auch keines Hinweises des anwesenden Wahlvorstandsmitglieds R. mehr bedurft.

Die Beteiligte zu 4 (Hauptschwerbehindertenvertetung) beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 14. Juli 2015, Az. 8 BV 12/15, abzuändern und den Anfechtungsantrag der Beteiligten zu 1-3 zurückzuweisen.

Die Beteiligten zu 1-3 beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigen den angefochtenen Beschluss nach Maßgabe des Beschwerdeerwiderungsschriftsatzes vom 17.11.2015, auf den Bezug genommen wird (Bl. 152 ff. d.A.), als rechtlich zutreffend.

Ergänzend wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

II. Die zulässige Beschwerde der Hauptbehindertenvertretung bleibt ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht dem Wahlanfechtungsantrag stattgegeben. Die Wahl ist unwirksam, weil gegen wesentliche Vorschriften des Wahlverfahrens verstoßen wurde.

1. Der Wahlanfechtungsantrag ist im Beschlussverfahren nach § 2 a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG iVm. Nr. 9 des Unterzeichnungsprotokolls zu Art. 56 Abs. 6 des Zusatzabkommens zum Nato-Truppenstatut statthaft.

Die Beteiligten zu 1-3 waren als Wahlberechtigte im Sinne des § 27 Abs. 2 SchwbG nach § 27 Abs. 6 Satz 2 des SchwbG in der am 16. Januar 1991 geltenden Fassung iVm. § 25 BPersVG anfechtungsberechtigt. Die demnach geltende Anfechtungsfrist von 12 Arbeitstagen wurde nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses am 30.3.2015 durch den am 9.4.2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag gewahrt.

Die Beteiligte zu 5 war nach Nr. 10 des Unterzeichnungsprotokolls zu Art. 59 Abs. 9 des Zusatzabkommens zum Nato-Truppenstatut zu beteiligen.

Hinsichtlich der Frage, welche Rechtsvorschriften zur Beurteilung heranzuziehen sind, folgt die Beschwerdekammer dem Beschluss des BAG vom 11.9.2013 (7 ABR 18/11-, juris): Aus den dort genannten Gründen ist vorliegend das am 16.1.1991 geltende Recht anzuwenden, mithin das SchwbG in der Fassung seiner Gültigkeit vom 3.10.1990 bis 30.6.1991 nebst zugehöriger Wahlordnung (SchbVWO) in der Fassung ihrer Gültigkeit vom 1.5.1990 bis 30.9.2000. Soweit die Hauptschwerbehindertenvertretung insoweit eine abweichende Auffassung dahingehend vertritt, dass sich die rechtliche Beurteilung nach den Bestimmungen des SGB IX zu richten habe, kann dies dahinstehen. Soweit für das vorliegende Wahlanfechtungsverfahren von Interesse unterscheiden sich die Normenkomplexe nicht (vgl. § 97 Abs. 7, § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB IX nebst Wahlordnung).

2. Der Wahlanfechtungsantrag ist auch begründet, da gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht verstoßen wurde, indem die abgegebenen Stimmen der Beteiligten zu 1-3 sowie der Wahlberechtigten C. bei Feststellung des Wahlergebnisses nicht berücksichtigt wurden. Die abgegebenen Stimmen waren nicht ungültig. Angesichts dessen, dass nur 7 Personen wahlberechtigt waren, ist offensichtlich, dass hierdurch das Wahlergebnis im Sinne des § 25 BPersVG geändert oder beeinflusst werden konnte.

a) Weder das SchwbG nebst SchwbVWO noch die die Schwerbehindertenvertetungen regelnden Bestimmungen des SGB IX nebst aktuell geltender Wahlordnung hierzu, noch die entsprechenden Bestimmungen der Wahlordnung für die Wahlen nach dem BetrVG enthalten Bestimmungen darüber, welche Auswirkungen ein hier vorliegender Verstoß gegen das Gebot unbeobachteter persönlicher Kennzeichnung des Stimmzettels bei schriftlicher Stimmabgabe, § 11 Abs. 3 SchwbVWO, zeitigt. § 12 Abs. 1 Satz 2 SchwbVWO bestimmt insoweit lediglich, dass die Wahlumschläge bei ordnungsgemäßer schriftlicher Stimmabgabe (§ 11) vom Wahlvorstand ungeöffnet nach Vermerk der Stimmabgabe in die Wahlurne einzulegen sind. In der Literatur wird soweit ersichtlich die Konsequenz der Ungültigkeit der Stimme bei einem Verstoß gegen das Gebot unbeobachteter Stimmabgabe abgelehnt oder nur dann angenommen, wenn dem Wählenden nicht die Möglichkeit einer unbeobachteten Stimmabgabe zur Verfügung stand (Schneider, in: Däubler u.a., BetrVG 11. Aufl., § 25 WO Rz. 1). Nach Forst (in Richardi u.a., BetrVG 15. Aufl, § 25 Rz. 1) handelt es sich bei dem Gebot unbeobachteter Stimmabgabe um eine „lex imperfecta“. Nach Kreutz/Jacobs (GK-BetrVG, 10. Aufl., § 24 WO Rz. 5) liegt bei einem Verstoß kein Wahlfehler vor.

b) Nach Auffassung der Beschwerdekammer führt ein Verstoß gegen das Gebot unbeobachteter Stimmabgabe jedenfalls dann nicht zur Ungültigkeit der Stimmabgabe, wenn die Beobachtungssituation –wie hier- vom Wahlberechtigten selbst freiwillig herbeigeführt wurde und dieser jederzeit die Möglichkeit hatte, die Kennzeichnung des Stimmzettels unbeobachtet vorzunehmen. Wenn § 11 Abs. 2 SchwbVWO die Möglichkeit vorsieht, eine schriftliche Stimmabgabe zu beschließen, wird damit ähnlich wie bei der Briefwahl bei politischen Wahlen bewusst in Kauf genommen, dass es mit diesem Verfahren in die Verantwortung des Wählers selbst gelegt wird, für das Wahlgeheimnis Sorge zu tragen. Der Wähler hat es in der Hand, Dritten „schwarz auf weiß“ kundzutun, wie er seine Stimme abgegeben hat. (Kreutz/Jacobs, aaO.). Eine Verantwortlichkeit des Wahlvorstandes besteht insoweit nicht und es würde von Zufälligkeiten abhängen, ob der Wahlvorstand von Verstößen gegen das Gebot der unbeobachteten Kennzeichnung des Stimmzettels Kenntnis erlangt oder nicht.

Das Gebot unbeobachteter Stimmabgabe dient dem Schutz der Geheimheit der Wahl, wodurch wiederum die Wahlfreiheit geschützt wird. Auch bei der Urnenwahl liegt kein Verstoß gegen das Wahlgeheimnis vor, wenn ein Wähler vor oder nach dem eigentlichen Wahlakt Dritten offenbart, wie er abzustimmen gedenkt oder abgestimmt hat; eine Pflicht sein Wahlgeheimnis zu wahren, besteht für den Wahlberechtigten nicht (Kreutz/Jacobs, aaO., § 14 BetrVG Rz. 20 mwN.). Im Falle schriftlicher Stimmabgabe kommt eine Verletzung des Grundsatzes geheimer Wahl nur in Betracht, wenn Wähler gegen ihren Willen von Dritten zur Offenlegung ihres Votums gezwungen werden (Kreutz/Jacobs, § 25 WO, aaO.) oder der Wahlvorgang fremdbestimmt so ausgestaltet ist, dass eine unbeobachtete und damit geheime Kennzeichnung des Stimmzettels nicht möglich ist. Vorliegend hätten die Beteiligten zu 1-3 sowie Frau C. jederzeit die Möglichkeit gehabt, sich einer Beobachtung durch die weiteren Wähler zu entziehen. Sie haben sich freiwillig und ohne erkennbare Einflussnahme in die Beobachtungssituation begeben.

c) Jedenfalls aber hätte es dem anwesenden Vorstand des Wahlausschusses R. oblegen, die Beteiligten zu 1-3 und Frau C. darauf hinzuweisen, dass aus seiner Sicht zweifelhaft war, ob die abgegebenen Stimmen gültig sind. Gem. § 2 SchwbVWO bereitet der Wahlvorstand die Wahl vor und führt sie durch. Dies beinhaltet auch die Verpflichtung der einzelnen Wahlvorstandsmitglieder, im Rahmen des Möglichen für eine ordnungsgemäße Durchführung der Wahl zu sorgen. Aus diesem Grund sieht die Wahlordnung beispielsweise vor, dass bei der Urnenwahl grundsätzlich 2 Mitglieder des Wahlvorstandes im Wahlraum anwesend sein müssen. Vorliegend hat Herr R. einen solchen Hinweis nicht gegeben, sondern nur darauf, dass eine Abgabe des ausgefüllten, nicht aber in einem Umschlag befindlichen Wahlzettels nicht möglich sei. Nachdem diese äußerlichen Formalitäten von den Erschienenen gewahrt waren, legte Herr R. die Wahlumschläge in die Wahlurne ein, was nach § 11 Abs. 1 Satz 2 SchwbVWO ein Anzeichen dafür ist, dass die schriftliche Stimmabgabe ordnungsgemäß im Sinne des § 11 SchbVWO erfolgt ist.

3.  Das Arbeitsgericht hat daher zu Recht die Wahl für unwirksam erklärt. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde erfolgt nach § 92 Abs. 1, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG im die Frage der Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Gebot unbeobachteter Stimmabgabe bei Wahl durch schriftliche Stimmabgabe.



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