Arbeitsgericht Ludwigshafen

Beschluss vom - Az: 5 Ca 427/10

Vorlagefrage an EuGH bzgl. der Diskriminierung von Grenzgängern in der Altersteilzeit

Dem EuGH werden zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, in denen es um die Diskriminierung von im Ausland wohnenden und in Deutschland arbeitenden Arbeitnehmern geht. Konkret geht es darum, ob der Aufstockungsbetrag in der Altersteilzeit unterschiedlich hoch ausfallen darf.

Instanzenzug

Tenor

Dem EuGH werden gemäß Artikel 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die folgenden Fragen vorgelegt:

1. Verstößt eine einzelvertragliche Regelung zur Altersteilzeit, nach der - wie in § 5 Ziff. 1 des Altersteilzeitvertrages der Parteien - auch für Grenzgänger aus Frankreich der vereinbarte Aufstockungsbetrag nach der deutschen Mindestnettoentgeltverordnung zu berechnen ist, gegen Artikel 45 AEUV in seiner Konkretisierung durch Artikel 7 Abs. 4 der VO (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15.10.1968?

2. Für den Fall, dass der Gerichtshof die Frage 1. bejaht:

Sind entsprechende kollektivvertragliche Regelungen - wie Ziffer 8.3 der Gesamtbetriebsvereinbarung vom 24.07.2000 und § 7 des Tarifvertrages vom 23.11.2004 - unter Berücksichtigung der Vorgaben aus Art. 45 AEUV in seiner Konkretisierung durch Art. 7 Abs. 4 der VO (EWG) Nr. 1612/68 dahingehend auszulegen, dass bei Grenzgängern die Berechnung des Aufstockungsbetrages nicht nach der Tabelle der Mindestnettoentgeltverordnung zu erfolgen hat?

 

Gründe

1. Gegenstand des Ausgangsverfahrens

Das Ausgangsverfahren betrifft die Frage, ob Vereinbarungen in einem Altersteilzeitvertrag und im Weiteren auch Regelungen in einer Gesamtbetriebsvereinbarung und einem Tarifvertrag, die auch für Grenzgänger die Berechnung des Aufstockungsbetrages nach der Mindestnettoentgeltverordnung vorsehen, gegen das Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit aus Artikel 45 AEUV in seiner Konkretisierung durch Artikel 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 verstoßen.

Vor dem vorlegenden Gericht sind etwa 150 weitere Verfahren anhängig, die den gleichen Gegenstand haben.

2. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreites zwischen Herrn A., der französischer Staatsangehöriger ist, und der Firma C., einem deutschen Automobilunternehmen mit ca. 150.000 Mitarbeitern.

Herr A. wohnt in Frankreich und ist bei der Firma C. in deren Werk C-Stadt in Deutschland beschäftigt.

Der Kläger ist Grenzgänger im Sinne des deutsch-französischen Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) und ausschließlich in Frankreich steuerpflichtig. Die Vergütung, die er erhält, ist nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge in Deutschland in Frankreich zu versteuern.

Die Parteien haben am 17.11.2006 einen Altersteilzeitvertrag abgeschlossen, nach der das ursprünglich bestehende Vollzeitarbeitsverhältnis seit dem 01.09.2007 als Teilzeitarbeitsverhältnis fortgeführt wird. Entsprechend dieser Vereinbarung endet das Arbeitsverhältnis der Parteien spätestens am 31.08.2012.

Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Klägers nach dem Altersteilzeitvertrag beträgt die Hälfte der vollen Arbeitszeit, also nur noch 17,5 Stunden. Die Arbeitsleistung erfolgte dabei verblockt in der ersten Hälfte des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses (Arbeitsphase). Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Klägers betrug daher tatsächlich in der Zeit vom 01.09.2007 bis zum 28.02.2010 weiterhin 35 Stunden. Seit dem ist der Kläger aufgrund der bereits vorgeleisteten Arbeit freigestellt (Freistellungsphase).

Die monatliche Vergütung des Klägers in der Altersteilzeit (Teilzeitvergütung) setzt sich nach § 4 des Altersteilzeitvertrages aus festen und variablen Bestandteilen zusammen. Fester Bestandteil sind dabei der Monatsgrundlohn und alle regelmäßig in gleicher Höhe anfallenden Zulagen und Zuschläge.

Weiter ist in § 5 des Altersteilzeitvertrages vereinbart, dass die monatliche Nettoteilzeitvergütung gemäß der Gesamtbetriebsvereinbarung der Firma C. auf 85 % der pauschalierten monatlichen Nettovollzeitvergütung aufgestockt wird. Dort heißt es: "Grundlage: aktuelle Mindestnettoentgeltverordnung". Zusätzlich zu der Teilzeitvergütung zahlt die Beklagte daher an den Kläger einen monatlichen Aufstockungsbetrag, über dessen zutreffende Berechnung die Parteien streiten.

Die an die in Deutschland steuerpflichtigen Arbeitnehmer in der Altersteilzeit gezahlten Aufstockungsbeträge werden nach dem deutschen Steuerrecht nicht besteuert (§ 3 Nr. 28 EStG) und sind damit auch in der deutschen Sozialversicherung beitragsfrei. Nach dem von der Beklagten bestrittenen Vorbringen des Klägers muss er (auch) den Aufstockungsbetrag in Frankreich versteuern.

Die Beklagte berechnet den Aufstockungsbetrag für die Grenzgänger wie folgt:

Zunächst legt sie als Berechnungsgröße ein fiktives, pauschaliertes Nettoentgelt in Höhe von 85 % fest. Dazu ermittelt sie aus dem Bruttoentgelt, das der Kläger bei Zugrundelegung der (vollen) Arbeitszeit vor der Altersteilzeit ohne diese beziehen würde, ein pauschaliertes Nettoentgelt in Höhe von 70 % aus der Tabelle der Mindestnettoentgeltverordnung und rechnet dieses auf 85 % hoch. Für den Kläger hat die Beklagte für die Zuordnung im Rahmen dieser Tabelle fiktiv die deutsche Steuerklasse III zugrunde gelegt.

In einem zweiten Schritt stellt die Beklagte ein "individuelles Altersteilzeitnettogehalt" des Mitarbeiters fest. Hierfür werden bei den Arbeitnehmern, die in Deutschland steuerpflichtig sind, von der Altersteilzeitvergütung die tatsächlich anfallenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge abgezogen. Bei den Grenzgängern werden die tatsächlich anfallenden, individuellen Sozialversicherungsbeiträge und eine fiktive deutsche Lohnsteuer abgezogen. Dieser Betrag entspricht der Lohnsteuer, die bei einem in Deutschland steuerpflichtigen Arbeitnehmer mit den gleichen individuellen Merkmalen des Grenzgängers (Bruttogehalt, Familiensituation) anfallen würde.

Die Differenz zwischen dem so ermittelten "individuellen Altersteilzeitnettogehalt" und 85 % des fiktiven pauschalierten Nettogehalts ergibt den Aufstockungsbetrag, den die Beklagte an den Kläger zahlt. Wegen der Berechnung im Einzelnen wird auf die Darstellungen der Beklagten im Schriftsatz vom 07.03.2011 (Bl. 357 bis 365 der Akte) verwiesen.

Der Kläger ist der Ansicht, dass ihn diese Berechnung des Aufstockungsbetrages wegen seiner Staatsangehörigkeit diskriminiere. Er müsse den von der Beklagten gezahlten Aufstockungsbetrag in Frankreich versteuern. Wegen der durch diese Berechnungsweise gegebenen faktischen Doppelbesteuerung sei eine Diskriminierung gegeben. Ungleiche Sachverhalte würden gleich behandelt. Der Sachverhalt, der der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-400/02 vom 16. September 2004, Merida, zugrunde liege, sei mit dem vorliegenden Fall vergleichbar. Er verlangt daher von der Beklagten die Zahlung eines höheren Aufstockungsbetrages, den er wie folgt berechnet:

Ausgangspunkt sei sein Bruttolohn vom Juni 2007, der einschließlich der Schichtzulage 3.314,01 € betragen habe. Nach Abzug eines pauschal berechneten Sozialversicherungsbeitrages von 21% errechne sich ohne Berücksichtigung einer fiktiven Lohnsteuer ein Betrag von 2.618,07 €. Auf der 2. Stufe müsse das tatsächliche Altersteilzeitnettoentgelt berechnet werden. Dies sei das hälftige Bruttoentgelt abzüglich der tatsächlich anfallenden Sozialabgaben und belaufe sich auf 1.330,58 €. Unter Hinzurechnung des Aufstockungsbetrages erhalte er tatsächlich nur 1.790,96 € anstatt 85 % vom pauschalierten Nettoentgelt Vollzeit in Höhe von 2.225,36 €. Monatlich würden ihm daher 424,40 € fehlen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass eine Diskriminierung nicht dadurch eintreten könne, dass sie bei Grenzgängern den Aufstockungsbetrag nach der Mindestnettoentgeltverordnung berechne. Es handele sich nur um eine Berechnungsmethode. Ziel der Bezugnahme auf diese sei es, eine einheitliche Berechnungsgrundlage für alle Arbeitnehmer in der Altersteilzeit zu schaffen. Bei allen Arbeitnehmern werde eine individuelle höhere oder niedrigere Steuer, (z.B. durch Freibeträge auf die Lohnsteuer) nicht berücksichtigt, sondern nur die pauschalierte Lohnsteuer. Kein Arbeitnehmer, - auch nicht von den in Deutschland steuerpflichtigen - erhalte genau 85 % des Nettobetrages, den er vorher erzielt habe.

Die Pauschalierung diene vor allem dazu, dass sie die Gesamtbelastung habe abschätzen können, Verwaltungskosten gespart würden und das Verfahren vereinfacht werde. Die Mitarbeiter, denen ein Altersteilzeitvertrag angeboten worden sei, seien zudem ausführlich beraten und informiert worden. Allen Mitarbeitern, die den Altersteilzeitvertrag bereits im Jahr 2006 unterschrieben hätten, sei ein Rücktrittsrecht bis zum 31.03.2007 eingeräumt worden. Sie sei auch nicht verpflichtet, Unterschiede, die aus unterschiedlichen Steuersystemen resultieren, auszugleichen. Die Ausführungen des EuGH in dem Fall Merida seien nicht übertragbar. Im Unterschied zu der dort betroffenen Überbrückungsbeihilfe habe der Aufstockungsbetrag keine Kompensationsfunktion. Sie habe auch keine Nettozusage getroffen. Die Berechnung, die der Kläger anstelle, sei im Übrigen unzutreffend, weil sich der Aufstockungsbetrag von Monat zu Monat ändere, abhängig z.B. von den geleisteten Schichten des Klägers.

3. Entscheidungserheblichkeit und Erläuterung der Vorlagefrage

Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung eines höheren Aufstockungsbetrages setzt voraus, dass die in § 5 Ziff. 1 des Altersteilzeitvertrages der Parteien ausdrücklich vereinbarte Berechnungsmethode auf der Grundlage der aktuellen Mindestnettoentgeltverordnung wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Diskriminierung wegen Staatsangehörigkeit unwirksam ist. Sollte diese Berechnungsmethode im Hinblick auf europarechtliche Vorgaben unzulässig sein, wäre dies auch bei der Anwendung und Auslegung der Gesamtbetriebsvereinbarung vom 24.07.2000 und des Tarifvertrages vom 23.11.2004 zu berücksichtigen.

Die Vorlagefrage betrifft damit die Auslegung von Unionsrecht, die dem EuGH vorbehalten ist.

Soweit an den entsprechenden Altersteilzeitvereinbarungen der Beklagten und der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer keine Grenzgänger beteiligt sind, bestehen nach Ansicht des vorlegenden Gerichts gegen die Wirksamkeit der entsprechenden Regelungen keine Bedenken. Insbesondere steht es den Altersteilzeitvertragsparteien nach den Vorgaben des deutschen Arbeitsrechtes frei, mit dem Rückgriff auf die Tabelle der Mindestnettoentgeltverordnung an einer bewährten und einfachen Methode festzuhalten. Dies hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) mehrfach zu entsprechenden tarifvertraglichen Regelungen entschieden (vgl. etwa BAG, 14.10.2008, 9 AZR 466/07 m.w.N.).

Allerdings gilt das insbesondere im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-400/02 vom 16. September 2004, Merida, nicht ohne Weiteres für Grenzgänger.

Bei der Berechnung des Aufstockungsbetrages nach Maßgabe der Mindestnettoentgeltverordnung erhalten die Arbeitnehmer in der Altersteilzeit, die in Deutschland steuerpflichtig sind, einen Betrag, der - pauschaliert - 85 % ihres bisherigen Nettoeinkommens entspricht. Da die Mindestnettoentgeltverordnung auf den Einstufungen und Besonderheiten der deutschen Lohnsteuer beruht, wird die bisherige steuerliche Situation dieser Arbeitnehmer berücksichtigt und abgebildet. Diese zulässige Berechnungsweise führt hier im Wesentlichen zu einer Vereinfachung aus Gründen der Praktikabilität.

Bei den Grenzgängern ist das nicht der Fall. Diese erhalten bei der Berechnung des Aufstockungsbetrages nach Maßgabe der Mindestnettoentgeltverordnung einen Betrag, der deutlich unterhalb von 85 % ihres bisherigen Nettoeinkommens liegt. Dies liegt im Wesentlichen daran, dass in die Tabelle der Mindestnettoentgeltverordnung die deutschen Lohnsteuersätze eingepflegt sind, die zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens gegolten haben, und die höher sind, als vergleichbare Steuersätze im französischen Steuerrecht. Hinzu tritt möglicherweise, dass nach Vorbringen des Klägers die Grenzgänger den Aufstockungsbetrag in Frankreich versteuern müssen. Bei Grenzgängern wird damit eine "fiktive" Steuersituation zugrunde gelegt, die in keinem Zusammenhang mit ihrer bisherigen Einkommenssituation steht.

Die Berechnung des Aufstockungsbetrages auf Grundlage der Mindestnettoentgeltverordnung und/oder unter Berücksichtung einer "fiktiven Steuer" auch für Grenzgänger wird in der Rechtsprechung der deutschen Gerichte für Arbeitssachen im Hinblick auf die Entscheidung in der Rechtssache "Merida" zum Teil für unzulässig erachtet. Das Arbeitsgericht Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - ist in seiner Entscheidung vom 17.03.2010 (Aktenzeichen 5 Ca 820/09) davon ausgegangen, dass eine solche Vereinbarung zur Zahlung eines Aufstockungsbetrages in einem Altersteilzeitvertrag wegen Europarechtswidrigkeit nicht angewendet werden kann.

In seiner Entscheidung vom 09.11.2010 (Aktenzeichen 1 Ca 1101/09) hat das Arbeitsgericht Saarlouis angenommen, dass die Berücksichtigung einer fiktiven deutschen Lohnsteuer Grenzgänger gegenüber Arbeitnehmern, die in Deutschland ihren Wohnsitz haben und dort steuerpflichtig sind, benachteilige. Diese Benachteiligung der Grenzgänger sei auch nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt.

Das Arbeitsgericht Saarbrücken hält demgegenüber in seiner Entscheidung vom 22.11.2010 (1 Ca 1504/09) die Berechnungsmethode für zulässig.

Wenn die im Ausgangsverfahren von der Beklagten angewandte Berechnungsmethode nicht gegen europäisches Recht verstößt, wird die Klage von dem vorlegenden Gericht abzuweisen sein. Sollte demgegenüber der EuGH die Vorlagefrage dahingehend beantworten, dass die Berechnung des Aufstockungsbetrages für Grenzgänger nicht auf der Grundlage der Mindestnettoentgeltverordnung erfolgen kann, ist in dem weiteren Verfahren von dem vorlegenden Gericht die zulässige Berechnungsmethode festzustellen.

4. Relevante Vorschriften des Unionsrechtes

Artikel 45 AEUV bestimmt:

 (1) Innerhalb der Gemeinschaft ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet.

 (2) Sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.

Artikel 7 Absatz 4 der Verordnung Nr. 1612/68 bestimmt:

 (4) Alle Bestimmungen in Tarif- oder Einzelarbeitsverträgen oder sonstigen Kollektivvereinbarungen betreffend Zugang zur Beschäftigung, Beschäftigung, Entlohnung und alle übrigen Arbeits- und Kündigungsbedingungen sind von Rechts wegen nichtig, soweit sie für Arbeitnehmer, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, diskriminierende Bedingungen vorsehen oder zulassen.

5. Im Ausgangsverfahren einschlägige nationale Vorschriften und Vereinbarungen mit Erläuterungen:

Einschlägig sind im Wesentlichen die zu § 15 Altersteilzeitgesetz ergangene Mindestnettoentgeltverordnung, der Tarifvertrag zur Altersteilzeit in der Metall- und Elektroindustrie vom 23.11.2004, die Gesamtbetriebsvereinbarung zur Altersteilzeit in der Firma C.  vom 24.07.2000 sowie der Altersteilzeitvertrag der Parteien

a. Das Altersteilzeitgesetz (AltTZG)

Das Altersteilzeitgesetz soll der Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten dienen. Für Arbeitnehmer sollen Anreize geschaffen werden, durch den Abschluss von Altersteilzeitarbeitsverträgen vorzeitig aus dem aktiven Erwerbsleben auszuscheiden und auf diesem Weg Arbeitsplätze für Arbeitslose frei zu machen. Altersteilzeit wird deshalb durch die Bundesagentur für Arbeit und die Sozialversicherungsträger gefördert. Die öffentlich-rechtlichen Vorschriften im AltTZG über die Höhe der vom Arbeitgeber an den Arbeitnehmer zu zahlenden Aufstockung legen die Mindestbedingungen fest, unter denen Altersteilzeit staatlich begünstigt wird. Das Altersteilzeitgesetz hat daher für die arbeitsrechtlichen Beziehungen der Parteien im Ausgangsverfahren keine unmittelbare Bedeutung. Die Parteien sind in der Gestaltung ihres Altersteilzeitvertrages im Wesentlichen frei.

Die in § 1 Abs. 2 AltTZG bezeichnete Förderung der Altersteilzeit durch die Bundesanstalt für Arbeit (jetzt: Bundesagentur für Arbeit) setzt allerdings voraus, dass auch der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer zusätzliche Leistungen erbringt, die das Gesetz als "Aufstockungsbetrag" bezeichnet. Bis zum 30.06.2004 war vorgesehen, dass dieser Aufstockungsbetrag "netto" gezahlt werden sollte (Nettoaufstockungsprinzip). Das aktuelle AltTZG bestimmt, dass für Altersteilzeitverhältnisse, die nach dem 01.07.2004 begonnen haben, das Bruttoaufstockungsprinzip gilt. Der Altersteilzeitvertrag der Parteien ist damit ohne weiteres vereinbar, weil die Beklagte einen deutlich höheren Aufstockungsbetrag als den gesetzlich geforderten (20 % vom Regelarbeitsentgelt) zahlt.

§ 1 Altersteilzeitgesetz (AltTZG)

 (1) Durch Altersteilzeitarbeit soll älteren Arbeitnehmern ein gleitender Übergang vom Erwerbsleben in die Altersrente ermöglicht werden.

 (2) Die Bundesanstalt für Arbeit (Bundesanstalt) fördert durch Leistungen nach diesem Gesetz die Teilzeitarbeit älterer Arbeitnehmer, die ihre Arbeitszeit ab Vollendung des 55. Lebensjahres spätestens ab 31. Dezember 2009 vermindern und damit die Einstellung eines sonst arbeitslosen Arbeitnehmers ermöglichen.

Die bis zum 30.06.2004 geltende Fassung des § 3 Abs. 1 Ziff. 1 a Altersteilzeitgesetz sah vor:

Der Anspruch auf die Leistung nach § 4 setzt voraus, dass

1. der Arbeitgeber aufgrund eines Tarifvertrages, einer Regelung der Kirchen und der öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften, einer Betriebsvereinbarung oder einer Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer

a) das Arbeitsentgelt für die Altersteilzeitarbeit um mindestens 20 vom Hundert dieses Arbeitsentgeltes, jedoch auf mindestens 70 vom Hundert des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten bisherigen Arbeitsentgeltes im Sinne des § 6 Abs. 1 (Mindestnettobetrag), aufgestockt hat. ...

§ 15 Satz 1 Nr .1 Altersteilzeitgesetz sah hierzu vor:

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann durch Rechtsverordnung die Mindestnettobeträge nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 a in der bis zum 30. Juni 2004 gültigen Fassung bestimmen. Die Vorschriften zum Leistungsentgelt des Dritten Buches Sozialgesetzbuch gelten entsprechend. Das bisherige Arbeitsentgelt im Sinne des § 6 Abs. 1 in der bis zum 30. Juni 2004 gültigen Fassung ist auf den nächsten durch fünf teilbaren Euro-Betrag zu runden. Der Kalendermonat ist mit 30 Tagen anzusetzen.

b. Die Mindestnettoverordnung und die Mindestnettobetragstabelle

Aufgrund der Ermächtigung aus § 15 AltersteilzeitG hat das Bundesministerium die Mindestnetto-Verordnung (BGBl I 2005, 3470) und zuletzt eine aktualisierte Verordnung vom 19.12.2007 (BGBl I 2008, 3040) erlassen.Wegen der Änderung des Altersteilzeitgesetzes ist danach keine weitere Mindestnetto-Verordnung in Kraft gesetzt worden.

Bestandteil der Mindestnettoverordnung ist im Wesentlichen die Mindestnettobetragstabelle. Sie weist auf 5,00 EUR aufgerundete (§ 132 Abs. 3 SGB III a F) Bruttoentgelte aus und ordnet ihnen - gestaffelt nach den Lohnsteuerklassen - Mindestnettobeträge zu. Entsprechend der Steuerklasse werden die Einkommenssteuer ohne Berücksichtigung von individuellen Steuerfreibeträgen sowie der Solidaritätsbeitrag abgezogen. Kirchensteuer wird nicht (mehr) berücksichtigt. Wegen der Sozialversicherung wird ein pauschaler Satz von 21 % abgezogen, begrenzt auf die monatliche Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung. Die so ermittelten Mindestnettobeträge sind in Höhe von 70 % in der Mindestnettobetragstabelle ausgewiesen (Fundstelle: www.gesetze-im-internet.de). Von der Wiedergabe wurde aus Platzgründen abgesehen.

c. Der Tarifvertrag zur Altersteilzeit

Am 23. November 2004 haben der Verband der Pfälzischen Metall- und Elektroindustrie e.V., Neustadt an der Weinstraße sowie die Industriegewerkschaft Metall, Bezirksleitung D-Stadt, einen Tarifvertrag zur Altersteilzeit abgeschlossen, der für den vorliegenden Rechtsstreit einschlägig ist.

§ 7 des Tarifvertrages:

Der Beschäftigte erhält einen Aufstockungsbetrag nach Maßgabe des § 3 Abs. 1 Nr. 1 a Altersteilzeitgesetz in seiner jeweils gültigen Fassung auf das Altersteilzeitentgelt. Dieser ist jedoch so zu bemessen, dass das monatliche Nettoentgelt mindestens 82 % des um die gesetzlichen Abzüge, die bei den Beschäftigten gewöhnlich anfallen, verminderten monatlichen bisherigen Bruttoarbeitsentgeltes im Sinne des § 6 Abs. 1 Altersteilzeitgesetz in der bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung beträgt.

d. Die Gesamtbetriebsvereinbarung vom 24.07.2000:

Auf Grundlage dieses Tarifvertrages wurde in der Firma Z. (jetzt Firma C. ) am 24.07.2000 eine Gesamtbetriebsvereinbarung über die Inanspruchnahme von Altersteilzeit abgeschlossen. Gemäß Ziffer 8.3 wurde dabei der Aufstockungsbetrag von 82 % auf 85 % erhöht:

Der Aufstockungsbetrag ist so zu bemessen, dass der Mitarbeiter in der Arbeitsphase mindestens 85 % des um die gesetzlichen Abzüge, die bei den Mitarbeitern gewöhnlich anfallen, verminderten bisherigen Arbeitsentgeltes gemäß Ziffer 8.2.2. erhält; in der Freistellungsphase mindestens 85 % des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Mitarbeitern gewöhnlich anfallen, verminderten bisherigen Arbeitsentgeltes gemäß Ziffer 8.2.3.

e. § 5 Ziffer 1 des Altersteilzeitvertrag der Parteien (Auszug):

§ 5 Zusätzliche Leistungen des Arbeitgebers

..

Die monatliche Nettoteilzeitvergütung wird gemäß der Gesamtbetriebsvereinbarung der Firma Z. auf 85 % der pauschalierten monatlichen Nettovollzeitvergütung aufgestockt (Grundlage: aktuelle Mindestnettoentgeltverordnung). Zusätzlich zu der sich aus § 4 ergebenden Nettoteilzeitvergütung wird daher ein entsprechender monatlicher Aufstockungsbetrag gezahlt.



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